VIRALER KAPITALISMUS – Pandemien, Natur und Kapitalismus – Teil III

FÜR GANZ ANDERE VERHÄLTNISSE!

Teil II hat gezeigt, dass die Entstehung gefährlicher Viren und deren Verbreitung unter Menschen kein schicksalhaftes „Naturereignis“ ist, sondern eng mit der gesellschaftlichen Organisierung des Stoffwechsels mit Natur im Zusammenhang steht. Dabei spielen sowohl die Landnutzung (Abholzungen, Vordringen in isolierte Gebiete) als auch die Landwirtschaft (Massentierhaltung, Monokulturen) eine entscheidende Rolle.

Grundlegende Widersprüche

Diese Art des Bezugs auf Natur ist im Kapitalismus kein Zufall oder Fehler, sondern vielmehr Ausdruck der vorherrschenden privaten Verfügungsgewalt und der Wachstums- und Profitlogik. Klimakrise und Pandemien sind so gesehen verschiedene Seiten desselben krisenhaften Bezugs auf Natur, sie sind beide Teil einer umfassenden ökologischen Krise. Auch darüber hinaus verrät die Covid-19 Pandemie sehr viel über die Widersprüche und Dynamiken, die im Herzen des Kapitalismus am Werk sind.

Der Kapitalismus ist ein System, dass permanent die Grundlagen seiner eigenen Funktionsweise untergräbt. Die Akkumulation von Kapital ist ein maßloser und endloser Prozeß – gerät sie ins Stocken, kommt es zu Krisen. Gründe dafür gibt es viele: Konkurrenzverhältnisse die zu Überproduktion, Überkapazitäten und Pleiten führen; Druck auf die Konsumnachfrage aufgrund steigender Konzentration von Reichtum und Automatisierung der Produktion (Dequalifizierung, sinkende Löhne, Arbeitslosigkeit); unbegrenztes Wachstum auf einem begrenzten Planeten… Anders als bürgerliche ÖkonomInnen behaupten lassen sich diese Prozesse weder als korrigierbares Marktversagen noch als „externe“ Faktoren abtun, die von außen die Wirtschaft durcheinanderbringen,. Sie entstehen vielmehr aus der kapitalistischen Dynamik selbst.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Kapitalismus ein System ist, das sehenden Auges geradewegs ins Verderben läuft. So wie die letzten Wirtschaftskrisen sind auch die Klimakrise und die COVID-19 Pandemie weder zufällig noch überraschend vom Himmel gefallen. Obwohl klar ist, dass es wie bisher nicht weitergehen kann, wird genau so weiter gemacht. Unter kapitalistischen Verhältnissen ist es immer nur eine Frage der Zeit, bis die Widersprüche im System es aus der vorübergehenden „Balance“ kippen lassen. Vorausschauendes Risikomanagement kann man unter solchen Bedingungen nicht erwarten. Von den brutalen Auswirkungen solcher krisenhaften Ereignisse sind immer konkrete Menschen betroffen, während das System bestehen bleibt.

Nicht anders ist es mit einer ganzen Reihe von „Kollateralschäden“, die die Entwicklung des Kapitalismus begleitet haben: vom klassischen Kolonialismus bis zum heutigen Neo-Kolonialismus; von zwei Weltkriegen bis hin zu den Kriegen in Syrien und Jemen und Ertrinkenden im Mittelmeer; von Dürrekatastrophen bis hin zum Hurrikan Katrina. Diese Dinge sind keine zufälligen und bedauernswerten „Neben-, Folge und Wechselwirkungen“, so wie die Bürgerlichen es gern von ihrem System behaupten. Sie verschwinden auch nicht einfach durch die magischen Hände der Marktwirtschaft, während diese ihren Siegeszug von Frieden, Fortschritt und Wohlstand weltweit antritt. Die Geschichte des Kapitalismus ist eine von Brutalität, Zerstörung und struktureller Gewalt. Die Schuld dafür lässt sich nicht einzelnen historischen Persönlichkeiten in die Schuhe schieben. Ebenso wenig sind diesmal Fledermaus und Pangolin die Übeltäter.

Krisenmanagement und „Vernunft“

Die umfassenden Maßnahmen, die gegen COVID-19 ergriffen wurden, haben keine humanitären Gründe. Wenn es um das Retten von Menschenleben gehen würde, hätten sich auch davor schon unzählige Möglichkeiten geboten und es bräuchte ein gemeinsames Vorgehen und Unterstützung für Länder mit wenigen Ressourcen. Dann müsste man spätestens die aktuelle Krise als Anlass nehmen, endlich weit verbreitete Todesursachen wie Unterernährung, Krankenhauskeime, Einsparungen in Gesundheitssystemen, Luftverschmutzung… in Angriff zu nehmen. Und eine radikale Klimapolitik braucht es auch nach wie vor.

Bei Corona reagierten die Regierungen als sie erkannten, dass die unmittelbaren und längerfristigen wirtschaftlichen Folgen nur noch größer werden, wenn sie jetzt keine Maßnahmen ergreifen. Diese Sprache verstanden dann sogar Trump, Johnson und Konsorten. Die Corona-Krise hat auch die Herrschenden kalt erwischt – und gezeigt, wie wenig sie gegen die Geister, die sie gerufen haben, anrichten können. Entgegen aller Ankündigungen haben sie die Kontrolle über die Dynamik ihres eigenen Systems nicht in der Hand.

Manche setzen ihre Hoffnungen darauf, dass die KapitalistInnen und PolitikerInnen nach Corona endlich zu „Vernunft“ kommen – und etwa auch in der Klimakrise auf die WissenschaftlerInnen hören. Alleine die Entwicklung seit der Weltwirtschaftskrise 2008/09 hat gezeigt, dass das System aus Krisen nichts lernt, sondern möglichst rasch in bewährte Bahnen zurückkehrt. Die Rolle bürgerlicher Politik war und ist es, die kapitalistischen Verhältnisse bestmöglich im Sinne der Herrschenden zu verwalten. Das zeigt sich auch in der Corona-Krise, wenn mit staatlicher Gewalt und Milliardenhilfspaketen die bestehende Ordnung abgesichert wird. Allerdings sind die Auswirkungen der Pandemie sehr plötzlich und unmittelbar, im Gegensatz zur Klimakrise, deren Auswirkungen langfristige sind und die sich im globalen Norden noch nicht so offen im gesellschaftlichen Leben niederschlagen. Die Gegenmaßnahmen lassen sich zudem zeitlich und örtlich eingrenzen und erfordern keinen grundlegenden Bruch mit der Produktionsweise.

Nach der Krise ist vor der Krise

Die Rückkehr zur „neuen Normalität“ nach Corona wird im Wesentlichen die alte „Normalität“ sein, ergänzt um neoliberale Offensiven von Deregulierung und Flexibilisierung. Unter kapitalistischen Bedingungen wird sich das Verhältnis zu Natur nicht grundlegend ändern (lassen). Die strukturellen Gründe, die gefährliche Zoonosen massiv befördern, werden nicht verschwinden. In Brasilien hat während des Corona-Shutdowns die Vernichtung von Regenwald um weitere 50% zugenommen (vermutlich aufgrund geringerer Kontrollen). Wer weiß, ob die nächste Pandemie ihren Ausgang in den gestiegenen Kontaktflächen am Rande des Amazonas nehmen wird.

Hinzu kommen die Auswirkungen von Klimawandel und ökologischer Krise auf die Entstehung und Verbreitung gefährlicher Erreger. Freilebende Tiere werden in neue Lebensräume vorstoßen und neue Wanderrouten erschließen – als Folge des Temperaturanstiegs und der sich verschiebenden Jahreszeiten sowie des Verlusts von Biodiversität und Lebensraum. Hinzu kommen Extremwetterereignisse und deren Auswirkungen. Umgekehrt werden die Auswirkungen der ökologischen Krise auch Menschen zum Vorstoßen in neue Gebiete zwingen, sei es, umsteigenden Meeresspiegeln zu entkommen, neue landwirtschaftliche Flächen zu erschließen oder um Nahrung zu jagen. Der Verlust an Biodiversität in Kombination mit steigenden Temperaturen wird Ökosysteme zunehmend anfälliger machen für die Entstehung von Krankheiten und deren Verbreitung.

Die aktuelle Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie plötzlich eine weltweite Bedrohung aus dem „Nichts“ entstehen kann. Die grundlegende Komplexität in den Zusammenhängen unserer natürlichen Umwelt stellt wissenschaftliche Voraussagen vor enorme Herausforderungen. Über viele dieser Zusammenhänge wissen wir noch nichts Genaues, manchmal noch nicht einmal welche Zusammenhänge überhaupt bestehen. Die gefürchteten „Kipppunkte“, an denen Ökosysteme völlig aus bisherigen Gleichgewicht geraten und damit eine ganz neue und umfassende Dynamik in Gang setzen, gibt es jedoch nicht nur in Bezug aufs Klima, sondern in allen Aspekten der natürlichen Umwelt. Wie sich etwa der Verlust von Biodiversität in einzelnen Ökosystemen genau auswirkt, lässt sich schwer voraussagen. Wir können nur mit Sicherheit sagen, dass die Auswirkungen wahrscheinlich sehr umfassend und potentiell gefährlich sein werden.

Diese komplexen Zusammenhänge machen auch klar, dass SARS-CoV-2 kein zufälliges und unerfreuliches Nebenprodukt ist, um das man sich isoliert kümmern könnte. Ohne die strukturellen Ursachen zu beseitigen wird es zu weiteren gefährlichen Zoonosen und Pandemien kommen. Das werden weder Ökosiegel für Palmölplantagen und ausgedehntere Kontrollen in Tierfabriken noch Impfungen für Mensch und Tier verhindern. Die Bedrohung ist dabei bei weitem nicht auf Viren beschränkt, sondern umfasst auch andere Krankheitserreger (wie Bakterien und Pilze).

Welche Richtung eine grundlegende Lösung einschlagen muss, zeigt das „One Health“-Modell, das in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen zur Anwendung kommt. Dabei wird die Gesundheit von Umwelt, Tieren und Menschen als zusammenhängend und voneinander abhängig betrachtet.

Bei einem solchen Modell geht es aber nicht darum, ein romantisierendes Bild einer „ursprünglichen Natur im Gleichgewicht“ zu zeichnen, die nur aufgrund des Menschen aus der Balance gerät – der Mensch gewissermaßen als Virus des Planeten. Die Menschheit war und ist notwendigerweise Teil der natürlichen Umwelt, prägt diese entscheidend mit und verändert sie auch. Und auch ohne den Menschen kennen Ökosysteme Veränderung und krisenhafte Ereignisse (Extremwetter, Vulkanausbrüche, Heuschreckenplagen…).

Zentral sind vielmehr die rasende Geschwindigkeit von Veränderungen und die lange Reihe an unerwünschten „Folge-, Neben- und Wechselwirkungen“. Viele dieser Auswirkungen sind nicht zufällige und lästige Begleiterscheinungen, die es unter Kontrolle zu bekommen gilt, sondern vielmehr integrierter Teil der komplexen Funktionsweise von Ökosystemen. Versuche, die natürliche Umwelt in das Raster der Erfordernisse des Kapitalismus einzupassen, müssen scheitern.

Parallel zum romantisierenden Naturverständnis existiert auch dessen Gegenstück: ein romantisierendes Verständnis von Technik. Dieses hat seine Wurzeln im aufkommenden Kapitalismus und den damit einhergehenden Umwälzungen in Gesellschaft und Wirtschaft, die von rasanten Fortschritten in Wissenschaft und Technik begleitet waren. Von dort zieht sich eine rote Linie bis ins Silicon Valley, dem heutigen Epizentrum der Romantisierung von Technik. Die Probleme der Welt sollen durch technischen Fortschritt gelöst werden – das reicht von selbstfahrenden Autos über Künstliche Intelligenz und Pflegeroboter bis hin zu Geo-Engineering.

Ein Paradevertreter dieser Ideologie ist Tesla-Gründer und Chef Elon Musk, der seine Elektroautos als Schlüssel der Weltrettung vermarktet. Gleichzeitig will er Weltraumtourismus etablieren und den Mars besiedeln – sicher ist sicher, falls es mit der Weltrettung doch nicht klappen sollte. Das Problem der Klimakrise verkommt in dieser Sichtweise zu einem Mangel an technischer Innovation. Auch wenn einzelne Projekte des Geo-Engineerings zur unmittelbaren Reduktion von Treibhausgasen notwendig sein könnten, ist die eigentliche Botschaft dieser Apologeten eine andere: Weitermachen wie bisher, um den Rest kümmern wir uns schon! Der alte Schöpfer-Gott muss seinen Platz endgültig zugunsten der neuen Schöpfer 4.0 räumen. Dabei hat gerade dieser Bezug auf Natur in die umfassende ökologische Krise von heute geführt.

Mit diesen Methoden lässt sich auf die Anforderungen, die die ökologische Krise der Menschheit im Umgang mit der natürlichen Umwelt stellt, nicht angemessen reagieren. Statt der angestrebten Beherrschung und Kontrolle kommt es zu einem Wettlauf gegen die Zeit, wobei jede Reparatur zu neuen Problemen an anderer Stelle führt – wie in den Versuchen zur Eindämmung von Pandemien, ist man von Beginn an immer mindestens einen Schritt hinterher.

Wie sich die Logik der Kapitalakkumulation, die durch kurzfristige Profitsteigerung ihre eigenen Grundlagen systematisch untergräbt, in Bezug auf den Umgang mit Natur auswirkt, lässt sich anhand der industriellen Landwirtschaft treffend erläutern: Profitstreben und Druck auf die Preise lassen immer größere Betriebe entstehen, die versuchen, die sinkenden Einzelpreise durch Masse auszugleichen. Große Monokulturen, intensive Landnutzung (ohne Bodenruhezeiten) und Trockenheit befördern das Entstehen von Schädlingen und Krankheiten, denen mit Pestiziden und Insektiziden begegnet wird. Das rettet potentiell den diesjährigen Ertrag, lässt aber die Bodenqualität und Biodiversität rasch abnehmen und macht die Landwirtschaft so noch anfälliger für die Auswirkungen des Klimawandels. Im folgenden Jahr braucht es noch mehr Spritzmittel: die Ernte muss gerettet werden, um trotz sinkender Preise Gewinne zu machen und die Kosten für die Expansion des Betriebs zu stemmen. Jene, die dabei nicht mehr mithalten, werden von größeren Betrieben aufgekauft. Ein Verwertungs- und Expansionskreislauf der sich immer weiter zuspitzt, sich selbst untergräbt und multiple Krisen produziert. So erstrecken sich kapitalistische Logik und Dynamik mit ihren Auswirkungen bis in die natürliche Umwelt hinein. Die Lösung besteht nicht in einer Intensivierung der kapitalistischen Antworten, sondern in ganz anderen Verhältnissen.

Für ganz andere Verhältnisse!

Der Blick auf die kapitalistischen Naturverhältnisse, von ihrer historischen Durchsetzung bis hin zu ihrer Handschrift in globalen Pandemien, zeigt, wie sehr die gesellschaftliche Bezugnahme auf Natur unter kapitalistischen Verhältnissen von der Logik der privaten Verfügungsgewalt und der Kapitalakkumulation geprägt ist. Diese durchdringen alle Lebensbereiche und machen auch vor der natürlichen Umwelt nicht halt. Damit ist aber auch klargestellt, dass die Naturverhältnisse immer schon soziale Verhältnisse sind – es geht nicht um die Natur „da draußen“, sondern darum, wer den Zugriff auf natürliche Ressourcen in wessen Interesse kontrolliert.

Die Covid-19 Pandemie ist ein weiteres Beispiel das zeigt, wie sehr und eng soziale und ökologische Probleme der Menschheit in grundlegendem Zusammenhang stehen. Eine Alternative zur kapitalistischen Sackgasse muss und kann diese beiden Dimensionen berücksichtigen. Es braucht eine Revolution der Lohnabhängigen und arm gehaltenen Menschen weltweit gegen die Macht des Kapitals, um der herrschenden Klasse die Kontrolle über die Produktionsmittel zu entreißen und diese im Interesse der breiten Mehrheit der Weltbevölkerung nachhaltig, sozial und ökologisch verträglich nutzen zu können. Eine globale sozialistische Gesellschaft, die im Interesse aller Menschen auf dem Planeten organisiert ist, in der die Grundbedürfnisse aller gestillt sind, bietet auch die Möglichkeit eines ganz anderen Umgangs mit Natur. Nicht die Profitlogik, sondern eine nach Bedürfnissen geplante Wirtschaft würde die Entwicklung von neuen Produktionsmethoden und Denkweisen vorantreiben. Diese könnten dann der Komplexität von Ökosystemen Rechnung tragen und einen wirklich nachhaltigen und schonenden Umgang damit ermöglichen.