Alle Container stehen still, wenn dein starker Streik es will …

Unter den Streiks für steigende Löhne in den letzten Monaten sticht einer heraus, weil er ganz explizit einen automatischen Inflationsausgleich gefordert hat – der Streik der Arbeiter:innen an den deutschen Nordseehäfen.

Es sind insgesamt 12.000 Arbeiter:innen aus 58 Betrieben in vielen Häfen, für die die Gewerkschaft ver.di Verhandlungen führte. Sie alle einte eine Forderung: Einen vollen Inflationsausgleich – also automatische Anpassung der Löhne in Höhe der offiziellen Inflationsrate – plus eine echte Lohnerhöhung von 1,20 € pro Stunde obendrauf. Zusammen mit dem Inflationsausgleich bedeutete das rund 14 % Lohnsteigerung für die niedrigsten Löhne. Und das ganze mit einer Vertragslaufzeit von einem Jahr.

Grund aufgebracht zu sein haben die Arbeiter:innen an den Häfen schon lange. Mit ihren Knochenjobs halten sie die globalisierten Lieferketten am Laufen; über 90 % des globalen Güterverkehrs läuft über Frachtcontainer! In der Pandemie mussten sie die ganze Zeit durcharbeiten und haben viele Überstunden geschrubbt, denn trotz Lockdowns haben die Menschen ja weiter konsumiert und wurden mit Waren versorgt. Die größten Gigacontainerschiffe enthalten mehr als 20.000 Container. Und jeder einzelne muss herausgehoben und sicher wieder abgesetzt werden. Die „Brückenfahrer:innen“, die oben im Kran sitzen und den Container ansteuern, sitzen stundenlang vornübergebeugt und hochkonzentriert. Sie arbeiten zusammen mit den „Lascher:innen“, die für das sichere Anlegen und Lösen von Befestigungen am Container zuständig sind und die bei den Tonnen an Ladung, die auch bei Wind und Wetter bewegt werden, schon mal in Gefahr geraten. Unfälle, mitunter tödliche, gibt es leider immer wieder. Und ständiger Zeitdruck: Wenn alle Sicherheitsbestimmungen „nach Vorschrift“ eingehalten werden, dauert die Entladung eines Containers 3-5 Minuten. In der Praxis wird es teilweise in 90 Sekunden geschafft, konnte man von Streikenden erfahren.

Doch Wertschätzung erfahren sie kaum, wie so viele Arbeiter:innen. Dafür angedrohten Jobverlust – wegen zunehmender Automatisierung könnten zukünftig Arbeitsplätze eingespart werden. Obwohl riesige Gewinne mit dem Schiffsverkehr gemacht werden – über 4 Mrd. Euro allein im 1. Quartal 2022 für die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd – haben sie lange keine nennenswerte Lohnerhöhung gesehen. 2021 lag die Tariflohnerhöhung bei nur 3 %.

Viel Wut und Entschlossenheit

Zwei erste Warnstreik gab es im Juni, dann vom 14.-16. Juli einen zweitägigen Streik mit kämpferischen Demonstrationen von 6.000 Streikenden. Viele Containerschiffe lagen in der Norddeutschen Bucht fest. Doch statt die Forderungen zu erfüllen, gab es eine juristische Klagewelle gegen den Streik. Während in Niedersachsen alle Klagen abgeschmettert wurden, hatte ver.di in Hamburg offenbar Angst vor einem Richterspruch – oder etwa davor, dass ihnen die Eigendynamik des Streiks entgleiten könnte?! Jedenfalls hat der Gewerkschaftsapparat sich auf einen Kompromiss eingelassen, der weitere Verhandlungen und einen Streikverzicht bis zum 26. August beinhaltete. Die Arbeiter:innen, die in den Warnstreiks gerade richtig warm gelaufen waren, wurden nicht gefragt. Damit war die stärkste Bastion des Streiks für mehrere Wochen zur Untätigkeit verdammt.

Neben den gerichtlichen Schikanen hat der Unternehmerverband ZDS auch versucht zu spalten: für die oberen Lohngruppen wurde deutlich mehr angeboten als für den Rest. Doch dieser Bestechungsversuch wurde mehrfach zurückgewiesen. Vor allem bestand der ZDS lange auf einer zweijährigen Laufzeit ohne automatischen Inflationsausgleich. So hätten wieder die Arbeitenden das Risiko für kommende Preiserhöhungen getragen.

Am 22. August fand in Bremen die insgesamt zehnte Verhandlung statt. Die Kolleg:innen haben dorthin mobilisiert und waren bereit, ab dem 26. wieder in den Streik zu treten. Und diesmal nicht mehr nur Warnstreik! Hinzu kam, dass am Sonntag, den 21. August auch die Arbeiter:innen des größten englischen Containerhafens Felixstowe für 8 Tage in Streik getreten sind. In England ist die Inflation noch höher als in Deutschland und die dortigen Unternehmen hatten nur 8 % Lohnerhöhung angeboten. Die Hafenarbeiter:innen hätten sich also über den Ärmelkanal hinweg die streikenden Hände reichen können.

Davor hatten die Unternehmer:innen Angst. Und so haben sie am Ende relativ große Zugeständnisse gemacht, denen die Tarifkommission von ver.di mehrheitlich zugestimmt hat. Das Ergebnis ist kompliziert, vor allem geht die Spaltung der Belegschaften weiter: Es werden 3 Gruppen von Betrieben unterschieden.

Die Beschäftigten in „Vollcontainerbetrieben“ der Kategorie A bekommen etwa 9,4 % mehr in diesem Jahr (die prozentuale Erhöhung hängt von der Lohngruppe ab), diejenigen in „konventionellen Betrieben“ 7,9 %. Der ZDS hat auf einer zweijährigen Laufzeit bestanden. Allerdings wird eine künftige Inflation von bis zu 5,5 % mindestens ausgeglichen, und wenn die Inflation höher liegt, wird neu verhandelt und darf auch wieder gestreikt werden (Sonderkündigungsrecht). Damit ist sichergestellt, dass es nächstes Jahr keine kampflosen Reallohnverluste geben wird – eindeutig ein Erfolg der entschlossenen Mobilisierung.

Doch es gibt einen großen Haken: Die dritte Kategorie C, das sind Betriebe, für die ver.di in der Vergangenheit „Beschäftigungssicherungsverträge“ abgeschlossen hat. Die Arbeitenden dieser C-Betriebe sollen nun mit 3,5 % in diesem Jahr und 2,5 % im nächsten Jahr abgespeist werden, also meilenweit unterhalb der Inflationsrate!

Der Betrug mit der „Beschäftigungssicherung“

Die Erpressung ist in allen Branchen allzu gut bekannt. Es wird gejammert und mit Stellenstreichungen gedroht, um Lohnsenkungen durchzusetzen. Dagegen sagen kämpferische Arbeiter:innen schon lange: „Lohnverzicht rettet keine Arbeitsplätze!“ Denn es gibt allzu viele Beispiele, wo die Unternehmen sich die Lohnkürzungen in die Tasche gesteckt und trotzdem Stellen abgebaut haben. Zumal sich die großen Konzerne ihre „wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ auf tausenderlei Arten zurechtrechnen können.

So gehört zum Beispiel der Gesamthafenbetrieb (GHB) in Bremen zur Kategorie C.

Etwa ein Fünftel der Hafenarbeiter:innen in den großen Häfen Hamburg und Bremen werden nicht fest von den Hafenunternehmen eingestellt, sondern beim GHB, der die Arbeitskräfte wie Tagelöhner tage- oder stundenweise an die Hafenunternehmen entleiht. Damit können diese viel weniger Personal halten, als eigentlich notwendig. Der Kapitalismus schafft nicht nur „bad banks“, sondern auch „bad employers“, wohin ein Teil des Personals ausgelagert wird um Kosten zu sparen. Mit dem Ziel, die Löhne noch weiter zu drücken, können die Hafenunternehmen einfach weniger Geld an den GHB zahlen, sodass der GHB Verluste schreibt, obwohl die Arbeitenden bei Betrieben eingesetzt werden, die sehr profitabel sind. ver.di hat sich beim GHB Bremen 2020/21 auf einen „Beschäftigungssicherungsvertrag“ eingelassen und jetzt sollen die betreffenden Kolleg:innen mit weiteren Lohnverlusten aus dieser Tarifrunde gehen?!

Das stößt allen Hafenarbeiter:innen sauer auf, die zu Recht stolz sind auf den Zusammenhalt über all die Betriebe und Berufsgruppen hinweg, den sie in den letzten Monaten entwickelt haben!

Was gegen Inflation hilft

Der Streik am Hafen hat es deutlich gemacht – Streiks sind die Waffe der Arbeitenden, mit denen sie sich gegen die Preissteigerungen wehren können. Dabei hat er auch gezeigt, für welche Forderungen es sich lohnt zu kämpfen, hinter denen sich in der aktuellen Situation die meisten Arbeitenden wiederfinden können:

  • Automatische Anpassung der Löhne an die Inflation, plus echte Lohnerhöhungen!
  • Keine Spaltung in angeblich besser oder schlechter gestellte Betriebe. Wenn die Unternehmen jammern, dann sollen alle Geschäftsbücher offengelegt werden! So können die Arbeitenden selbst prüfen, wohin die Gewinne fließen, die auf ihrem Rücken gemacht werden und mit welchen Tricks die Kapitalist:innen sich arm rechnen.

Richard Lux, Berlin