Interview mit einem Altenpfleger: Corona und Pflege

Hallo Thomas, du bist seit über 12 Jahren Altenpfleger in Sachsen in einer Einrichtung mit über 170 Bewohner*innen. Heute wirst du uns etwas über deine Arbeits-bedingungen erzählen. Danke, dass du dir die Zeit dafür genommen hast.

Was hat sich in den letzten Jahren in der Pflege verändert und welche Probleme entstehen dadurch für das Pflegepersonal?

Es fehlt nach wie vor an Fachkräften. Mein Betrieb bildet zwar Azubis aus, aber die meisten bleiben nicht in der Einrichtung, sondern wechseln das Unternehmen, da woanders oft bessere Konditionen angeboten werden. Deshalb wurden vor einigen Jahren mehrere Vietnames*innen als Azubis gewonnen. Das barg vor allem zu Beginn große Probleme, da sie kaum deutsch sprachen. Auch insgesamt hat sich der Anteil an Kolleg*innen mit Migrations-hintergrund erhöht, was nicht allen Bewohner*innen und Kolleg*innen gefällt, obwohl viele von ihnen gute Arbeit leisten. Der Fachkräftemangel führt auch dazu, dass es weniger Mentor*innen für die Azubis gibt, was die Qualität der Ausbildung wiederum verschlechtert.

Ansonsten wurde es in den letzten Jahren immer mehr Schreibarbeit, die man zu verrichten hat. Es wurden immer mehr Formulare und Dokumentationsblätter, die man auszufüllen hat, was entsprechend mehr Zeit ins Anspruch nimmt. Das soll zwar der Qualitätssicherung dienen, aber letztlich interessiert sich kaum jemand dafür.

Was würdest du als größte Arbeitsbelastung ansehen und warum?

Das ist sicherlich die Arbeit in drei Schichten. Der häufige Wechsel stellt eine hohe Belastung für den Körper dar. Anders als bei der
Rollwoche verläuft der Dienstplan nicht nach einem festen Schema. So kann es schon passieren, dass man nach mehreren Nachtschichten nur einen kompletten Tag frei hat und dann wieder arbeiten gehen muss. Oder, dass man sieben Tage und mehr am Stück arbeiten muss, vor allem wenn in der Grippezeit viele Kolleg*innen krankheitsbedingt ausfallen. Andererseits versucht die Pflegedienstleitung die Dienstwünsche des Personals so gut es geht zu berücksichtigen, was nicht in allen Heimen der Fall ist.

Wie sieht es in deinem Betrieb mit gewerkschaftlicher Organisierung aus?

Es gibt keinen Betriebsrat oder ähnliches. Mir fällt auch kein/e Kolleg/in ein, die/der in der Gewerkschaft wäre. Schon bevor ich vor 15 Jahren im Betrieb meine Ausbildung begonnen habe, soll mein Chef gedroht haben jedem zu kündigen, der versucht einen Betriebsrat aufzubauen. Auch wenn diese Drohung jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrt und man vor jedem Arbeitsgericht recht bekommen würde, hat das doch dazu geführt, dass sich seitdem niemand bereit erklärt hat einen Betriebsrat zu gründen.

Gibt es ansonsten unter den Kolleg*innen einen Austausch über Missstände oder größere Unzufriedenheit?

Natürlich sprechen wir untereinander über Probleme. Einmal im Monat gibt es auf jeder Station eine Dienstberatung, in der Probleme, Anliegen oder Vorschläge mit der Pflegedienstleitung besprochen werden. Allerdings lässt sich mein Chef dabei nicht blicken. So wird schon seit Jahren gemunkelt, dass nicht alle Probleme, die wir benennen, auch an ihn herangetragen werden, um Konflikte mit ihm zu vermeiden. Er kann sehr schnell jähzornig werden, was einen konstruktiven Austausch sehr erschwert.

Was hat sich unter Corona verändert?

Wir müssen nun ständig eine Maske tragen, was nicht nur im Sommer unangenehm ist. Sie erschwert auch die Kommunikation mit Schwerhörigen, da die Stimme durch die Maske gedämpft wird. Außerdem kann man schlechter die Mimik erkennen, was für Demente problematisch sein kann.

Gerade zu Beginn der Pandemie litten die Bewohner*innen stark unter Vereinsamung, da gar kein Besuch gestattet war. Die Isolation und der nun noch geringere Input hat dazu geführt, dass bei manchen Bewohner*innen die Demenz schneller voranschritt.

Seit Anfang Dezember muss jeder Angehörige, der zu Besuch kommen will, einem Schnelltest unterzogen werden, was für beide Seiten ziemlich unangenehm ist.

Außerdem brauchen die Tests Zeit, die sowieso schon knapp bemessen ist. Und nach jedem Besuch muss das Besucherzimmer gelüftet und desinfiziert werden.

Wie würdest du die aktuelle Lage in deinem Altenheim beschreiben?

Anfang November ist der Virus bei uns ausgebrochen und mehr als zwei Dutzend Bewohner*innen sind an bzw. mit dem Virus verstorben. Ich arbeite seit mehr als 16 Jahren in der Pflege und es gab auch schon Winter, in denen viele Bewohner*innen gestorben sind. Aber nicht in dem Ausmaß und in dieser kurzen Zeitspanne.

In dieser Zeit mussten alle Pflegekräfte einen gummierten Ganzkörperschutzanzug, FFP2-Masken, ein Visier, Haarnetz und Füßlinge tragen. Man kann sich vorstellen, dass man darin massiv schwitzt. Dazu kam, dass sich auch mehrere Kolleg*innen auf meiner Station infiziert hatten und krank geschrieben waren.

Das führte dazu, dass teilweise im Frühdienst nur noch drei statt fünf oder sechs Pflegekräften da waren. Darunter litt natürlich auch die Qualitätder Pflege, da zeitlich nur noch eine Katzenwäsche drin war und auch sonst die Versorgung auf ein Minimum reduziert werden musste. Ich selbst hatte mich auch infiziert bzw. hatte ich viele der Symptome, konnte bzw. wollte mich aber nicht testen lassen, da schlichtweg kein Personal mehr da war. Und so ging es nicht nur mir, sondern auch einem Freund in der ambulanten Pflege, wo die Pflegekräfte trotz offensichtlicher Symptome weitergearbeitet haben. Sicher hätte man sich krankschreiben lassen müssen, doch wer hätte dann die Bewohner*innen versorgt?!

Glücklicherweise hatte sich Anfang Dezember die Lage soweit wieder beruhigt und die Schutzmaßnahmen wurden wieder etwas gelockert. Wie bereits erwähnt, darf wieder Besuch empfangen werden und auch das Personal muss nicht mehr so massive Schutzkleidung tragen. Beides kam der Stimmung zugute.

Sachsen gilt ja als Hochburg der Coronaleugner*innen. Wie sieht es da bei dir unter den Kolleg*innen aus und hat sich das eventuell seit dem ersten Lockdown verändert?

Niemand hat mehr Lust die Masken zu tragen. Ich trage Bart und durch die Maske fängt es bei Zeiten zu jucken an. Dennoch trage ich die Maske und auch meine Kolleg*innen sehen den Sinn dahinter ein. Was die Coronaleugner*innen betrifft: Eine Kollegin meinte letztens, dass der Virus die ältere Bevölkerung auslöschen soll, um die leeren Rentenkassen zu retten. Sonst weiß ich von zwei Kolleginnen (eine ist Köchin, die andere Altenpflegerin in Elternzeit), die vor allem in den sozialen Netzwerken die krudesten Artikel liken und teilen.

Ich kann das absolut nicht nachvollziehen. Die Köchin hat die Maßnahmen und vielen Toten im Heim selbst mitbekommen, die Altenpflegerin hat das nötige Wissen über Viren und Krankheiten, um die Pandemie nicht einfach als Hirngespinst abtun zu können. Dennoch tun beide genau das. Diskutieren bringt da auch nichts mehr, da ihre Meinung viel zu gefestigt ist.

Man kann nur hoffen, dass sie irgendwann einmal zur Vernunft kommen.

Was wäre deine dringendste Forderung, um die Bedingungen in der Pflege zu verbessern?

Das ist natürlich die Aufstockung des Personals. Es fehlt an Fachkräften und auch an ausgebildeten Hilfskräften, da viele von ihnen keine formelle Ausbildung erhalten haben.

Dabei hilft es wenig sie aus den EU-Nachbarstaaten anzuwerben, da diese auch dort benötigt werden. Mehr Personal würde mehr Zeit für die Pflege bedeuten und alle Pflegekräfte entlasten, da die Arbeit durch mehr Personal geteilt würde. Viele verlassen ja die Pflege, weil ihnen der Beruf auf Dauer zu stressig wird. Insgesamt muss die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Privatem verbessert werden.

Es arbeiten viele junge Frauen in der Pflege, von denen viele einmal Kinder bekommen wollen. Das ist aber mit dem Drei-Schicht-Betrieb kaum zu bewerkstelligen. Da müssen unbedingt Konzepte erarbeitet werden, wie man die Kinderbetreuung während der Arbeitszeit gewährleisten kann, z.B. durch Tagesmütter, die vom Heim bezahlt werden.

Was den Wohnbereich betrifft: Das Haus wurde vor über 20 Jahren gebaut und vieles der Technik und Arbeitsgeräte ist veraltet, reparaturbedürftig oder defekt. Statt diese zu ersetzen und das bestehende Personal zu entlasten, kauft mein Chef aber lieber andere Pflegedienste auf, wo genau die gleichen Probleme auftreten bzw. schon bestehen.