Smrt fasizmu! Sloboda narodu! Partisanenkampf, soziale Revolution und „Selbstverwaltungssozialismus“ in Jugoslawien

Bratstvo i Jedinstvo, Brüderlichkeit und Einheit, dieser Slogan des Titoismus wurde in den letzten Jahren in sein Gegenteil verkehrt, in eine Reihe von blutigen Konfikten. Mit der schrittweisen Zersetzung des Stalinismus jugoslawischer Prägung in den späten 80er Jahren kam es zu einem gespenstischen Wiedererstehen alter, schon totgeglaubter Koalitionen und Ressentiments. Auch um zu verstehen, wie sich die nationalistischen Kräfte erneut durchsetzen konnten, ist es unumgänglich, sich mit dem Charakter und den Widersprüchlichkeiten des titoistischen Jugoslawien auseinanderzusetzen. Vor allem aber stellt die Entstehung des jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus ein markantes Beispiel für die Verknüpfung von imperialistischem Krieg, nationalem Befreiungskampf, sozialer Revolution und stalinistischem Bürokratismus dar.

Das 1. Jugoslawien

Die offizielle Geburtsstunde Jugoslawiens war am 1. Dezember 1918 in Belgrad, bis dahin Hauptstadt des von der Karadjordjevic-Dynastie regierten Königreichs Serbien. Jugoslawien wurde im wesentlichen als Zusammenschluss Serbiens mit den südslawischen Teilen der Habsburger-Monarchie gegründet – unter der Hegemonie der serbischen Monarchie. Die eigentliche Verständigung über die Gründung des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (so hieß Jugoslawien anfänglich offiziell) erfolgte bereits am 20. Juli 1917 auf der griechischen Insel Korfu zwischen dem greisen serbischen Ministerpräsidenten und Helden der Balkankriege Nikola Pasic und dem Dalmatiner Ante Trumbic. Trumbic, einst Bürgermeister von Split und Abgeordneter Dalmatiens im k&k-Reichsrat in Wien, war Vorsitzender des Südslawischen Ausschusses, der seinen Sitz in London hatte und sich anmaßte, eine Art Vertretung der südslawischen Völker der Donaumonarchie auf Seiten der Alliierten zu sein. Im November 1918 erteilte auch der Nationalrat der Slowenen, Kroaten und Serben, der seinen Sitz in Zagreb hatte, durch seinen Vorsitzenden, Monsignore Anton Korosec, einst Vertreter Sloweniens im Reichsrat, dem auf Korfu erzielten Abkommen seinen Segen.

Der jugoslawische Staat wurde nicht auf revolutionärem Wege, sondern von oben, auf der Grundlage des Sieges des Entente-Imperialismus über die Mittelmächte, als ein Kompromiss der herrschenden Klassen in Serbien, Kroatien und Slowenien mit einer gewissen, meist passiven Unterstützung der in der Donaumonarchie auf vielfältige Weise unterdrückten Arbeitern und Bauern errichtet. Besonders in der serbischen Sozialdemokratie war darüber hinaus der Gedanke einer, allerdings auf revolutionärem Wege erkämpften, Balkanföderation ein wichtiger Bestandteil des Programms und in breiten Massen des Proletariats populär und verankert. Der neue Staat aber war von Beginn an mit zahlreichen Hypotheken ökonomischer, sozialer und kultureller Natur belastet. Das Land war überwiegend agrarisch geprägt. Jugoslawien verfügte – von einigen Zentren abgesehen – kaum über Industrie, was ihm insgesamt einen im europäischen Vergleich rückständigen ökonomischen Charakter verlieh. Außerdem wurden 50 Prozent der Industrie in Jugoslawien von ausländischem Kapital kontrolliert. Die sozialen Strukturen waren entsprechend. Mit der Einwanderungsbeschränkung in den USA 1921 und der langsamen Industrialisierung gab es für die wachsende Landbevölkerung kaum Auswege aus ihrer tristen Lage. 1930 galten nach Schätzungen 62 Prozent der ländlichen Bevölkerung als „überschüssig“. Dazu kam das für ganz Südeuropa charakteristische ökonomische und soziale Nord-Süd-Gefälle, das außerdem noch von kulturellen Unterschieden überlagert wurde.

Slowenien und Kroatien waren kulturell von der römisch-katholischen west-europäischen Kultur geprägt, während Serbien und das damals zu Serbien gehörende Mazedonien dem byzantinischen-osteuropäischen Kulturbereich zuzuordnen waren. Dazu kamen die Minderheiten der moslemischen (Serbokroatisch sprechenden) Bosnier und der Albaner im Kosovo. Jahrhundertelang wurden Kroaten und Slowenen von den Reichen West/Mitteleuropas politisch dominiert, während die Serben unter türkischer Herrschaft lebten: Der Nationswerdungsprozess begann bei allen drei Völkern im 19. Jahrhundert, jedoch unter verschiedenen Voraussetzungen und mit einem unterschiedlichen Grad an kapitalistischer Entwicklung. Am entwickeltsten war Slowenien, dann Kroatien, und mit einigem Abstand folgte Serbien (ganz zu schweigen von Mazedonien, dem Kosovo, Montenegro und den Gebirgsregionen Bosniens).

Dennoch war es Serbien, das sich schon am Beginn des 19. Jahrhunderts von der lange währenden Fremdherrschaft zu befreien begann. Im Jahre 1878 wurde die Unabhängigkeit des Fürstentums Serbien am Berliner Kongress international anerkannt und 1882 das Königreich Serbien proklamiert. In den beiden Balkankriegen 1912/13 konnte sich Serbien auch auf Kosten anderer Völker territorial bedeutend vergrößern. Dennoch blieben große Teile der serbischen Nation außerhalb des Staates, vor allem in der zu Österreich-Ungarn gehörenden Vojvodina und in dem von Österreich-Ungarn 1908 annektierten Bosnien-Herzegowina. Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo durch einen serbischen Nationalisten wurde schließlich zum Auslöser für den Ersten Weltkrieg. Serbien, das über ein Jahr lang den österreichisch-ungarischen Truppen unter großen Opfern erfolgreich Widerstand leisten konnte, ging schließlich an der Seite der Entente als Siegernation hervor. Die serbische Bourgeoisie erhob in der Folge nicht nur den Anspruch, Befreier aller Südslawen vom österreichisch-ungarischen Joch zu sein, sondern auch den, das natürliche politische Zentrum eines alle Südslawen umfassenden Staatsgebildes zu werden.

Das Ergebnis war, dass im 1. Jugoslawien die anderen Völker von Serbien (d.h. von der serbischen Bourgeoisie mit dem König an der Spitze) national unterdrückt wurden. In der Folge gerieten die Interessen der nationalen Bourgeoisien und Eliten, vor allem der führenden nationalen Kräfte in Serbien und Kroatien in einen immer größer werdenden Widerspruch zueinander. Schon sehr frühzeitig nahm der nationale Antagonismus den Ausdruck eines Kampfes zwischen Zentralisten und Föderalisten an; ein Konflikt, der unter anderen Konstellationen auch im Jugoslawien Titos eine Rolle spielen sollte. Dieser Konflikt spitzte sich bereits bei den Wahlen zur Konstituierenden Versammlung am 28. November 1920 erstmals zu. Die bei den Wahlen nur als viertstärkste Partei hervorgegangene Kroatische Bauernpartei konnte in Kroatien mehr als die Hälfte aller Stimmen auf sich vereinigen. Ihr Führer Stjepan Radic interpretierte das Wahlergebnis als einen Entscheid des kroatischen Volkes gegen die Vereinigung mit dem serbischen Königreich und als ein Bekenntnis zu einer kroatischen Republik. Ohne Beteiligung der nun auf Kroatische Republikanische Bauernpartei umgetauften Partei Radics wurde schließlich am 28. Juni 1921 mit knapper Mehrheit die sogenannte Vidovdan-Verfassung angenommen. Dies bedeutete einen Sieg der sogenannten Zentralisten und der serbischen Bourgeoisie und war dazu bestimmt, den aufgebrochenen Konflikt noch weiter zu verschärfen und ihn während der gesamten Zwischenkriegszeit zu einem wesentlichen Faktor in der Entwicklung des jugoslawischen Staates zu machen.

Die sozialen und nationalen Spannungen entluden sich erneut am 20. Juni 1928: In der Belgrader Skupstina (Parlament) wurde Stjepan Radic von einem serbischen Chauvinisten ermordet. Die permanente politische Krise wurde zu einer Staatskrise, in der sich der König Anfang 1929 berechtigt sah, die Vidovdan-Verfassung außer Kraft zu setzen und eine Königsdiktatur zu proklamieren. Dadurch wurden die Probleme freilich keineswegs gelöst. Im Gegenteil war das königliche Jugoslawien innerlich derart zersetzt, dass es beim Überfall Nazi-Deutschlands kaum Widerstand entgegenzusetzen vermochte, sondern vielmehr wie ein morsches Gebäude zusammenkrachte.

Arbeiterbewegung in Jugoslawien

Die nationalen Spannungen sind jedoch nur vor dem Hintergrund der sozialen Konflikte zu verstehen, die von Beginn an schon auf Grund der Schwächlichkeit und Abhängigkeit der jugoslawischen Bourgeoisie vom westeuropäischen Imperialismus eine bedeutende Rolle spielten. Die europa- und weltweite ökonomische Instabilität des kapitalistischen Systems zwischen den Kriegen wirkte sich auch auf den neuen rückständigen südslawischen Staat aus. Die ökonomischen Probleme führten zu sozialen Spannungen, die einerseits von nationalistischen Kräften gegen andere Völker gelenkt wurden, die sich aber andererseits auch in Konflikten zwischen den Klassen ausdrückten. Die junge jugoslawische Arbeiterklasse, die eine klare Minderheit in der Bevölkerung darstellte, konnte dabei auf eine relativ radikale und internationalistische Tradition zurückgreifen – vor allem in der von Dimitrije Tucovic geführten serbischen Sozialdemokratie, die zu Beginn des Ersten Weltkrieges neben den Bolschewiki und einem Flügel der bulgarischen Sozialdemokratie (von kleineren Minderheiten in anderen Parteien einmal abgesehen) als einzige an einer internationalistischen Anti-Kriegsposition festgehalten hatte.

Zwischen 20. und 23. April 1919 kam es zu einem Einigungskongress der sozialdemokratischen Parteien auf dem Territorium Jugoslawiens. Die Sozialistische Arbeiterpartei Jugoslawiens (Kommunisten) / SRPJ(K), war politisch sehr heterogen, bekannte sich aber zur 3. (kommunistischen) Internationale / Komintern, der sie auch beitrat. Am zweiten Kongress der SRPJ(K) in Vukovar vom 20. bis 25. Juni 1920 kam es zur Aufspaltung der Partei in einen reformistischen und einen revolutionären Flügel. Die Linken behielten die Oberhand, worauf ein großer Teil der Reformisten die Partei verließ. Der Parteiname wurde in Kommunistische Partei Jugoslawiens / KPJ geändert und ein Parteiprogramm beschlossen, das abstrakt-revolutionäre und reformistische Aspekte unvermittelt nebeneinander anführte, wie etwa: Schaffung der Sowjetrepublik Jugoslawien und Arbeiterkrankenversicherung; Vergesellschaftung der Produktionsmittel und Befreiung der Werktätigen von Steuern; Lösung der Agrarfrage “durch Enteignung des Großgrundbesitzes und … entschädigungslose Übergabe an Bauernräte, die jene bilden, welche das Land tatsächlich bestellen.” Konkrete Vorstellungen zur Agrarfrage und zum aktuellen Nationalitätenproblem wurden vom Parteikongress nicht entwickelt. Vor allem im Begriff der nationalen Einheit lag der Keim künftiger Fraktionierungen.

Bei der Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung wurde die KPJ mit 12,4 Prozent der Stimmen drittstärkste Kraft im Lande. Nachdem es in der zweiten Dezemberhälfte 1920 zum Streik von 12.000 Bergarbeitern in Slowenien und 5.000 in Bosnien gekommen war, reagierte die Staatsmacht mit Waffengewalt. Um einen drohenden Generalstreik zu verhindern, wurde am 30. Dezember 1920 eine Regierungsverordnung, die sogenannte Obznana (Bekanntmachung) erlassen, die jede kommunistische Agitation und Propaganda untersagte. Zahlreiche Parteiführer wurden verhaftet und die Räume von Parteien und Gewerkschaften geschlossen. Die KPJ blieb jedoch formal noch bestehen.

Als Reaktion auf die staatliche Repression verübte 1921 eine Gruppe innerhalb der KPJ mit dem Namen Roter Terror ohne Billigung der Parteiführung mehrere Attentate, denen unter anderem der Innenminister zum Opfer fiel. Als der Täter, der Bosnier Alija Aliagic, als ein Mitglied des Roten Terrors enttarnt wurde, benutzte die Staatsmacht diese willkommene Gelegenheit, um am 1. August 1921 das Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Staat zu verabschieden. Dadurch wurde die ganze KPJ als terroristische Organisation definiert, die Mandate ihrer Abgeordneten für nichtig erklärt und die meisten von ihnen verhaftet. Eine Zeitlang versuchten die Kommunisten innerhalb der Unabhängigen Gewerkschaften und der Unabhängigen Arbeiterpartei Jugoslawiens (NRPJ) als unverdächtige Vorfeld- und Tarnorganisationen ihre Tätigkeit legal fortzusetzen.

Die gesamte frühe Geschichte der KPJ war allerdings durch interne Flügelkämpfe gekennzeichnet – und durch die Intervention der Komintern zur Beilegung des chronischen Fraktionalismus.

Ab 1923, besonders aber ab 1925 wurde diese Intervention immer mehr zu einem Versuch, der jugoslawischen Partei die stalinistisch-bucharinistische Linie aufzuzwingen. In der Folge wurde die Parteiführung 1926 in die Hände des rechten Flügels um Sima Markovic gelegt. Markovic war der Wortführer der serbisch-nationalistischen Strömung in der KPJ. Unter seiner Führung wurde nun die nationale Frage vernachlässigt und eine ökonomistische Ausrichtung auf Gewerkschaftsarbeit verfolgt. Innerhalb eines Jahres hatte sich die rechte Führung in der Partei aber derartig diskeditiert, dass die KPJ bereits 1927 den weiter links stehenden Djuro Tzvjijc zum Sekretär des Politbüros wählte.

Die bucharinistische Komintern reagierte darauf mit einer autoritären Auflösung des neuen Mitte-links-Politbüros und einer Aufhebung ihrer Beschlüsse. Es wurde ein neues Politbüro installiert, aus in Moskau sorgfältig bolschewisierten jugoslawischen Kommunisten, die der sowjetischen Bürokratie treu ergeben waren. Bei der von Bucharin durchgeführten jugoslawischen Operation, der Umkrempelung der KPJ im Sinne der bürokratisierten Komintern, die im Winter 1927/28 über die Bühne ging, spielte neben der Schlüsselfigur Milan Gorkic und Djuro Djakovic auch Josip Broz, später Tito genannt, eine wichtige Rolle. Tito hatte wesentlichen Anteil daran, die von Dusan Grkovic geführte KPJ-Organisation in Zagreb, die traditionell eine Hochburg des linken Flügels der KPJ gewesen war, durch bürokratische Maßnahmen in die Hand zu bekommen.

Eine grundlegende politische Differenz zwischen dem rechten und dem linken Flügel in der KPJ bestand in den unterschiedlichen Einschätzungen der nationalen Frage in Jugoslawien. Der linke Flügel stand im Namen des proletarischen Internationalismus gegen die großserbisch-nationalistischen Tendenzen. Im Zuge ihres Bündnisses mit der rechten Fraktion gegen den linken Flügel passte sich die bürokratische Fraktion Gorkic-Djakovic-Tito in dieser Phase auch selbst der serbisch-zentralistischen Orientierung an.

1928/29 stand der nunmehr verfestigt bürokratisierten KPJ allerdings schon ein neuer Kurswechsel bevor. In der Komintern ging die von Bucharin angeführte rechte Periode in die ultralinke dritte Periode über. Und in Jugoslawien wurde angesichts der Ermordung von Radic, der Errichtung der großserbischen Königsdiktatur und deren Annäherung an das faschistische Italien die rechte Orientierung immer deplatzierter. Die KPJ (weiterhin unter der Führung der bürokratischen Fraktion) machte eine jähe 180-Grad-Wendung – besonders in der nationalen Frage. Die Politik der KPJ richtete sich jetzt nicht nur gegen die serbische Vorherrschaft, sondern nahm zunehmend einen Standpunkt der offenen Unterstützung des Nationalismus in Kroatien und bei anderen nichtserbischen Völkern ein.

Unter dem Einfluss der Komintern ging dieser Positionswechsel aber insgesamt mit einer ultralinken Politik einher. Abgesehen von einer sektiererischen Konzeption in der Gewerkschaftsarbeit orientierte sich die KPJ nun auf eine bewaffnete Erhebung gegen die Königsdiktatur. Man stellte eine eigene militärische Organisation auf, weil man glaubte, dass die kroatische nationale Revolte in einen kommunistischen Aufstand übergehen könnte. Diese abenteuerliche Ausrichtung erleichterte gleichzeitig auch die nun verschärfte staatliche Repression gegen die Arbeiterbewegung. Große Teile der Partei wurden zerschlagen, hunderte KPJ-Mitglieder (unter ihnen Djakovic) vom konterrevolutionären Terror ermordet, tausende eingekerkert.

Die nun völlig in die Illegalität gedrängte Partei war dann auch noch mit der erneuten Wende der Komintern, diesmal wieder nach rechts, zur Volksfront, konfrontiert. Größere Ruhe und Geschlossenheit in den Reihen der KPJ kehrten erst ein, als im Sommer 1937 beinahe das gesamte Zentralkomitee der KPJ mit dem Generalsekretär Milan Gorkic an der Spitze in Moskau einer stalinistischen Säuberung von sogenannten feindlichen Agenten zum Opfer fiel. Zum Generalsekretär rückte jetzt (ab Anfang 1939 mit dem Sanctus der Komintern) der bis dahin als Organisationssekretär der KPJ tätige Tito nach.

Bei Tito handelte sich es um einen eingeschworenen Stalinisten, wie Isaac Deutscher in seiner Stalin-Biographie richtig bemerkte: “Nicht umsonst war Tito während seines Aufenthaltes in Moskau zur Zeit der großen Säuberungen in die Parteiführung befördert worden. Der vorige Parteichef war gerade bei diesen Säuberungen untergegangen, und seine (d.h. Titos) Orthodoxie und Heuchelei musste schon beispielhaft sein, um sich genau zu diesem Zeitpunkt Moskaus Vertrauen zu erwerben.” Nichtsdestotrotz sollte sich Stalin mit der Einsetzung Titos verrechnet haben. Nachdem man in der Komintern schon an eine Auflösung der KPJ gedacht hatte, wie das zu jener Zeit mit den Parteien in Polen und Korea der Fall war, stellte man gerade jenen (scheinbar unterwürfigen) Mann an die Spitze der KPJ, der im Zweiten Weltkrieg als Führer der jugoslawischen Partisanen von sich hören machen sollte – nicht immer zum Vergnügen der maßgebenden Herren in Moskau.

Krieg und Besetzung

Der Bleideckel der Königsdiktatur ließ die Konflikte in den 30er Jahren weiterbrodeln, bis sich der erhöhte Druck abermals entlud – diesmal in der Ermordung des Königs Alexander in Marseille am 9. Oktober 1934. Verantwortlich für den Anschlag war die sogenannte Kroatische Revolutionäre Aufstandsorganisation, verkürzt Ustasa genannt, die den bewaffneten Aufstand zur Befreiung Kroatiens vorbereiten sollte: Diese faschistische Organisation hatte ihren Sitz in Bologna und wurde von Dr. Ante Pavelic geführt, dem späteren Oberhaupt des 1941 von Mussolinis und Hitlers Gnaden errichteten Unabhängigen Staates Kroatien.

Da Alexanders Sohn Peter, der Thronfolger, erst zehn Jahre alt war, wurde ein dreiköpfiger Regentschaftsrat eingesetzt, an dessen Spitze Prinz Paul Karadjordjevic, ein Vetter des Königs, stand. Innenpolitisch änderte sich zunächst wenig, die Königsdiktatur blieb aufrecht. Unter der Regierung von Milan Stojadinovic zwischen 1935 und 1939 wurde allerdings auf ökonomischem Gebiet ein Stabilisierungskurs eingeleitet und die außen- und wirtschaftspolitischen Beziehungen zum Deutschen Reich und Italien normalisiert. Schließlich wurde 1938 das Deutsche Reich mit einem Anteil von 32,5 Prozent an den Importen und 35,9 Prozent an den Exporten des Landes Jugoslawiens wichtigster Handelspartner, womit eine Politik der Annäherung an Nazi-Deutschland bereits unter Stojadinovic einherging.

Nach dem Sturz von Stojadinovic, der unter geänderten gesamteuropäischen Rahmenbedingungen ein Hindernis für eine Aussöhnung zwischen kroatischer und serbischer Bourgeoisie darstellte, übernahm Dragisa Cvetkovic die Regierung. Vor dem Hintergrund der Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland im März 1938, der Abtrennung der Sudetengebiete von der CSR im Oktober 1938, der Zerstörung der Rest-Tschechoslowakei im März 1939 und der Besetzung Albaniens durch Mussolini-Italien am 30. April 1939 erfolgte der sogenannte Ausgleich (Sporazum), der Kroatien weitgehende Autonomie einräumte. Dem Gesamtstaat sollten im Wesentlichen nur die Bereiche Äußeres, Verteidigung, Finanzen und Staatssicherheit vorbehalten sein. Es war allerdings ein Ausgleich, der zu spät kam, die sozialen Probleme unberücksichtigt ließ und vor allem die nationalen Ansprüche und Rechte der Slowenen und der anderen Völkerschaften Jugoslawiens nicht einmal im Ansatz zu befriedigen vermochte.

Unter der Regierung Cvetkovic wurde Jugoslawien zu einem Satelliten Nazideutschlands. Dennoch führte die Deutschlandfreundliche Politik der Regierung, die den außenpolitischen Druck (der vom deutschen Imperialismus durch eine Instrumentalisierung des kroatischen Nationalismus ausgeübt wurde) reduzierte, und der Ausgleich zu einer gewissen innenpolitischen Stabilisierung, die es der Bourgeoisie in Jugoslawien ermöglichte, sich vorerst (bis April 1941) aus dem Zweiten Weltkrieg herauszuhalten.

Nichtsdestotrotz blieb der jugoslawische Staat für die angestrebte Expansion Nazi-Deutschlands nach Südosteuropa ein Hindernis. Der deutsche Imperialismus hielt an seinem grundsätzlichen Ziel der Neuordnung des Balkans fest. Als Mussolinis Griechenlandfeldzug ins Stocken geriet, erhöhte Hitler den Druck auf Jugoslawien, dem Achsenbündnis beizutreten, um einen Durchmarsch deutscher Truppen zu ermöglichen. Jugoslawien sollte zur völligen Unterordnung unter die Interessen des deutschen Imperialismus gezwungen werden. Am 25. März 1941 trat Jugoslawien schließlich dem Drei-Mächte-Pakt bei, wohl wissend, dass es von seinen historischen Verbündeten der Entente keine Hilfe zu erwarten hatte.

Am 26. März I941 kam es aber in Belgrad und anderen Städten zu heftigen Demonstrationen, die sich gegen die Unterzeichnung des Paktes richteten, mit Parolen wie Lieber den Krieg als den Pakt! oder Besser das Grab als ein Sklave!

Dadurch ermutigt, ergriff am 27. März 1941 eine Entente-freundliche Militärclique um den General der Luftwaffe Dusan Simovic die Initiative zu einem Putsch, der die Regierung stürzte und den Prinzregenten Paul ins Exil verbannte. Noch am selben Tag kam es unter kräftiger Mitwirkung der KPJ zu erneuten Demonstrationen, die einen Beistandspakt mit der Sowjetunion forderten. Die Beteiligung am Drei-Mächte-Pakt wurde allerdings wider Erwarten von der neuen Regierung nicht rückgängig gemacht, jedoch unter dem Druck der Massen am 5. April 1941 der geforderte Freundschafts- und Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion geschlossen.

Am 6. April 1941 erfolgte schließlich ohne jede Kriegserklärung der deutsche Überfall auf Jugoslawien mit einem verheerenden Luftbombardement Belgrads unter der Leitung des Österreichers Generalmajor Alexander Löhr, der 1947 von einem jugoslawischen Militärgericht als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde (und dem bis vor einigen Jahren eine Gedenktafel in einer österreichischen Bundesheer-Kaserne gewidmet war). Der Angriff auf Jugoslawien erfolgte von mehreren Seiten: von Deutschland/Österreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Italien. Der Zusammenbruch der königlich jugoslawischen Armee erfolgte Schlag auf Schlag. Skopje fiel am 9. April, Zagreb am 10. April, Ljubljana am 11. April und schließlich Belgrad am 12. April. Der erst kürzlich (nach dem Putsch) inthronisierte König Peter verließ das Land am 16. April Richtung London, und am 17. April kapitulierte der jugoslawische Generalstab.

Hitlers Ziel war die restlose Zerschlagung und territoriale Aufstückelung Jugoslawiens. Die Völker sollten gegeneinander aufgehetzt und mit einer Teile-und-Herrsche-Politik niedergehalten werden. Deutsche Divisionen besetzten den nördlichen Teil Sloweniens mit den wichtigsten Industriezentren, errichteten eine Gauverwaltung im Banat und stellten den größten Teil Serbiens unter Besatzungsrecht unter der Marionettenregierung des serbischen Generals Milan Nedic. Ein Teil Ostserbiens und fast ganz Mazedonien wurden von Bulgarien annektiert. Ungarn ergriff Besitz vom Großteil der Vojvodina (Batschka, Baranja) und dem Nordostzipfel Sloweniens. Der italienische Imperialismus besetzte einen großen Teil Dalmatiens mit beinahe allen Adria-Inseln, errichtete in Montenegro ein “Protektorat” und annektierte das von Albanern besiedelte Gebiet Kosovo und Metohia einschließlich Westmazedoniens.

Am 12. April 1941 wurde schließlich in Zagreb der recht abhängige Unabhängige Staat Kroatien (NDH) ausgerufen. Der neue Staat umfasste außer dem (nach den italienischen Annexionen verbliebenen) kroatischen Gebiet auch Bosnien-Herzegowina (BiH) und die Provinz Srem und reichte so bis vor die Tore Belgrads. Etwas weniger als die Hälfte der Bevölkerung des neuen Staates waren keine Kroaten – davon etwa zwei Millionen Serben, 800.000 Moslems und eine halbe Million anderer Nationalitäten. Das offene Ziel des faschistischen Staates unter Ante Pavelic war es daher auch, unter der besonders unappetitlichen Einbeziehung der katholischen Kirche das serbische Problem zu lösen, und zwar deklarierter Weise folgendermaßen: 1/3 der zwei Millionen Serben sollte zum katholischen Glauben zwangsbekehrt, 1/3 umgebracht und 1/3 vertrieben werden. Dieser Politik fielen schließlich, vor allem im berüchtigten und von einem Franziskaner-Pater geleiteten Vernichtungslager Jasenovac, bis zu 750.000 Serben zum Opfer. Diese Politik sollte sich für die Besatzer und ihre Vasallen allerdings noch bitter rächen. Die vor allem in BiH dem Tod ins Auge sehende serbische Bevölkerung wurde dadurch – wie hunderttausende Arbeiter und Bauern im ganzen ehemaligen Jugoslawien – zum äußerten Widerstand bereit.

Widerstand und Bürgerkrieg

Die Befreiung vom deutschen Imperialismus und seinen lokalen Handlangern wurde in Jugoslawien – anders als in den übrigen Ländern Ost- und Südosteuropas – nicht von den sowjetischen Truppen durchgeführt (mit der teilweisen Ausnahme Belgrads), sondern von einer nationalistischen Befreiungsarmee bäuerlicher Massen, die auf ihrem Höhepunkt 750.000 Mitglieder hatte. Männer wie Frauen schlossen sich der von Tito geleiteten Partisanenbewegung an, weil sie in ihr die konsequenteste, alle Nationen erfassende Widerstandsbewegung sahen. Bald nach der Besetzung kam es vor allem in Bosnien zu spontanen Widerstandsaktionen. Der Widerstand sollte sich jedoch in mehreren Etappen entwickeln und war, was die Seite der Partisanen betrifft, vor allem von der Politik der Sowjetunion gegenüber dem Deutschen Reich bestimmt.

Der der Kapitulation folgende Widerstand der Partisanenbewegung verband sich zwischen 1941 und 1944 mit einem Bürgerkrieg mit der profaschistischen Bourgeoisie. In diesem Bürgerkrieg agierten drei Kräfte: à die Bourgeoisie, die (nicht nur in Kroatien) fast vollständig mit den Besatzern kollaborierte und sich in der Bevölkerung massiv diskreditierte, was zu Kriegsende große Bedeutung haben sollte; à die Partisanenbewegung; à die Vorkriegsmonarchisten (die Cetniks), die von einer Position des halbherzigen Widerstandes schließlich zur Kollaboration mit den Besatzern und zum Kampf gegen die Partisanen übergingen.

Im Mai 1941 versammelten sich königstreue Offiziere und national-konservative Bürgerliche um den rabiat antikommunistischen Oberst Draza Milhailovic in den Bergen südlich von Belgrad, wo schon einst serbische Aufstände gegen die Türken ihren Ausgang genommen hatten. Sie nannten sich Cetniks und rekrutierten vor allem aus den Bauern der Umgebung Soldaten – mit dem Ziel, ein Widerstandsnetz zu organisieren, dass sich aber erst bei einer von ihnen erwarteten Landung der Alliierten am Balkan voll entfalten sollte. Ihr Ziel war von Beginn an die Errichtung eines Großserbiens unter Beibehaltung der Monarchie und der sozioökonomischen Verhältnisse der Zwischenkriegszeit. Der Name Cetnik leitet sich historisch von jenen serbischen Freischärlern ab, die meist in Kompaniestärke (Ceta), besonders in den Balkankriegen, in den von Türken beherrschten Gebieten operierten, aber auch anlässlich der Annexion von Bosnien-Herzegowina durch Österreich-Ungarn militärischen Widerstand leisteten. Ihre Rolle wandelte sich bereits in der Zwischenkriegszeit, als sie in Form paramilitärischer Organisationen den Repressionsapparat zur nationalen und sozialen Unterdrückung verstärkten.

Für die seit der militärischen Besetzung Jugoslawiens im Untergrund den Widerstand organisierende KPJ erfolgte erst mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 grünes Licht für die Entfaltung eines Volkskrieges gegen die Okkupanten unter der angestrebten Einbeziehung aller sogenannten patriotischen, inklusive der monarchistischen Kräfte, die zum Widerstand bereit seien. Die Legitimität der königlichen Exilregierung in London wurde von Moskau ausdrücklich anerkannt und Tito zu einer Zusammenarbeit mit dem von der Exilregierung zum Kriegsminister ernannten Cetnik-Führer Milhailovic gedrängt.

Zu großen Aufständen kam es vorerst nur in Montenegro, wo die faschistischen italienischen Truppen (von denen während des Krieges insgesamt Soldaten im Ausmaß von zwei Divisionen zu den jugoslawischen Partisanen überliefen) innerhalb weniger Tage vertrieben und an Stelle des italienischen Protektorats revolutionäre Volksorgane errichtet wurden. Da es sich nach dem Willen der Komintern, getreu der stalinistischen Etappenkonzeption, noch nicht um eine sozialistische Revolution handeln durfte, musste Tito eingreifen, indem er durch seinen Sonderdelegierten Milovan Djilas die revolutionären Organe im Kein ersticken ließ. Die stalinistische Führung der KPJ diffamierte die Initiative der Montenegriner als Trotzkismus.

Von Juli bis August 1941 hatten dann die Aufstände besonders in Westserbien ein solches Ausmaß angenommen, dass weite Teile des Landes befreit werden konnten. Zur politischen Unterstützung ihres militärischen Kampfes gingen die Partisanen dazu jetzt über, anstelle der alten neue eigene Verwaltungsorgane zu installieren. Nach dem Willen der am 26. September 1941 erzielten Beschlüsse der führenden Partisanenkader sollten diese Volksbefreiungsausschüsse oder Volkskomitees als provisorische Träger der Macht fungieren. Sie wurden auf öffentlichen Versammlungen per Akklamation gewählt und waren der Theorie nach jederzeit abwählbar, real standen sie freilich unter der Kontrolle der Partisanenführung und damit der stalinistischen KPJ-Bürokratie. Diese Komitees wurden zu einer vom alten Staatsapparat unabhängigen Machtbasis Titos und sollten die Grundlage für die Etablierung und rasche Konsolidierung seiner zukünftigen Herrschaft werden. Militärisches und politisches Zentrum des befreiten Gebietes wurde die am 21. September 1941 eroberte westserbische Stadt Uzice, wo den Partisanen eine fast unbeschädigte Waffenfabrik in die Hände gefallen war.

Die am 20. September und 27. Oktober erzielten Abkommen zwischen Tito und Mihailovic gestattete es den Cetniks, sich in den befreiten Gebieten frei zu bewegen, ja sogar Waffen aus den von den Partisanen geleiteten Fabriken zu beziehen. Das kurze Bündnis zwischen Partisanen und Cetniks war allerdings von Beginn an von tiefem gegenseitigem Misstrauen beherrscht. Mihailovic dachte nicht daran, in Tito einen gleichberechtigten Bündnispartner zu sehen, sondern war bestrebt, diesen und die Partisanenbewegung so bald wie möglich zu vernichten. Schon vor seinem ersten Treffen mit Tito erzielte er mit dem von den Nazis in Belgrad eingesetzten serbischen Regierungschef Milan Nedic einen Nicht-Angriffs-Pakt und ein Abkommen über ein gemeinsames militärisches Vorgehen gegen die Partisanenbewegung. Mihailovic erkannte eben schon sehr frühzeitig die Gefahren einer sozialen Umwälzung, die vom nationalen Befreiungskampf ausgehen konnten. Der Patriot Mihailovic erblickte im Augenblick höchster Gefahr für die herrschende bürgerliche Klasse im serbischen Kollaborateur Nedic Fleisch von seinem Fleisch und war gewillt, dem Verräter zum Wohl der gemeinsamen Klasse die Hand zu reichen.

Zwischen 1. und 2. November 1941 erfolgte der Überfall der Cetniks auf das Hauptquartier der Partisanen in Uzice. Damit wurde ein Bürgerkrieg ausgelöst, der das mörderische Vorgehen der deutschen Besatzer (für jeden getöteten Deutschen wurden 100 serbische Zivilisten hingerichtet) noch verschärfte. Die Cetniks wurden immer mehr und immer offensichtlicher zu den Handlangern der Nazi-Besatzer, wodurch ihre Anhängerschaft letztlich immer mehr zusammenschmolz und sich die Unterstützung für Titos Partisanen in steigendem Maße verstärkte.

Die Partisanen hatten sich bei der Verteidigung von Uzice zu einem offenen Stellungskampf entschlossen, weil man das einmal befreite Gebiet halten wollte und weil die landgebundenen Bauern an keinen Bewegungskrieg gewohnt waren. Durch die zahlenmäßige und technische Überlegenheit des Gegners wurden die festen Stellungen eine nach der anderen überrannt. Während sich die Arbeiter und Teile der bäuerlichen Bevölkerung zusammen mit der Partisanenführung schließlich zurückzogen, um sich in anderen Gebieten neu zu formieren, wurden die Bauern häufig Opfer von Repressalien der Besatzungstruppen, was bei vielen zu Resignation und Passivität führte. Besonders bei ihnen fanden Mihailovic und seine Politik des Abwartens weiterhin einige Anhänger.

Neuer Staat

Die Erfahrungen aus dem Desaster in Uzice veranlassten Tito im Laufe der Zeit (ab Dezember 1941), mehrere Proletarische Brigaden zu bilden, die als mobile und äußerst disziplinierte Stoßtrupps das militärische und moralische Rückgrat der Volksbefreiungsarmee bilden sollten. Sie setzten sich vor allem aus Arbeitern zusammen, die weniger als die Bauern an ein bestimmtes Gebiet gebunden waren. Viele ihrer Offiziere und zwei Elitedivisionen bestanden aber auch aus Studenten, unter denen die KPJ besonders viele Anhänger hatte. Die sowjetische Führung kritisierte die Bildung der Proletarischen Brigaden heftig und beschwerte sich in einem Brief an die KPJ-Führung: „Es scheint, Großbritannien und die jugoslawische Regierung (in London, M.J./J.M.) haben gute Gründe für den Verdacht, die Partisanenbewegung habe einen kommunistischen Charakter und ziele auf die Sowjetisierung Jugoslawiens hin. Warum war es beispielsweise nötig, noch spezielle proletarische Garden zu bilden? Im Augenblick ist es die hauptsächlichste Aufgabe, alle antinazistischen Strömungen zusammenzufassen (…).“

Die überwiegende Mehrheit der Partisanentruppen stellte freilich nach wie vor die Bauernschaft, von der sich nun auch Teile für die Teilnahme am beweglichen Partisanenkrieg entschlossen und die der Partisanenbewegung auch ihren sozialen Charakter gab. Tito wurde von einer Welle einer bürgerlichen revolutionären Erhebung vorwärtsgetrieben, bürgerlich deshalb, weil das unmittelbare Ziel der bäuerlichen Rebellion in der Lösung bürgerlich-demokratischer Aufgaben (nationale Unabhängigkeit, Landreform …) bestand, bürgerlich auch deshalb, weil sich die Stalinisten der KPJ bewusst auf diese demokratische Etappe orientierten.

Tito fand seine soziale Basis auf dem Land, in der bürgerlich-revolutionären Bauernschaft. Selbst in der KPJ war die Mehrheit der Mitglieder Bauern (auch wenn unter den Funktionsträgern Studenten und Arbeiter dominierten). Die jugoslawischen Stalinisten bildeten und kommandierten eine neue revolutionäre Armee, die sie über einen straff organisierten Parteiapparat kontrollierten (über 90 Prozent der Befehlskader der Armee waren Mitglieder der KPJ). Sie orientierten sich nicht auf einen Aufstand der Arbeiterklasse, sondern auf eine militärische Eroberung der Städte von außen, von ihren ländlichen Bastionen aus.

Die stalinisierte Komintern setzte alles daran, die KPJ auf eine Volksfront mit der demokratischen Bourgeoisie (die in Jugoslawien nur in Spuren vorhanden war) und – ganz im menschewistischen Sinn – auf eine demokratische Etappe festzulegen. Das Ziel sollte lediglich die nationale Befreiung sein. Der Kapitalismus sollte nicht angetastet werden. Die Arbeiterklasse sollte zugunsten einer strategischen Allianz mit der nationalen Bourgeoisie auf die eigene Machtergreifung verzichten. Angesichts der nahezu vollkommenen Kollaboration der jugoslawischen Kapitalistenklasse mit den Besatzern wurden Tito & Co. bezüglich des Bündnisses zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie aber zunehmend desillusioniert. In der Folge organisierte die KPJ die Abwendung von der Bourgeoisie und die Hinwendung zu den Bauern. Diese Umorientierung bedeutete aber keinen Bruch mit dem stalinistischen Etappenkonzept, denn das neue Konzept bedeutete auch eine Abwendung von der städtischen Arbeiterklasse und eine Ausrichtung auf die bürgerlich-revolutionäre Bauernschaft, eine Abwendung vom proletarischen Klassenkampf und eine Orientierung auf den militärischen Sieg einer Bauernarmee.

Während dieses Prozesses schufen die jugoslawischen Stalinisten nicht nur eine Armee, sondern auch eine mobile Staatsmaschinerie, die einen Militärapparat und einen bürokratischen Parteiapparat miteinander verband. Diese Staatsmaschinerie sollte lange vor dem endgültigen Sieg über die Besatzer und ihre einheimischen Verbündeten über ganze Regionen des jugoslawischen Territoriums und die Bevölkerung herrschen. Die alten Verwaltungsbehörden wurden von den Partisanen als Organe der Okkupation und der Unterdrückung erkannt. Während des Partisanenkrieges wurden oft Archive und Grundbücher verbrannt. Dieser neue Staatsapparat der Partisanen bedeutete allerdings in keinster Weise die Bildung eines nicht-kapitalistischen Staatsregimes. Der titoistische Staat, der mit den Erfolgen der Partisanenarmee an die Macht kam, war ein bürgerlich-revolutionäres bonapartistisches Regime. Die fast völlige Zerstörung und Ersetzung des alten Staatsregimes der jugoslawischen Monarchie und der Kollaborationsregimes führte nicht direkt zur Schaffung eines degenerierten Arbeiterstaates.

Das unmittelbare Ergebnis der Zerstörung der einen Staatsmaschinerie durch die andere bedeutete vielmehr die Konsolidierung eines neuen bürgerlichen Staates, wenn auch unter einer Volksfrontregierung. Aus diesem entscheidenden Grund kann dieser Prozess keineswegs mit der marxistischen Konzeption oder dem Programm der Zerschlagung des Staates, d.h. mit der Vernichtung des abgehobenen und bürokratischen bürgerlichen Staates und seiner Ersetzung durch einen Halbstaat (Lenin), einen mit der Arbeiterklasse verwachsenen Rätestaat, identifiziert werden. Es handelte sich bei der Etablierung des neuen titoistischen Staates um eine bürgerliche und nicht um eine proletarische Revolution. Als Ergebnis davon sollte es über die bürokratische soziale Umwälzung (die 1946 dem Zusammenbruch der Volksfront folgen und die zur Errichtung des von Beginn an bürokratisierten jugoslawischen Arbeiterstaates führen sollte) hinaus eine grundlegende Kontinuität des Staatsregimes geben. Der kapitalistische Staat wurde dabei genausowenig zerschlagen wie bei den bevorstehenden Umwälzungen in Osteuropa, bei denen Stalin Regie führen und die sowjetischen Truppen eine zentrale Rolle spielen sollten.

Bei Titos Konflikt mit der sowjetischen Führung ging es im Kern darum, dass die Partisanen immer weniger bereit waren, die von ihnen erkämpfte Macht mit der reaktionären Exilregierung und den Cetniks zu teilen. Bis 1946 hatten Tito und seine Mitstreiter nicht vor, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu überwinden. Die realen Kräfteverhältnisse diktierten jedoch anderes. Ein vom Imperialismus unabhängiger kapitalistischer Weg, ein eigenständiger jugoslawischer Kapitalismus, erwies sich als unmöglich. In der Situation, zwischen den Klassenkräften des Imperialismus und der Arbeiterklasse zerrieben zu werden, war die einzige mögliche soziale Unterstützungsbasis für das titoistische Regime die bereits existierende neue Staatsmacht und der bereits existierende (degenerierte) Arbeiterstaat, die Sowjetunion. Diese wurde von der stalinistischen Bürokratie geführt, die dem jugoslawischen Regime zu Hilfe kam – jedoch auf ihre eigene Weise und in ihrem eigenen Interesse.

Der grundlegende Unterschied zwischen den bürokratischen Umwälzungen in den osteuropäischen Staaten einerseits und in Jugoslawien (und in China, Kuba und Vietnam) andererseits liegt in der Abwesenheit einer bewaffneten Intervention durch den bereits existierenden degenerierten sowjetischen Arbeiterstaat. Diese Abwesenheit wurde in Jugoslawien dadurch ausgeglichen, dass die einheimischen stalinistischen Parteien ihre eigenen Armeen etabliert hatten. Hatte die KPJ jedoch einmal an der Spitze ihrer bürgerlich-revolutionären Armee die Macht errungen, benötigte sie das ökonomische, politische und externe militärische Gegengewicht der Sowjetunion gegen den Imperialismus, um sie mit der nötigen zusätzlichen sozialen Macht auszustatten, um die Grenzen der bürgerlichen Revolution erfolgreich zu überschreiten und einen degenerierten Arbeiterstaat zu schaffen, ­wozu sie sich (entgegen ihren programmatischen Absichten) angesichts des Drucks der Konterrevolution schließlich entschließen sollte, um ihre bürokratischen Privilegien zu erhalten.

Partisanenkampf

Von der Bildung der ersten Volksbefreiungsausschüsse und der Volksbefreiungsarmee bis zur Machtergreifung und schließlich der sozialen Umwälzung sollte allerdings vor Titos Truppen noch ein (im wahrsten Sinne des Wortes) steiniger und blutiger Weg in den Gebirgen des Balkans liegen. Die Partisanenarmee wurde in mehreren deutschen Offensiven kreuz und quer in beinahe alle Landesteile Jugoslawiens getrieben. Dies hatte neben allen Nachteilen den einen Vorteil, dass auf diese Weise große Teile der Bevölkerung des ganzen Landes mit den Partisanen in Kontakt kamen, wobei sie sich von deren übernationalem Charakter und konsequentem Widerstand überzeugen konnten. Große Bedeutung erlangte dabei der sogenannte Lange Marsch, der am 24. Juni begann und mehr als hundert Tage dauern sollte. Unmittelbares Ziel war Bihac und die Befreiung der angrenzenden Landstriche, aber darüber hinaus sollte der Zug die Einheit der Völker im Kampf für ihre soziale und nationale Freiheit fordern. Unter der Losung Smrt fasizmu! Sloboda narodu! (Tod dem Faschismus! Freiheit dem Volk!) gelang der übernationalen Partisanenbewegung, geführt vom Kroaten Tito, vom Serben Aleksandar Rankovic, vom Montenegriner Milovan Djilas und vom Slowenen Edvard Kardelj, nicht nur, das Vertrauen der Bevölkerung in den verschiedensten Regionen, sondern auch Zehntausende für den Kampf und Millionen für die Unterstützung des Kampfes zu gewinnen.

Am 26. November 1942 kam es in Bihac zur ersten Sitzung des AVNOJ (Antifaschistischer Rat zur Befreiung Jugoslawiens). Unter dem Druck der Sowjetunion wurde dort ein sehr gemäßigtes Programm angenommen, das die „Unverletzbarkeit des Privateigentums und die Förderung der Privatinitiative in Industrie, Handel und Landwirtschaft“ proklamierte und garantierte, dass man auf „keine radikalen Änderungen irgendwelcher Art im gesellschaftlichen Leben und den Aktivitäten des Volkes“ abziele. Nichtsdestotrotz gewannen durch die reale Dynamik des Kampfes die Volksbefreiungskomitees als (provisorische) Machtorgane weiter an Bedeutung. Die Politik der KPJ bewegte sich damit hart an der Grenze des ihr von Stalin gestatteten Kurses. Moskau beeilte sich auch sogleich zu mahnen: “Stellt es (das Komitee, M.J./J.M.) nicht der jugoslawischen Regierung in London entgegen! Stellt in dieser Etappe nicht die Frage der Abschaffung der Monarchie, ruft nicht die Republik aus.”

Von 1941 bis 1943 waren die Partisanen bezüglich materieller Hilfe im Kampf gegen die überlegene Militärmacht des deutschen Imperialismus und die mit ihm kollaborierende Bourgeoisie weitgehend auf sich selbst angewiesen. Die antifaschistischen westlichen Imperialisten unterstützen die nationalistischen Cetniks. Anders als etwa in Griechenland wurde es für die Alliierten im Laufe des Krieges aber immer wichtiger, dass durch einen möglichst effizienten Widerstand die größtmögliche Zahl an deutschen Divisionen in Jugoslawien gebunden wurde. Das führte schließlich dazu, dass im Laufe des Jahres 1943 Titos Position gestärkt und auch international anerkannt wurde, während die militärische sowie propagandistische Unterstützung für die Cetniks um Draza Mihailovic, die einfach kaum mehr etwas darstellten, zu versiegen begann. Vor allem Anfang 1944 bekam Tito erstmals relevante materielle Unterstützung von außen, nämlich von den westlichen Alliierten. (Erst nach 1944, bis 1947, waren die Partisanen, die KPJ und schließlich das 2. Jugoslawien wesentlich von der Sowjetunion abhängig.)

Am 29. November 1943 fand in Jajce in Zentralbosnien die zweite Sitzung des AVNOJ statt. Es stand bereits die Hälfte des Landes unter der Kontrolle der Partisanen. Der AVNOJ wurde auf dieser historischen Sitzung, die oft und auch nicht zu Unrecht als die Geburt des neuen Jugoslawiens bezeichnet wurde, im Herzen Bosniens als oberstes gesetzgebendes und ausführendes Organ und als höchster Repräsentant der Souveränität des Volkes und Staates bestätigt. Daraus ging ein Nationalkomitee mit allen Befugnissen einer Regierung hervor. Die Partisanen beschlossen, für eine Demokratische Jugoslawische Volksrepublik zu kämpfen. Gleichzeitig stellte man das Schicksal der Exilregierung und des Königs in London der nach dem Krieg zu wählenden verfassungsgebenden Versammlung anheim, womit man de facto darauf Kurs nahm, den König und seine Regierung an einer Rückkehr zu hindern. Die Beschlüsse von Jajce lösten in Moskau Empörung aus. Der führende Komintern-Funktionär Dimitri Manuilski untersagte es dem von den Sowjets errichteten Radio Freies Jugoslawien, die Beschlüsse des AVNOJ zu verbreiten – angeblich mit folgender Warnung an den Rundfunkleiter: „Der Chef (Stalin, M.J./J.M.) ist äußerst zornig. Er sagt, dass dies ein Dolchstoß in den Rücken der Sowjetunion und der Teheraner Beschlüsse sei.“

Der sowjetischen Außenpolitik, die mit einem proletarischen Internationalismus zur Unterstützung von Revolutionen in anderen Ländern längst nichts mehr gemein hatte, ging es vor allem um die Schaffung eines von der Sowjetunion abhängigen Ringes von Pufferstaaten entlang der sowjetischen Grenze. Deshalb sollte etwa Ungarn, wo die kommunistische Widerstandsbewegung vergleichsweise schwach war, unter sowjetische Kontrolle gebracht werden, während man bereit war, Griechenland und Jugoslawien dem Westen zu überlassen und die dortigen starken kommunistischen Bewegungen zu opfern. Gemäß der 1944 in Moskau zwischen Churchill und Stalin vereinbarten Aufteilung der Einflusssphären in Jugoslawien im Verhältnis fifty-fifty wurde auf die KPJ und Tito Druck ausgeübt, doch noch zu einer Vereinbarung mit der Exilregierung zu gelangen.

Als die Sowjetunion im Mai 1944 angesichts der größten Wehrmachtsoffensive den jugoslawischen Partisanen erstmals nennenswerte Hilfe schickte, wurde die KPJ als Gegenleistung zu einem Abkommen mit der königlichen Exilregierung gezwungen. Und Tito erklärte (mit einem vermutlich durchaus ehrlichen Bekenntnis), das Ziel der Partisanen sei nur die Vertreibung der Nazis und „nicht die Einführung des Kommunismus, was uns die Feinde unterschieben“. Das Abkommen führte schließlich dazu, dass in die von Ivan Subasic am 12. Juli 1944 gebildete Exilregierung zwei Stalinisten als Minister aufgenommen wurden. Am 7. Dezember 1944 wurde umgekehrt festgehalten, dass der AVNOJ durch Einbeziehung nicht kompromittierter Vertreter des Vorkriegsparlaments erweitert werden solle. Stalin wollte den mit den westlichen Alliierten ausgehandelten Deal über die Zukunft des Balkans nicht antasten und hatte Jugoslawien dieselbe Rolle wie den übrigen osteuropäischen Ländern zugedacht, nämlich die eines der Sowjetunion freundlich gesonnenen bürgerlichen Staates, in dem die KPJ die Massenbewegung kontrolliert und die Ausplünderungen der jugoslawischen Wirtschaft zugunsten der Sowjetbürokratie überwacht.

Diese Absicht wurde allerdings sowohl durch das Ausmaß der (womöglich nicht mehr zu kontrollierenden) Massenbewegung als auch durch die relative Autonomie, die die KPJ aufgrund ihrer eigenständigen Massenbasis immer mehr bekam, zunehmend bedroht. Das war dem Kreml wohl durchaus bewusst, aber er setzte weiterhin darauf, die antiimperialistische Bewegung unter Kontrolle zu haben und sie gegebenenfalls als Bauer im zukünftigen Schachspiel mit den Westimperialisten einzusetzen.

Anfangs ging die Strategie Stalins noch halbwegs auf. Nach der Etablierung der Koalitionsregierung, des Bündnisses der Partisanen Titos mit dem Schatten der (real kaum existenten) demokratischen Bourgeoisie Subasic hieß es in einer Erklärung der KPJ: “Wir unterstreichen daher nochmals, dass die Führung der Nationalen Befreiungsbewegung in Jugoslawien sich das einzige und wichtigste Ziel zu eigen macht – den Kampf gegen die Invasoren und seine Helfer und die Schaffung eines demokratischen, föderativen Jugoslawiens und nicht die Errichtung des Kommunismus, wie manche unserer Feinde behaupten.” Erst am 5. Parteikongress 1948 erläuterte Tito rückblickend: “…Sie wollten uns mit aller Macht erneut den König aufzwingen, also die diskreditierte Monarchie und mit ihr auch den damit verbundenen Ballast, das heißt die schlummernden Reaktionäre. Der König wäre eine Art trojanisches Pferd gewesen, durch das sich alles wieder zum Alten zurückgewandelt hätte, und das Volk hätte wieder zu den Waffen greifen müssen, um das noch einmal zu erkämpfen, was es schon erkämpft hatte.”

Befreiung und 2. Jugoslawien

Nichtsdestotrotz hatte Moskau auch schon während des Krieges seine liebe Not mit den jugoslawischen Genossen. Die von der KPJ geführte Bewegung stützte sich zwar vor allem auf die Bauernschaft und beschränkte sich im Programm auf die Erlangung der nationalen Unabhängigkeit und einer demokratischen Landreform. Die Volksbefreiungsausschüsse wurden auch durch die bürokratische Kaste, an deren Spitze Tito selbst stand, kontrolliert. Trotzdem bedeutete die Entwicklung eines stabilen Verwaltungsapparates in den Händen der einheimischen stalinistischen Bürokratie eine Gefahr, eine Gefahr für die Kooperation mit dem westlichen Imperialismus und eine Gefahr für die Kontrolle der KPJ durch den Kreml. Bei Kriegsende sollte sich der neue (bürgerliche, d.h. vom Proletariat abgehobene) Staatsapparat fest in den Händen der KPJ-Stalinisten befinden – nicht unter Kontrolle der sowjetischen Truppen wie in allen anderen osteuropäischen Ländern.

Darüber hinaus war das Vorrücken der Partisanenarmeen zunehmend mit einer Verstaatlichung der Güter und Betriebe der Kollaborationsbourgeoisie und einer begrenzten Landreform begleitet. Ein Partisanengesetz, das die Beschlagnahme des Eigentums von Deutschen und ihrer jugoslawischen Kollaborateure anordnete, lief auf eine Nationalisierung der meisten kapitalistischen Produktionsmittel im Lande hinaus. Die Bestrafung des Nationalverrates bedeutete de facto die Durchführung von antikapitalistischen Maßnahmen, schlicht und einfach deshalb, weil der Nationalverrat einen ausgesprochenen Klassencharakter hatte. Mitte 1944 waren schließlich bereits 80 Prozent der Industrie in den befreiten Gebieten verstaatlicht. Ende 1944/Anfang 1945 wurde dieser Prozess jedoch auf Druck von Stalin und Churchill gestoppt, um die Koalitionsregierung nicht zu gefährden. Zu diesem Zeitpunkt wollte Tito noch keinen Bruch mit Stalin herbeiführen.

Nachdem die deutschen Großoffensiven zwar hunderttausende Tote zur Folge hatten, die Partisanen aber nicht zur Strecke bringen konnten, gingen diese zum Gegenangriff über. Am 20. Oktober 1944 befreiten sie gemeinsam mit Verbänden der sowjetischen Armee Belgrad, wobei dessen Bewohner sich ebenfalls an den Kämpfen beteiligten. Am 1. November 1944 wurde eine neue Regierung mit Tito an der Spitze und Subasic als Außenminister gebildet. Anfang 1945 beseitigten die Streitkräfte Titos auch die letzten Reste der Kollaborations-Regimes in Serbien und Kroatien. Am 8. März 1945 bildete Tito als Ministerpräsident die erste allseits anerkannte Regierung mit fünf bürgerlichen Ministern. “In dieser Periode”, sagte Tito “hegten unsere Gegner inner- und außerhalb des Landes noch Illusionen darüber, wer wen hereinlegen würde.”

Doch schon im Oktober 1945 schieden die fünf bürgerlichen Minister aus der gemeinsamen Volksfront-Regierung aus, wodurch das Ende der kurzen Periode der Doppelmacht zwischen der KPJ und der jugoslawischen Bourgeoisie eingeläutet wurde, die mit den ökonomischen Umwälzungen im Jahre 1946 endete. Die Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung wurden am 11. November 1945 abgehalten. Ein Teil der bürgerlichen Parteien boykottierte die Wahl, während ein anderer Teil, der sich vor allem im Krieg kompromittiert hatte, von den Wahlen ausgeschlossen war. 96 Prozent der Wähler votierten für die von der KPJ dominierte Volksfront und damit für die neue Staatsordnung, welche am 29. November 1945 in Form der Föderierten Volksrepublik Jugoslawien proklamiert wurde. Es sollte ein föderativer Volksstaat gleichberechtigter Völker werden, zusammengesetzt aus nationalen Republiken und autonomen Gebieten der nationalen Minderheiten.

Was die nationale Frage betrifft, unterschied sich das titoistische Jugoslawien dann auch tatsächlich deutlich vom zentralistischen, großserbisch-geprägten Königreich der Zwischenkriegszeit. Allerdings wurde den Kosovo-Albanern, denen im gemeinsamen Widerstandskampf für nach der Befreiung volle Gleichberechtigung versprochen worden war, eine eigene Republik vorenthalten (und als nicht-südslawisches Volk als Minderheit kategorisiert). Dabei handelte es sich um ein Zugeständnis an den serbischen Chauvinismus, der – im Interesse einer Balance mit dem kroatischen Nationalismus – in Kroatien und BiH nicht voll auf seine Rechnung kam und der deshalb mit Zugeständnissen im serbischen Stammland Kosovo besänftigt werden sollte. Eine weitere Maßnahme in diese Richtung war die Entscheidung, dass Belgrad weiterhin Hauptstadt war – und nicht etwa das multinationale Sarajewo, das für eine übernationale jugoslawische Staatskonzeption wesentlich adäquater gewesen wäre.

Der Grund jedenfalls, warum die Doppelmachtperiode in Jugoslawien so kurz war (1945-46), lag einerseits in der Stärke des einheimischen Stalinismus, seiner bewaffneten Macht, die aus den Partisanenarmeen hervorgegangen war, in seiner Massenbasis und in seiner relativen Unabhängigkeit von der sowjetischen Bürokratie und andererseits in der Schwäche der Bourgeoisie, die in den Augen der Massen zutiefst diskreditiert war. Die KPJ benutzte ihren Einfluss allerdings nicht zur Mobilisierung der Massen, sondern zu ihrer Demobilisierung. Währenddessen konzentrierte die von Tito geführte Bürokratenkaste die Schlüsselpositionen der Staatsmacht in ihren Händen. Zu diesem Zeitpunkt kam es noch zu keinem einschneidenden Konflikt mit Stalin. Churchill und der Imperialismus waren zwar beunruhigt, die Ökonomie war aber weiterhin kapitalistisch.

Während das Abkommens zwischen Churchill und Stalin bezüglich der übrigen osteuropäischen Länder einen 90-Prozent-Einfluss der Sowjetbürokratie vorsah (wobei sogar damit an eine Aufrechterhaltung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse gedacht war), war für Jugoslawien für beide Seiten gleicher Einfluss vereinbart: Dadurch ging aufgrund der ökonomischen und politischen Überlegenheit des Weltimperialismus die Dynamik in Richtung erneuter Konsolidierung der kapitalistischen Verhältnisse, in Richtung der Lösung der Doppelmacht zuungunsten der KPJ-Stalinisten. Wegen des 50-Prozent-Deals wurde den jugoslawischen Stalinisten bereits 1945/46 (also früher als ihren osteuropäischen Kollegen) von der westlichen Bourgeoisie das Messer angesetzt. Der wesentliche Faktor für die Offensive der KPJ war die Ausweglosigkeit angesichts der Erpressung durch Westimperialismus und Sowjetbürokratie. Der Druck der Massen war nicht entscheidend für den bürokratischen Sturz des Kapitalismus durch die KPJ. Dieser Druck traf lediglich mit dem Selbsterhaltungskampf der Bürokratie gegenüber den Plänen des Imperialismus und der Sowjetbürokratie zusammen. Wollten Tito & Co. nicht wieder ihre Macht und ihre Privilegien und alles, was sie erkämpft hatten, verlieren, so mussten sie die Flucht nach vorne antreten. Anfang 1946, als man sich ausreichend sicher war, dass die Massenbewegung so weit demobilisiert war, dass sie die Sache nicht mehr in die eigenen Hände nehmen konnte, entschied sich Tito für die ungeteilte Machtübernahme, für die ökonomische Enteignung der Bourgeoisie, für die Lösung der Doppelmacht zugunsten der KPJ. Die KPJ handelte bei den bürokratischen Umwälzungen keineswegs als Instrument des Kremls, sondern gegen seine damaligen Absichten. (Erst als mit dem Kalten Krieg ab 1947 auch den Satelliten Moskaus in Osteuropa das Messer angesetzt wurde, vollzog Stalin die bürokratische Umwälzung auch in diesen Ländern nach.) Damit war die Grundlage für den Konflikt mit Stalin gelegt.

Die Bourgeoisie wurde enteignet. Gleichzeitig stellten die Stalinisten sicher, dass die Arbeiter und Kleinbauern die Herrschaft der Bürokratie nicht durch eigene Machtorgane (Räte, Arbeitermilizen) ersetzen konnten. Der KPJ-Führer Kidric stellte das so dar: “1946 beendete das Zentralkomitee die andauernde Diskussion. Unser Staatsapparat war reorganisiert, ebenso unsere wirtschaftlichen Einrichtungen. Wir begannen mit der Grundsteinlegung der sozialistischen Organisation unserer Wirtschaft, der Akkumulation und des Finanzplans.”

Mit der Verabschiedung des ersten Fünfjahresplans im April 1947 war der Prozess der Schaffung eines von Beginn an bürokratisch degenerierten Arbeiterstaates abgeschlossen. Grundprinzip der Staatsorgane wurde das System der Volksbefreiungsausschüsse, das den Massen in einigen untergeordneten Bereichen etwas Spielraum einräumte, die reale Macht in allen wichtigen Entscheidungen aber dem abgehobenen (und deshalb bürgerlichen) bürokratischen Staatsapparat überließ. Gleichzeitig wurden die gesamte Industrie, alle Banken, Bergwerke und Bodenschätze sowie der Großhandel verstaatlicht. 1948 erläuterte Tito selbst die Beseitigung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse, für die sich die KPJ 1946 erst unter dem Druck der Klassenkräfte entschieden hatte, rückblickend – etwas beschönigend – so: „Wir wollten nicht auf halbem Weg stehenbleiben: (…) an die Macht kommen und diese Macht mit den Vertretern der kapitalistischen Klasse teilen, die auch weiterhin die werktätigen Massen Jugoslawiens ausbeuten würde usw. (…) Deshalb entschlossen wir uns, kühn den Weg einer völligen Liquidierung des Kapitalismus in Jugoslawien zu gehen.“

„Selbstverwaltungssozialismus“

Dieser Prozess bedeutete einen Bruch mit den Interessen des Imperialismus, aber (noch) keinen völligen Bruch mit Moskau. Obwohl die sowjetische Führung anfänglich dem Umsturz passiven Widerstand entgegengesetzt hatte, entschied sie sich angesichts vollendeter Tatsachen, in der entscheidenden Periode des Umbruchs und der Stabilisierung der bürokratischen Herrschaft die materielle Unterstützung fortzusetzen. Dass die jugoslawischen Stalinisten in der Lage waren, diese Umwälzung durchzuführen, lag entscheidend an der Schwäche der heimischen Bourgeoisie und an der relativen Stärke der Sowjetunion im internationalen Kräfteverhältnis in der unmittelbaren Nachkriegszeit.

Die Agrarreform erwies sich als ein erheblich schwierigeres Problem als die Nationalisierung der Industrie aufgrund der Größe der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung einerseits und der relativen Rückständigkeit der Industrie andererseits. So gab es im Jahre 1947 erst 779 Genossenschaften mit circa 40.500 Haushalten, während demgegenüber schon 1946 über 80 Prozent der Industrie und fast der gesamte Distributionssektor verstaatlicht waren. Eine Funktion des ersten Fünfjahresplans war auch die Einebnung des großen ökonomischen und kulturellen Gefälles zwischen den einzelnen Gebieten Jugoslawiens, die sich unter jahrhundertelanger Fremdherrschaft völlig unterschiedlich entwickelt hatten. Auch hier sollten Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen: einerseits aufgrund des auf bürokratische Weise erstellten Plans, der von den unmittelbaren Bedürfnissen der nationalen Bürokratien ausging, und andererseits, so paradox es klingt, aufgrund des 1948 mit der SU vollzogenen Bruchs.

Dieser Bruch zwischen Tito und Stalin war aber bereits der zwischen zwei bürokratisch degenerierten Arbeiterstaaten. Stalins Intentionen (seit dem vom Westen 1947 begonnenen Kalten Krieg) der Schaffung einer Hegemoniezone der Sowjetunion in Osteuropa stießen mit den Interessen der jugoslawischen Bürokratie zusammen, die sich – durchaus getreu dem stalinistischen Konzept vom Sozialismus in einem Land – ihre Unabhängigkeit bewahren wollte und darüber hinaus das Ziel einer Balkanföderation verfolgte. Letztere sollte auch die sowjetischen Satelliten Bulgarien und Rumänien sowie auch Albanien umfassen, was den Herren in Moskau freilich alles andere als recht war, bedeutete es doch die Gefahr der Herausbildung eines zweiten sozialistischen Machtzentrums.

Tito brach zwar mit Stalin, nicht aber mit dem Stalinismus. Er hielt am charakteristischen Kernpunkt des Stalinismus fest, also daran, dass es möglich sei, (ohne Weltrevolution und in friedlicher Koexistenz mit dem Imperialismus) in einem Land den Sozialismus verwirklichen zu können. Dahinter stand auch in Jugoslawien das reaktionäre Interesse der dortigen Bürokratie, die aus Angst um ihre Macht und ihre Privilegien die internationale Revolution ebenso fürchtete wie die Selbsttätigkeit der eigenen Arbeiterklasse. In der Folge bekämpfte sie beides. Das Konzept des Sozialismus in einem Land war dabei für das kleine Jugoslawien noch unmöglicher als für die Sowjetunion.

Durch den Konflikt mit der sowjetischen Bürokratie in die Isolation gelangt, orientierte sich die jugoslawische Führung – trotz aller sozialistischen Rhetorik – bald in Richtung partielle Kooperation mit dem Imperialismus. Das drückte sich in der Unterstützung des Imperialismus im Koreakrieg und schließlich im Zusammengehen mit den reaktionären Regimes in Indien und dem Nasserismus in Ägypten im Rahmen der sogenannten Blockfreien aus. Dazu kam die Einführung marktsozialistischer Elemente – die mit einer gewissen beschränkten Demokratisierung auf betrieblicher Ebene verbunden war. Die sogenannte Arbeiterselbstverwaltung, aus der Not geboren und zur Tugend verklärt, hatte die Aufgabe, die Arbeiter ins wirtschaftspolitische Geschehen stärker zu integrieren, betrieblichen Protest zu kanalisieren und die politische Basis der jugoslawischen Bürokratie innerhalb der jugoslawischen Arbeiterklasse zu verbreitern. Er ermöglichte im Vergleich zu den anderen Ostblock-Ländern auch einen höheren Grad an politischer Liberalität.

Nichtsdestotrotz blieben auch im sogenannten Selbstverwaltungssozialismus die grundlegenden Charakteristika des Stalinismus aufrecht. Die jugoslawischen Arbeiter hatten durch das System der Arbeiterselbstverwaltung auf betrieblicher und lokaler Ebene mehr mitzureden als ihre osteuropäischen Kollegen, aber es existierte auch in Jugoslawien keine Arbeiterdemokratie. Die zentralen wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen wurden nicht von gewählten und jederzeit abwählbaren Räten der Arbeiterklasse getroffen, sondern von den bürokratischen Spitzen. Und die politische Unterdrückung richtete sich nicht nur gegen bürgerliche und nationalistische Kräfte, sondern auch gegen die linke Opposition. Beispielsweise wurden in der Repressionswelle 1971 nicht nur kroatische Separatisten verfolgt, sondern besonders linke Aktivisten, die des Trotzkismus und der staatsfeindlichen Organisierung angeklagt wurden. Die weitgehende politische Rechtlosigkeit erleichterte es schließlich den bürgerlichen prokapitalistischen und nationalistischen Kräften, Einfluss zu gewinnen.

Aber nicht nur in diesem Sinne bereitete der Titoismus den Boden für die Entwicklung der letzten Jahre, denn der jugoslawische Sonderweg war durch Zugeständnisse und Anpassung an den Westen und vor allem durch eine frühere Zersetzung und Auflösung der bürokratischen Planwirtschaft gekennzeichnet. Der Titoismus brachte zwar von den späten 40er bis in die 70er Jahren für große Teile der Bevölkerung einen spürbaren Anstieg des Lebensstandards. Das titoistische Modell hatte aber seine Grenzen. Weder die Zulassung von Marktelementen noch die Zusammenarbeit mit den Blockfreien brachte wirtschaftlich viel ein. Und da Tito aus bürokratischem Eigeninteresse nicht die internationale Arbeiterrevolution vorantreiben wollte, blieb nur die immer stärkere Auslieferung an den Imperialismus. Um wirtschaftliche Schwierigkeiten, die durch die Isolation und durch die bürokratische Art der Planung entstanden waren, und innenpolitische Konflikte zu übertauchen, nahm man mehr und mehr Kredite bei westlichen Banken auf und lieferte das Land dadurch immer stärker den Erpressungen von Internationalem Währungsfonds, Weltbank und imperialistischen Regierungen aus.

Die Auswirkungen dieser Entwicklung wurden nach dem Tod Titos 1980 immer spürbarer. Durch die angewachsenen Auslandsschulden wurde Anfang der 80er Jahre der Würgegriff des Imperialismus immer enger. Die Bürokratie versuchte die Zinsen an die imperialistischen Banken auf Kosten der jugoslawischen Arbeiterklasse zu finanzieren. Das und die sich weiter verschärfenden wirtschaftlichen Probleme führten dazu, dass das Realeinkommen der Beschäftigten zwischen 1979 und 1984 um 34 Prozent sank. Und oft wurden monatelang keine Löhne ausbezahlt. All das hatte unausweichlich zunehmende soziale Spannungen zur Folge. Die jugoslawische Arbeiterklasse nahm die Angriffe auf ihren Lebensstandard nicht passiv hin. Eine die jugoslawischen Republiken und Völker übergreifende Gewerkschaftsbewegung organisierte in den Jahren 1986 bis 1988 Massenstreiks gegen die Politik der Bürokratie, an denen sich hunderttausende Arbeiter beteiligten.

Rückkehr des Nationalismus

Diese erstarkende Arbeiterbewegung empfand die Bürokratie – durchaus zurecht – zunehmend als Bedrohung ihrer Herrschaft. Als Reaktion auf den Kampf der Arbeiterklasse setzten die Bürokraten der verschiedenen Republiken auf den Nationalismus. Um die Arbeiterklasse zu spalten und die bürokratische Macht zu bewahren, wurden die Völker ab 1988/89 systematisch gegeneinander aufgehetzt. Jeweils andere Völker wurden für die wirtschaftliche Misere verantwortlich gemacht. Den Serben wurde eingeredet, die faulen Albaner und die (durch den Kroaten Tito) privilegierten Kroaten seien an allem schuld. Die kroatisch-nationalistische Propaganda macht die faulen Serben (und die anderen südlichen Republiken) für die Lage verantwortlich.

Die sich entwickelnde jugoslawische Arbeiterbewegung war dieser politischen Offensive der Bürokratie nicht gewachsen. Sie hatte ihren Kampf fast ausschließlich auf die ökonomische Ebene beschränkt und verfügte nicht über die Erfahrung und vor allem nicht über eine politische (marxistische) Führung, um eine politische Perspektive zur Bekämpfung des Nationalismus und zum Sturz der Bürokratie zu entwickeln. Die Bürokratie zerfiel entlang nationaler Linien. Die Nationalisten der verschiedenen Seiten (Tudjman, Milosevic etc.), die fast sämtlich aus der Bürokratie kommen, stürzten die Völker Jugoslawiens erneut in Blut und Elend. Auf den Scherben der zerbrochenen übernationalen Arbeiterbewegung der 80er Jahre triumphierte der nationalistische Wahnsinn mit all seinen Folgen: Krieg, Tod, Vergewaltigung, Verstümmelung, Vertreibung, Zerstörung, Hass…

In Kroatien und BiH fanden nationalistische Eroberungskriege statt, in denen jede Seite versuchte, Gebiete mit anderen Bevölkerungsmehrheiten unter ihre Kontrolle zu bringen. In Slowenien und im Kosovo handelte es sich um – von der jeweiligen Bevölkerung überwiegend unterstützte, keinen Anspruch auf andere Mehrheitsgebiete erhebende und deshalb legitime – Kämpfe um das nationale Selbstbestimmungsrecht. In jedem Fall stellt die Bildung von nationalen Kleinstaaten freilich eine Sackgasse dar, die nicht zu mehr Freiheit und sozialer Gerechtigkeit führt, sondern zu neuen nationalistischen Konflikten und zu hilfloser Abhängigkeit von den imperialistischen Staaten, die am Balkan ihre eigenen Interessen verfolgen.

Das westliche Establishment, das heute zwischen scheinheiligem Unverständnis für den balkanesischen Irrsinn und dem Heucheln von Menschlichkeit schwankt, ist für die ganze Entwicklung hochgradig (mit)verantwortlich. Die westlichen Politiker und ihre Auftraggeber in den Konzern- und Bankzentralen haben jährlich Zinsen in Milliardenhöhe aus den Balkanvölkern herausgepresst und damit ganz wesentlich zur Entstehung der ökonomischen Krise beigetragen. Dadurch, dass die Imperialisten durch Druck auf die mit ihnen kooperierenden Bürokraten vor Ort in den späten 80er Jahren die verschärfte Wiedereinführung des Kapitalismus betrieben haben, haben sie die Ausbreitung von Arbeitslosigkeit und Armut vorangetrieben – was für die nationalistische Verhetzung den Boden bereitet hat. Dazu kam außerdem das imperialistische Interesse (vor allem von den imperialistischen Staaten, die sich zu recht unmittelbare Einflusssphären erhofften) an der Zerstückelung Jugoslawiens, weil die kapitalistische Durchdringung und Ausbeutung von Kleinstaaten, die man gegeneinander ausspielen kann, leichter ist. Die sogenannte Anerkennungspolitik Deutschlands und Österreichs zielte auf die Schaffung eines möglichst starken Satellitenstaates Kroatien ab, der als Regionalmacht und deutsch-österreichischer Kettenhund fungieren soll. Das Selbstbestimmungsrecht der mehrheitlich serbisch besiedelten Gebiete in Kroatien wurde dabei gezielt übergangen, die fortgesetzten kriegerischen Implikationen bewusst einkalkuliert. Schließlich wurde BiH von der EU geradezu in die Unabhängigkeit getrieben, wohl wissend, dass das eine extreme Zuspitzung der nationalistischen Konflikte nach sich ziehen würde, wohl wissend, dass der Westen nicht zur versprochenen wirtschaftlichen und militärischen Hilfe für BiH bereit sein würde.

1992 gab es noch einen letzten breiten Widerstandsversuch gegen den beginnenden nationalistischen Wahnsinn in BiH. Im April demonstrierten in Sarajewo an die 100.000 Menschen aus allen Volksgruppen – unter ihnen viele Minenarbeiter aus der Bergbaustadt Tuzla – mit Tito-Bildern und jugoslawischen Fahnen gegen den Nationalismus aller Seiten und gegen den drohenden Krieg. Sämtliche Nationalisten wurden daran gehindert, auf der unter anderem von den Gewerkschaften und von Studentenverbänden organisierten Kundgebung zu sprechen. Doch auch diese Bewegung, die de facto Sarajewo kontrollierte, scheiterte (wie schon die Arbeiterbewegung in den 80er Jahren) an der fehlenden politischen Perspektive und Führung. Nach Angriffen von Nationalisten auf die Demonstration fiel die Bewegung orientierungslos auseinander.

Nach all den nationalistischen Verbrechen und all dem Leid im Zuge des Krieges, nach all den aufgerissenen Gräben zwischen den Volksgruppen, sieht es für einen progressiven Ausweg aus dem Inferno im ehemaligen Jugoslawien, d.h. einen, der nicht auf eine nationalistisch-imperialistische Aufteilung hinausläuft, schlecht aus. Selbst wenn den westlichen Großmächten eine imperialistische Befriedung der Region in absehbarer Zeit gelingen sollte (was keineswegs gesagt ist), würde das Ergebnis von Nationalismus und imperialistischer Balkanpolitik folgendes sein: Die verschiedenen neuentstandenen Staaten würden zerstört, verelendet und völlig ausgeliefert daniederliegen und könnten nur noch um westliche Hilfe betteln. Für die meisten Völker des ehemaligen Jugoslawien würde die Folge – neben all den Nachwirkungen des Krieges – eine weitgehende Abhängigkeit von den imperialistischen Mächten sein. Neben den imperialistischen Konzernen, die in den verwüsteten und krisengeschüttelten Staaten nach Lust und Laune agieren könnten, wären lediglich die nationalistischen Bürokraten und die sie umgebenden Kriegsgewinnler unter den Profiteuren der ganzen Entwicklung. Sie hätten ihre Privilegien und ihre Herrschaft in die kapitalistische Ära hinübergerettet. Eine stabile Befriedung wird der Imperialismus allerdings kaum zustande bringen. Auch wenn einige Länder anfänglich etwas Unterstützung zum Wiederaufbau bekommen, wären durch die Folgewirkungen des Krieges und die Wiedereinführung des Kapitalismus wirtschaftliche und soziale Krisen vorprogrammiert. Die Regimes würden in der Folge erneut versuchen, die inneren Konflikte nach außen zu tragen – nationalistischer Revanchismus würde erneut gestärkt werden.

Eine Zurückdrängung und letztlich Vernichtung des Nationalismus kann nur von einer in die Offensive gehenden und schließlich um die Macht kämpfenden Arbeiterklasse am Balkan (vor allem auch in Serbien und Kroatien) und in ganz Europa ausgehen. Auch wenn diese Kräfte heute schwach sind, besteht die einzige progressive Perspektive dennoch in der Neuformierung der Arbeiterbewegung am Balkan und in der Herausbildung einer internationalistischen Führung. Dabei wäre es durchaus möglich, an bestimmten Traditionen der jugoslawischen Arbeiterbewegung anzuknüpfen: am Internationalismus der frühen serbischen Sozialdemokratie oder an den übernationalen, antinationalistischen und antifaschistischen Elementen des Titoismus. Gleichzeitig ist aber auch ein Bruch mit dem Titoismus notwendig: mit dem stalinistischen Bürokratismus, mit dem Sozialismus in einem Land und mit der friedlichen Koexistenz mit dem Imperialismus. Letztendlich besteht der einzige Ausweg aus dem Teufelskreis von nationalistischem Hass, Aufsplitterung in Kleinstaaten, Armut und imperialistischer Ausbeutung in einer sozialistischen Balkanföderation, wie sie von Tucovic und der frühen Komintern angestrebt wurde – einer sozialistischen Balkanföderation, die sich nicht auf ein Bündnis verschiedener nationaler Bürokratien stützt, sondern auf die Rätemacht der Arbeiterklasse am Balkan.

Der Titoismus erwies sich letztlich als Blockade für die sozialistische Revolution, als Bleideckel, unter dem der nationalistische Hass erneut hervorkroch. Jugoslawien blieb auch nach dem Bruch mit Stalin ein stalinistisches Land, auch wenn die Bürokratie weder im Zuge einer Degeneration des proletarischen Staates wie in der Sowjetunion noch wie in den anderen osteuropäischen Ländern durch die Bajonette der sowjetischen Armee, sondern durch die der eigenen bäuerlichen nationalistischen Befreiungsarmee an die Macht gelangte. In der von der KPJ geführten, überwiegend aus Bauern zusammengesetzten Armee kämpften zwar auch an prominenter Stelle Arbeiter. Ihre politischen Interessen und Kampfmethoden waren jedoch nicht die des proletarischen Klassenkampfes. Sie blieben den ganzen Krieg hindurch und noch mehr danach den bürokratischen Interessen ihrer Führer untergeordnet. Auch wenn die jugoslawischen Arbeiter überwiegend die sozialen Veränderungen nach dem Krieg unterstützt haben mögen, gelang es ihnen niemals, diesen Prozess in die eigenen Hände zu nehmen und politisch abzusichern. Was fehlte, war hier wie in anderen Fällen (siehe China, Kuba, Vietnam) eine revolutionäre Partei als organisierte Führerin und Ausdruck der Interessen des Proletariats. So kann auch der heroische Befreiungskampf der jugoslawischen Massen im Zweiten Weltkrieg nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Titoismus am Ende des Krieges und danach eine bürokratische Herrschaft errichtete, die nur durch die politische Revolution der Arbeiterklasse, durch die Zerschlagung des bürokratischen Staatsapparates und die Errichtung einer Rätedemokratie, überwunden hätte werden können.

Das Ausbleiben dieser politischen Revolution, das Fehlen einer revolutionären Partei ermöglichte es schließlich der Bürokratie, die Konflikte in Folge der kapitalistischen Restauration in Nationalismus und Krieg umzuleiten. Die Zeche dafür zahlen seit einigen Jahren die Arbeiter und armen Bauern Jugoslawiens. Eine stabile und dauerhafte Beendigung der nationalistischen Massaker – und nicht nur eine etwaige imperialistische Befriedung – wird nur möglich sein, wenn es den jugoslawischen Massen und vor allem der Arbeiterklasse erneut gelingt, den Nationalismus zu überwinden, wenn die Arbeiterklasse diesmal aber nicht bei der bürgerlich-demokratischen oder stalinistischen Beschränkung ihres Kampfes stehen bleibt, sondern ihre eigene Herrschaft errichtet – in Form einer arbeiterdemokratisch geplanten Wirtschaft und einer internationalistischen Politik zur internationalen Ausweitung der Revolution. Smrt nacionaliszmu! Sloboda narodu! Radnici nemaju otadzbine! (Die Arbeiter haben kein Vaterland!)

Dieser Artikel von Miodrag Jovanovic und Julia Masetovic ist 1998 in Marxismus Nr. 13 “Revolutionen nach 1945” erschienen.

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Edvard Kardelj, Die Kommunistische Partei Jugoslawiens (Referat auf dem 5. Kongress der KPJ), 1948

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