Terroranschläge in Frankreich und Wien

Der Anschlag in Wien am 2. November und die Enthauptung eines Lehrers bei Paris am 16. Oktober haben den dschihadistischen Terror wieder auf die politische Tagesordnung gesetzt. Für die Herrschenden ist es ein willkommener Anlass Repression und Rassismus weiter voranzutreiben – und von ihrem Versagen in der Corona-Pandemie abzulenken. Im Kampf gegen reaktionär-religiöse politische Strömungen dürfen wir nicht auf die Heuchelei der Herrschenden hereinfallen. Unsere Antwort ist der gemeinsame Kampf aller Arbeitenden gegen die soziale Krise sowie gegen Angriffe und Spaltung von oben.

Terror und Imperialismus

Dschihadistische Anschläge sind kein neues Phänomen, sondern finden seit einigen Jahren auch in Europa in regelmäßigen Wellen statt. Dabei wird oft vergessen, dass die meisten Anschläge und Opfer im Nahen Osten und in Afrika zu beklagen sind (Irak, Syrien, Nigeria, Kamerun… ). Für die Entstehung und den Aufstieg dieser Organisationen (IS, Boko Haram, Taliban) hat die Politik der westlichen imperialistischen Länder erst den Boden bereitet. Die Verantwortung reicht zurück bis zur Kolonialzeit, über die Bekämpfung von Unabhängigkeitsbestrebungen nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zum „Kampf gegen den Terror“ seit der Jahrtausendwende. Ausbeutung, Unterdrückung und das Einsetzen politisch genehmer Regime haben ganzen Regionen strukturelle Armut und Verwüstung gebracht.

Im Anschluss an die Anschläge vom 11. September 2001 wurde eine neue Runde eingeläutet: der sogenannte „Kampf gegen den Terror“. Von Afghanistan aus stürzte die US-Kriegsmaschinerie und ihre europäischen Verbündeten nach und nach die ganze Region ins Chaos. Nach der Verlagerung des Kriegs in den Irak wurde Syrien zum Schauplatz des militärischen und politischen Kräftemessens zwischen diversen Groß- und Regionalmächten. Aus den Trümmern dieser Kriege erhob sich der IS.

Doch der westliche Imperialismus hatte schon lange davor seinen Anteil am Aufstieg von islamistischen und dschihadistischen Organisationen. In den 80ern unterstützten die USA in Afghanistan die Mudschahedin im Stellvertreterkrieg gegen die Sowjetunion und trugen so entscheidend zum Aufstieg dschihadistischer Ideologien und Gruppen, wie den Taliban, bei. Frankreich selbst glänzt mit Auslandseinsätzen in der Sahelzone, während in Algerien zunächst Religiöse gegen die nationale Befreiungsbewegung unterstützt wurden, um schließlich in den 90ern den Kampf gegen den Islamismus auszurufen, als die faschistische „Islamische Heilsfront“ fast an die Macht kam. Der Aufstieg des IS markiert also nur die vorläufig letzte Etappe der Geschichte einer vom Imperialismus gebeutelten Region.

Dschihadismus und andere Reaktionäre

Dschihadistische Organisationen, wie der IS, inszenieren sich als Antwort auf die soziale Misere sowie Unterdrückung und Ausbeutung „durch den Westen“. Es handelt sich um reaktionäre politische Strömungen, die sich und ihren Anführern Macht, Einfluss und Geld sichern möchten. Zudem geht es um die Errichtung einer totalitär-hierarchischen Gesellschaftsordnung, die ihre Macht nach innen und außen begründen und absichern soll. Mittel ihrer Herrschaft sind bewaffnete Gewalt, Terror und paramilitärische Organisierung. Die Religion wird für Mobilisierung, Zuspitzung und Spaltung benutzt.

Auch in westlichen Ländern versuchen diese Gruppen Anhänger*innen und Einfluss zu gewinnen, mit unterschiedlichem Erfolg. Davon sind Muslim*nnen und Migrant*nnen am stärksten betroffen. Zum einen versuchen dschihadistische Organisationen ihre reaktionäre Ideologie in ihren Reihen zu verbreiten, zum anderen stellt der herrschende Rassismus „den Islam“ unter Generalverdacht. Neben dschihadistischen Gruppen gibt es noch weitere reaktionäre Kräfte, die nicht auf Terror setzen, aber als spaltender ideologischer Rammbock agieren und ein hierarchisch-autoritäres Weltbild verbreiten.

Entgegen einem gemeinsamen Kampf aller Ausgebeuteten wollen sie über die Religion loyale Unterstützer*innen für ihr Projekt sammeln. Ein aktuelles Beispiel aus Wien: im Juni wurden über Tage hinweg linke, feministische und pro-kurdische Demonstrant*innen von Gruppen, die den türkischen Faschisten der Grauen Wölfe nahe stehen, angegriffen.

Die Verbreitung dieser Strömungen in Europa kann nur in Zusammenhang mit der sozialen Krise, Rassismus, Unterdrückung und der Kolonialgeschichte verstanden werden. Migrant*innen und Menschen mit Migrationshintergrund sind strukturell sozial und ökonomisch benachteiligt: sie verdienen im Durchschnitt deutlich weniger und wohnen in schlechteren Wohnungen, ihnen bleiben viele Staatsbürger*innenrechte verwehrt, sie werden im Bildungssystem benachteiligt, häufiger von der Polizei kontrolliert und inhaftiert. Der herrschende Rassismus lässt sie ständig wissen, dass sie nicht wirklich dazugehören – und das in diesen Augen auch nie tun werden.

Win-Win für Rechte und Reaktionäre

Die antimuslimische Propaganda vom „christlichen Abendland“ und eine offen rassistische Politik gegenüber Flüchtenden sind in Politik und Gesellschaft zunehmend salonfähig geworden. Der in Frankreich traditionell starke Laizismus (die konsequente Trennung von Staat und Kirche), ist mehr und mehr zum alleinigen Kampf gegen sichtbare Glaubenszeichen von Muslim*innen in Schulen und anderswo geworden. Getragen wird dieser Kampf von der extremen Rechten, die eng mit katholischen Fundamentalisten verbunden ist, und vom Staat, der jährlich Millionen in private katholische Schulen buttert.

In Österreich übernimmt und kopiert die ÖVP unter Kurz seit 2017 die offen rassistische Propaganda der FPÖ. In Folge wurden etwa ein Kopftuchverbot für junge Schüler-innen (zu deren „Schutz“) und getrennte Deutsch„förder“klassen (gegen den Wunsch vieler Lehrer*innen) eingeführt und die Mindestsicherung für migrantische Familien gekürzt. Garniert mit einer Portion „christlichem Abendland“.

Solche Maßnahmen treiben die soziale und ökonomische Marginalisierung vieler Migrant*innen voran. So wird nicht nur ein Reservoir an entrechteten, prekarisierten Billig-arbeitskräften, sondern gleichzeitig auch ein Sündenbock geschaffen, in der Hoffnung dass sich die Wut nicht gegen die Herrschenden selbst richtet.

Es sind genau solche Maßnahmen dieser reaktionären Rechten, die den Boden für die Propaganda anderer rechter Reaktionäre im Namen „des Islam“ aufbereiten. Beide Seiten bieten den Arbeitenden und Armen eine nationalistisch-religiöse Identität, die sich vor allem durch Abgrenzung auszeichnet – aber nicht gegenüber Bossen und Politiker*innen, sondern gegenüber anderen Teilen der Arbeiter*innenklasse. Unterm Strich eine für Rechtsextreme, Dschihadisten, religiöse Reaktionäre und die herrschende Klasse vorteilhafte Konstellation.

Heuchelei der Herrschenden

Die heuchlerische Politik der Herrschenden zeigt sich auch in den Reaktionen auf die jüngsten Anschläge. In Österreich hat die ÖVP überraschend ihre liberale Tarn-Maske ausgepackt. Da wurde betont, dass sich Österreich von den Terroristen „nicht spalten lassen darf“. Kurz davor wurde noch pauschal gegen die angebliche „Parallelgesellschaft“ muslimischer Migrant*innen gehetzt; diese hätten sich gefälligst zu „integrieren“ und „unsere Werte“ zu akzeptieren. Die geheuchelte Rhetorik des „Zusammenhalts“ wird schon sehr bald dazu dienen, neue rassistische Maßnahmen auf den Weg zu bringen, im Namen von „Freiheit und Demokratie“.

Auch in Frankreich waren die Reaktionen von Politiker*innen nach den ersten Anschlägen 2015 vom Geschwafel über Zusammenhalt geprägt.

Heute lässt sich die Propaganda Macrons kaum mehr von jener der Rechtsextremen Marine Le Pens unterscheiden. Und auch „linke“ PolitikerInnen haben wenig anderes anzubieten. In Österreich fordert die SPÖ, verurteilten Gefährdern die Staatsbürgerschaft zu entziehen. In Frankreich überholt Mélenchon (France Insoumise) rechts außen und will alle Tschetschenen konsequent prüfen und des Landes verweisen.

Demokratie? Überwachung und Repression!

Mit der gleichen Heuchelei erklären die Herrschenden, man müsse nun unsere „freie Gesellschaft“ und „unsere Demokratie“ schützen und stärken. Kurz nach dem Anschlag in Wien wurde von der Regierung die bereits lang geplante „Präventivhaft“, also das vorsorgliche Inhaftieren auf Verdacht, wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Dabei hatten die Behörden auch so genügend Informationen und rechtliche Mittel um das Attentat zu verhindern – und blieben untätig. Nun will man von diesem Totalversagen ablenken und die Chance nutzen Überwachung und Polizeistaat auszubauen.

Gesetzesverschärfungen, die im Namen des „Kampfes gegen den Terror“ beschlossen werden, verwenden die Herrschenden häufig gegen unliebsame Proteste von Arbeiter*innen und Linken. In Österreich wurden bereits vor Jahren etliche Tierschützer*innen und linke Aktivist*innen laut dem Gummiparagraphen „Bildung einer kriminellen Organisation“ angeklagt.

In Frankreich dient der seit 2015 ausgerufene Ausnahmezustand dazu, Demonstrationen zu verbieten, Polizei aufzurüsten und präventiv Hausarreste zu verteilen. Bereits vor dem Attentat hatte die französische Regierung ein Gesetz zum „Kampf gegen Separatismus“ angekündigt… als Antwort auf die Black Lives Matter-Demos gegen Polizeigewalt! Das Attentat kam wie gerufen für die Regierung, die im Namen der „Meinungsfreiheit“ ihren Kurs noch einmal scharf nach rechts korrigiert hat.

Welche Antwort auf Rassismus und Islamismus?

Selbstverständlich ist es wichtig, dass Revolutionär*innen sowohl die rassistische Offensive der Regierung (und durch Attentate legitimierte „Sicherheitsprojekte“, Grenzschliessungen etc.), als auch die religiösen Rechtsextremen auf strengste verurteilen, und versuchen Argumente zu geben, um gegen beide zu kämpfen. Doch eine wirkliche Antwort und Fortschritte im Kampf gegen Rassismus und Islamismus, wird es vor allem durch soziale Kämpfe geben, in denen gemeinsam diejenigen kämpfen, die von Regierung und diversen rechts-extremen Strömungen gespalten werden.

In Frankreich hat es in letzter Zeit Kämpfe auf verschiedenen Ebenen gegeben. Wie eine Antwort angesichts der aktuellen Situation aussehen kann, hat man in Ansätzen die letzten Wochen sehen können.

Die Regierung hatte an Schulen für den Schulbeginn (das Attentat fiel auf den Ferienbeginn) perfekt durchgeplante Gedenkveranstaltungen vorgesehen. Geplante zwei Stunden Diskussionszeit wurden von oben gestrichen, aus Angst, dass sich Diskussionen über die angestaute Wut und Angst (Arbeitsbedingungen, Terror, Corona…) entwickeln würden.

Die LehrerInnen ließen sich das nicht gefallen und holten sich diese Freiräume überall durch Streiks wieder zurück. Vielen ging es darum, ihrem ermordeten Kollegen auf ihre Art zu gedenken – und nicht im Namen der Regierung.

Die Bewegung, hat die Regierung durch ihr Ausmaß und ihre Spontaneität überrascht und sich schnell spezifischer zu Forderung bezüglich Corona entwickelt. In vielen Schulen musste die Leitung auf „Schichtunterricht“ umstellen, teils sogar zusätzliche Reinigungskräfte einstellen.

Vielerorts demonstrierten auch Schüler*innen, blockierten ihre Schulen für die gleichen Forderungen – und wurden umwegs von den großen Verteidigern der Meinungsfreiheit zusammengeschlagen, mit Tränengas angegriffen und in Polizeigewahrsam genommen!

Doch dass sich die Bewegung vom Thema des „Terrors“ fortbewegt hat, bedeutet nicht, dass sie deshalb weniger ein Kampf gegen Terror und Rassismus ist. Denn der Kampf gegen alle Spaltungen der Arbeitenden und der Bevölkerung generell, beginnt im entschlossenen und gemeinsamen Kampf gegen diejenigen, die diese Spaltung aufbauen und vorantreiben: Rechtsextreme aller Herkunft und Orientierung, und allen voran die Regierungen und die Ausbeuter, die sie repräsentieren.