„Heißer Herbst?“ – SPÖ, ÖGB und Perspektiven des Widerstands – Teil I

Die SPÖ hat mit Rendi-Wagner eine neue – und die erste weibliche – Vorsitzende. Der ÖGB mobilisiert für die KV-Verhandlungen und gibt sich kämpferisch. Steht uns ein „heißer Herbst“ bevor? Wir analysieren die Situation von SPÖ und ÖGB und diskutieren, welche Perspektive es für Widerstand gegen die Angriffe von Regierungen und Herrschenden braucht.

Teil I: SPÖ: neoliberale Modernisierungspartei 4.0

Christian Kern hat mit der Ankündigung als SPÖ-Chef zurückzutreten und als Spitzenkandidat in den EU-Wahlkampf zu ziehen viele überrascht – auch in den eigenen Reihen. Weniger überraschend ist, dass mit Rendi-Wagner als seiner Nachfolgerin, die Richtung, in die sich die SPÖ unter Kern entwickelt hat, weiter fortgesetzt werden wird. Nicht nur, dass es wenig reale Alternativen gab, hat sich  eine Management-Logik in der SPÖ noch weiter festgesetzt. In dieser geht es darum, das „richtige“ Personal zu finden: eine starke Person an der Spitze soll es richten.

Management statt Demokratie

Auf der Pressekonferenz, auf der Kern seinen Rücktritt angekündigt hat, hat er den Großteil der Zeit dazu benutzt zu betonen, wie „demokratisch“ die SPÖ in den letzten Monaten unter seiner Führung geworden und wie wichtig die Basis sei. Sein überraschender Rücktritt, seine Selbstkür zum Spitzenkandidaten der EU-Wahl und das Einsetzen von Rendi-Wagner als neuer Vorsitzender ist genau das Gegenteil dieses inhaltsleeren Gequassels und zeigt wie es wirklich in der SPÖ zugeht. Dass die SPÖ eine durch und durch bürokratische Partei ist, ist dabei weder neu noch überraschend. Neu ist höchstens das Ausmaß der Logik, in die sich die SPÖ selbst hineinmanövriert hat.

Wie in einem Großunternehmen wird nach den Grundsätzen des betriebswirtschaflichen „Change-Managements“ beim Austausch des obersten Managers erstmals umstrukturiert, das Spitzenpersonal ausgetauscht und neue Projekte vorgestellt. Als Quereinsteigerin, die Rendi-Wagner durchaus noch ist, fehlen ihr dabei die Verstricktheit in der Organisation und persönliche Bindungen, was es leichter macht weitreichende und unbeliebte Reformen durchzusetzen. Soweit aus dem ABC des Handbuchs für moderne ManagerInnen. Nach einiger Zeit heißt es dann: „Der/die nächste, bitte!“ und „Die Sintflut hinter mir.“ Besonders skurril ist, dass Rendi-Wagner mit ihrer Funktion als Doppelspitze (Parteivorsitz und Klub-Chefin), das Kurzsche „Erfolgsmodell“ der Übernahme von oben kopiert.

Es würde aber viel zu kurz greifen, die Kritik jetzt nur an Kern und Rendi-Wagner zu richten. Die ganze Situation ist vielmehr grundlegender Ausdruck der Widersprüche, die sich in und für die SPÖ auftun. Die ganze Management-Logik ist die logische Fortsetzung der Politik der neoliberalen Mitverwaltung und Modernisierung, die die SPÖ nun seit Jahrzehnten betreibt. Jetzt aber angepasst an neue Vorzeichen: die autoritäre Wende und die Rechtsentwicklung des Migrationsdiskurses sowie die Offensive der UnternehmerInnen gegen die Sozialpartnerschaft und die Kapitulation der Gewerkschaftsführung all dem gegenüber.

„Weltoffen“ und „modern“ 

Rendi-Wagner personifiziert einen weiteren Schritt in der Entwicklung der SPÖ zu einer „liberalen“ Modernisierungspartei – mit „sozialem Gewissen“. Die neue Chefin wird genau diese Entwicklung weiter vorantreiben. In ihren eigenen Worten: „Mein Anspruch ist, dass die SPÖ noch deutlicher eine weltoffene, moderne Partei wird.“ („Österreich“, 1. Oktober 2018). „Weltoffen“ heißt dabei aber anscheinend nicht offen für Menschen die vor Krieg und Hunger fliehen. Und „modern“ sind wohl die Aufweichung des Kündigungsschutzes für über 50 Jährige und Arbeitszeitflexibilisierungen in der letzten Regierungsperiode der SPÖ.

Für diese Entwicklung spielt auch die zurückgehende Bindung von WählerInnen an die Partei eine wichtige Rolle. Die SPÖ ist über die Gewerkschaften zwar nach wie vor mit der ArbeiterInnenklasse verbunden, diese Verbindung verliert aber aufgrund des Machtverlusts der Gewerkschaften und aufgrund des Verlusts von WählerInnen an die FPÖ an Bedeutung. Die SPÖ versucht nun einen sehr breiten Spagat aufs Parkett zu legen. Einerseits will man WählerInnen, die an die FPÖ verloren gegangen sind ein Angebot machen, indem man dem Rassismus das Wort redet und gleichzeitig einzelne unsoziale Maßnahmen der Regierung kritisiert. Nach dem Motto: Wir sind die wahre soziale Heimatpartei. Andererseits versucht die SPÖ über ein liberales Profil (ehemalige) WählerInnen von Grünen, Neos und Liste Pilz zu gewinnen. Dass dieser Spagat auf Dauer nicht funktionieren kann ist offensichtlich. Für ein Plus in Wahlumfragen könnte es aber zunächst durchaus mal reichen. 

Dass Rendi-Wanger inhaltlich für eine Fortsetzung der Kern-Linie steht, ist sehr schnell deutlich geworden, so etwa in ihrem ersten Interview als designierte SPÖ-Vorsitzende im ORF. Danach befragt, wie sie das Verhältnis zur FPÖ sieht, hat sie einzelne Maßnahmen der Regierung kritisiert, wie etwa die Abschaffung der Aktion 20.000 und den Umbau der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Kritik am Gesetz zum 12h-Tag und am Rassismus von FPÖ und ÖVP gab es keine. Zum neuen Migrationspapier der SPÖ befragt, stellte sie nur klar, dass nach wie vor der Grundsatz „Integration vor Zuzug“ gelte. Der Rest des Interviews waren NLP-getränkte Plattitüden, wie, dass sie nun „das Gespräch“ suchen werde. Selbst fasst sie das alles folgendermaßen zusammen: „Ich möchte der Regierung auch die Hand ausstrecken und sagen, dort, wo ihr gute Arbeit leistet, gehen wir ein Stück des Weges gemeinsam.“ („Österreich“, 1. Oktober 2018)

Wirtschaftsliberal und rassistisch 

Das alles ist nicht überraschend, sondern die Fortsetzung des Weges den Kern mit dem „Plan A“ stark gemacht hat. Wer mit seinen eigenen wirtschaftsliberalen Vorschlägen der neoliberalen Offensive von Schwarz-Blau den Weg geebnet hat, darf sich nicht wundern, wenn man es nun nicht schafft, sich als Opposition zu positionieren. Die SPÖ hat sich dem zunehmend rassistischen Migrationsdiskurs unterworfen – aus Mangel an Alternativen (aus Sicht einer neoliberalen Modernisierungspartei, der es um WählerInnenstimmen geht). Das lässt sich auch daran ablesen, dass die SPÖ ihr Migrationspapier schon fertig hat, das neue Programm aber erst am Parteitag im November beschlossen werden soll. So als würden diese Dinge nicht zusammenhängen. Aber um tatsächliche Verbesserungen für alle in Österreich lebenden Lohnabhängigen geht es der SPÖ ohnehin schon lange nicht mehr.

Bereits in den letzten Wochen hat sich die SPÖ verstärkt versucht als „weltoffene“, „pro-europäische“ Kraft zu positionieren – um damit von der eigenen Unfähig- und Unwilligkeit eine Alternative zur Innenpolitik der Regierung anbieten zu können, abzulenken. Im EU-Wahlkampf, den Kern für die SPÖ anführen wird, wird die SPÖ versuchen, genau auf diese Karte zu setzen und so auch bei kommenden Wahlen in Österreich punkten zu können. 

Feminismus?

Dazu passt auch, dass der Umstand, mit Rendi-Wagner die erste Frau an der Spitze der SPÖ zu haben, als Sieg der Gleichberechtigung verkauft wird. Wie sie selbst sagt, will sie damit ein Zeichen dafür setzen, die gläserne Decke nicht nur in der Wirtschaft zu durchbrechen, sondern auch in der Politik. Dabei sollte nicht verschwiegen werden, dass gerade wirtschaftsliberale Maßnahmen, wie sie die SPÖ seit Jahrzehnten in der Regierung umgesetzt und sie Kern in seinem Plan A auf die Spitze getrieben hat, Frauen besonders stark treffen. Dass Rendi-Wagner für eine Fortsetzung und Intensivierung dieser Linie steht, ist mittlerweile klar. 

Man soll sich auch nicht davon täuschen lassen, dass weibliche Führungspersonen angeblich eine bessere Politik für Frauen machen. Ein einleuchtendes Beispiel, dass diese Identitätspolitik nicht funktioniert, ist der frühere US-Präsident Barack Obama. Black Lives Matter, die Überfüllung der US-Gefängnisse mit AfroamerikanerInnen und Drohnenkriege haben gezeigt, dass Symbolpolitik  nicht vielmehr als eben diese ist. Umso lächerlicher wirken Versuche, Marketinganleihen bei Obama zu nehmen: Alexander Van der Bellen wurde als „Öbama“ verkauft – und hat kurz darauf die Schwarz-Blaue Regierung angelobt. Rendi-Wagner wird derzeit unter dem Hashtag „#YesWePam“ im Internet unterstützt…

Krise und Hoffnung 

Wer tatsächlich an einer Alternative zu Rassismus und den Angriffen der Herrschenden interessiert ist, sollte keinerlei Hoffnung in neues Spitzenpersonal von bürgerlichen, pro-kapitalistischen Partei hegen. Von den Reihen des bürgerlichen Parlaments wird ohnehin keine entscheidende Entwicklung in eine positive Richtung ausgehen. Von Interesse ist die letztlich ziemlich alternativlose Bestellung von Rendi-Wanger zur neuen Vorsitzenden deswegen, weil sie zeigt, wie es um die SPÖ heute bestellt ist. Der SPÖ fehlt es dabei nicht nur an authentischem Führungsnachwuchs aus den eigenen Reihen, der es auch schaffen würde im medialen Spiel zu punkten. Vielmehr ist der SPÖ nach und nach ihr angestammter Platz in der österreichischen politischen Landschaft verloren gegangen.

Das spiegelt sich in internen Spannungen wider, wie sie auch rund um die Bestellung von Rendi-Wagner sichtbar wurden. Das Problem ist dabei viel größer als die Frage, ob sie über (genügend) „Hausmacht“ verfügt oder nicht. Denn auch jede andere Führungsfigur wird sich mit dem Spagat zwischen sozialer Heimatpartei und weltoffener Modernisierungspartei schwer tun. Diese grundlegenden und unlösbaren Widersprüche werden sich früher oder später, in der einen oder anderen Form weiter zuspitzen. Spätestens wird dies bei ausbleibenden Wahlerfolgen oder der nächsten Regierungsbeteiligung eintreten, in die sich die SPÖ unter den Vorzeichen einer aufgekündigten Sozialpartnerschaft begeben müsste.

Update: Kerns Rückzug

In der SPÖ überschlagen sich derzeit die Ereignisse. Zum Zeitpunkt unserer Analyse zur Situation der SPÖ galt noch Christian Kern als Spitzenkandidat der SPÖ bei den EU-Wahlen. Nun wird doch Andreas Schieder statt Kern ins Rennen gehen. Kerns Rückzieher war dabei sicherlich nicht ganz freiwillig. Rendi-Wagner soll ihm, mit dem Argument, dass seine Wahl zum Spitzenkandidaten bei den EU-Wahlen keine ausgemachte Sache sei, einen Verzicht nahegelegt haben. Darin spiegelt sich der Unmut vieler SPÖ-FunktionärInnen über Kerns Alleingang wieder. Gleichzeitig geht es auch darum, der neuen Vorsitzenden Rendi-Wagner Grenzen aufzuzeigen und klar zu stellen, dass sie nicht am Apparat vorbei ihre Entscheidungen treffen kann.

Mit parteiinterner Demokratie hat das aber alles reichlich wenig zu tun. So wurden etwa bei der letzten Präsidiumsklausur einige parteiinterne Reformen, die unter Kern auf den Weg gebracht wurden, bis zum nächsten Parteitag in zwei Jahren aufgeschoben. Dabei geht es unter anderem um eine vorgesehene „Mitgliederabstimmung über Koalitionsabkommen, niedrigere Quoren für die Initiierung von Mitgliederbefragungen sowie die Einschränkung der Anhäufung von Ämtern – Mehrfachbezüge durch Mandate sollten durch höhere Solidaritätsabgaben zurückgedrängt werden“ (orf.at, 8.10.2018). Das alles wird nun erst in zwei Jahren bzw. viel wahrscheinlicher gar nicht kommen.

Die aktuellen Entwicklungen in der SPÖ sind also nicht viel mehr als ein Schritt des führenden Parteiapparats um sich gegen eine Machtverlust – sei es durch den/die Vorsitzende/n oder die Mitglieder – zu schützen. Unterm Strich verweisen diese aktuellsten Entwicklungen auf die Widersprüche, die sich in der SPÖ auftun: Man muss dem Verlust an (Stamm-)WählerInnen etwas entgegensetzen, schafft es aber in der Oppositionsrolle nicht, eine glaubhafte Alternative darzustellen. Die Rahmenbedingungen unter denen die SPÖ die letzten Jahrzehnte – mehr schlecht als recht – funktioniert hat, haben sich verändert: die Sozialpartnerschaft wird durch Regierung und Unternehmen offensiv ausgehöhlt. Dadurch verändern sich auch die Ansprüche an die SPÖ als Partei der neoliberalen Mitverwaltung und Modernisierung.

Statt Hoffnungen zu hegen, dass sich die SPÖ nun doch wieder stärker „ihrer Wurzel“ besinnt, besteht vielmehr die Gefahr, dass kritischere Teile der Partei nun wieder stärker an den Apparat gebunden werden. Ein Teil des „Erfolgs“ der SPÖ ist, dass sie es erfolgreich geschafft hat, größere Abspaltungen oder Brüche zu verhindern. Das „Zurechtstutzen“ von Kern – und damit indirekt auch Rendi-Wagner – soll in diesem Sinne auch intern wieder mehr Ruhe einkehren lassen.