Ischgl und Co: gegen Mensch und Natur

Mittlerweile ist bekannt, dass das lasche und zögerliche Agieren von Behörden und Verantwortlichen in Tirol stark zur Verbreitung von Covid-19 in ganz Europa beigetragen hat. Die privaten Profitinteressen dahinter bestimmen aber auch den Umgang mit Natur und haben ihre Verbündeten in der Politik. Das alles hat System. Ein Blick hinter die Kulissen.

In Tirol gibt es die berühmte wie berüchtigte Adlerrunde: eine mächtige Lobbytruppe von 50 UnternehmerInnen. Rund die Hälfte ihrer Mitglieder hat direkt mit dem Tourismus zu tun. Für den ÖVP-Wahlkampf spendeten sie zusammen circa eine Million Euro. Im Wahlkampf 2017 wurden per Zeitungsinserat gleich die gewünschten Gegenleistungen klargestellt: 12h Arbeitstag, 60h Woche, Senkung der Körperschaftssteuer und der Sozialversicherungsbeiträge. Die Klassiker der türkisen Wirtschaftsagenda.

Alles aus einer Hand!

Die direkten Verbindungen in die Politik enden hier keinesfalls.

Eine besondere Rolle nimmt der ÖVP-Nationalratsabgeordnete, Landesobmann des Tiroler Wirtschaftsbundes, Hotelier und Seilbahn-Lobbyist Franz Hörl ein. Er ist quasi die Personifizierung der engen Verstrickungen zwischen Unternehmen und Politik in Tirol.


Nach Bekanntwerden der ersten Corona-Fälle, soll sich dieser bis zum 12. März gegen eine frühzeitige Beendigung der Schisaison stark gemacht haben. Dazu kommt der Umstand, dass am 4. und 5. März die Wahlen der Wirtschaftskammer Österreich stattfanden.

Weder der ÖVP noch dem ÖVP-nahen Wirtschaftsbund kamen da Maßnahmen zur Eindämmung bzw. Beendigung der Wintersaison in Tirol gelegen. Dabei wurden in Innsbruck bereits am 25. Februar die ersten beiden Menschen positiv auf Covid-19 getestet. Zu diesem Zeitpunkt beteuerte Bundeskanzler Kurz, dass „Österreich auf alle Szenarien gut vorbereitet“ sei. In den nächsten Tagen äußerte er sich via Facebook gleich fünfmal zur Situation an der griechischen EU-Außengrenze und dem Thema Grenzschutz. Erst am 5. März gab es wieder Beschwichtigungen zu Corona. Prioritäten muss man setzen …

Berge sprengen, Schotter scheffeln

Prioritäten setzt auch das Tiroler Seilbahn-Kapital. In einem Megaprojekt sollen die Schigebiete Ötztal und Pitztal verbunden werden. Dazu sollen rund 40 Meter Bergkuppe in einem sensiblen Ökosystem abgetragen und weitere Gletschergebiete für den Schitourismus erschlossen werden.

Die Projektbetreiber verstecken ihre Profitinteressen hinter den Argumenten, dass Tirol vom Tourismus abhängig sei, man wettbewerbsfähig bleiben muss und aufgrund des Klimawandels schneesichere, höher gelegene Schigebiete wichtig wären.

Die gewünschte Folge: Menschen aus ganz Europa sollen ressourcenintensiv nach Tirol reisen, um sich in der „unberührten Natur“ zu vergnügen – was erst recht massive CO2-Emissionen produziert. Die angeblich alternativlose Abhängigkeit Tirols vom Tourismus verwenden die Big Player, um die Gesellschaft zu erpressen.

Das rücksichtslose Vorgehen beschränkt sich aber keinesfalls auf das Projekt Ötztal/Pitztal. Schigebiete sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten sukzessive gewachsen (nicht nur in Tirol, aber gerade auch dort). Seilbahngesellschaften modellieren im Hochgebirge mit schwerem Gerät die Landschaft so, dass sie möglichst gut in ihr Geschäftsmodell passt – sei es für Piste oder Seilbahnen. In manchen Fällen finden diese Arbeiten nachweislich ohne behördliche Genehmigungen statt. Kein Wunder: die lächerlich niedrigen Strafen können aus der Portokasse bezahlt werden. Dennoch sind es gerade auch diese Interessensgruppen, die für die von Türkis-Blau geplante de-facto Abschaffung der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für Großprojekte lobbyiert haben. Den größenwahnsinnigen Plänen zur Profitmaximierung soll nichts im Weg stehen: weder behördliche Auflagen und UVPs noch Berge. Noch Pandemien.

Die Realität in der österreichischen Bergwelt sieht derweilen folgendermaßen aus: der neu veröffentlichte Gletscherbericht für den Untersuchungszeitraum 2018/19 zeigt, dass 86 der 92 untersuchten Gletscher in den österreichischen Alpen erneut zurück gingen. Seit Mitte der 1980er haben die Gletscher kontinuierlich und durchgängig an Länge verloren, diese Entwicklung hat sich über die Jahrzehnte beschleunigt.

Nachhaltige Werte…

In Tirol gab dieselbe überhebliche „Wir haben alles im Griff“-Mentalität den Ton an, wie unter fast allen Mächtigen Europas. Erst damit wurde eine derartige Verbreitung des Virus in weiten Teilen Europas ermöglicht. Es liest sich wie ein schlechter Treppenwitz der Geschichte, dass die Adlerrunde „das rechtzeitige Erkennen globaler Trends und Herausforderungen“ als eines ihrer Hauptanliegen sieht. Dazu kommt das übliche Gefasel von „nachhaltigen Werten“.

Auf diese „Wertekultur mit Handschlagqualität“ sollte man nicht nur in Zeiten von Corona und physischer Distanzierung verzichten.

Das Beispiel Tirol zeigt aber auch, dass hinter dieser Ignoranz handfeste private Interessen stehen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf – zum Beispiel die Wintersaison früher zu beenden. Was nicht passt, wird passend gemacht. Dieser tödlichen Herrschaft des privaten Profitinteresses werden Mensch und Natur eiskalt untergeordnet.