Rot-Pink in Wien: Im Osten nichts Neues!

Wien wird zukünftig von der selbsternannten „sozial-liberalen Fortschrittskoalition“ aus SPÖ und Neos regiert werden. Viel hat sich zu den Vorgängerregierungen nicht geändert: die SPÖ behält nach wie vor die Zügel fest in der Hand, grüne Projekte gegen den Klimawandel gibt es weiterhin, die Mieten werden weiter steigen – dafür soll es in Schulen mehr Sozialarbeiter*innen geben.

Dass die Wiener SPÖ nun mit den Neoliberalen der Neos gemeinsame Sache macht, ist weder wirklich überraschend noch ein Tabubruch oder Verrat. Diese Koalitionsvariante ermöglicht es der SPÖ, ihren Kurs der letzten Jahrzehnte fortzusetzen: eine neoliberale Modernisierung mit sozialstaatlichen und ökologischen Elementen. Rot-Pink ist so gesehen eine ziemlich „ehrliche“ Koalition ohne große Überraschungen.

Ein Haufen Vorteile

Die Neos bieten Bürgermeister Michael Ludwig und Konsorten einige Vorteile: die Neos haben nur rund die Hälfte der Gemeinderatssitze der Grünen errungen und hatten bei den Koalitionsverhandlungen somit weit weniger Gewicht. Die SPÖ, die seit Jahrzehnten durchgängig die Stadt und ihre Verwaltung prägt, weiß wie der Hase läuft. Die Grünen konnten in zehn Jahren Koalition einiges über „Realpolitik“ dazulernen, die Neos hingegen verfügen über keine Regierungserfahrung in der Stadtpolitik.

Mit dem Label „sozial-liberale Fortschrittskoalition“ wird die neue Wiener Stadtregierung vermehrt versuchen, sich als Gegenmodell zur türkis-grünen Bundesregierung zu positionieren. Die SPÖ kann zeigen, dass sie für Klimaschutz die Grünen nicht braucht und in Wien angepackt wird, was der Bund nicht auf die Reihe bekommt. Und tendenziell werden die Neos, die nun zeigen wollen, dass sie nicht nur Opposition, sondern auch Regierung können, sowohl Grüne als auch ÖVP schwächen. Auch das kommt Ludwig entgegen.

Bildung neu, Klimamusterstadt alt

Die Neos bekommen in Wien einen Stadtratsposten für Bildung und Transparenz. Damit können sie in ihren zentralen Themenbereichen umsetzen, was der SPÖ nicht wehtut. Die anstehenden Reformen im Bildungsbereich (Förderung von „Brennpunktschulen“, mehr Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen…) könnten auch von der SPÖ selbst stammen. Damit will man zum einen der sozialen Marginalisierung von Teilen der Wiener Bevölkerung aufgrund steigender Mieten und hoher Arbeitslosigkeit etwas entgegenwirken. Wien will eine Stadt ohne „Ghettos“ bleiben – und wo Gefahr besteht, sollen es Sozialarbeiter*innen richten. Zum anderen soll ein besseres Bildungssystem jene Arbeitskräfte hervorbringen, die eine Stadt mit kaum Industrie und vielen Dienstleistungsberufen braucht. Mit dem Thema Bildung soll außerdem ein weiteres und neues „Leuchtturmprojekt“ angegangen werden und das eigene sozial-liberale Profil für künftige WählerInnen geschärft werden.

Nicht überraschend soll in Wien auch unter Rot-Pink der Weg zur „Klimamusterstadt“ fortgesetzt werden. Statt eines großen Wurfes bzw. einer wirklichen Klimawende, wird es weiterhin widersprüchliche und Klein-Klein-Maßnahmen geben. Neben der Begrünung und Beschattung von Straßen und Plätzen sowie der Attraktivierung von Grätzln sollen Taxis auf E-Autos umgestellt werden und Ressourcen geschont werden. Alles nicht überraschend – und nicht ausreichend.

Wohnen: Markt statt leistbar

Zum Thema Wohnen hat das Programm der neuen Stadtregierung vor allem viel belangloses Blabla zu bieten – und zwischen den Zeilen viel Gefährliches. Neben dem inhaltslosen Allzeit-Klassiker „leistbares Wohnen“ finden sich auch Konzepte wie „Klima-Resilienz“ von neuen Wohnbauten, Photovoltaik-Anlagen für Gemeindebauten und eine Serviceoffensive. Die vorgesehene verstärkte Sanierung von Gemeindebauten ist jedenfalls zu begrüßen, die in den kommenden fünf Jahren geplanten 1.500 neuen Gemeindebauwohnungen hingegen bloßes Marketing.

Im Programm werden inhaltlich sehr vage eine „verstärkte Vergabe von Baurechten“ und eine „Novelle der Bauordnung“ angekündigt. Im Bereich Wohnen müssen wir erwarten, dass die Stadtregierung die Entwicklung der letzten Jahre fortsetzen, wenn nicht sogar beschleunigen wird: der Wiener Wohnungsmarkt wird immer mehr zum lukrativen Geschäft für private Investor*innen und Bauträger, die stark auf freifinanzierte Eigentums- und Vorsorgewohnungen sowie Serviced Appartments und Wohnen auf Zeit setzen. Die Stadt Wien sorgt für die Erhaltung, den Neubau und die Aufwertung der Infrastruktur – und lenkt mit Marketing und Einzelmaßnahmen davon ab, dass Wohnen in Wien immer teurer wird und kein Ende dieser Entwicklung geplant bzw. in Sicht ist.

Hohe und steigende Wohnkosten werden von der Stadtregierung in der Weiterentwicklung Wiens zu einer modernen, kapitalistischen Metropole offensichtlich bereitwillig akzeptiert – in vielen anderen Großstädten ist es ja auch nicht anders. Für jene Firmen und Forschungseinrichtungen, die Wien ansprechen will, sind höherpreisige Wohnungen und Büros kein Problem, ein höheres Level an Komfort und Luxus allerdings gefragt.

Gesundheit: Mehr heiße Luft?!

Ab 2021 sollen bis 2040 fünf Milliarden für die Modernisierung der Wiener Spitäler ausgegeben werden. Im niedergelassenen Bereich sollen 16 spezialisierte Medizinzentren und 36 Primärversorgungszentren geschaffen werden. Pläne für die Schaffung von Primärversorgungszentren gibt es schon länger, bisher mit verschwindend geringen Ergebnissen. Was hier tatsächlich zur Umsetzung kommt, bleibt abzuwarten.

Geplant ist ebenso eine Aufstockung der Ausbildungsplätze für Pflege- und Gesundheitsberufe, damit soll dem drohenden massiven Personalmangel aufgrund anstehender Pensionierungswellen entgegengewirkt werden. Aus den letzten Jahren wissen wir allerdings nur zu gut, es wird zwar viel heiße Luft produziert und schönfärbendes Marketing betrieben – die Realität in den Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen sieht freilich jedoch anders aus.

Schon bisher arbeitete die Mehrheit im Gesundheitsbereich aufgrund strukturellen Personalmangels, fehlender und mangelhafter Ausstattungen und nach wie vor unfairer Bezahlung dauerhaft am Limit. Ob die Stadtregierung das angesichts der bevorstehenden Herausforderungen wirklich ändern wird, ist mehr als fraglich. Und ob sich die ideelle Unterstützung der Neos für die jüngste Pflegebewegung „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in Taten und Verbesserungen niederschlagen wird, gilt auch erstmal abzuwarten. Derzeit deutet nichts darauf hin, dass die neue Stadtregierung im Gesundheitsbereich einen wirklichen Kurswechsel vollziehen wird.

Kämpfen von unten gegen die Verwaltung von oben

Die SPÖ macht auch in der Koalition mit den Neos das, was sie am besten kann: die Kontrolle behalten und die dramatischsten Auswirkungen der neoliberalen Modernisierung Wiens mit Sozialpolitik im Rahmen halten. Die Grünen werden in den kommenden Jahren wohl versuchen, sich als konsequente Kraft links der Stadtregierung zu positionieren. Die Wiener Linke darf sich nicht darauf beschränken, das was in Wien gut läuft noch besser machen zu wollen – das ist das Projekt von SPÖ, Neos und Grünen. Die „sozial-liberale Fortschrittskoalition“ wird uns vermutlich nichts weiter als einen Schritt näher an den stetig auseinanderklaffenden Abgrund zwischen Arm und Reich bringen.  Deswegen müssen wir weiterhin widerständig bleiben. Es gilt dort, wo sich die vielen Widersprüche dieses sozial-liberalen Neoliberalismus zeigen, anzusetzen und sich gemeinsam zu wehren. Möglichkeiten gibt es viele: die strukturellen Probleme in den Wiener Krankenhäusern, die Überlastung an den Schulen und in Kindergärten, die Verdrängung in den Grätzln. Dort müssen sich die Menschen organisieren und für eine gerechte Stadt kämpfen.

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