Vom revolutionären Bruch zu einer revolutionären Zusammenarbeit?

Am 14. Januar dieses Jahres kamen knapp 150 Aktivist:innen zu einer Konferenz unter dem Motto „Für einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und Solid“ in Berlin zusammen. Beteiligt haben sich neben den einladenden (teilweise ehemaligen) Mitgliedern der Linkspartei-Jugendorganisation Solid verschiedene revolutionäre Organisationen, vor allem die Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO/KGK), die Gruppe Arbeiter:innenmacht (GAM) mit ihrer Jugendorganisation Revolution (Revo) und wir von der RSO. Wir alle hatten uns zum Ziel gesetzt, über revolutionäre Perspektiven zu diskutieren anstelle des von Linkspartei und Solid betriebenen Reformismus – also der Illusion, durch Mitverwaltung der kapitalistischen Gesellschaft sozialistische oder auch nur soziale Projekte voranzubringen.

In verschiedenen Workshops wurde über so unterschiedliche Themen wie Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Jugendarbeit, Klimakrise, Feminismus oder internationale Erfahrungen beim Aufbau revolutionärer Organisationen angeregt diskutiert. Zur Debatte stand auch, ob der Bruch mit der reformistischen Strategie auch einen unmittelbaren Austritt aus Solid und Linkspartei bedeuten soll, und welche organisatorische Perspektive an deren Stelle treten könnte.

Wir als RSO hatten zur Frage der Perspektive im Vorfeld der Konferenz geschrieben:

Die multiplen Krisen des Kapitalismus, die eine sozialistische Revolution immer dringlicher machen […] machen eine revolutionäre Partei ebenso dringend erforderlich. Daher müssen wir kühne Schritte unternehmen, um eine wahrnehmbare revolutionäre Kraft in Deutschland zu schaffen, statt wie bisher als revolutionäre Kleingruppen weitgehend nebeneinanderher zu existieren.

Die Differenzen zwischen den bestehenden Organisationen sind vielfältig. […] Wir sind der Überzeugung, dass all diese Fragen wichtig sind und ausgiebig diskutiert werden müssen. Aber wir dürfen nicht darauf warten, in allen Fragen Einigkeit erzielt zu haben, bevor wir versuchen unsere Kräfte dort zu vereinen, wo sich dies heute schon machen lässt. […]

Wir könnten versuchen, trotz bestehender Differenzen, mit denjenigen revolutionären Kräften, die dazu bereit sind, eine gemeinsame Organisation aufzubauen. Eine Organisation, die von den verschiedenen Erfahrungen der beteiligten Gruppen profitieren könnte, und die für eine breitere (linke) Öffentlichkeit wahrnehmbarer ist und eine größere Strahlkraft erreichen kann als jede Gruppierung für sich alleine.“

Am Ende der Konferenz stand die Diskussion über eine Abschlusserklärung, wobei ein Vorschlag von RIO/KGK kam und GAM/Revo zusammen mit weiteren Teilnehmer:innen einen Alternativentwurf vorlegten. Schnell wurde deutlich, dass der Hauptunterschied in der Frage bestand, wie wir als Revolutionär:innen nicht nur selbst mit dem Reformismus brechen können, sondern auch dazu beitragen, dass möglichst viele andere Aktivist:innen einen solchen Bruch vollziehen.

Der Entwurf von RIO/KGK, der mit ein paar Änderungen am Ende eine deutliche Mehrheit erhielt1, erklärt den sofortigen Austritt aus Linkspartei und Solid, während der abgelehnte Alternativentwurf den organisatorischen Bruch offenließ. Die Genoss:innen der GAM argumentierten, dass es nicht ausreiche, Linkspartei und Solid für gescheitert zu erklären, sondern dass die Aufgabe noch vor uns liegt, größere Massen für eine revolutionäre Perspektive zu gewinnen. Das ist unbestreitbar. Doch was ist dafür notwendig?

Die Linkspartei wählen?

Die Debatte konkretisierte sich anhand der Frage, wie Revolutionär:innen sich zur Wiederholungswahl in Berlin stellen sollen. Im Alternativentwurf wurde vorgeschlagen, zur Wahl von bestimmten Kandidat:innen der Linkspartei aufzurufen. Die GAM vertritt generell bei Wahlen eine „kritische“ Unterstützung der Linkspartei. In einem Flugblatt vor den Wahlen 2021 begründete sie dies wie folgt:

„Wir rufen zur Wahl der Linkspartei auf als Teil des Abwehrkampfs, denn sie stützt sich auf jene […], die Widerstand leisten […] wollen. Trotz ihrer reformistischen, durch und durch bürgerlichen Politik organisiert DIE LINKE wichtige Teile der sozialen Bewegungen und des linken Flügels der betrieblich und gewerkschaftlich Aktiven. […] Wir richten uns direkt an die Linkspartei und besonders an ihre Mitglieder, denen es ernst ist mit den Forderungen ihrer Partei: […] Verrät Euch die Linkspartei und tausende WählerInnen, dann solltet ihr mit uns eine neue, wirklich revolutionäre Partei aufzubauen versuchen.“

Obwohl die GAM sich also keinen Illusionen hinsichtlich der „durch und durch bürgerlichen Politik“ der Linkspartei hingibt, hält sie es für notwendig, sie zu wählen, offenbar um die Wähler:innen der Linkspartei besser zu erreichen. Erst nachdem die Linkspartei diese verraten hat, sollen sie offenbar dazu bereit sein, mit den Genoss:innen der GAM gemeinsam eine neue Partei aufzubauen.

Doch das Hauptproblem ist doch nicht, dass Wähler:innen der Linkspartei oder „wichtige Teile der sozialen Bewegungen und des linken Flügels der betrieblich und gewerkschaftlich Aktiven“ noch Anschauungsunterricht bräuchten, was bei einer Wahl oder bei einer Regierungsbeteiligung der Linkspartei herauskommt. Das konnten sie in den letzten Jahrzehnten oft genug erfahren. Dass trotz Beteiligung der LINKEN am Berliner Senat der Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ (DWE)2 nicht umgesetzt wurde, ist doch nur eine neue Episode, nachdem unter Beteiligung der Linkspartei schon vor 20 Jahren überhaupt erst große Teile des Berliner Wohnungsbestands an Immobilienhaie verscherbelt worden waren. „Verraten“ hat die Linkspartei ihre eigenen Forderungen und ihre Wähler:innen schon oft. Was fehlt, ist eine glaubwürdige und sichtbare revolutionäre Alternative zum Reformismus! Die gilt es aufzubauen, auch wenn wir dabei klein anfangen.

Denn selbstverständlich sind die revolutionären Kräfte in Deutschland immer noch sehr klein, insbesondere im Verhältnis zur Linkspartei, auch wenn die Linkspartei Wahlniederlagen erlitten hat und viel über die „Krise der Linkspartei“ geschrieben wird. Doch wir revolutionären Kräfte werden nicht dadurch glaubwürdiger, dass wir trotz aller Kritik wieder zur Wahl der LINKEN aufrufen, sondern dadurch, dass wir uns in der Arbeiter:innenklasse verankern, sichtbar und kampagnenfähig werden. Und dabei ist die bestehende Zersplitterung der revolutionären Linken ein echtes Handicap.

Unsere gemeinsame Verantwortung

Es gibt Aktivist:innen, die von der Linkspartei enttäuscht sind, oder Jugendliche, die sich neu politisieren und relativ schnell feststellen, dass die Linkspartei keinen Enthusiasmus verströmt und kein funktionierendes Konzept zur Veränderung der gesellschaftlichen Zustände hat. Doch wenn sie sich nach Alternativen umschauen und auch offen sind für revolutionäre Angebote, so treffen sie auf viele Klein- und Kleinstgruppen, deren Unterschiede meist nur für Eingeweihte zu verstehen sind.

Es muss uns gelingen, diesen Zustand zu überwinden. Nicht, indem wir unsere Differenzen unter den Teppich kehren, sondern indem wir über diese Differenzen solidarische Diskussionen führen und zugleich die Spaltungen überwinden und als gemeinsamer Pol auftreten – in den Klassenkämpfen, in sozialen Bewegungen, in der Öffentlichkeit. In diesem Sinne haben wir auf der Konferenz den obigen Vorschlag gemacht, uns eine gemeinsame Organisation als Ziel zu setzen. In der Abschlusserklärung der Konferenz, die wir unterstützt haben, ist nun beschlossen worden „Schritte für den Aufbau einer gemeinsamen revolutionären Front zu gehen“, zusammen mit einer ganzen Reihe von möglichen Kampagnen, in denen man zusammenarbeiten möchte.

Damit ist ein erster Schritt getan, der aber längst nicht ausreicht. Wir hoffen, dass auch diejenigen Genoss:innen, die den Alternativentwurf vorgelegt haben, Teil einer solchen Front sein werden und weitere revolutionäre Kräfte bereit sind, sich anzuschließen. Der Aufbau einer revolutionären Partei muss in den nächsten Jahren deutlich vorankommen!

Richard Lux, Berlin

1 revolutionaererbruch.wordpress.com

2 Mehr Informationen zu DWE unter:
sozialismus.click/enteignen-ja-bitte/