Die „Revolution der Nelken“: Portugal 1974–1976

Als nach dem April 1974 die „Revolution der Nelken“ Portugal erschütterte und die Linke der imperialistischen Länder mit neuer Hoffnung auf die Rückkehr der revolutionären Prozesse nach Europa und eine nicht vom Stalinismus diskreditierte Erhebung des ganzen Volkes erfüllte, standen die sozialdemokratischen Parteien Europas vor einer großen Herausforderung: In Portugal sollte der geordnete Übergang von einer bonapartistischen Diktatur zu demokratischen Verhältnissen vorexerziert werden – wohl nicht zu Unrecht mit Blick auf ein Spanien, in dem die Diktatur Francos sich ihrem unausweichlichen Ende Schritt um Schritt näherte. Gleichzeitig sollte die Kontrolle über den revolutionären Prozeß den bürgerlich-demokratischen Kräften nicht entgleiten und das Ende der Diktatur nicht zu unkontrollierten Eruptionen führen. Portugal war damit in den Konzepten eines modernen Kapitalismus westeuropäischen Zuschnitts als Testfall für bürgerlich-demokratische Lösungen einer revolutionären Situation ausersehen, in der nicht mit militärischen Interventionen und Wirtschaftsboykott, sondern über politischen Druck und ökonomische „Unterstützung“ die entscheidenden Weichenstellungen in der Gesellschaft erreicht werden sollten.

Um es gleich vorwegzunehmen: Das Konzept ist aufgegangen, die „Revolution der Nelken“ konnte auf eine bürgerlich-demokratische Stufe beschränkt werden. Doch die Geschichte der portugiesischen Revolution ist trotz allem ein wichtiges und schönes Lehrbeispiel, sowohl dafür, dass der Elan der Massen nur für eine gewisse Zeit an der Oberfläche die grundlegenden politischen Schwächen einer Bewegung überdecken kann, als auch für die Rolle der bürgerlichen Demokratie und des Reformismus in einer zugespitzten Situation. Wir haben uns nicht zuletzt aus diesen beiden Gründen entschieden, auch das portugiesische Beispiel in unseren Band über die Revolutionen nach 1945 aufzunehmen.

Die Last der Geschichte

Portugal gehört zu jenen Ländern an der Peripherie des Imperialismus, in denen sich die kapitalistischen Verhältnisse nur verspätet und langsam entwickeln konnten. Portugal blieb bis weit ins 20. Jahrhundert ein rückständiges Agrarland, und auch heute noch ist es jenes Land mit der bei weitem höchsten Zahl an Analphabeten in der Europäischen Union (selbst nach offiziellen Zahlen sind es immerhin 15%, nachdem Mitte des Jahrhunderts noch jeder zweite nicht lesen oder schreiben konnte).

Portugal gehört zwar zu den ältesten Kolonialländern, aber die kapitalistischen Verhältnisse konnten sich nur langsam entwickeln, genauer gesagt: der Kolonial-ismus war ein Hemmfaktor der kapitalistischen Produktionsweise. Die portugies-ischen Zentren in Asien und Afrika wurden Umschlagplätze des Sklavenhandels, der Gewürzhandel brachte außerordentlich hohe Gewinne. In den beiden vom Papst abgesegneten Verträgen von Tordesillas (1494) und Zaragoza (1529), mit denen die Welt kirchlicherseits aufgeteilt wurde, wurde Portugal kurzerhand die östliche Hemisphäre, Spanien die westliche zugesprochen.

Aber der auf Gewürz- und Sklavenhandel sowie auf der Einfuhr von Edelmetallen basierende Reichtum wirkte sich auf die Herausbildung kapitalistischer Verhält-nisse negativ aus: Fernhandel und Kolonialraub waren noch allemal einträglicher für die dünne Oberschicht als die Förderung der Binnenwirtschaft. Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts begann mit dem politischen Niedergang die wirtschaftliche Abhängigkeit von England, von der sich das Land bis ins 20. Jahrhundert nicht mehr befreien sollte. Der Schutz portugiesischer Kolonien durch die britische Flotte wurde durch Verträge erkauft, die der englischen Textilindustrie unbeschränkte Absatzmärkte in den Ländern der portugiesischen Krone sicherten – Textilien, später ergänzt von Maschinen und anderen Industriegütern gegen Wein, Kork und Sardinen sollte für Jahrhunderte das Muster der Handelsströme zwischen England und Portugal bleiben. Daran änderten im Grunde auch die Reformansätze in der kurzen Periode des aufgeklärten Absolutismus unter Marques de Pombal (1756-1777) nichts, der als Gegengewicht zum übermächtigen England deutsche Handelsgesellschaften förderte, zaghafte Schritte im Aufbau eigener Manufakturen setzte und mit einer neutralistischen Außenpolitik das Land aus den europäischen Kriegen heraushalten wollte.

Doch in den napoleonische Kriegen wurde Portugal zum Schauplatz des Konflikts zwischen Frankreich und England, das sich seine Hilfe teuer bezahlen ließ: Der nach Brasilien geflüchtete Königshof überließ England die „Befreiung“ Portugals, England erhielt 1810 freien Zugang zu den brasilianischen Märkten – schon vor der formellen Unabhängigkeit der Kolonie Brasilien 1822 wurde dieses damit in den kapitalistischen Weltmarkt unter der Ägide Englands und nicht des formalen „Mutterlandes“ eingegliedert.

Nach der Loslösung Brasiliens kam es zu einer Differenzierung der Interessen in der Handelsbourgeoisie: Ein Teil setzte weiter auf die Ausbeutung der verbliebenen Kolonien (vornehmlich in Afrika), während ein anderer sich stärker auf die Steigerung der landwirtschaftlichen (Export-) Produktion im Mutterland selbst orientierte. Diese Fraktion der entstehenden Bourgeoisie wurde auch zur Triebfeder der bürgerlichen Revolutionen, die – nicht untypisch für die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte – mit einem Armeeaufstand (Porto 1820) und dem Kampf um eine Verfassung eingeleitet wurde. Die Feudalprivilegien wurden aufgehoben, die Kirchenländereien enteignet, die konstitutionelle Monarchie löste den feudalen Absolutismus ab, und die heilige römisch-katholische Kirche musste auf ihr liebstes Kind – die Inquisition – verzichten. Das 19. Jahrhundert sollte aber ein Jahrhundert der Staatsstreiche, ökonomischen Krisen bis zum Staatsbankrott, wechselnder Regierungen und der raschen Abfolge von Absolutisten und bürgerlichen Liberalen an der Spitze des Staates werden.

Wir wollen hier nur dreierlei festhalten, das die Entwicklung im 19. Jahrhundert charakterisiert: Erstens konnte die Differenz in der Bourgeoisie nicht ausgeräumt werden – die Grundfrage blieb die zwischen der Erweiterung des Binnenmarktes oder stärkeres Gewicht auf die koloniale Ausbeutung, was der Wirtschaftspolitik einen sprunghaften, wenig in sich geschlossenen Charakter verleihen musste. Zum zweiten aber führte der Zyklus bürgerlicher Revolutionen nicht zu einer politischen Klärung der Situation – Phasen der konstitutionellen Monarchie wechselten mit denen feudaler Reaktion. Und drittens war als Ergebnis der beiden vorher-gegangenen Faktoren die Monarchie insgesamt sehr labil. Die Krone versuchte sich in einer Achse mit der städtischen Handelsbourgeoisie – auf der Grundlage kolonialer Profite hatte sich eine Handels- und Finanzbourgeoisie herausgebildet – zu stabilisieren und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die verzögerte Entwicklung (all das unter dem Schlagwort des regeneracao) zu beschleunigen.

Portugal versuchte sich der ökonomischen Umklammerung Englands durch die Ausnutzung der Interessengegensätze zwischen Deutschland und England und die Förderung französischer und belgischer Interessen zu entziehen, aber bei der Erschließung der Küstenregion zwischen Lissabon und Porto für eine kapitalist-ische Entwicklung war man wieder auf den Kapitalimport aus England angewiesen. Und auch wenn sich der Kapitalismus ab der Mitte des 19. Jahrhunderts beschleunigte, blieb Portugal trotz allem ein rückständiges Agrarland, das durch die Stagnation der Landwirtschaft schwer getroffen wurde: 1890 waren 60 Prozent der Bevölkerung Kleinbauern. Die Landflucht nahm Massencharakter an, und allein in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wanderten an die 600.000 Portugiesen (bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 5 Millionen) besonders in die USA, nach Brasilien und in die verbliebenen afrikanischen Kolonien aus. Trotz der Abschaffung des Majorats 1863 blieben halbfeudale Ausbeutungsverhältnisse bestehen, wobei sich eine auch für die weitere Geschichte wichtige Differenzierung verfestigte: Im Süden dominierte in der Landwirtschaft der Großgrundbesitz mit einer Masse landloser Ackerproletarier und Tagelöhner, während im Norden Portugals kleinbäuerlicher Besitz prägend blieb.

Demgegenüber blieb das Industrieproletariat vergleichsweise schwach: 1881 waren ca. 180.000 in der Industrie beschäftigt – Heimarbeiter und Handwerker eingeschlossen. Im wesentlichen speiste sich das entstehende Proletariat aus dem Heer der landlosen Bauern aus dem Alentejo, dem südportugiesischen Anbau-gebiet, in denen der Großgrundbesitz dominierte, und blieb auf die am besten erschlossene Küstenregion konzentriert. Um 1900 waren zwar 20% der aktiven Bevölkerung lohnabhängig, aber den Großteil davon stellten landlose Bauern und ländliche Taglöhner, die städtischen proletarischen Schichten blieben minoritär.

Doch mit der beginnenden Epoche des Imperialismus wurde der Rückstand Portugals immer deutlicher auch im Lande selbst bewusst. Parallel mit den An-fängen der Industrialisierung spitzte sich die Krise der Monarchie weiter zu, und auch der Kolonialbesitz büßte seine Funktion als Ventil mehr und mehr ein, da er von zunehmender Unsicherheit vor allem in Afrika durch den Gegensatz mit England geprägt war (im südlichen Afrika stießen die kolonialen Interessen Portugals und Englands direkt aufeinander). In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte sich so eine breite antimonarchistische Massenbewegung, die – von der Mittel- und Großbourgeoisie unterstützt – auch weite Teile der Armee erfasste.

Die Anfänge der Arbeiterbewegung

Der Beginn der portugiesischen Arbeiterbewegung reicht bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts zurück. Wie auch in anderen Ländern standen Vereine zur gegen-seitigen Unterstützung am Beginn, sie blieben bis in die 60er Jahre die vor-herrschende Organisationsform elementaren Klassenbewusstseins. Ab dieser Zeit entstanden Berufsverbände meist anarchosyndikalistischer Prägung, die auch die ersten Arbeitskämpfe führten. Großen Einfluss hatte die Pariser Commune von 1871: Unter dem Einfluss von Emissären der Internationalen Arbeiter-Assoziation konnte noch 1871 die erste Sektion der I. Internationale gegründet werden, 1872 organisierten die 28 Sektionen des Landes bereits 3.000 Mitglieder. 1875 wurde von fortschrittlichen Intellektuellen die Sozialistische Partei gegründet, die – nicht in ökonomischen Kämpfen entstanden – sich vor allem auf Bildungsarbeit und Propaganda in den küstennahen Zentren des Landes konzentrierte. Parallel dazu, aber nicht in enger Verbindung mit ihr, bildete sich um 1900 eine starke Bewegung von Landproletariern im Alentejo im Süden des Landes heraus.

Die Arbeiterbewegung stand aber in den allgemeinpolitischen Zielsetzungen und in ihrer Frontstellung gegenüber der Monarchie unter dem starken Einfluss der Republikanischen Partei (PRP). 1876 entstanden, reichte der Bogen der in ihr vertretenen Strömungen von Jakobinern und bürgerlichen Radikalen bis zu utopischen Sozialisten. Gemeinsam mit den Anarchosyndikalisten wurde der bewaffnete Sturz der Monarchie propagiert. Die PRP wurde schließlich zum Hebel einer breiten antimonarchistischen Front. Nach mehreren anarchistischen Attentaten auf den König (das letzte von 1908 war schließlich erfolgreich) konnte der neue König auch durch Zugeständnisse der Krise nicht mehr Herr werden – 1910 wurde durch eine Militärerhebung der Startschuss zur bürgerlichen Revolution gegeben.

Die Militärs, die unterstützt und angestachelt werden von breiten Volksmassen – also von der Arbeiterbewegung der großen Städte und dem Landproletariat des Alentejo: Dasselbe Grundmuster sollte knappe 70 Jahre später wieder in der Revolution von 1974 auftauchen. Und wie 1910 sollten auch 1974 die ländlichen Gebiete Nordportugals, in der Kleinbauern die sozial dominierende Schicht waren und die katholische Kirche die politische Hegemonie innehatte, von den sozialen Protesten und den politischen Vorgängen nur wenig berührt werden – sie blieben, auch wenn die Revolution auf Landesebene insgesamt erfolgreich verlief, katholisch-konservativ und ein Rückzugsgebiet der Reaktion.

Von ihrem Klasseninhalt her war die PRP eine Koalition der liberalen Mittel- und Großbourgeoisie. Religiöse Orden wurden verboten, der Klosterbesitz säkularisiert, noch 1910 die Trennung von Schule und Kirche, im Jahr darauf die Trennung von Kirche und Staat proklamiert. Bürgerliche Freiheiten wurden verkündet, die Frauen familienrechtlich den Männern und uneheliche Kinder den ehelichen gleichgestellt. Doch die von der PRP dominierte 1. Republik schreckte vor einer konsequenten Agrarreform ebenso zurück wie vor einer Säuberung der Armee und des Staats-apparats von reaktionären Elementen – die Besitzverhältnisse blieben die alten. Der Binnenmarkt blieb klein, die Privilegien der Großgrundbesitzer wurden nicht an-getastet, die konservative Wirtschafts- und Sozialpolitik, die sich kaum von der der verhassten Monarchie unterschied, stand in merkwürdigem Gegensatz zur konsequent antiklerikalen Gesetzgebung, provozierte aber rasch aufkeimende Enttäuschung und Unzufriedenheit des Proletariats und der landlosen Bauern und von Anfang an eine Frontstellung zu den Gewerkschaften und ländlichen Basis-organisationen.

Auch in der Kolonialpolitik – einem besonders augenfälligen Element des Anachronimus in der portugiesische Gesellschaft – gab es keine grundlegenden Veränderungen: Zwar wurde den Forderungen der Klein- und Mittelbourgeoisie nach einem größeren Anteil am kolonialen Extraprofit entsprochen, aber die Grund-struktur der ökonomischen Beziehungen zwischen dem Mutterland und seinen Kolonien blieb trotz Zugeständnissen an das nach Anlagemöglichkeiten suchende Kapital imperialistischer Länder, allen voran britischer und – dem untergeordnet – belgischer Provenienz, erhalten. Diese Struktur war durch drei Faktoren bestimmt: Erstens durch die Abpressung eines extensiven Mehrwerts im Bergbau und der Plantagenwirtschaft. Basis dessen waren die Eingeborenengesetze von 1911,1914 und 1921, die das System der kaum verhüllten Sklaverei durch das der Kontrakt-arbeit ersetzten: Schwarzafrikaner konnten per Gesetz von der Kolonial-administration gewaltsam interniert werden und wurden in der Folge an Plantagen- und Bergwerksbesitzer – nur schlecht als Lohnarbeit getarnt – vermietet.

Zum zweiten durch die Funktion der Kolonien als Absatzgebiete der schwachen und international kaum konkurrenzfähigen portugiesischen Industrie. Die Ver-arbeitung und der Aufbau einer Industrie waren in den Kolonien explizit verboten. Und drittens dienten die Kolonien auch als Auffangbecken überschüssiger Arbeits-kräfte in Portugal – in einem größeren Ausmaß als in den anderen europäischen Kolonialländern waren Portugals Kolonien Auswanderungszentren.

Neben dem ungelösten kolonialen Widerspruch war der Geburtsfehler der portugiesischen Republik für die weitere Geschichte dominant – die PRP war zwar mit Hilfe der Arbeiterbewegung an die Macht gekommen, aber diese blieb von der politischen Macht ausgeschlossen. So kam die PRP nicht nur von der monarchist-ischen, klerikal-konservativen Opposition unter Druck, sondern stand auch unter dem der Arbeiterbewegung und zerfiel Mitte der 20er Jahre, nachdem sich die ungelösten Widersprüche entladen hatten – einerseits in Streikbewegungen, in denen die anarcho-syndikalistische Allgemeine Arbeiterkonföderation (Con-federacao General de Trabalhadores, CGT) sich profilieren konnte, andererseits in Militärputschen. Besonders der überaus unpopuläre Eintritt Portugals in den ersten imperialistischen Weltkrieg fachte die Auseinandersetzungen an.

Gegenüber dem Anarcho-Syndikalismus (1919 ca. 135.000 CGT-Mitglieder) blieb die kommunistische Bewegung eine minoritäre Strömung. 1917 bildete sich unter dem Eindruck der russischen Oktoberrevolution am linken Rand der Sozial-demokratie die Maximalistenvereinigung, aus der 1921 die Portugiesische KP entstand. Die Maximalisten setzten sich das Ziel einer Verbindung der ökonom-ischen proletarischen Kämpfe mit revolutionären Kräften von außerhalb der Arbeiterbewegung, also aus dem Kleinbürgertum, der Intelligenz und der Armee.

Mitte der 20er Jahre wurde klar, dass politische Stabilität unter der Führung der PRP nicht mehr wiederherstellbar war. Aber nicht nur die Basis der PRP schmolz dahin, auch die Arbeiterbewegung war durch eine Führungskrise gekennzeichnet: Der anarchosyndikalistische Einfluss im Proletariat traf sich mit einem un-geduldigen Putschismus linker Republikaner. Terroristische Aktionen sollten das Wiedererstarken reaktionärer Kräfte verhindern. Einerseits sabotierte die CGT-Führung jede Einheitsfront mit den Kräften der (politischen) Linken wie PKP oder SP, andererseits führte die Politik der Roten Gewerkschaftsinternationale (RGI), die in Portugal zur Gründung neuer revolutionärer Gewerkschaften aufrief, zur weiteren Spaltung der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung.

1926 – 1974: ein halbes Jahrhundert portugiesischer Bonapartismus

Insgesamt brachte die 1. Republik Portugal also keine entscheidenden Ver-änderungen der ökonomischen Strukturen und der Besitzverhältnisse, andererseits aber gelang auch keine politische Stabilisierung. Fast jährlich sich wiederholende Putschversuche des Militärs führten 1926 zum definitiven Ende der PRP-Republik. Die Armee übernahm unter General Gomes da Costa die Macht, ihr Anspruch war, „die Nation zu retten vor dem ohnmächtigen und korrupten bürgerlichen Klüngel, der die Autorität des Staates verspielt hatte“.

Der Putsch wurde von den meisten bürgerlich-republikanischen Parteien begrüßt, aber auch von der PKP, die hoffte, dass das Militär nun das angekündigte republikanische Reformprogramm umsetzen werde. Doch im Generalstab war die autoritäre Rechte bereits zu stark. Ausdruck dieser Machtverschiebung im Militär war die Berufung von Salazar zum Finanzminister, der im Sinne der portugies-ischen Bourgeoisie an den Aufbau einer gelenkten Wirtschaft, eines organisierten Kapitalismus, schreiten wollte. Nach einem weiteren internen Putsch innerhalb der Militärführung, aus dem die republikanischen Teile des Militärs geschlagen hervor-gingen, wurden alle demokratischen Parteien und Zeitungen verboten und ein Volksaufstand blutig niedergeschlagen. 1928 wurden Salazar nun endgültig die verlangten Vollmachten im ökonomischen Bereich zugestanden.

Das, was in der Folge als portugiesisches Wunder bezeichnet wurde, bestand im wesentlichen aus dem gelungenen Versuch eines bonapartistischen Regimes, den Staatsbankrott abzuwehren und durch die drastische Kürzung von Sozialleistungen und eine starke Erhöhung der Steuerleistung vor allem der niedrigen Einkommen ein ausgeglichenes Budget zu erstellen.

Trotzdem war man erfolgreich in der Paralysierung der Klassenkämpfe. Das Rezept war denkbar einfach: Politische Repression – verbunden mit einer Sub-ventionierung der Grundnahrungsmittel, womit die Aufrechterhaltung niedriger Löhne ermöglicht werden sollte. Neue Industrien wurden genehmigungspflichtig, die Ausbeutung der Kolonien systematisiert und effektiviert, insgesamt ein System des Protektionismus bei gleichzeitigem Schutz der bestehenden ausländischen Investitionen eingeführt. Ergebnis dessen war zwar eine zunehmende Zentralisier-ung des Bank- und Handelskapitals in den 30er und 40er Jahren, Zwangskartelle und die staatliche Lenkung des Außenhandels waren die Instrumente einer staatskapitalistischen Lenkung der Wirtschaft. Trotzdem gelang auch in Portugal kein nennenswertes Wachstum, von dem erträumten Anschluss an das ökonom-ische Niveau der imperialistischen Kernländer ganz zu schweigen. Portugal blieb auch während der bonapartistischen Salazar-Diktatur ein rückständiges Agrarland mit extensiver Agrarproduktion und einer rückständigen Industrie, deren niedrige Produktivität durch den kolonialen Absatz und protektionistische Maßnahmen abgefangen werden sollte.

Bis nach dem Zweiten Weltkrieg (Portugal konnte sich aus dem Weltkrieg heraus-halten) blieb die Koalition der Interessen von Großbourgeoisie, Großagrariern und Militär erhalten, die auf den extrem niedrigen Löhnen (kompensiert durch die Sub-ventionierung der Grundnahrungsmittel) und der kolonialen Ausbeutung basierte. Während des Zweiten Weltkriegs konnte sich die Salazar-Diktatur auch noch ein kleines Körberlgeld durch Kriegsgewinne (z.B. durch die Vermittlung des Handels zwischen den Kriegsgegnern USA und Deutschland) dazuverdienen.

Der Charakter des Regimes des Estado Nuovo, des Neuen Staates, war ein bonapartistisches Regime mit besonderem Einfluss des Militärs. Auch wenn die Symbolik dem italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus entlehnt war und das Regime mit den Mitteln der politischen Repression und des Terrors bis hin zum Aufbau von KZs funktionierte, handelte es sich doch um kein faschistisches System: Dazu fehlte einfach die Massenbasis und eine in den Massen verankerte reaktionäre politische Bewegung. Der Aufbau von Strukturen wie SA, Hitlerjugend oder BDM als Speerspitze und politische Basis des Regimes scheitert kläglich. Bis 1932 wurden zwar alle Parteien verboten (die SP hält sich am längsten und kommt dem Verbot durch eine Selbstauflösung zuvor), aber auch die dem deutschen und italienischen Vorbild nachempfundene Uniao Nacional als Staats-partei seit 1933 blieb eine in den Massen kaum verankerte Kopfgeburt. Die starke Abhängigkeit von der Armee verhinderte überhaupt allzu weitreichende Versuche, die auf dem Militär basierende Diktatur durch eine klerikale, faschistische Bewegung auf eine breitere Basis zu stellen.

Die Frage Bonapartismus – Faschismus einmal beiseite gelassen, könnte das Regime in seiner Schwäche und seiner ideologischen Stütze, der katholischen Kirche, noch am ehesten mit dem österreichischen Ständestaat verglichen werden (vom Spezifikum, dass in Österreich die Arbeiterbewegung im Kampf besiegt worden war, abgesehen): Selbstregulierung im Berufsstand als Programm, die Konstruktion einer ständestaatlichen Tradition als Versuch von oben, die Klassenkämpfe im Sinne des Kapitals zu kontrollieren. Aber wie auch im stände-staatlichen Österreich war das Ergebnis des Aufbaus nationaler Zwangssyndikate an der Stelle der verbotenen Gewerkschaften durchaus widersprüchlich: In den 40er Jahren sollten die Syndikate zu Keimzellen einer oppositionellen Gewerkschaftsbewegung werden.

Für die Stabilisierung des Regimes war aber das entscheidende Element nicht so sehr die innere Repression mit Streikverbot und staatlichem Terror, sondern der Sieg Francos im Nachbarland Spanien, der auf die Opposition hochgradig demotivierend und desillusionierend wirkte.

Trotzdem kam es nach 1945 zu einem demokratischen Aufschwung, der mit einem vorsichtigen Kurswechsel des Regimes zusammenhing: Die Diskussion in der portugiesischen Bourgeoisie, die bis 1974 anhalten sollte, war im Grunde die zwischen zwei Optionen: Einerseits der einer verstärkten kolonialen Ausbeutung, ideologisch unter dem Schlagwort der Wiedererrichtung eines Lusitanischen Reiches verbrämt, und andererseits der einer beschleunigten Industralisierung mit Hilfe, aber unter klarer Unterordnung unter die westlichen bürgerlichen Demo-kratien. Letztere Option wurde schleichend und unter hinhaltendem Widerstand des kolonial geprägten Militärs und großer Teile des Agrarkapitals die dominierende.

Das Salazar-Regime setzte ab 1945 auf eine vorsichtige Öffnung hin auf die westlichen Demokratien, für die Portugal vor allem wegen seines kolonialen Besitzes interessant war. So trat Portugal 1949 der NATO, 1955 der UNO und 1961 dem IWF, der Weltbank und der EFTA, der britisch geführten Freihandels-konkurrenz zur EWG, bei. Portugal hoffte trotz steigender Auslandsinvestitionen (auch im kolonialen Sektor) vergeblich auf eine beschleunigte Industralisierung (die Fortschritte hier blieben bescheiden), vor allem aber konnte die Agrarkrise nicht gelöst werden – das Grundmuster, soziale Probleme vor allem über eine forcierte Politik der Auswanderung in die Kolonien zu lösen, blieb erhalten und überlagerte die strukturellen Defizite Portugals.

Besonders der EFTA-Beitritt 1961 war hier eine wichtige Richtungsentscheidung: Während der EG-Beitritt wegen der Option auf eine politische Integration kaum in Frage kam und die losere EFTA hier dem Salazar-Regime noch eher entgegenkam, war dieser Beitritt doch wegen der Entscheidung, nicht mehr auf eine protektionist-ische Abschottung zu setzen, enorm wichtig.

Mit dem 2. Fünf-Jahres-Plan (1958-1963) wurde die Europa-Orientierung ver-stärkt, die vor allem von der Schwerindustrie und dem Handelskapital forciert wurde. Für die zunehmende Dominanz dieser auf ein Ende der Abschottung gerichteten Strömung innerhalb des Regimes und innerhalb der Bourgeoisie waren daneben aber auch die sich verstärkenden Probleme in den Kolonien selbst verantwortlich, so vergrößerte etwa die 1956 gegründete angolanische nationale Befreiungsbewegung MPLA (Volksbewegung zur Befreiung Angolas) ihren Aktionsradius.

Vor diesem Hintergrund drängte das Finanzkapital auf eine Entkolonialisierung, und auch die NATO gab zwar Militärhilfe (seit 1961 gehörte die BRD zu den Hauptwaffenlieferanten Portugals), drängte aber wie die EWG auf eine politische und wirtschaftliche Öffnung Portugals. Das Regime sollte – demokratisch gewandet – zwar als Submetropole unterstützt werden, aber um den Preis einer Aufgabe des Protektionismus und einer konsequenteren Öffnung gegenüber dem Westen.

So waren die 60er Jahre von einer weiteren Stärkung der Europa-Fraktion begleitet. Portugals Wachstumsraten waren hoch, aber auch die Abhängigkeit vom Ausland stieg. 1965 wurden die Beschränkungen für Auslandsinvestitionen aufgehoben, wovon vor allem Deutschland, Großbritannien und die USA profitierten. Parallel dazu verschärfte der Krieg in den Kolonien, der sich in Angola, Mozambique, Guinea-Bissao und den anderen Überseegebieten entwickelt hatte, die Widersprüche. Zur selben Zeit begannen Deutschland und die anderen imperialistischen Zentren billige ausländische Arbeitskräfte anzuwerben, was Portugal eine massive Auswanderungswelle – nun nicht mehr nach Afrika, sondern nach Mitteleuropa – bescherte: Deutschland oder der sechsjährige Militärdienst in den Kolonien hieß für viele die Alternative, was dazu führte, dass zwischen 1950 und 1970 etwa 2,5 Millionen Auswanderer registriert wurden, was bis zu einem Drittel der Arbeitskräfte Portugals entsprach.

Wie aber entwickelte sich die organisierte Opposition? Diese blieb seit der Niederlage der Republik Ende der 20er Jahre isoliert und zersplittert. Die stärkste Kraft war die PKP, die auch den höchsten Blutzoll zu entrichten hatte. Dass sich aber trotzdem die Diktatur überlebt hatte, dafür waren ein erstes weithin sichtbares Indiz die Präsidentenwahlen von 1958, die als demokratische Legitimation gedacht war. Von 5 Millionen erwachsenen Portugiesen hatte zwar nur eine Million über-haupt das Wahlrecht, trotzdem konnte der Kandidat einer oppositionellen Sammel-bewegung, Portugals jüngster General, Humberto Delgado (er wurde 1965 in Spanien vom Geheimdienst ermordet), als einziger Gegenkandidat zum Kandidaten des Regimes, Admiral Thomas, immerhin fast ein Drittel der Stimmen auf sich vereinigen.

Das war nicht nur ein Indiz für die Stimmung im Lande, sondern auch für die Stimmung im Militär, die sich nach der verlustreichen Niederlage in Goa (Indien) 1961 noch weiter zuungunsten der herrschenden Fraktion des Regimes verschob. Die 60er Jahre in Portugal erwiesen sich politisch als instabil, von der Arbeiter-klasse, die die Anerkennung gewählter oppositioneller Leitungen in den Syndikaten durchsetzen konnte, über die Studenten und das Militär, ja bis hinein in die Kirche, regte sich der Widerstand. Und parallel zur stärkeren Integration in den imperialistischen Raum wurde das Gewicht des Exils stärker und stärker.

Für das Militär besonders bitter war, dass der Kolonialkrieg trotz der Bindung großer Kräfte einfach nicht mehr gewonnen werden konnte: In Angola standen um die 80.000, in Mozambique ca. 60.000 und im kleinen Guinea-Bissau 30.000 Soldaten, trotzdem konnte die Ausweitung zu einem Guerilla-Krieg nicht verhindert werden.

Unter Caetano, dem Nachfolger Salazars, versuchte das morsche Regime, das sich selbst überlebt hatte, ein letztes Mal eine Erneuerung in der Kontinuität: mehr Freiheiten für die Kolonien, eine Lockerung der Zensur, Generalamnestie für oppositionelle Studenten sollten die soziale Basis erweitern und die Modernisierungsfraktion stärken. Der III. Entwicklungsplan (1968-1973) forcierte die Industrialisierung, um für ein Näherrücken an Europa, zu dem es keine Alternative mehr gab, ökonomisch gewappnet zu sein.

Das Hauptproblem blieb aber der seit 1961 andauernde Kolonialkrieg, die Schlüsselfigur wurde immer mehr General Spinola, der 1974 noch eine wichtige Rolle spielen sollte. Die Afrikanisierung der Verwaltungen blieb eine Illusion, 1972 proklamierte die nationale Befreiungsbewegung PAIGC (Afrikanische Partei der Unabhängigkeit von Guinea-Bissao und den Kapverden) die Unabhängigkeit in Guinea-Bissao – ein Schritt, der vom Imperialismus nicht mehr bekämpft, sondern auf den 1973 mit Aufnahme in die UNO reagiert wurde. Portugal versuchte zwar noch, den Kolonialkrieg zu internationalisieren und die NATO für eine Fortführung des Krieges zu gewinnen. Auslandskapital strömte nun zwar noch stärker in die Kolonien (etwa beim Bau des Cabora-Bassa-Staudamms in Mozambique), aber die Internationalisierung des Krieges, die letzte Chance, die Niederlage abzuwenden oder zumindest hinauszuzögern, misslang.

Am Vorabend der Revolution

Im Grunde gab es unter Caetano immer noch die zwei Strömungen in der Bourgeoisie mit ihren beiden Entwicklungsmodellen für den portugiesischen Kapitalismus, zwischen denen schon sein Vorgänger Salazar gependelt war: Einerseits die Europäer, die eine engere Anbindung an Europa, konkret an die EWG/EG, forcierten, und zweitens die Afrikaner, die auf eine Vereinheitlichung Metropole – Kolonien abzielten. Die ersteren konnten sich darauf stützen, dass in den 60er Jahren eine relevante Industriebourgeoisie sich entwickelte, die ein wirkliches Interesse an einer EG-Anbindung hatte.

Diese beiden Strömungen reflektierten nichts anderes als die objektive Situation des portugiesischen Kapitalismus als das eines unterentwickelten Landes mit einem hochkonzentrierten Industriebereich, der mit dem internationalen Kapital verbunden und in den Großräumen Lissabon und Porto konzentriert war, einer Vielzahl von international nicht konkurrenzfähigen Klein- und Kleinstbetrieben und einer wenig produktiven Agrarwirtschaft mit Latifundien im Süden und kleinbäuerlichem Besitz im Norden. Diese drei Bereiche waren aber nur wenig miteinander verflochten. Und schließlich als Besonderheit die Tatsache, dass dieses unterentwickelte Land auch noch Kolonialmacht ohne Chance auf eine selbstbestimmte neokoloniale Lösung war.

Trotzdem war Portugal attraktiv für das Auslandskapital: Der repressive Staat garantierte politische Stabilität und ein niedriges Lohnniveau. Allerdings war gerade die politische Stabilität durch die Politik des Regimes in Gefahr – Ende der 60er Jahre eskalierten die sozialen Konflikte, was vom Imperialismus als Alarm-signal gewertet wurde. Dazu war Portugal als Rohstofflieferant interessant und nicht zuletzt für den boomenden Massentourismus. Für die USA war Portugal als relativ geschützter Binnenmarkt im EFTA-Raum als Sprungbrett für die EFTA und in weiterem Sinne ins Europa der EWG/EG interessant. Anfang der 70er Jahre kamen drei Viertel der Auslandsinvestitionen aus vier Ländern: Großbritannien, USA, BRD und Belgien, ein weiteres Fünftel aus Frankreich, Spanien, Schweden, der Schweiz und den Niederlanden. In den Kolonien war auch südafrikanisches Kapital wichtig. Auf diese Interessenkonstellation bauten die Europäer, die die Strategie des Subimperialismus einschlagen wollten, ihr Entwicklungsmodell. Beide Wege waren aber de facto mit dem politischen Modell Portugals, einem erneuerten, aber nach wie vor autoritären Bonapartismus, nicht wirklich gangbar:

Objektiv war das Gewicht der Kolonien für die portugiesische Wirtschaft ab den 20er Jahren stark zurückgegangen, und die politische Instabilität ließ eine Konzentration auch der Hauptströmung der Bourgeoisie auf die Kolonien nicht gerade ratsam erscheinen. Überhaupt waren die Kolonien nur für die Land-wirtschaft, die Textilindustrie und andere traditionelle Industrien in Portugal (die wegen ihrer Rückständigkeit in der EG und der EFTA nicht konkurrenzfähig waren) von Interesse. Für einen neokolonialen Ausweg war aber der portugiesische Kapitalismus zu schwach, um der internationalen Konkurrenz standhalten zu können. Und der Kolonialkrieg führte zu einer außenpolitischen Isolierung Portugals, verschlang 40% des Staatseinkommens und führte das ärmste Land Westeuropas an den Rand des Staatsbankrotts.

Andererseits waren die Europäer nicht in der Lage, dem Druck aus Europa politisch, aber auch ökonomisch standzuhalten. Ökonomisch war nämlich die Modernisierung nur ein bedingter Erfolg. Und politisch konnte die Zensur zwar die Einfuhr ausländischer Zeitungen verhindern, aber das Heer der Gastarbeiter, das in die Hunderttausende, ja Millionen ging, konnte nicht wirklich von Portugal ferngehalten werden und brachte die modernen Ideologien eines sozialdemokratisch regulierten Kapitalismus im Urlaub mit zurück in die alte Heimat. Ein aussichtsloser Kolonialkrieg einerseits, die wachsende Kraft des Ideologieimports aus den fortgeschrittenen Staaten Europas und eine nicht aufgegangene Modernisierungsstrategie andererseits, das war die ausweglose Situation um 1970, die zu einer Erosion und Aushöhlung des Regimes führte.

Vor diesem Hintergrund versuchten die technokratischen Europäer eine Offensive mit bürgerlich-liberalen Ideen – und scheiterten 1972/1973. Die Folge war ein härterer Kurs in der Innen- und Sozialpolitik, aber auch ein allerletzter Ver-such, die Initiative in den Kolonialkriegen wieder an sich zu reißen. Damit aber war 1973/1974 eine Umgruppierung der Klassenallianzen in Portugal selbst verbunden.

Im Jänner 1974 scheiterte Caetano mit einem letzten Vermittlungsversuch zwischen Europäern und Afrikanern – oder anders gesagt zwischen denen, die sich mit einer untergeordneten Stellung als abhängiger Subimperialismus im Rahmen einer (europäischen) Arbeitsteilung abgefunden hatten, und denen, die an die Hoffnung eines wiedererstarkenden eigenständigen portugiesischen Imperialismus, der sich auf seinen Kolonialbesitz stützen sollte, klammerten. Beide Kräfte blockierten einander, ohne eine Lösung zugunsten der einen oder der anderen Strömung herbeiführen zu können. Die Generäle unter Spinola begannen sich auf einen gewaltsamen Sturz des Caetano-Regimes zu orientieren, um den Weg zur Lösung der Kolonialfrage und hin auf eine EG-Assoziierung freizumachen. Das Militär orientierte sich an Spinola, die Bourgeoisie am Militär. Sowohl die NATO, als auch die entscheidenden Wirtschaftskreise waren davon informiert.

Die Basis des Regimes zersetzte sich, indem Kleinhändler, die städtischen Mittelschichten, Intellektuelle und Studenten, Teile der Kirche und weite Offiziersschichten in Opposition traten. Die letzten Stützen waren die Polizei und die Geheimpolizei PIDE, durch deren Kerker etwa ein Zehntel der erwachsenen Bevölkerung gegangen sein dürfte.

Gleichzeitig aber gruppierte sich auch die internationale Strategie der Imperialisten in Bezug auf Portugal um. Einerseits stieg das strategische Gewicht der Kolonien im südlichen Afrika, andererseits wollte aber in Zeiten der Entspannungspolitik zwischen den USA und der UdSSR auch die USA nicht unbedingt in einen als verloren eingeschätzten Kolonialkrieg hineingezogen werden. Deshalb das NATO-Ja zu einer Orientierung auf einen Putsch.

Auch in der BRD als der ökonomischen Hauptmacht der EWG/EG kam es zu einem Umdenkprozess. Die BRD orientierte sich stärker auf Alternativen zu einer militärischen Intervention oder politisch/militärischem Druck auf Portugal. Klar war, dass am Südwestrand Europas ein Land, das in politische Instabilität und den Staatsbankrott zu schlittern drohte, auf Kurs gebracht werden musste. Das westdeutsche und in seinem Gefolge das westeuropäische Kapital legte sich nun auf eine Kombination von politischem Druck über Entwicklungshilfe-Programme, staatlich vermitteltem Kapitalexport und humanitärer/infrastruktureller Hilfe fest.

Genau das aber führte zu einem politischen Problem, das die Theoretiker der Volksfront, des Hauptangelpunktes der PKP-Politik, nicht zu lösen vermochten. Die Volksfront-Politik ging ja auch in Portugal davon aus, dass die “nationale” Bourgeoisie ein Interesse an größerer nationaler Unabhängigkeit und an der Abgrenzung von imperialistischen Einflüssen haben müsse. Daher sei ein Block mit der nationalen Bourgeoisie möglich. In Portugal aber war die Bourgeoisie – oder genauer gesagt, jener dominierende Teil der Bourgeoisie, der sich nicht über koloniale Extraprofite definierte – gerade nicht Anhänger protektionistischer Maßnahmen und nationaler Losungen, sondern für eine Öffnung des Landes, für eine stärkere Anbindung an den Imperialismus, vorrangig also für eine EG-Integration. Genau daher mussten alle Volksfront-Strategien umso mehr ins Leere stoßen, da die portugiesische Bourgeoisie bis weit in die Mittel- und Klein-bourgeoisie hinein als einzigen Ausweg zu einer Neuauflage kolonialer Abenteuer eine Integration in Europa (oder konkreter: eine Anbindung an den Imperialismus als dessen Juniorpartner) sah, auch wenn das den Sturz des Caetano-Regimes bedeuten sollte.

Im Frühjahr 1974 sahen die Besonderheiten der portugiesischen Klasseninteressen demnach so aus: Auslöser für die Einigung der Opposition war der erfolglose Abwehrkampf gegen die kolonialen Befreiungsbewegungen, die Bourgeoisie sah das Scheitern des von oben initiierten Transformationsprozesses, gleichzeitig war die Arbeiter- und die landproletarische Bewegung vom Verrat der bürgerlich-demokratischen Bewegung, der PRP, und davon geprägt, dass es in der Geschichte Portugals nie eine sozialreformerische Phase gegeben hatte. Dazu kamen die ideologischen Einflüsse eines westeuropäischen Proletariats, das sich in einer sozialreformerisch geprägten Linksbewegung (1968 war auch in Portugal als Nachhall spürbar!) befand. Und das Militär war von einem zermürbenden, aber aussichtslosen Abwehrkampf in den Kolonien, in den es vom Regime hineingehetzt worden war, demoralisiert.

Die Klassenallianz von 1974 bewegte sich also auf extrem dünnen Eis, das mit den drei Schlagworten des Entkolonialisierens, Demokratisierens und Entwickelns umschrieben werden kann. Im wesentlichen standen sich zwei Konzepte diametral gegenüber: Einerseits der Entwicklungsplan der Bourgeoisie, andererseits das den Konzepten der PKP entlehnte Konstrukt einer national-demokratischen Revolution. Unter anderen Vorzeichen konstituierte sich also der Gegensatz zwischen den eine Integration in den Imperialismus forcierenden “Europäern” und den “Afrikanern”, die auf die eigenen Kräfte setzen wollten, von neuem.

Die Revolution der Nelken

Seit Ende 1973 hatten sich die Militärs um Spinola auf einen Putsch orientiert, Anfang 1974 wurde die Bewegung der Hauptleute (MFA) um Spinola, Costa Gomes und Melo Antunes gegründet. Der Putsch vom 25. April 1974 wurde ein voller Erfolg: Caetano, der wie die NATO über die Putschpläne informiert war, gab die Macht an Spinola ab und ging nach Brasilien ins Exil.

Die politischen und ökonomischen Ziele der Verschwörer waren alles andere denn weitreichend: Die nach dem Putsch gebildete Junta zur Nationalen Errettung hatte nicht vor, offensiv gegen die überkommenen Besitzstrukturen vorzugehen: Portugal war in den Händen von acht Clans, ungefähr 200 Familien; von den 186 großen Industrieunternehmen Portugals waren 40% in der Hand von drei Gruppen (Melos, Sacor und Champalimaud), die restlichen 60% wurden von drei anderen Gruppen, die fest mit den Banken verbunden waren, dominiert: Borges, Portugues Atlantico und Espirito Santo. Allein der Umsatz einer Industriegruppe der Familie Melos machte 1973 etwa 7 bis 8% vom Gesamtumsatz der Industrie aus.

Drei Prozent aller Grundbesitzer verfügten über 61,3% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche, dafür besaßen von 800.000 Landarbeitern 700.000 weniger als 5 Hektar. Besonders stark war das Stadt-Land-Gefälle. Nur 0,8% der Landbevölkerung verfügte über mittlere und höhere Schulbildung, die Analphabetenrate in einzelnen ländlichen Provinzen betrug bis zu 75%, für Schulbildung wurden lediglich 1,4% des Bruttonationalprodukts ausgegeben. Elektrizität gab es nur für 20,7% der Haushalte.

So war es kein Wunder, dass die begrenzten Ziele der Junta mit den Interessen breiter Schichten der Bevölkerung nach Veränderung zusammenstießen. Und so wurde aus der Offiziersverschwörung als Kopf eines Militärputsches eine nicht gewollte Volkserhebung.

In der ersten Proklamation der Junta im Radio Club Portugues, am 25.4.1974 um 4,25 Uhr morgens, hatte es noch geheißen: „Hier ist die Bewegung der Streitkräfte und verkündet den Ausnahmezustand: Wer zu Hause ist, soll zu Hause bleiben. Wer auf der Straße ist, soll zurückgehen nach Hause. Wer ein Geschäft hat, soll es nicht öffnen. Diese bedeutende Stunde, in der das Volk sein Land wieder in Besitz nimmt, darf nicht durch Zwischenfälle überschattet werden. Wir bitten das Volk um Umsicht.“

Noch schöner drückte es Hauptmann Maia, der zu den Führern des Offiziersputsches gehört hatte, aus: „Wir sind zu der Schlussfolgerung gelangt, man muss etwas machen, denn wenn wir es nicht gemacht hätten, hätte es die Bevölkerung selbst gemacht. Wir hatten das Gefühl, dass wir uns auf dem Weg in einen Abgrund befinden, und dass dieser in einem Bürgerkrieg bestehen würde, in dem das Volk die Waffen ergreift. Da erschien (…) General Spinola, der ja großes Ansehen hat. Wir hatten die Gewissheit, dass die Revolution mit diesem Mann nicht das Werk der Straße sein würde.“

Spinola stand also dafür, einem Aufschwung der Massenbewegung, durch die Aussichtslosigkeit der portugiesischen Kolonialambitionen hervorgerufen, mit einem Offiziersputsch zuvorzukommen. Und er stand für selektive Demokratisier-ung, wobei die Bevölkerung von diesem Prozess als aktiver Faktor ausgeschlossen bleiben sollte. Genau dies war auch der Punkt, der der MFA die Unterstützung von Bourgeoisie im Inneren, aber auch von NATO und EWG/EG von außen sicherte. Das Volk sollte auf die MFA, die an seiner statt zu handeln gedachte und sich als Verkörperung des Volkes betrachtete, vertrauen und auf die Wahlen zur konstituierenden Versammlung warten. Die Nelke im Gewehrlauf, das Symbol der Revolution, war gleichzeitig auch ein Symbol dafür, dass das Militär nicht daran dachte, die Basis der Revolution auf die zivilen Schichten des Proletariats und der Landarmut auszudehnen. Die Nelke im Gewehrlauf quasi als Symbol für den Substitutionalismus als Programm, nicht nur als Zeichen der Verbrüderung von Volk und Armee.

Aber die Massenbewegung ging sehr bald über die engen, von der MFA gezogenen Grenzen hinaus: Ohne die Erlaubnis der neuen Regierung, der Militär-Junta, abzuwarten, wurden Mitglieder der verhassten Geheimpolizei PIDE und bekannte Denunzianten gejagt, von denen auch einige in offener revolutionärer Selbstjustiz getötet wurden, bevor das Militär sie durch deren Verhaftung vor der wütenden Menge in Sicherheit bringen konnte. Tausende zogen durch die Straßen der Städte, die Regierung versprach zwar die Freilassung der politischen Gefangenen, aber die Massenbewegung in Lissabon erzwang eine Beschleunigung des Prozesses: Trotz aller Aufrufe zur Besonnenheit versammelten sich z.B. vor dem berüchtigten Caxias-Gefängnis 5.000 und forderten die Freilassung aller Häftlinge.

Bereits am 29. April wurden alle politischen Gefangenen amnestiert, die Nationalversammlung und der Staatsrat aufgelöst, hohe Beamte des Caetano-Regimes abgesetzt, die Regierungspartei Nationale Volksaktion verboten. Zur ersten Kraftprobe zwischen der sich entwickelnden Massenbewegung und der neuen Regierung wurde der 1. Mai: Die MFA wollte zwar die Frage, ob der 1. Mai nun als arbeitsfreier Feiertag begangen werden oder normaler Arbeitstag wie jeder andere auch bleiben sollte, an die unabhängige, über den Klassen thronende Justiz delegieren, die eine ausgewogene Entscheidung fällen sollte. Aber ohne deren Spruch abzuwarten, gingen allein in Lissabon ca. eine Million auf die Straße, eine machtvolle Manifestation dafür, dass ein revolutionärer Prozess mit zu bloßen Zuschauern degradierten Massen nicht auf Dauer durchzuhalten ist. Noch zusätzliche Brisanz erhielt der 1. Mai dadurch, dass die Führer von KP und SP, Cunhal und Soares, knapp vor dem 1. Mai nach Portugal zurückkehrten und schon allein durch ihre physische Präsenz den Wunsch des Proletariats ausdrückten, die Veränderungen in Portugal zumindest mitzubestimmen.

Die Generäle um Spinola und deren politisches Programm standen also von Anfang an in einem unauflösbaren Widerspruch zu den sich entwickelnden sozialen Bewegungen, die bald schon über die engen, von der Junta gesteckten Grenzen hinaustrieben. Gleichzeitig aber wurden auch völlig widersprüchliche Erwartungen an sie geknüpft: Einerseits wollte ein Teil der Bourgeoisie nichts anderes als Kontinuität, die eben mit Caetano nicht mehr gesichert schien, andererseits aber wollte ein Großteil der westeuropäischen Imperialismen und ein anderer Teil der Bourgeoisie auch einen geordneten, aber klaren Bruch mit der Vergangenheit und einen Übergang zu bürgerlich-demokratischen Verhältnissen herbeiführen, um die für eine EG-Integration notwendigen Veränderungen abzusichern. Zwischen diesen drei Polen sollten in den kommenden Monaten die MFA-Offiziere schwanken – einerseits der Massenbewegung der Zentren und zunehmend auch des Land-proletariats, zum zweiten dem Wunsch eines Wechsels als Garanten der Fortführung des bisherigen Weges, und drittens dem Ziel, Portugal sozusagen eurofit zu machen.

In der Kolonialfrage war der Spinola-Flügel ebenfalls zum Lavieren gezwungen. Ohne ein klares Programm in der Kolonialfrage, sollten die Verhandlungen mit den Befreiungsbewegungen, zu denen keine Alternative mehr gesehen wurde, vorerst einmal hinausgezögert werden. Ansonsten erschöpfte sich das Programm der MFA auch hier auf das Credo, das die Innenpolitik beherrschte: Ruhe und Ordnung bewahren, um damit die aufbrechende soziale Frage zu kontrollieren.

In den ersten Wochen nach der Revolution der Nelken bildete sich das portugiesische politische Spektrum, das über lange Jahre im Exil und nur sehr beschränkt in der Illegalität existiert hatte, auf legaler Basis und mit Massencharakter um: Neben den Parteien, die in den Traditionen der Arbeiterbewegung standen, KP und SP, bildete sich als bürgerliche Partei die PPD (Partido Popular Democrático – Volksdemokratische Partei), die auf oppositionelle Technokraten und die Europa-Fraktion unter Caetano zurückgriff.

Besonders in den ersten Wochen und Monaten war das Netz der politischen Parteien (mit der realtiven Ausnahme der KP) vor allem außerhalb der Zentren noch sehr weitmaschig. Als Repräsentanten der Massenbewegung erwiesen sich daher in den ersten Tagen nach dem 25. April nicht Parteien, sondern Einheitskomitees und die ehemaligen Wahlkommissionen (CDEs). In ihren Stadt-vierteln, Städten und Kreisen organisierten sie die Absetzung der Repräsentanten des gestürzten bonapartistischen Regimes, an deren Stelle Kommissionen traten, die die Geschäfte der Gemeinde bis zu allgemeinen Wahlen führen sollten und auf Massenversammlungen gewählt oder bestimmt wurden. Allerdings blieb der Norden Portugals von dieser Bewegung weitgehend unberührt. Das sollte noch den weiteren Gang der Revolution entscheidend beeinflussen, dort fand eine Säuberung nicht bzw. nur sehr eingeschränkt und verspätet statt, und eine politische, nach links weisende Massenbewegung konnte sich nicht entwickeln und festigen – der katholische Klerus und die örtlichen Honoratioren des alten Regimes konnten ihre Machtpositionen weitgehend intakt erhalten.

Politisch sammelten sich die Wahlkommissionen in der MDP, der Portugiesischen Demokratischen Bewegung, die in den Anfängen der Revolution eine wichtige Rolle als Organisatoren der Massenbewegung spielten. In der MDP arbeiteten nicht nur Vertreter der SP, KP und der bürgerlichen PPD, sondern auch viele Parteiungebundene, Intellektuelle, Arbeiter, Hausfrauen etc. Und aus der MDP entwickelte sich als Abspaltung die linkssozialistische MES, die Bewegung der Sozialistischen Linken, die anfänglich über relativ breiten Einfluss verfügte.

Damit hatte sich in wenigen Wochen ein breites ziviles Spektrum der nach-revolutionären Gesellschaft etabliert, das die MFA immer wieder vor die Frage stellte, wie weit sich die Offiziere nun in das politische Tagesgeschehen einzumischen gedächten. Ursprünglich war die MFA ja angetreten, um möglichst ohne Brüche den Weg zu einem zivilen Parteiensystem zu ebnen und sich aus dem politischen Tagesgeschehen so weit wie möglich herauszuhalten. Doch die politischen Interessen der Massenbewegung und der Parteien kollidierten immer stärker mit den Ambitionen der MFA, die in die politischen Konflikte hinein-gezogen und auch immer wieder als quasi-neutraler, über den Parteien stehender Richter anerkannt wurde – eine Rolle, in der sich das Militär natürlich gefallen musste. Die entfaltende Massenbewegung musste also ihre Fortsetzung in einer Diskussion über die weitere Strategie auch in der Armee finden.

Was für die Armee die Lage aber noch weiter komplizierte, war, dass die Unterstützung der Bourgeoisie ja von einem der Hauptziele der MFA abhängig war, nämlich Ruhe und Ordnung zu bewahren. Und genau das war immer weniger durchzuhalten. Besonders beunruhigend musste sein, dass die Arbeiter in den Fabriken die Initiative ergriffen: Streiks um höhere Löhne, Fabriksbesetzungen und vielfältige Formen der Arbeiterkontrolle weiteten sich im Frühsommer 1974 stark aus. Die Führung dieser Ansätze von Rätestrukturen hatten in der Regel oppositionelle Betriebs- und Gewerkschaftskomitees. Ansatzweise bestimmten die Kommissionen über Produktion, Anstellung und Entlassung, in einem Fall wurde ein Manager, der sich mit dieser Situation nicht abfinden wollte, aus dem Fenster geworfen. Und auch von den Landbesetzungen im Süden, die sich etwas zeitverschoben entwickelten, wird noch die Rede sein. Was die Bourgeoisie verhindern wollte, passierte also doch: Die Diktatur, bis ins Mark verfault, wurde von den Massen hinweggefegt, der Sturz der Diktatur konnte nicht aufgefangen werden, sondern brachte den Staatsapparat für immerhin fast zwei Jahre gehörig aus dem Lot.

Der weitere Verlauf der Revolution kann grob mit der Abfolge der jeweiligen Regierungen charakterisiert werden, im wesentlichen gehen wir dabei von sechs Phasen der portugiesischen Revolution aus. Im folgenden wollen wir nun kurz diese Phasen der Revolution in Portugal nachzeichnen und danach auf spezifische Fragestellungen und die politischen Lehren im Zusammenhang mit dem revolutionären Prozess in Portugal eingehen.

Die Vertiefung der sozialen und politischen Konflikte

Am 15. Mai wurde ein Verfassungsdekret der Junta veröffentlicht, das die Struktur der Machtorgane bis zur Wahl der Konstituante festlegen sollte: Militär-Junta und der provisorisch bestimmte Präsident Spinola blieben die entscheidenden Machtzentren. Dazu kam ein Staatsrat, am ehesten mit dem russischen Vorparlament von 1917 zu vergleichen, der neben den Junta-Mitgliedern 7 von der MFA entsandte Militärs und 7 vom Präsidenten benannte Mitglieder umfassen sollte, was Spinola eine Mehrheit in diesem Gremium sicherte. Als Hauptaufgabe der Provisorischen Regierung, von einem konservativen Juristen, Carlos da Palma, geführt, wurde die Vorbereitung der Wahlen definiert.

Die Regierung war eine Volksfront-Regierung, als deren Ziel die Kontrolle und Eindämmung der nicht unter der Kontrolle der verantwortungsbewussten Kräfte stehenden Massenbewegung definiert werden muss. Das Regierungsprogramm war in ihrer MFA-Orientierung überaus vage und widersprüchlich, die wichtigsten Fragen sollten auf die Konstituante verschoben werden. Legen sollte die Regierung einerseits den „Grundstein für eine neue Wirtschafts- und Sozialpolitik, die insbesondere den am meisten benachteiligten Klassen und Schichten der Bevölkerung dient“, andererseits aber sollten die „grundlegenden Reformen des Gesellschaftssystems“ der Konstituante vorbehalten bleiben. Getragen wurde diese Regierung von drei Mitgliedern der SP, 2 der KP, einem Vertreter der CDEs, 2 der offen bürgerlichen PPD, einem Militär und drei Unabhängigen, die eher politisch links einzuordnen waren.

In dieser Phase begannen sich in- und außerhalb der Armee die Klassenkräfte zu polarisieren, die Regierung kam stärker unter den Druck der sich entwickelnden Massenbewegung. Die ersten großen Konflikte in der Volksfront-Regierung brachen Anfang Juli daher auch nicht zufällig um soziale Fragen aus: Die PPD zog sich aus der Regierung zurück, als ein Mietpreisstopp beschlossen und die Mindestlöhne und Renten erhöht wurden. Dazu kam, dass die Bourgeoisie es als zu großes Risiko ansah, in dieser Situation zu wählen, und daher die PPD gegen die MFA für eine Verschiebung der Wahlen eintrat.

Neben diesen Fragen spitzte sich auch der Konflikt um die ungelöste Kolonialfrage zu: Spinola trat für ein Verzögern der Verhandlungen und – parallel dazu – für eine Weiterführung des Krieges ein, während die SP mit Soares und die KP unter Cunhal die rasche politische Unabhängigkeit favorisierten. Obwohl Spinola über die Mehrheit im Staatsrat verfügte, musste er schließlich nachgeben und am 14. Juli in einer Rede vor Offizieren das Recht der afrikanischen Völker auf Unabhängigkeit anerkennen. Sowohl die soziale Massenbewegung der Städte als auch der Unwille, den verlorenen Kolonialkrieg weiterzuführen, ließen einer Neuauflage eines bonapartistischen Systems, das Spinola ansteuerte, nicht genügend Raum.

Die Krise im Juli, die zum Abgang der PPD aus der Regierung und einer Kapitulation Spinolas führte, endete mit einer Vertiefung des militärischen Einflusses: 7 MFA-Offiziere traten als Ersatz für die ausgeschiedene PPD direkt in die Regierung ein. Damit definierte sich das Militär als direkter politischer Machtfaktor.

Parallel zu dieser politischen Krise spitzte sich im Sommer 1974 auch die ökonomische Krise zu: Die MFA hatte ihr Ziel, Ruhe und Ordnung zu bewahren, nicht erreicht – die Bourgeoisie wurde zunehmend unsicher und unruhig. Ausdruck dessen war eine beginnende Kapitalflucht, ein starker Anstieg der Inflation und de facto ein Investitionsstopp. Parallel zur Unsicherheit der Bourgeoisie stieg auch die Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse stark an, und die Aktionsformen radikalisierten sich: Aktivitäten der betrieblichen Basis gegen Wirtschaftssabotage und Kapitalflucht begannen, verunsicherten auch die Klein- und Mittelbourgeoisie, die vom neuen Regime vor allem einmal Wirtschaftshilfe erwartete und sich um diese betrogen fühlte, und führten in der Großbourgeoisie zur Überzeugung, dass eine Kraftprobe mit der Arbeiterbewegung unausweichlich werden würde.

Spinola versuchte inzwischen, mit den alten Parolen des Kampfes gegen „Chaos und Anarchie“ gegenüber der Regierung zu punkten, gegen die zunehmend politisiertere Militärbewegung wurde die Parole „Rückkehr des Militärs in die Kasernen“ ausgegeben. Spinola, der sich als Anwalt der schweigenden Mehrheit verstand und vor allem den Norden Portugals mobilisierte, stützte sich im Verlauf des Sommers zunehmend auf die Kräfte des untergegangenen Regimes. Anfang September eskalierten die Konflikte. Am 28. September kam es zu einem Marsch dieser „schweigenden Mehrheit“ auf Lissabon. Ein Boykott der Kleinbourgeoisie, eine Meuterei der inhaftierten Mitglieder der Geheimpolizei PIDE und anderer Vertreter des alten Regimes waren die Begleitmusik. Und in Mozamique, das kurz vor der Übergabe der politischen Macht an die schwarze Mehrheit und die FRELIMO stand, kam es am 9. September (zwei Tage nach dem Abkommen von Lusaka, in dem das Ende der Kolonialherrschaft besiegelt wurde) zu einem Aufstand der weißen Siedler, in dem PIDE-Agenten aus den Gefängnissen befreit wurden. Die Revolte wurde niedergeschlagen, der Marsch auf Lissabon (Spinola hatte wohl nicht zufällig mit dieser Parallele zum Marsch auf Rom spekuliert, hatte er doch unter Franco gegen die Republik gekämpft!) – der Marsch auf Lissabon wurde von der Arbeiterbewegung gestoppt: Basiskomitees in den Betrieben und Wohnvierteln mobilisierten, Barrikaden wurden gebaut – die Demonstration verlief im Sand.

Damit war aber auch das Ende Spinolas und eine weitere Umgruppierung der politischen Kräfte verbunden: Einerseits gingen die Spinolisten und die Bourgeoisie nach rechts. Andererseits drifteten sowohl die MFA, ihrem Klassencharakter nach eine kleinbürgerliche Bewegung im Militär, als auch die Arbeiterbewegung nach links. Es verfestigte sich aber auch die geografische Spaltung Portugals: Nord-Portugal fühlte sich in seinen Vorurteilen gegen das Chaos bestätigt – unterstützt von der Kirche, die allerdings nicht offensiv agierte -, während die Region um Lissabon, die Mitte Portugals, und der südliche Alentejo, das Zentrum der Landarbeiterbewegung, sich radikalisierten. Linksradikale Gruppen konnten nun in diesem Milieu auch zunehmenden Einfluss gewinnen. Nach ihrer zweiten Niederlage zogen sich die Anhänger Spinolas aus der Regierungsarbeit zurück. Damit war aber auch ein weiterer Linksschwenk der Regierung vorprogrammiert.

Die Linke im Vormarsch

Auch die dritte provisorische Regierung änderte nicht prinzipiell ihren Charakter als eine von einer kleinbürgerlichen Offiziersbewegung, der MFA, dominierte Volksfront-Regierung, in der nach wie vor die Vertreter der SP und der KP an wichtigen Positionen saßen. Allerdings verschob sich – wie schon im Juli desselben Jahres – das Gewicht nun noch weiter nach links: Einerseits kam es zu einer Linksentwicklung in der MFA, andererseits wird die MFA nun immer stärker als eigener Machtfaktor spürbar: Im Rat der 20 wurden alle Offiziere in Regierungsfunktionen zusammengefasst, um eine politische Koordinierung zu erleichtern. Parallel dazu bekamen die diversen Strömungen in der MFA stärkere eigene Konturen: radikaldemokratische Strömungen dominierten, einzelne Regimenter und deren Vertreter wurden zu Zentren revolutionärer Agitation.

Das Konzept, das vom Ministerpräsidenten, General Gomes da Costa, favorisiert wurde, war das der Alianca Povo – MFA, also das der Allianz des Volkes und der MFA. Gestützt auf die organisierten Kräfte der Arbeiterbewegung, deren Rechte auszuweiten wären, sollte die MFA in der Regierung der bonapartistische Garant für eine Umgestaltung der Gesellschaft sein.

Dieser Linksruck in den entscheidenden Kreisen der MFA, personifiziert in da Costa, führte auch in der Wirtschaftspolitik zu einer Umorientierung und Differenzierung: Der Streitpunkt war, wie auf Wirtschaftssabotage und auf die nach wie vor bestehende soziale und wirtschaftliche Ungleichheit zu reagieren sei und die darniederliegende Ökonomie wieder angekurbelt werden könne.

Die Arbeiter bekamen schmerzlich die Entwicklung der letzten Monate zu spüren, die erst im Mai 1975 öffentlich zugestanden wurde. Die Lohnerhöhungen vom Mai 1974, die immerhin 25 bis 28% betrugen, wurden durch die Inflation praktisch zur Gänze wieder aufgezehrt, die Arbeiter fühlten sich um die Früchte des 25. April betrogen und verlangten nach weitergehenden Maßnahmen. Ab Herbst 1974 kam es im Alentejo auch zu den ersten Landbesetzungen auf den oftmals nicht bebauten Latifundien der großen Landeigner.

Nach dem 28. September, der zu einem neuen Selbstvertrauen der Arbeiter-bewegung geführt hatte, wurden in vielen Betrieben Komitees der Wachsamkeit gebildet, die aktiv wurden gegen die Machenschaften der Betriebsbesitzer und des Managements: Kapitalflucht sollte aufgedeckt, ungesetzliche Transaktionen ver-hindert werden. Waren die Komitees des Frühjahrs oft isoliert geblieben, wurden jetzt immer breitere Schichten des Proletariats in die Basisaktivitäten einbezogen. In vielen Fabriken fanden auf Vollversammlungen Wahlen statt, in denen die Delegierten für die Kommissionen gewählt wurden und die den Voll-versammlungen verantwortlich blieben.

Interessant ist die weitere, durchaus differenzierte Entwicklung dieser Arbeiter-kommissionen: Ein Teil nahm die Funktion und den Charakter von gewerkschaft-lichen Kommissionen ein und entwickelte eine betriebliche Mitbestimmungspraxis (durchaus ein häufiges Phänomen in Klein- und Mittelbetrieben). Andere brechen jetzt offen mit einer reformistischen Praxis, z.B. einige Kommissionen in der chem-ischen Industrie, bei TAP und Lisnave. Häufig fallen diese Kommissionen nun unter den Einfluss des sich breit auffächernden Spektrums der Linken außerhalb von SP und KP: der maoistischen Gruppen wie UDP, OCMLP und MRPP, der linkssozialistischen MES oder linksradikalen Gruppen wie LUAR oder PRP, in geringerem Ausmaß auch der trotzkistischen LCI. Die Arbeiteravantgarde, die die Entwicklung der nächsten Monate maßgeblich beeinflussen sollte, entwickelte sich am stärksten im Industriegürtel um Lissabon, Almada und Setubal, später und nicht so geschlossen in Porto und anderen Industriestädten.

Da eine in der Arbeiteravantgarde verankerte revolutionäre Partei mit klaren Konzepten darüber fehlte, wie die Räte-Ansätze nun ausgebaut und überbetrieblich konsolidiert werden könnten, gelang es der Kommunistischen Partei aber häufig, den im Sommer und Herbst 1974 verlorenen Einfluss während des Jahres 1975 wieder zurückzuerobern. So wurden die Vertreter der extremen Linken bei Lisnave nach dem 11. März 1975 wieder abgewählt und durch KP-Kader ersetzt.

Die Regierung und die MFA standen unter dem Druck der sich entfaltenden Arbeiterbewegung. Vasco Goncalves rief unmittelbar nach dem 28. September die Arbeiter auf, die Produktionsschlacht – die batalha de producao – mit einem freiwilligen Arbeitseinsatz am Sonntag, 2. Oktober, zu eröffnen und damit zu beweisen, dass die Allianz Volk – MFA stabil sei und die Regierung gemeinsam mit den Arbeitenden an der Überwindung der Wirtschaftskrise arbeiten werde. Ein immer größerer Teil des Militärs und die Regierung waren nicht mehr bereit, die Krise auf Kosten der Arbeiterschaft zu lösen. Das Arbeitsministerium griff immer wieder unter dem Druck von Arbeiterkommissionen in betrieblichen Konflikten auf seiten der Arbeiter ein.

Doch mit dem Bekenntnis, auf seiten der Arbeiter zu stehen und gemeinsam mit den Landarbeitern und den städtischen Arbeitern die Krise zu meistern, waren die Probleme noch nicht aus der Welt geschafft. Unter Hauptmann Melo Antunes wurde im Winter 1974/75 von einer wirtschaftspolitischen Kommission ein Sofort-programm erarbeitet. Federführend war die SEDES-Gruppe (Studiengesellschaft für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung), die sich der SP an-geschlossen hatte und in den provisorischen Regierungen 2 und 3 die Ressorts Wirtschaft und Finanzen besetzte. In der Kommission dominierten Vertreter des linken Flügels der SEDES, und die Arbeit der Kommission führte zu einer weitreichenden Auseinandersetzung über die zukünftige Strategie in wirtschafts-politischen Fragen.

Auf der einen Seite standen bürgerlich-reformerisch orientierte Kräfte wie die SP – allzu radikale Eingriffe in das Wirtschaftsgefüge sollten vermieden, der Wirtschaftssabotage und der Unzufriedenheit der Klein- und Mittelbourgeoisie durch eine Politik des deficit spending begegnet werden, also durch eine keynesianistische Erhöhung der Staatsverschuldung, um mittels öffentlicher Aufträge die Wirtschaft anzukurbeln.

Auf der anderen Seite wurde ein entschiedeneres Vorgehen gegen Großkapital und Großgrundbesitz verlangt. Das am 20.1.1975 angenommene Programm der Wirtschafts- und Sozialpolitik widerspiegelte eher die zweite Richtung. Verlangt wurde darin die Enteignung eines Teils des Großgrundbesitzes, die Schaffung und Festigung von kollektiven Produktionseinheiten der Landarbeiter, Arbeiter-selbstverwaltung in nationalisierten Betrieben und eine Beschränkung der Macht des Großkapitals.

Öffentlich gemacht wurden die grundlegenden Kontroversen in der Regierung und im Lager der Revolution durch die SP, die in offenen Oppositionskurs zur Haupt-strömung der MFA ging, ohne allerdings aus der Regierung auszutreten. Die SP opponierte in der Wirtschaftspolitik gegen das wirtschaftliche Notprogramm zur Wirtschaftspolitik, gegen das neue Gewerkschaftsgesetz, den vorgesehenen Um-fang der Arbeiterselbstverwaltung und die anvisierte Politik in der Landfrage.

Klar wurde an diesem Beispiel die immer schärfere Trennung in der Regierung und in der Gesellschaft: Auf der einen Seite sozialreformerische, pro-kapitalistische Strömungen, die die Klasseninteressen der Klein- und Mittelbourgeoisie wider-spiegelten, aber durchaus auch in Teilen des Proletariats verankert waren, andererseits weiter nach links drängende Tendenzen, die in sich wieder stark differenziert waren, denen aber eine klare politische Führung fehlte, die von einem großen Teil dieses Lagers anerkannt gewesen wäre, von den schweren Bataillonen des Proletariats einmal ganz abgesehen.

Die Bourgeoisie verfolgte in dieser Phase der Revolution eine Doppelstrategie: Einerseits wurde die PPD als legale konstruktive Opposition unterstützt, anderer-seits aber wurden subversive Aktionen als zweite Möglichkeit gesehen, wie etwa der Aufbau der Portugiesischen Befreiungsarmee, die sich als reaktionärer militanter Stoßtrupp gegen den revolutionären Prozess zu profilieren versuchte. Wie die Bourgeoisie im Inneren hatte auch der Imperialismus Angst vor einer Konsolidierung des revolutionären Prozesses: Die EG zögerte sicherheitshalber einmal die versprochenen Kredite hinaus, die NATO schloss Portugal als unsicherer Partner von ihrer nuklearen Planungsgruppe aus und führte als freundschaftlichen Wink Landemanöver vor der portugiesischen Küste durch.

In dieser Situation versuchte Spinola nochmals das Gesetz des Handelns zurück-zuerobern: Am 11. März 1975 kam es zu einem durch und durch dilettantischen Putschversuch – mit gezählten zwei aus dem Zweiten Weltkrieg stammenden Flugzeugen, ein paar Hubschraubern und ein paar Dutzend Fallschirmjägern wurde das Eliteregiment RAL 1, also das 1. Lissaboner Artillerieregiment, bombardiert und ein Angriff auf TV- und Radiostudios versucht. Wieder hatte Spinola das Kräfteverhältnis völlig falsch eingeschŠtzt, keine Sektion der Streitkräfte unter-stützte die Putschisten, die Arbeiter bauten wieder Straßensperren und verbrüderten sich mit den Soldaten, von denen sie nun auch schon Waffen erhielten. In knapp mehr als eineinhalb Stunden war der Spuk zu Ende. Spinola ging ins Exil und gründete die Demokratische Bewegung für die Befreiung des Volkes (MDLP), die allerdings – von einigen Aktionen z.B. auf den Azoren einmal abgesehen – kaum reale Bedeutung erlangen sollte.

Am Abend nach dem gescheiterten Putschversuch wurde vom Rat der 20 eine revolutionäre Versammlung der MFA einberufen. Unter dem Eindruck des re-aktionären Putschversuchs wurde ein neues Verfassungsgesetz beschlossen: Junta und Staatsrat, die Organe des Kompromisses mit der Spinola-Tendenz, wurden aufgelöst, an deren statt ein Oberster Revolutionsrat eingerichtet, der sowohl für die Gesetzgebung als auch für die Ausführung derselben zuständig sein und außerdem den Aufbau der Strukturen der MFA in der Armee koordinieren sollte.

Ein weiteres Ergebnis des Putschversuchs war, dass sich die MFA als Garant der Revolution verfassungsmäßig verankern ließ – für „drei bis fünf Jahre“ wurde im Verfassungspakt die MFA institutionalisiert und der militärische Revolutionsrat als souveränes, niemandem rechenschaftspflichtiges Organ verankert. Bis zur Konstituante sollte dem Revolutionsrat das Recht auf eine Umgestaltung der Regierung vorbehalten bleiben. Dieser Pakt, der die Rolle der MFA als bonapartistisches Machtzentrum festschreiben sollte, wurde von den bürgerlichen Parteien CDS (Demokratisch-Soziales Zentrum) und PPD, von der SP, der KP, der MDP/CDE und neben anderen linksradikalen Gruppen wie der MES peinlicherweise auch von der trotzkistischen Internationalen Kommunistischen Liga (LCI) unterzeichnet. Die LCI hatte, wie ihre kleinere Konkurrentin im trotzkistischen Spektrum, die PRT, die Revolutionäre Arbeiterpartei, zwar eine in wesentlichen Punkten richtige Analyse der Schwächen und der inneren Widersprüche des revolutionären Prozesses und versuchte die Grundgedanken der permanenten Revolution auf die konkrete Situation anzuwenden. Sie war damit natürlich meilenweit von der Analyse, wie sie etwa maoistische Gruppen a la MRPP vorlegten, die auch in Portugal gemäß der Drei-Welten-Theorie zur fatalen Einschätzung gelangte, der Hauptfeind der Völker sei die Sowjetunion, oder jene Gruppen am linken Rand der traditionellen Arbeiterparteien, SP und KP, die deren konterrevolutionären Charakter einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollten. Insofern waren in Analyse und Herangehensweise an konkrete Fragen des Klassenkampfes trotz aller Fehler die Organisationen des trotzkistischen Spektrums einer vorurteilsfreien Einschätzung der Lage am nächsten, aber dieses Beispiel zeigt doch, dass auch der portugiesische Trotzkismus sich nicht völlig von den Illusionen der Bewegung sowie gegenüber der kleinbürgerlich dominierten MFA und ihren politischen Ambitionen abschotten konnte.

Die Sozialisierungsoffensive der 4. Provisorischen Regierung

Der Putschversuch führte abermals zu einer Radikalisierung in den bereits politisierten Massen und an der Basis der MFA. Die linken Strömungen in der MFA bekamen einen breiteren Spielraum, dominierten den neugegründeten Revolutionsrat und konnten der nach dem 11. März 1975 gebildeten 4. Provisorischen Regierung ihren Stempel aufdrücken.

Das Massenbewusstsein machte in der Phase zwischen den beiden spinolistischen Putschversuchen (September 1974 und März 1975) und unmittelbar danach einen widersprüchlichen, aber für revolutionäre Situationen durchaus nicht untypischen Prozess durch. Einerseits entfalteten sich in dieser Phase die revolutionären Elemente noch weiter und vertiefte sich der revolutionäre Prozess, in dem nun die Überwindung der kapitalistisachen Produktionsverhältnisse für viele ein notwendiges und unmittelbares, realistisches Ziel darstellte. Träger dieser revolution-ären Dynamik waren einerseits das organisierte Proletariat der Städte, das sich mit den Arbeiterkommissionen räteähnliche Strukturen (oder zumindest Vorformen von Räten) geschaffen hatte. Zweitens das Landproletariat, vor allem im Alentejo, das sogar schon in Ansätzen den entscheidenden Schritt zur kollektiven Bewirtschaftung der in Beschlag genommenen Güter gegangen war. Und drittens die Offiziersbewegung bzw. die Soldaten, die nun stärker aufzutreten begannen und unter denen verschiedenste radikal-demokratische und linksradikale Strömungen Fuß fassen konnten.

Andererseits aber blieben zunehmend größere Teile der Bevölkerung hinter der Dynamik der Revolution zurück: der Norden Portugals, in dem der Klerus die Unzufriedenheit schürte, und immer geschlossener die verunsicherte Klein- und Mittelbourgeoisie, die sich von der Revolution in ihren Klasseninteressen zunehmend bedroht fühlte. Die Entwicklung nach dem Putschversuch vom 11. März 1975 brachte diese Spaltung des Massenbewusstseins, die nur durch eine zielgerichtete Politik einer revolutionären Partei überwunden hätte werden können, mit ganzer Klarheit an die Oberfläche.

Die Gefahr, die sich aus dem Zurückbleiben immer breiterer Schichten hinter der Dynamik der Revolution ergab, wurde z.B. von den Hauptströmungen in der MFA durchaus erkannt. Es wurde mit einer Aufklärungskampagne im Norden begonnen, mit der die kleinbäuerlich sozialisierte Bevölkerung und ganz allgemein die rückständigeren Schichten für die Ziele der Revolution gewonnen werden sollten, um der offenen Reaktion die Basis zu entziehen. Aber all das musste wirkungslos verpuffen, wenn nicht hinter den politischen Maßnahmen, die von der Regierung getroffen wurden, ein klarer antikapitalistischer, sozialrevolutionärer Wille sichtbar würde. Genau eine solche Strategie aber fehlte.

An einem Beispiel soll dies verdeutlicht werden. Auch die Arbeiteravantgarde hatte – was z.B. die internationalen Dimensionen betraf – durchaus ein konservatives, national beschränktes Bewusstsein, das die Frage unbeantwortet ließ, wie Portugal als armes, rückständiges Land alleine den Weg der sozialistischen Revolution beschreiten könne, ohne von den reicheren Ländern isoliert und ausgehungert zu werden. Genau auf diese Frage, die nur mit der Perspektive einer internationalen, permanenten Revolution zu beantworten gewesen wäre, wussten weder die MFA noch die Hauptströmungen der subjektiven Revolutionäre eine überzeugende, befriedigende Antwort.

Die MFA, die sich im Verfassungsabkommen ihre bonapartistische Rolle bestätigen ließ, ergriff nun die Initiative zu weitergehenden Eingriffen in die bestehenden Eigentumsverhältnisse. Die Bankangestellten, die bis dato nicht zur Avantgarde gehört hatten, hatten im Zusammenhang mit dem Putschversuch vom 11. März ihre Banken besetzt. Anlass war, dass die Angestellten zurecht eine politische Komplizenschaft des Bankmanagements und der Direktionen mit der Reaktion vermuteten. Die Unterstützungen beinhalteten auch finanzielle Hilfen für die Konterrevolution. Jetzt weigerten sich die Beschäftigten, die Banken zu verlassen, bevor MFA und Regierung nicht mit Verstaatlichungen hier eingegriffen hätten. Die MFA versuchte zwar, Truppen einzusetzen, um nach dem nieder-geschlagenen Putsch wieder zur Tagesordnung übergehen zu können, aber keine einzige Einheit konnte für einen solche Einsatz gewonnen werden. Der Revolutionsrat der MFA wurde zur Verstaatlichung der Banken und kurz darauf auch der Versicherungsunternehmen gezwungen. Mit einem Schlag wurden damit über die Hälfte der Industrie, die von den Banken direkt oder indirekt beherrscht wurde, dem Staatsbesitz eingefügt. Unternehmer, die der Unterstützung für die spinolistische Reaktion überführt wurden, wurden inhaftiert, Parteien, Gruppier-ungen und Bewegungen, die den Sturz der MFA forderten, verboten.

In der nach dem 11. März gebildeten 4. Provisorischen Regierung opponierten SP und PPD gegen den neuen schärferen Regierungskurs, konnten aber das Kräfte-verhältnis, das nach dem 11. März zugunsten der Linken verändert und durch den Eintritt des MDP/CDE in die Regierung fixiert worden war, nicht mehr umdrehen.

Eine neugebildete ständige Arbeitsgruppe, die aus Fachleuten des Industrie-, Planungs- und Wirtschaftsministeriums gebildet worden war, sollte die vom Revolutionsrat vorgebene Sozialisierungslinie konkretisieren und das Notprogramm vom Jänner ersetzen. Innerhalb eines Monats wurde die neue Linie umgesetzt und am 15. April die Verstaatlichung entscheidender Teile der Industrie beschlossen. Die Verstaatlichung von 24 Banken und 36 Versicherungsgesellschaften wurde bestätigt, weiters standen auf der Liste 16 Elektrizitätswerke, 5 Erdöl-gesellschaften, 2 Bergbauunternehmen, 1 Stahlwerk, die Luftfahrtgesellschaft, die Fernsehgesellschaften etc. – insgesamt 245 Betriebe. Sie umfassten 38% des Gesellschaftskapitals aller portugiesischen Handelsgesellschaften. Dazu kamen weitere 261 Unternehmen, die von den Belegschaften besetzt worden waren und nun unter staatliche Aufsicht (intervencao) gestellt wurden. Auch die Land-besetzungen im Alentejo wurden etwas später mit dem Gesetz über die Agrarreform vom Juli 1975 legalisiert, und die Kollektiven Produktionseinheiten, also die gemeinsame Bewirtschaftung besetzter Betriebe, wurde legalisiert.

Politisch mitgetragen wurde dieser Sozialisierungskurs von der KP, der MDP/ CDE und kleineren linkssozialistischen Gruppierungen bzw. solchen aus der sozialistischen und kommunistischen Tradition wie der MES, der LCI oder der Volkssozialistische Front (FSP), einer SP-Linksabspaltung. Federführend blieb aber der Revolutionsrat der MFA, da die KP (über deren Politik noch gesondert zu sprechen sein wird) zu einer vorwärtstreibenden Rolle unfähig war. Die PCP unterstützte die Verstaatlichungen, sie entsprachen ja auch ihrem anti-monopolistischen Programm. Allerdings gingen die Verstaatlichungen bald über die eng gezogenen Vorstellungen desselben hinaus: Das Ziel der KP war es ja, den Kredit zu zentralisieren und die großen Monopole zu neutralisieren, um den kleinen und mittleren Unternehmen effektive Hilfe leisten und sie so für eine anti-monopolistische Strategie gewinnen zu können. Für die KP war gerade die Klein- und Mittelbourgeoisie der zentrale Partner ihres Projektes des nationalen Wiederaufbaus. Gerade dieses Beispiel zeigt aber auch, dass Verstaatlichungen an sich weder eine sozialistische Maßnahme noch überhaupt fortschrittlich sein müssen. Ihre fortschrittliche Dynamik entfaltet sich erst, wenn die Arbeitenden mit Verstaatlichungen die Strategie verbinden, in den nationalisierten Betrieben auch selbst die Herrschaft zu übernehmen und ihnen klar wird, dass Nationalisierung und die Überwindung kapitalistischer Verhältnisse zwei verschiedene Paar Schuhe sind.

Genau das, die Übernahme der Betriebe durch die in Räten organisierte Arbeiter-klasse, war aber nicht das Ziel des MFA-Revolutionsrates. Die MFA blieb auch in dieser Phase ihrem bonapartistischen Selbstverständnis treu: Die Sozialisierungs-offensive wie die ganze Linksentwicklung in der MFA war im wesentlichen ein Reflex auf die Radikalisierung der proletarischen und halbproletarischen Massen, nicht ein Motor derselben! Und die Linkswendung der MFA drückte damit letzt-endlich nichts anderes als das nach links verschobene Kräfteverhältnis in den Zentren des Landes aus.

Durch die größer werdende Kluft zwischen den Zentren des revolutionären Bewusstseins und den zurückbleibenden Schichten war aber auch die MFA in Gefahr, ihre Rolle als bonapartistisches, über dem Parteienstreit (dem partidarismo) stehendes Gewissen der Revolution zu verlieren. Denn die MFA bzw. wichtige Regimenter, auf die sie sich stützte, standen ja eher unter dem Druck der Arbeiterbewegung der Städte und reflektierten damit eine höhere Stufe des Bewusstseins, als es dem arithmetischen Mittel des Landes entsprochen hätte. Sichtbar wurde dieser Verlust der bonapartistischen Rolle nach dem Regierungs-austritt der SP im Sommer 1975, die mit dem Slogan „Den Volkswillen respektieren“ – „Respeitar a vontade popular“ eine grundlegende Umorientierung der Regierungspolitik forderte. Dieser Slogan zielte auf die Respektierung der in den Wahlen zur Konstituante erzielten Ergebnisse durch die MFA ab.

Die Wahlen zur Konstituante

Am 25. April 1975 hatten die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung stattgefunden. Die politische Situation war von einem erbitterten Wahlkampf geprägt, in dem vor allem KP und SP sich öffentlich massiv bekämpften. Der Wahltermin wurde vom 12. auf den 25. April verschoben, aber in der Minderheit blieben die Teile der MFA, die überhaupt gegen die Wahlen zur Konstituante auftraten, da diese verfrüht seien und die Gefahr bestünde, dass wegen des Gewichts der zurückgebliebenen Schichten bei Wahlen die Revolution unmittelbar in Gefahr geraten könne. Die katholische Kirche gab ihre bis dahin öffentlich geübte Zurückhaltung auf und unterstützte massiv die offen bürgerliche Parteien PPD und CDS, die wie die SP eine Gefährdung der Demokratie durch die MFA an die Wand malten.

Ein Großteil der Linken, auch der subjektiv revolutionären Linken, versuchte zu kandidieren und die Tribüne der Konstituante für revolutionäre Propaganda zu nutzen. Auch die MFA versuchte ein eigenes Wählerpotential zu mobilisieren, sie rief aber unmittelbar vor der Wahl jene Wähler, die sich dem Parteienstreit entziehen wollten, dazu auf, weiße Stimmzettel abzugeben und damit ihr Vertrauen in die MFA auszudrücken.

Die Wahlen zur Konstituante endeten bei einer unerwartet hohen Wahlbeteiligung von 92% mit einem Sieg der SP (38%), 22% für die PPD, 12% für die KP und 7% für die bürgerliche CDS. Den MDP/CDE blieben kümmerliche 4% der Stimmen, was ausdrückte, dass der radikalen Demokratie neben SP, KP und den bürgerlichen Kräften keine eigene Basis verblieben war. Aber auch dem Aufruf der MFA, weiß zu wählen, folgten nur 7% der Wähler, die zu den Urnen gegangen waren.

Von der KP, die von einer höheren Zustimmung zu ihrer Liste ausgegangen war, wurde für das schlechte Abschneiden „massive antikommunistische Propaganda, Wahldemagogie und offener antikommunistischer Terror im Norden des Landes“ verantwortlich gemacht. Aber die Ursachen lagen tiefer. Anders als auf der Ebene des Betriebes, der Kommissionen, war die SP nun unangefochten stärkste Kraft geworden. All jene wurden Lügen gestraft, die davon ausgegangen waren, dass das Massenbewusstsein bereits den reformistischen Verrat der SP erkannt und darauf mit einer Hinwendung zu revolutionären Kräften reagiert hätte. Aber auch in Portugal stellte sich in dieser Phase dieselbe Aufgabe, die Trotzki in seiner Schrift „Die spanische Revolution und die ihr drohenden Gefahren“ für die spanischen Genossen skizziert hatte:

„Unmittelbar jedoch steht vor den spanischen Kommunisten nicht die Aufgabe des Kampfes um die Macht, sondern des Kampfes um die Massen, und zwar wird sich dieser Kampf in der nächsten Periode auf den Grundlagen der bürgerlichen Republik, in hohem Grade unter den Parolen der Demokratie entwickeln. Die Schaffung von Arbeiter-Juntas (Sowjets) ist zweifellos die unmittelbare Aufgabe des Tages. Doch es wäre sinnlos, den Juntas die Parole der Demokratie entgegenzustellen. (…) Auf einer weiteren Etappe – wir wissen noch nicht wann – werden die Juntas als Machtorgane des Proletariats den demokratischen Institutionen der Bourgeoisie gegenüberstehen. Und erst dann wird die letzte Stunde der bürgerlichen Demokratie geschlagen haben.“

Ins Portugiesische übersetzt, konnte das nur heißen, dass der Aufbau von Arbeiterkommissionen und Rätestrukturen auf möglichst breiter Grundlage wichtig war und dass versucht hätte werden müssen, die SP und ihre Basis hier mit einzubeziehen, da nicht einmal die Parteiführung ja verbal gegen Arbeiter-kommissionen eingetreten war, sondern nur dagegen, dass sie über die Konstituante gestellt und ihr nicht untergeordnet würden. Vorausgreifend sei festgestellt, dass die subjektiven Revolutionäre in Portugal genau zu dieser Einheitsfrontpolitik gegenüber den Massen, die noch in die SP Vertrauen hatten, nicht willens bzw. nicht fähig waren.

Dabei war die SP zweifellos der Schlüssel zum politischen Verständnis in Portugal. Denn die portugiesische SP war nicht nur die stärkste Partei geworden, sie hatte auch ein breites Wählerpotential, das durchaus heterogen zusammen-gesetzt war. Einerseits repräsentierte sie große Teile der Arbeiterklasse, vor allem in Nordportugal, andererseits stützte sie sich auch auf die Arbeiteraristokratie und die städtischen Mittelschichten. Teile des Kleinbürgertums sahen in der SP die Vertretung ihrer Ziele, in den Bereichen, in denen die KP stark und das Klassenbewusstsein des Proletariats weit vorgeschritten war, kamen auch Stimmen aus dem Bürgertum und aus dem bäuerlichen Milieu, da sie in der SP den besten Garanten gegen die kommunistische Gefahr vermuteten. Trotzdem blieb die wesentliche soziale Basis der SP die Arbeiterschaft, sie stützte sich sehr wohl als bürgerliche Arbeiterpartei auf die Arbeiterklasse.

Deshalb waren die Wahlen zur Konstituante aber auch auf politischer Ebene ein deutliches Signal für die MFA. Die Schlüssellosung gegen den Revolutionsrat und die 4. Provisorische Regierung wurde der SP-Slogan „den Volkswillen respekt-ieren“, und seit dem Austritt der SP aus der Regierung im Juli 1975 auch immer stärker die Parole „Das Volk ist nicht mit der MFA“. Der Druck auf die MFA führte zu einer Differenzierung in der kleinbürgerlichen Standesbewegung der Offiziere, die die MFA ja noch immer darstellte. Im Revolutionsrat, dem von niemandem kontrollierten und niemandem rechenschaftspflichtigen Organ der MFA, waren neben 240 Offizieren nur eine Handvoll einfacher Soldaten (vor allem aus der Marine) vertreten!

Dazu kamen die Auswirkungen des Bürgerkriegs in Angola: Im Juli 1975 brachen die FNLA und die antikommunistische Unita das Abkommen von Alvor. Es begann ein mörderischer Bürgerkrieg, der zur fluchtartigen Auswanderung Hundert-tausender aus Angola führte. Diese massive Welle von Rückwanderern, die retornados, verschärften die politische und ökonomische Lage im Lande zusehends – aber die Heimkehrer waren in ihrer übergroßen Mehrheit auch Gegner der MFA, die sie für ihre Lage verantwortlich machten.

Die Rückwanderung aus Angola war natürlich nicht das Problem an sich, aber es verschärfte die Situation im Lande noch weiter. Und die wirtschafliche Lage sah alles andere als rosig aus: Der Staatshaushalt wies 1975 ein Rekorddefizit aus, das in relativen Zahlen noch gravierender erscheinen musste: 100 Escudos an Ausgaben standen nur 62 an Einnahmen gegenüber, 38% der staatlichen Ausgaben waren nicht durch Einnahmen gedeckt. Nach offiziellen Angaben waren zusätzlich zu den Millionen Arbeitsemigranten 13% offiziell arbeitslos, für die verwöhnten 70er Jahre eine exorbitant hohe Zahl! Der Rückgang des Bruttosozialprodukts betrug 1975 über 10%, nachdem z.B. die Industrieproduktion 1974 schon um 19% gesunken war. Das Außenhandelsdefizit war unverändert hoch, und die Inflation betrug wieder um die 25%.

Die MFA diskutierte die neuentstandene Situation, Ende Juni 1975 setzten sich wiederum die Linken in der MFA durch – mit der Verabschiedung des „Leitfaden-Dokuments Volk – MFA“. Die MFA wurde als Befreiungsbewegung des portugies-ischen Volkes und als Avantgarde der sozialistischen Revolution definiert, dem Bündnis Volk – MFA sollte durch ein Bündnis der MFA mit den betrieblichen Basisstrukturen und den Stadtteilkomitees Leben eingehaucht werden.

Die durch den Austritt der SP aus der Regierung zum Ausbruch gekommene Krise verunsicherte natürlich auch die MFA. Scharfe Konflikte zwischen der SP und der PPD auf der einen, der KP und Ministerpräsident Goncalves auf der anderen Seite prägten die Eröffnung der Verfassungsgebenden Versammlung am 2. Juni 1975. Für die MFA problematisch wurde nun aber, dass auch die Einheitlichkeit der MFA zunehmend verloren ging: Selbst unter den Befürwortern des Sozialisierungskurses kam es zu Differenzen zwischen jenen, die der KP nahestanden und eine anti-monopolistische Strategie verfolgen wollten, und jenen, die die Sozialisierung als Ausgangspunkt und Auftakt einer grundlegenden Umgestaltung der Produktions-verhältnisse betrachteten.

Am anderen Ende des Spektrums innerhalb der MFA bildete sich eine Gruppe der Neun, die in scharfe Opposition zum Kurs der Regierung und des Revolutions-rates trat. Die soziale Basis der Revolution sei zu schmal geworden, was die Gefahr der Spaltung der Nation in Befürworter und Gegner beinhalte. Die Ver-breiterung der Basis der Revolution müsse die (Wieder-) Einbeziehung von Klein-bauern und städtischer Klein- und Mittelbourgeoisie beinhalten. Verlangt wurde ein Stopp der Sozialisierungen, ein Aufhalten des Rhythmus’ der Revolution, auf politischer Ebene ein Zurückdrängen des Einflusses der KP durch eine Regierungs-umbildung und die Wiederherstellung der Disziplin in den Kasernen.

Gerade letzter Punkt erschien besonders dringend. Denn immer öfter waren Truppen, die zur Regelung sozialer Konflikte ausgeschickt worden waren, auf die Seite von Einwohnerkomitees und Betriebsbelegschaften übergelaufen. Gerade die Truppen des COPCON, des Operativen Kommandos des Kontinents, die in Lissabon stationiert waren, hatten sich stark politisiert, hatten immer öfter auch selbständig in schwelende soziale Konflikte eingegriffen und ein politisches Eigenleben entwickelt, das potentiell im Widersprich zu den Interessen des Revolutionsrates oder des Ministerpräsidenten stand. Die bekanntesten Beispiele für die Gärung in der Armee waren die Vorgänge rund um die Besetzung der Zeitung Republica und des katholischen Senders Renascenca. Linke Arbeiter und Redakteure hatten den Sender besetzt, die Truppen, die diese Besetzungen beenden hätten sollen, verbrüderten sich aber mit den Besetzern….

Von der Zersetzung der MFA zum Niedergang der Revolution

Aus dieser Zwangslage – die Konstituante als Forum der Opposition, die Einheitlichkeit der MFA in Brüchen – versuchte sich Regierungschef Goncalves durch eine neuerliche Regierungsumbildung zu befreien. Anfang August wurde eine neue Regierungsliste vorgelegt, diesmal ohne Parteienvertreter. Die MFA-Linke scheiterte bereits nach drei Wochen – vor allem an der inneren Zersetzung der MFA, die einheitliches Handeln nicht mehr ermöglichte, die soziale Basis für eine Fortsetzung des Linkskurses war zu schmal geworden. Dabei hatte Goncalves, mit Unterstützung kleiner Gruppen der Linken, darauf gesetzt, durch eine entschlossenere antimonopolistische Politik die Klein- und Mittelbourgeoisie auf die Seite der Arbeiterbewegung zu ziehen – im Grunde also nichts anderes als die reformistische KP-Strategie eines antimonopolistischen Bündnisses. Aber die Bourgeoisie war verschreckt, die Bauern durch die Agrarpolitik, die die Landbesetzungen legalisiert hatte, alarmiert, und auch die städtischen Mittelschichten konnten nicht gewonnen werden. Die Propaganda der SP, Goncalves steuere auf einen Elendssozialismus der Autarkie und eine totalitäre linke Militärdiktatur zu, verfehlte nicht ihre Wirkung. Bereits nach drei Wochen war das Experiment gescheitert – die Einheit der MFA konnte nicht mehr wiederhergestellt werden. Die Mehrheiten in den MFA-Delegiertenversammlungen kippten, der Weg zur 6. Provisorischen Regierung, mit der die absteigende Phase der portugiesischen Revolution begann, war frei.

Während des Sommers 1975 hatte es nach dem Austritt der SP aus der Regierung und der Isolation, in die die Regierung dadurch geraten war, eine Serie von Anschlägen und terroristische Aktionen – konzentriert auf Nordportugal – gegeben: Büros von Gewerkschaften und Linksparteien wurden verwüstet, und der kathol-ische Klerus entfesselte eine antikommunistische Kampagne. All das zeigte die Veränderung des Kräfteverhältnisses, das sich nun gegen die Linke zu wenden begann. Ausdruck dessen waren die Umstände, die zur Herausbildung der sechsten Regierung geführt hatten – es war das erste Mal seit April 1974, dass sich mit einer Regierungsumbildung kein Linksruck gegenüber der vorhergehenden Regierung verband. Und auch wenn die Bewegung der Arbeiter, der Landarbeiter oder die Soldatenbewegung damit noch keineswegs geschlagen war – die Kämpfe gingen den Herbst über weiter -, so war dies doch ein untrügliches Anzeichen für die schwere Krise, in die der revolutionäre Prozess in Portugal geraten war.

Die neue Regierung, die nach der Demission von Goncalves am 6. September 1975 – vor allem auf den Druck der PSP hin – ans Ruder kam, ging von Anfang an auf Konfrontationskurs mit der Arbeiterbewegung und der Kommunistischen Partei. An die Spitze trat Admiral Pinheiro de Azevedo, in dieser Phase der Revolution konnte sich die Rechte konsolidieren und stärken, ohne dass bis November 1975 eine Entscheidung über die Zukunft des Landes herbeigeführt hätte werden können.

Die KP war wieder, trotz der nun gänzlich anderen Rahmenbedingungen, in die Regierung eingetreten – sie verstand ihre Teilnahme als Machtanspruch der Arbeiterklasse, die sie gegenüber der SP, aber auch gegenüber den anderen linken Gruppierungen zu verkörpern trachtete. Zur Verteidung der fünften Regierung war im August das Aktionsbündnis FUP (Frente de Unidade Popular – Front der Einheit des Volkes) gegründet worden, dem neben der KP, der MDP-CDE und dem Gewerkschaftsverband Intersindical die linken Organisationen MES, FSP, LCI und PRP-BR angehörten. Die KP, die den rechten Flügel des Aktionsbündnisses dar-stellte, wurde nach ihrem Regierungseintritt aus der FUP ausgeschlossen, die ver-bliebenen Reste benannten sich danach in FUR (Revolutionäre Einheitsfront) um.

Die Regierung erkannte klar, dass die Angriffsachse gegen die Arbeiterbewegung vorerst einmal auf der Ebene der Ökonomie zu führen sei, um diese zu schwächen und erst danach einen politisch klar ausgewiesenen Vorstoß zu wagen, dazu gehörten Maßnahmen wie ein Lohnstopp oder die Aufhebung des Preisstopps für Grundnahrungsmittel. Gleichzeitig wurden die Massenmedien gesäubert, linke Militäreinheiten schrittweise entmachtet, aber die direkte Konfrontation vorerst noch vermieden. Der Imperialismus unterstützte die politische Wende, die im Konfrontationskurs gegen die Arbeiterbewegung auf ökonomischer und die Arbeiteravantgarde auch auf politischer Ebene sichtbar wurde: Kredite kamen, internationale Unterstützung wurde nun in Aussicht gestellt.

Aber die letzten eineinhalb Jahre und die Erfahrungen, die die Arbeiterbewegung und zunehmend auch einfache Soldaten in den Klassenkämpfen gemacht hatten, konnten nicht so einfach vom Tisch gewischt werden: Massiver Widerstand in den Betrieben gegen die Sparpolitik kombinierte sich mit einem Aufschwung der Soldatenbewegung. Gegen die Versuche, die MFA zu entmachten, entstand die SUV (Vereinigte Soldaten werden siegen), während die MFA bis dahin einer durchgehenden Mobilisierung der einfachen Soldaten und der unteren Ränge passiv gegenübergestanden war.

Allen war klar, dass in diesem Herbst die Entscheidung in Portugal wohl werde fallen müssen. Und durch die Politik der großen Massenorganisationen war die Ausgangssituation für das Proletariat um einiges schlechter geworden als noch vor einigen Monaten! Die wieder in die Regierung zurückgekehrte Sozialistische Partei spielte hier eine vorwärtstreibende Rolle, sukzessive wurde Schritt für Schritt gesetzt und die kommende Entscheidung vorbereitet.

So forderte die Regierung die Abgabe von 30.000 an radikale Arbeiter verteilten Waffen. Es wurden zwar nur ganze vier (!) abgegeben, aber allein die Tatsache, dass die Regierung diese Forderung erheben konnte, zeigte die Veränderung des Kräfteverhältnisses. In provokatorischer Absicht wurde auch die Entmachtung des COPCON, der militärischen Avantgarde in Lissabon, betrieben: Von den COPCON-Einheiten wurde die Zusicherung verlangt, auf Befehl der Regierung einzuschreiten, und als diese sich weigerten, bestimmten Befehlen nachzukommen, wurde ganz offen mit der Auflösung der Einheiten und der Ersetzung durch Angola-Rückkehrer gedroht. Parallel dazu wurden der Regierung treu ergebene Spezialeinheiten, die Militärische Eingreiftruppe (AMI), aufgebaut und am 12. November von Fabiao der Befehl erteilt, diese unter einem Kommando zusammen-zufassen. Sie wurden zwar am 21. November auf Befehl des Revolutionsrates wieder aufgelöst, aber die Umgruppierung innerhalb des Offizierskorps und der Truppen hatte bereits begonnen.

Ende November spitzte sich die Lage dramatisch zu: Ein Streik der Bauarbeiter, die 44% Lohnerhöhung verlangten, ging in eine Belagerung des Regierungssitzes über. 60.000 Bauarbeiter demütigten die Azevedo-Regierung – die nach einem vergeblichen Hilferuf an Präsident Gomes nach 37 Stunden Belagerung nachgeben musste. Diese Situation wurde von der Sozialistischen Partei zum Anlass genommen, die Verlegung der Konstituierenden Versammlung in den Norden des Landes vorzuschlagen und damit das Gespenst eines drohenden Bürgerkrieges zwischen Süden und Norden an die Wand zu malen. Die Regierung stellte kurzfristig ihre Tätigkeit ein und forderte den MFA-Revolutionsrat auf, die Ordnung im Lande wiederherzustellen.

Wenige Tage darauf kam es zu einer Revolte der Fallschirmjäger. Die später zum Putsch linksgerichteter Militärs hochstilisierte Aktion war im Grunde nichts mehr als eine Protestaktion gegen die Amtsenthebung Carvalhos als Militärbefehlshaber der Region Lissabon. Die Fallschirmjäger in Tancos, ihre Verbündeten im Artillerieregiment Nr. 1 (R.A.L.) und in der Militärpolizei gaben ohne Blut-vergießen auf und umarmten ihre regierungstreuen Gegner, die zur Niederschlagung des Putsches herbeigeeilt waren. Die Aktion, die als innermilitärischer Machtkampf inszeniert war (und in der auch die linken Militärs gar nicht auf den Gedanken kamen, die Arbeiterschaft zu mobilisieren), lieferte den Vorwand für die Ver-hängung des Ausnahmezustands im Bereich Lissabon. In dessen Verlauf übergab der Revolutionsrat, in dem ebenfalls der Stimmungsumschwung bereits deutlich geworden war, den Kommandotruppen des Obersten Jaime Neves, einem politisch weit rechts einzuordnenden Militär, den Befehl, den linken Flügel der MFA politisch zu entmachten und dessen Regimenter aufzulösen.

Eine weitergehende Umkehr des Kräfteverhältnisses wurde aber verhindert: Offen bürgerliche Teile des Militärs versuchten zwar während des Ausnahmezustands, die KP aus der Regierung und die Intersindical-Gewerkschaften in die Illegalität zu drängen. Die Arbeiterkommissionen in den Betrieben sollten ausgeschaltet werden. Doch diese weitergehenden Pläne scheiterten am Widerstand von Präsident Gomes und der reformistisch ausgerichteten und der SP nahestehenden Gruppe der Neun um Antunes, die im Frühjahr 1975 gegen den ihrer Meinung nach überzogenen Sozialisierungskurs opponiert hatten.

Am 26.2.1976 wurde zwischen dem Revolutionsrat und den Parteien der Konstituante ein revidierter Verfassungspakt beschlossen, der als Kompromiss zwischen den dominierenden Kräften der Arbeiterbewegung (also SP und KP), der MFA und den bürgerlichen Parteien, die das größere Gewicht letzterer und die insgesamt stabilere Situation widerspiegelte, interpretiert werden kann. Mit den ersten Parlamentswahlen vom 25. April 1976, auf den Tag zwei Jahre nach der Revolution der Nelken, und der Verkündung der Verfassung wurden die Resultate der vorangegangenen zwei Jahre fixiert. Nach dem November 1975 gab es zu keiner Zeit mehr eine Situation in Portugal, in der offen von einer Massenbewegung die Herrschaft des Kapitals oder zumindest das Herrschaftsmonopol des bürger-lichen Staates und der Regierung in Frage gestellt worden wäre. Die engere Geschichte der portugiesischen Revolution muss also mit Winter 1975/1976 als abgeschlossen betrachtet werden.

Bevor wir uns nun spezifischen Fragestellungen zuwenden, die Rolle der einzelnen Parteien beleuchten und schließlich die Lehren ziehen wollen, soll noch ein kurzer Blick auf den weiteren Gang der Ereignisse geworfen werden.

Die Ergebnisse der Revolution werden fixiert

Wenn wir nochmals kurz zum Ausgangspunkt zurückkehren, so war der Beginn der portugiesischen Revolution einer ausweglosen Lage im Kolonialkrieg ge-schuldet, in die das morsche Caetano-Regime das Land manövriert hatte. Alle Versuche zur Selbstreform scheiterten, die daraufhin folgende Palastrevolution Spinolas, mit der die Selbstblockade des Regimes beseitigt und die Herrschafts-krise überwunden werden sollte, wurde zum Ausgangspunkt einer weit über die ursprünglichen Ambitionen hinausgehende Bewegung, die sehr bald den engen Kreis der Berufsoffiziere sprengte und die proletarischen Massen der städtischen Zentren, aber auch weite Teile des Landproletariats erfasste.

Das Ziel des Imperialismus wurde schließlich, nachdem ihm die Massen-bewegung für volle zwei Jahre einen dicken Strich durch die Rechnung zu machen vermochte, erreicht. 1976 hatte Portugal die unmittelbare Legitimationskrise der bürgerlichen Herrschaft überwunden, der Imperialismus konnte nun daran gehen, Portugal stärker als bisher in seine (europäischen) Strukturen einzugliedern. Anders ausgedrückt: Das nächste Ziel nach der Stabilisierung der bürgerlichen Herrschaft konnte sein, offensive Schritte in Richtung EG-Integration (sie erfolgte schließlich 1986) zu setzen.

Aber auch das Ziel der NATO konnte erreicht werden: Es kam zwar schon 1974 zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen Portugals zur UdSSR, aber eine Stationierung sowjetischer Truppen, was eine entscheidende Änderung des geopolitischen Kräfteverhältnsses bedeutet hätte, konnte ebenso vermieden werden wie eine längerdauernde Periode der Instabilität auf der iberischen Halbinsel. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass Mitte der 70er Jahre auch das Franco-Regime in den letzten Zügen lag und eine Stabilisierung Portugals vor der Entfaltung der Krise in Spanien (am 20.11.1975 war Generalissimus Franco gestorben) zurecht von höchster Priorität erschien.

Die Parlamentswahlen im Frühjahr 1976 in Portugal (am 25.4.1976 wurde gewählt) bestätigten im wesentlichen das bis dahin erreichte Kräfteverhältnis zwischen den Klassen und den einzelnen Parteien. Die PSP erhielt 35% der Stimmen, die PPD 24%, das CDS 15,9% und die KP 14,6% der Stimmen. Diese Stimmenverteilung sollte im wesentlichen bis heute – natürlich von allen in bürgerlichen Demokratien üblichen Verschiebungen einmal abgesehen – erhalten bleiben: Nach den Wahlen vom 1. Oktober 1995 verfügt die Sozialistische Partei über 112 Sitze des 230-köpfigen Parlaments, die rechtsgerichtete Partido Social Democrata 88, die Partido Popular (die Nachfolgepartei der konservvativen CDS) über 15 und das Coligacao Democrático Unitária, das Wahlbündnis aus KP und Grünen, über 15 Sitze (die Wahlarithmetik begünstigt unverhältnismäßig stärker die Großparteien und verzerrt die Ergebnisse!). Was aber damit gezeigt werden sollte, ist, dass sich der bürgerliche Parlamentarismus in Portugal im Bewusstsein breiter Schichten auch des Proletariats durchaus festigen konnte.

Allerdings blieben auch trotz der im wesentlichen erfolgreichen Überwindung der akuten Herrschafts- und Systemkrise eine Reihe von Besonderheiten des portugies-ischen Systems erhalten: So blieb die Imperialisierung aufrecht, ein Anschluss an die hochindustrialisierten imperialistischen Länder konnte nicht gefunden werden. Die Arbeiterbewegung Portugals konnte sich eine starke, wenn auch klassen-kollaborationistisch gebremste Kampftradition erhalten und war immer wieder zu gewaltigen Aktionen in der Lage. Und drittens blieb – als Erinnerung an die spezifischen Entstehungsbedingungen der bürgerlichen Demokratie in Portugal – der Revolutionsrat bis Anfang der 80er Jahre als bonapartistisches Überbleibsel an die Jahre 1974 und 1975 bestehen.

Das heißt natürlich nicht, dass die bürgerlichen Regierungen der nächsten Jahre nicht gehörig zu tun hatten, um oft unter dem zähen Widerstand der unmittelbar Beteiligten den Revolutionsschutt (wie das nach 1919 in Österreich von der Reaktion genannt wurde) zu beseitigen. Hunderte von kleinen und mittleren Betrieben wurden der Kontrolle und Verwaltung der Arbeiterkommissionen ent-rissen und an die früheren Eigentümer zurückgegeben. In den verstaatlichten Betrieben wurde die Arbeiterverwaltung ausgehöhlt und eingeschränkt, die alten Manager wieder in Amt und Würden gesetzt. Bis Ende November 1977 wurden 90 der 261 im Jahr 1975 übernommenen Betriebe wieder an ihre früheren Eigentümer zurückgegeben, die unter staatliche Treuhandschaft gestellten Betriebe wieder zur Gänze in die Verfügungsgewalt ihrer Eigentümer rücküberstellt.

Die Agrarreform wurde gegen den Widerstand der 450 Kollektiven Produktions-einheiten im Süden teilweise wieder rückgängig gemacht – etwa 60% der insgesamt 1 Million Hektar besetzter landwirtschaftlicher Nutzfläche (immerhin fast die gesamte Bodenfläche Oberösterreichs!) mussten für die Reprivatisierung frei-gemacht werden. Große Verschlechterungen gab es auch im Arbeitsrecht: Die Normalarbeitszeit wurde noch 1977 von 40 wieder auf 45 Stunden erhöht, das Verbot von Kurzarbeit aufgehoben, die Subventionierung des öffentlichen Verkehrs stark gekürzt und dafür im Gegenzug die Fahrpreise erhöht. den Unternehmern das Recht auf Entlassung zurückgegeben.

Dazu kamen die politischen Säuberungen im Staatsapparat und im Militär, aus dem die linksstehenden Generäle und Offiziere entlassen oder politisch neutralisiert wurden. Mit einem Wort: Die demokratische Konterrevolution hatte auch noch in den Jahren nach der Stabilisierung 1976 eine Menge Arbeit vor sich. Denn der revolutionäre Prozess hatte in Portugal durchaus tiefe Spuren hinterlassen, und das trotz einer Politik der großen Formationen der Arbeiterbewegung, die auf Ausgleich mit den bürgerlichen Kräften bedacht war, und einer Politik der minoritären Strömungen der Arbeiterklasse, die in ihrer Mehrheit sektiererische, ultimatistische Antworten auf die Politik des Verrats von seiten der SP und KP formulierten.

Wir wollen damit natürlich nicht behaupten, dass sich das Ganze vor dem Hintergrund dieser nicht gerade berauschenden Bilanz ohnehin nicht gelohnt habe, dass das alles nicht der Mühe und der Opfer wert gewesen sei. Eine Rückkehr zur Zeit vor 1974 war ebenso ausgeschlossen wie die Wiedererrichtung eines bonapartistischen Terrorregimes mit seinem Spitzelsystem und seiner Geheim-polizei, mit seiner unverhüllten Kolonialpolitik und seiner Illegalisierung der Arbeiterbewegung. Natürlich, die bürgerlichen Freiheiten sind ein hohes Gut, das es gegen den Ansturm der Reaktion zu verteidigen gilt. Aber allein schon die Fragestellung ist schief, die Frage, ob sich das alles gelohnt habe, führt einfach nicht aus der Sackgasse des postmodernen Skeptizismus. Das entscheidende an revolutionären Situationen ist ja nicht nur, dass die Regierten sich nicht mehr wie bisher regieren lassen wollen, wie es Lenin einmal ausdrückte, sondern genauso wichtig ist das zweite Element: dass die Regierenden nicht mehr so können wie bisher: Das System von Salazar und Caetano war schlicht und ergreifend bankrott. Kein Weg führte mehr nach vorne, eine selbstgesteuerte Korrektur war ausgeschlossen.

Aber die Frage, ob die Grenzen der portugiesischen Revolution durch die Natur der Ereignisse so eng gezogen waren, dass kein anderer Ausgang möglich gewesen wäre, der den historischen Klasseninteressen des Proletariats mehr entsprochen hätte, verdient Beachtung. Reformisten werden nie verstehen, dass die von ihnen immer wieder so eng gezogenen und messerscharf analysierten Grenzen revolution-ärer Prozesse nicht das Ergebnis einer Vorherbestimmtheit, die fatalistisch zur Kenntnis genommen werden müsse, sondern der Tatsache geschuldet sind, dass im Verlauf des revolutionären Prozesses die Beschränkungen des Nationalstaats nicht gesprengt werden konnten: Dass also die portugiesische Revolution nicht zum Auslöser einer revolutionären Welle wurde, die über Spanien und die engen Grenzen der iberischen Halbinsel hinausgeschwappt wäre. Das aber war nicht ein schicksalhafter Geburtsfehler der portugiesischen Revolution, sondern nicht zuletzt das Ergebnis der Politik der großen Formationen der Arbeiterbewegung und des Fehlens einer revolutionären Partei, die die portugiesische Revolution als Auftakt einer internationalen Revolution verstanden hätte.

Was waren aber im Detail die Antworten, die SP und KP gaben? In den folgenden Abschnitten wollen wir uns nun mit den politischen Strömungen der Arbeiter-bewegung in den revolutionären Ereignissen und mit der Politik der MFA befassen.

Reformistische Demobilisierung – die Politik der SP

Wir sprachen schon oben davon, dass die Sozialistische Partei das Hauptproblem der portugiesischen Revolution darstellte, und zwar sowohl in praktisch-politischer als auch in theoretischer Hinsicht: Im Verständnis der SP liegt der Schlüssel zum Verständnis der Situation 1974 bis 1976.

Die Sozialistische Partei beruft sich auf die Geschichte der portugiesischen Arbeiterpartei, die 1875 gegründet wurde, nachdem auch schon die Internationale Arbeiterassoziation in Portugal über eine – allerdings, da kein Koalitionsrecht existierte, nicht legale – Sektion verfügt hatte. 1973 wurde die portugiesische SP neu gegründet – mit Hilfe der SPD (über die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung). Die neue Partei löste die Portugiesische Sozialistische Aktion (ASP) ab, die sich mit eigenen legalen Kandidaturen als gemäßigte Opposition in der Endphase des Caetano-Regimes profilieren hatte können.

Im Programm der Sozialistischen Partei, das am Gründungskongress von 1973 verabschiedet wurde, definierte sie ihre wichtigsten Punkte als: Demokratie statt des faschistischen Systems, Unabhängigkeit für die Kolonien und das Recht der Kolonialvölker auf Selbstbestimmung und Abschaffung des Korporativsystems, das die Freiheit der Gewerkschaften knebelte. Die Sozialistische Partei trat dabei als konsequente Vertreterin des „demokratischen Sozialismus“ mit einem durchaus antikapitalistischen Programm auf: “Die Sozialistische Partei bekämpft das kapitalistische System und die Herrschaft der Bourgeoisie. (…) Die Sozialistische Partei lehnt die Richtung jener Bewegung ab, die sich sozialdemokratisch oder sogar sozialistisch nennt, und doch nur bewusst oder faktisch die Strukturen des Kapitalismus beibehalten und den Interessen des Imperialismus dienen will”

Die SP grenzte sich allerdings nicht so explizit wie die ASP vom “totalitären Sozialismus” der KPs ab, da die ASP 1969 von der Notwendigkeit einer Abgrenzung zur KP, 1973 die SP jedoch von der Möglichkeit einer Integration der KP in ihr Gesellschaftsprojekt ausging: “Die Sozialistische Partei betrachtet die sowjetische Revolution als fundamentalen Markstein in der Geschichte der Menschheit und anerkennt die Bedeutung der u.a. in China, Jugoslawien, Kuba und Vietnam verwirklichten sozialen Revolution sowie die Besonderheit des Experiments der Unidad Popular in Chile.”

Als Endziel wurde im Programm definiert: “Die Sozialistische Partei strebt den Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft in Portugal an. (…) Ohne das aus-schließen zu wollen, was die bürgerliche Demokratie an Fortschrittlichem mit sich brachte (…) kämpft die Sozialistische Partei für den Aufbau einer neuen Gesell-schaft, deren Fundament nicht Lohnabhängigkeit und Gewinn, Entfremdung von Arbeit und Bewusstsein, die Herrschaft von Warenkategorien und juristischen Zwangsbeziehungen und die Ausbeutung und Manipulation des Menschen durch den Menschen sind.”

Innerhalb kürzester Zeit wird die SP zu einem ernstzunehmenden Faktor in der beginnenden regimekritischen Massenbewegung der Jahre 1973 und 1974. Im April 1974, zur Zeit des Putsches der MFA-Offiziere, verfügte die SP zwar noch nicht über Massenunterstützung und in Portugal nur über ca. 300 Mitglieder, aber sie hatte etwas, worüber die wesentlich stärker verankerte KP nicht verfügte: Sie hatte trotz ihrer antikapitalistischen Rhetorik gute Beziehungen zu Regierungen in West-Europa, v.a. zu Deutschland (personifiziert in Regierungschef Willy Brandt), Österreich (Bruno Kreisky) und Schweden (Olof Palme).

Sowohl die MFA als auch die KP wissen das, nicht zufällig wird daher der Exponent der SP, der aus dem Exil heimgekehrte Mario Soares, auch sofort Außen-minister der ersten provisorischen Regierung. Soares vertrat gegen Spinola getreu dem Programm der SP die Perspektive der Entlassung der Kolonien in die Unabhängigkeit und setzte Verhandlungen mit den Vertretern der Befreiungs-bewegungen durch. Und Soares war sich – seinem Programm schon viel weniger treu – mit dem Hauptflügel der Bourgeoisie in einer Orientierung auf den europäischen Imperialismus einig.

Das strategische Ziel der SP war 1974/1975 die Durchsetzung eines bürgerlich-parlamentarischen Systems gegen den Widerstand von links und rechts, und dazu war eine Orientierung auf eine Volksfront mit bürgerlichen Parteien und der KP – mit der SP als Zentrum – und die Gewinnung ebendieser KP als stabilisierender und integrierender Ordnungsfaktor auf der Linken notwendig.

Anfang 1975 bestand die SP im wesentlichen aus drei Hauptströmungen: einer linkssozialdemokratischen, die von einer antikapitalistisch-reformistischen Per-spektive ausging, einer prokapitalistischen Rechten, die mit keynesianischen Methoden die Krise zu überwinden gedachte, und einer eher der Rechten zu-neigenden, aber zwischen den beiden Lagern lavierenden Mittelgruppe um Soares, wobei klar war, dass jene Gruppe gewinnen würde, mit der die Mittelgruppe ein Bündnis eingehen würde. Am 1. Parteikongress nach dem April 1974, im Dezember 1974, konnte die linkssozialdemokratische Strömung immerhin um die 40% der Stimmen der Delegierten erreichen (323 zu 414). Trotzdem war sie der Hauptverlierer des Parteitages, der mit einem Sieg der Soares-Gruppe und der Rechten endete: Die Autonomie der bis dahin relativ autonom agierenden Parteigruppen wurde aufgehoben, nur die Sozialistische Jugend durfte ihre Selbständigkeit behalten. Die Linkssozialisten verließen daraufhin die Partei und gründeten die FSP, die Sozialistische Volksfront, die allerdings nicht im entferntesten die Wichtigkeit erlangen sollte, die das Zahlenverhältnis am Parteitag suggerieren hätte können.

Was in der SP folgte, war eine Rechtswende und der Bruch mit der Linken in- und außerhalb der SP, vor allem auch der militärischen Linken in der Regierung. Nach dem März 1975 mit seiner Radikalisierung und Links-Entwicklung der MFA-Führung wurde dies immer klarer; die konterrevolutionäre Funktion des Reformismus deutlicher. Ab Frühjahr 1975 wurden in der SP die Stimmen gegen Abenteurertum und Kasernensozialismus lauter, der Exponent des rechten Flügels in der SP, Barroso, verliert zwar als Person gegen Mario Soares, er kann aber der SP-Politik seinen Stempel aufdrücken. Schwerpunkt der Politik wird der Abwehrkampf gegen linkes Abenteurertum, die SP tritt nun verstärkt als Ordnungspartei gegen den Anarchopopulismus auf und beginnt mit einer offensiven Konfrontationspolitik gegen KP und MFA-Linke, bleibt aber auch nach dem März 1975 und der Sozialisierungsoffensive in der Regierung.

Unter dem Deckmantel der Verteidigung des Volkswillens (die Wahlen zur Konstituante hatten ja mit einem SP-Sieg geendet) unterstützte die SP nun bewusst die Institutionen und die Stärkung des bürgerlichen Staates gegen die Formen und Institutionen der Selbstorganisation des Proletariats. Die SP-Kampagne der Soares-Führung zur Stärkung der Autorität der Konstituante im besonderen und des bürgerlichen Staatsapparates im allgemeinen war also gegen die Arbeiter-kommissionen, die Nachbarschaftskommissionen, gegen alles gerichtet, was als parallele Macht dem bürgerlichen Staat gegenübergestellt werden konnte. Die Formen der proletarischen Selbstorganisationen mussten also sozial-partnerschaftlich gezügelt und mit allen Mitteln in das System des bürgerlichen Staates integriert werden. Die Position der SP wollte also die existierenden Ansätze der Doppelherrschaft in den bürgerlichen Staat integrieren und damit ihrer potentiell revolutionären Stoßrichtung entkleiden. Aus Werkzeugen der proletar-ischen Demokratie sollten Werkzeuge des bürgerlichen Staates werden.

In dieser Situation wurde die SP die Speerspitze und der verlässlichste Garant der bürgerlich-demokratischen Konterrevolution. Ihr Ziel war nach wie vor der Übergang zu einem bürgerlich-demokratischen System und dessen Festigung – allerdings wurde dieses Ziel nun nicht mehr gegen eine bonapartistische Herrschaft verteidigt, sondern gegenüber einer Arbeiteravantgarde, die partiell über die engen Grenzen des bürgerlichen Parlamentarismus hinausging und Keimformen der proletarischen Demokratie entwickelte.

Die besondere Bedeutung, die die Sozialistische Partei in dieser Phase für die Bourgeoisie erlangte, liegt wohl in der Verankerung der Sozialistischen Partei (dazu später) in großen Teilen des Proletariats und der Mittelschichten begründet, die sie zu einer Integration dieser Schichten besser als die offen bürgerlichen Gruppierungen befähigte. Aber sie liegt auch darin, dass die herrschende Klasse nach dem Februar 1974 über keinen voll funktionsfähigen Staatsapparat und keine eigenen starken politischen Strukturen verfügte, die in der Lage gewesen wären, in einer direkten Konterattacke den revolutionären Aufschwung zu zerschlagen. Eine solche direkte Attacke war aber auch noch nicht nötig geworden, da das Bewusst-sein der schweren Bataillone des Proletariats trotz der relativ weit fortgeschrittenen Formen der Selbstorganisation noch nicht mit der bürgerlichen Demokratie ge-brochen hatten und nach wie vor den illusionären Konzepten einer Verbindung von bürgerlichem Parlamentarismus und proletarischen Selbstorganisations- (und potentiellen Gegenmacht-) Organen anhingen.

Aber auch in dieser Phase agierte die SP noch mit linken Losungen: Auf der 1.-Mai-Demonstration 1975 agitierte die SP in Lissabon mit der Parole Arbeiter-kontrolle – Arbeiterkommissionen, ein deutlicher Hinweis darauf, dass die SP nach wie vor auch in breiteren Schichten des Proletariats verankert war, auf die Rücksicht genommen werden musste. 1976 war ihr Hauptslogan Sozialismus in Freiheit, auch schon 1975 war die SP in den Wahlen zur Kontituante mit sozialistischer Demagogie angetreten. Die 38%, die 1975 für die SP gestimmt hatten (und die 35% des Jahres 1976) zeigten sehr wohl, dass sich die Arbeiter und das Kleinbürgertum von der SP am ehesten eine Vertetung ihrer Interessen und einen Schutz vor einer Rückkehr der offenen Reaktion erwarteten.

Trotz ihrer konterrevolutionären Politik, die auf die Begrenzung der Revolution auf einer bürgerlichen Stufe abzielte, ging die SP als bürgerliche Arbeiterpartei, die nach wie vor unter dem Druck ihrer proletarischen Basis stand, nicht auf die Positionen der extremen Rechten über, sie hätte in diesem Fall nur ihre Basis verprellt und damit auch ihre Funktion für die Bourgeoisie verloren. Die SP wollte zwar den Privatsektor in der portugiesischen Ökonomie garantieren und trat für eine Begrenzung der Verstaatlichungen und der Agrarreform auf, vertrat aber bis 1977, als der revolutionäre Schutt weggeräumt wurde, nicht die Position einer Rücknahme der Nationalisierungen und eine Rückgabe besetzten Landes an die enteigneten Großagrarier!

Die SP war beim Putsch kaum im Proletariat verankert gewesen und hatte noch am ehesten in der Emigration über Einfluss verfügt. Aber als Außenminister gelang es Soares, die Hoffnung von Millionen Portugiesen auf die Beendigung des Kolonialkrieges und die Hinwendung zur EG, mit der ein Leben in (bescheidenem) Wohlstand und eine Besserung der Lebensverhältnisse verbunden wurde, zu bündeln. Mit dieser Politik erhofften sie sich einen ähnlichen Fortschritt und einen dementsprechenden Wirtschaftsaufschwung, wie ihn die imperialistischen Kernländer der EG geschafft hatten, in denen ein Viertel der arbeitsfähigen Bevölkerung Portugals als Arbeitsemigranten beschäftigt war. Mit sozialistischer Demagogie konnte sie von der KP enttäuschte Arbeiter gewinnen, vor allem aber gelang es ihr, das demokratische Streben breitester Schichten der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums in das Fahrwasser bürgerlicher Demokratie zu leiten.

Mit den Forderungen nach breitester Demokratie konnte sich aber nicht nur das Gros des Proletariats identifizieren, sondern unter den Forderungen sammelte sich auch die Konterrevolution, vor allem als die SP 1975 in Widerspruch zur MFA-Führung und zur KP geriet. Aber hier muss unterschieden werden: Während sich die SP sozial auf das Proletariat und – dem untergeordnet – auf das Kleinbürgertum der Städte stützte, ging die SP mit der Reaktion eine stille Koalition ein und besorgte objektiv deren Geschäfte, da sie ab 1975 eine Bedrohung der bürgerlichen Demokratie eher auf seiten der revolutionären Linken als auf seiten der Konter-revolution vermutete.

Die Sozialistische Partei Portugals war also der Hauptexponent eines Experimentes der demokratischen Konterrevolution: Die Verteidigung und Konsolidierung eines bürgerlichen Staates durch die Integration oder die Ausmerzung von Organen der Arbeiter, die zu einer Gefahr für die bürgerliche Ordnung hätten werden können bzw. diese potentiell in Frage stellten – aber unter Aufrechterhaltung der Handlungs-, Organisations- und Meinungsfreiheit für die Organisationen des Proletariats. Das allerdings war nichts Außergewöhnliches für eine Sozialdemokratische Partei und tangiert in der Analyse nicht deren Einschätzung. Für uns ist der Reformismus immer schon eine bürgerliche Strömung in der Arbeiterbewegung gewesen, die auch zu den Mitteln der Konterrevolution gegen eine über den bürgerlich-demokratischen Rahmen hinausgehende proletar-ische Bewegung greifen wird.

Eine ähnliche Situation im Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkriegs charakterisierte Trotzki folgendermaßen: “Die deutsche Revolution von 1918 ist durchaus nicht die demokratische Vollendung einer bürgerlichen Revolution; sie ist eine von der Sozialdemokratie enthauptete proletarische Revolution, genauer: eine `bürgerliche Konterrevolution`, die nach ihrem Sieg über das Proletariat gezwungen war, den trügerischen Schein der Demokratie zu wahren.” Und wie in Deutschland 1918/1919, war in Portugal 1974/1976 der sozialdemokratische Reformismus der Hauptträger dieser Politik, da die bürgerlichen Kräfte zu dis-kreditiert waren, um als politischer Exponent einer solchen Politik in Frage zu kommen.

Aber die Ereignisse in Portugal und die Politik der portugiesischen SP hatten auch eine über die Grenzen dieses Landes weit hinausgehende Bedeutung: Portugal mit seiner Revolution der Nelken wird zum Experimentierfeld für die Sozialistische Internationale. Die Grundfrage wurde ja auch in Portugal gestellt: Wie können sozialdemokratische Erfolge gegen reaktionäre (bonapartistische oder faschistische) Diktaturen errungen werden, ohne dass diese in einem Blutbad wie in Chile 1973, in einer sozialistischen Revolution oder durch die Machtübernahme der stalinist-ischen Konkurrenten enden? Was können etwa die griechische PASOK, die gegen die reaktionäre Militärdiktatur antrat, oder die spanische PSOE am portugiesische Beispiel lernen? Oder andersherum: Was kann der europäische Imperialismus am portugiesischen Beispiel lernen?

Zuerst einmal konnte der Imperialismus lernen, dass gegenüber einem Land an der Peripherie des Imperialismus die in Lateinamerika über Jahrzehnte geübte Politik, nämlich mit Interventionen und Wirtschaftsboykott eine genehme Politik zu erzwingen, nicht immer die beste sein muss. Portugal war ja als Mittler zwischen dem europäischen Kapital und seinem ehemaligen afrikanischen Hinterland ausersehen, hier musste also differenzierter vorgegangen werden und konnte die Politik durchaus auch mehr kosten als im Falle der “Bananenrepubliken“ Mittel-amerikas. Genau das hatte der europäische Imperialismus (und in seinem Gefolge der amerikanische ab Herbst 1975) verstanden: Politischer und ökonomischer Druck über Hilfen und Kredite waren die Mittel, mit denen v.a. der deutsche Imperialismus den portugiesischen revolutionären Prozess einzudämmen gedachte.

Portugal sollte damit der Testfall werden für die bürgerlich-demokratische Lösung einer revolutionären Situation und die Überwindung einer akuten Legitimations-krise des bürgerlichen Staates ohne den offenen Einsatz militärisch-autoritärer Mittel in einem Land an der Peripherie des Imperialismus.

Dass dieses Experiment im wesentlichen glückte, liegt natürlich nicht daran, dass der Imperialismus so überaus klug agiert hätte, sondern ganz wesentlich in den spezifischen Bedingungen Portugals selbst. Wir sehen in Portugal zwar ein nicht-imperialistisches Land, allerdings mit einer wichtigen Besonderheit: Der Kolonial-besitz und seine Extraprofite ermöglichten – untypisch für Länder der Peripherie – den Einsatz von materiellen Mitteln zur Korrumpierung und Bestechung einer (allerdings sehr schmalen) Arbeiteraristokratie.

Wichtiger allerdings war die ideologische Fixierung auch großer Teile des Proletariats auf ein Modell des Sozialstaats, wie er sich in Westeuropa heraus-gebildet hatte, in dem ein Viertel des portugiesischen Proletariats als Gastarbeiter beschäftigt war. Die reformistische Vision eines Europa der Werktätigen, wie sie etwa von Willy Brandt in Unterstützung der portugiesischen SP im Wahlkampf 1975 propagiert wurde, wurde zu einem wichtigen ideologischen Konstrukt der portugiesischen SP. Ein Sozialismus der Autarkie a la MFA und die Strategie der KP würden in die Isolation führen, nur die SP könne den Anschluss an Europa garantieren, so deren Argumentation.

Dass dieses Experiment glückte, hängt aber auch mit der Politik der Organisat-ionen der radikalen Linken zusammen und mit der der PCP, der Portugiesischen Kommunistischen Partei. Die ultralinke Politik der diversen linken Organisationen, die zu einer Einheitsfrontpolitik gegenüber der Sozialistischen Partei und deren Basis nicht in der Lage waren, half immer wieder mit, die aufbrechenden Widersprüche in der SP zu kitten. Die ultralinken Organisationen versuchten nicht oder mit unzureichenden Mitteln, die Arbeiterräte als Einheitsfrontorgane des gesamten Proletariats aufzubauen, sondern sahen in ihnen eher Vorfeldstrukturen ihrer eigenen Parteiaufbauprojekte. Ein wichtiger Schritt wäre gewesen, die SP in die Arbeiterkommissionen und Räte, die höchsten Organe der Einheitsfront, ein-zubinden, um dort auf der Bühne der proletarischen Demokratie deren Politik einem Test der Praxis zu unterziehen. Nicht einmal die SP-Parteiführung war ja verbal gegen die Arbeiterkommissionen, sie war ja lediglich dagegen, dass sie der Konstituante Konkurrenz machen würden!

Andererseits war auch die sektiererische Politik der KP (im Sommer 1975 wurden beispielsweise gegen jene Demonstrationen der SP, in denen sie die Respektierung des Volkswillens einklagen wollte, Barrikaden errichtet) ungeeignet, die immer wieder auftretenden Differenzen zwischen der SP-Basis und der Parteiführung zu vertiefen. Wir werden daher als nächstes einen genaueren Blick auf die Politik der Kommunistischen Partei, der linkeren reformistischen Konkurrenz zur SP, werfen.

Antimonopolistischer Verrat der Revolution – die Politik der KP

Die Kommunistische Partei hatte 1974 an sich eine sehr gute Ausgangssituation, die hegemoniale Kraft der Revolution zu werden. Sie hatte sich nicht nur durch ihren Kampf unter der Caetano-Diktatur großes Ansehen verschafft, sie war auch mit etwa 5.000 Mitgliedern im April 1974 die einzige Organisation des opposition-ellen Spektrums, die über breiteren organisierten Anhang verfügte. Noch vor dem 1. Mai 1974 war der Parteiführer Cunhal, wie sein Gegenspieler Soares von der SP, aus dem Exil nach Lissabon zurückgekehrt. Die KP hatte als einzige Partei vom April 1974 an einen handlungsfähigen Apparat und eine ebensolche Führung sowie eine organisierte Basis, auf die Verlass war im Sinne von Manövern des Partei-apparats. Soares hatte ein Jahr gebraucht, bis er ähnliches vorzuweisen hatte.

In ihrem Programm von 1965 definierte sie die kommende Revolution von ihrem Charakter her als national und demokratisch, wobei sie auf der Einhaltung genau definierter Etappen, was das sozialistische Endziel und die erste demokratische Etappe betrifft, bestand. Vergleicht man die politische Entwicklung im stalinist-ischen Lager, strich sie mit 1973 erst etwas verspätet das Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats aus ihrem Programm. In acht Punkten fasste sie ihre Vorstellungen zusammen: den faschistischen Staat zerstören, eine demokratische Ordnung einführen, Kampf den Monopolen (ausländische Konzerne gegen Entschädigung nationalisieren) und dadurch die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben, eine Agrarreform durchführen nach dem Prinzip: das Land denen, die es bebauen, das Lebensniveau der arbeitenden Klassen und des Volkes heben, das Bildungswesen demokratisieren, Portugal vom Imperialismus befreien, den Kolonialvölkern das Recht auf Unabhängigkeit garantieren, eine Politik des Friedens und der Freundschaft mit anderen Völkern verwirklichen. Vom Sozialismus war nicht die Rede, die kommenden Aufgaben sollten die (bürgerliche) Demokratie und ein antimonopolistisches Bündnis festigen.

Am 25. April 1974 agierte die KP sehr vorsichtig und zurückhaltend. Sie beteiligte sich aber bereits an der ersten provisorischen Regierung vom Mai 1974. Deren Rolle wurde von der KP als begrenzt definiert, weitergehende Ambitionen in Richtung Sozialismus wurden als vollkommen unrealistisch und schädlich denunziert. Im Zentrum stand die Aufrechterhaltung der “Einheit der demokrat-ischen und liberalen Kräfte und das Bündnis der Volksbewegung mit der Bewegung der Streitkräfte”.

Auf ihrem VII. außerordentlichen Parteitag im Oktober 1974 wurde die PKP-Linie einer Volksfront bekräftigt: Sie wolle auch weiterhin mit der Sozialistischen Partei, mit der Demokratischen Bewegung Portugals und auch mit anderen demo-kratischen Parteien und Organisationen zusammenarbeiten. Die “Einheit der demokratischen Kräfte und das Bündnis zwischen dem Volk und den bewaffneten Kräften” sei notwendig, diese Politik behalte “für längere Zeit ihre Gültigkeit”. Wir wollen nur der Vollständigkeit halber hinzufügen, dass diese Einheit des Volkes natürlich nicht nur die SP, sondern auch die demokratischen, anti-monopolistischen Parteien des bürgerlichen Lagers wie die Volksdemokratische Partei (PPD) mit einschloss.

Die KP legte “in dieser schwierigen Situation” auch großen Wert auf eine Politik zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmer, “deren Ruin nur im Interesse der monopolistischen Gruppen liegen kann”. Und weiter: “Die Verteidigung der Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen ist ein wesentlicher Bestandteil der Verteidigung der wirtschaftlichen und sozialen Stabilität”.

Folgerichtig versuchte die KP den Wunsch nach sozialen Reformen zu bremsen, da dies ja das Bündnis von Arbeiterklasse und Klein- und Mittelbourgeoisie unter-graben und damit die Volksfront in Gefahr bringen würde. Die KP warnte vor der “Gefahr unrealistischer Forderungen, die mitunter noch über das in hoch-entwickelten Industrieländern von der Arbeiterklasse Erkämpfte hinausreichen”. Die Arbeiterbewegung müsse alles Menschenmögliche tun, “damit es in den Schlüsselsektoren des ökonomischen Lebens nicht zu Streiks kommt”. Zusammen-gefasst und mit Blick auf das MFA-Programm: “Es ist zu sagen, dass auf Grund des angenommenen Programms bis zur Einberufung der verfassungsgebenden Versammlung keine Möglichkeit besteht, große soziale Reformen vorzunehmen. (…) Wir Kommunisten sind völlig einverstanden mit diesem Programm, dem alle der Koalition angehörenden Kräfte ihre Zustimmung gegeben haben.”

Während des ganzen Jahres 1974 werden keine Nationalisierungsforderungen erhoben. Hartes Vorgehen wird zwar gegen Saboteure verlangt, insgesamt aber bleibt das Programm überaus vorsichtig. Gemäß den oben aufgestellten Thesen, dass die Arbeiterklasse das Bündnis mit der antimonopolistischen Demokratie nicht gefährden und keine überzogenen Forderungen stellen dürfe, positionierte sich die KP in den Klassenauseinandersetzungen des Jahres 1974 auch gegen Streiks und versuchte alles, um diese zu demobilisieren. Die KP stellte sich gegen die Streiks der Postarbeiter vom Juni 1974 (der Streik wurde nach Intervention der MFA ergebnislos abgebrochen), gegen die Streiks bei Timex und bei TAP, stimmte gegen die Forderung nach einem Minimallohn von 6000 Escudos (!) und akzeptierte das Streikgesetz vom Herbst 1974, das erhebliche Einschränkungen der Streikfreiheit beinhaltete – alles im Namen der Produktionsschlacht, mit der Bourgeoisie und Proletariat gemeinsam die Grundlagen für den Neuaufbau der demokratischen Gesellschaft legen sollten. Wohl nicht erwähnt werden muss, dass sich auch in der Gretchenfrage für proletarische Revolutionäre, in der Durchbrechung des Gewaltmonopols des bürgerlichen Staates, die KP klar positionierte: Sie trat gegen jede Bewaffnung von Arbeiterkomitees, wie dies etwa im Sommer 1975 gefordert wurde, ein und denunzierte dies als abenteuerliche Politik, die das Bündnis des Volkes mit der in der MFA organisierten Militärbewegung untergrabe.

Mit einem Wort: Die Position der KP war ein schönes Beispiel dafür, dass ein reformistisches Gesamtkonzept dann zur reaktionären Demobilisierung tendieren muss, wenn die reale Bewegung über den programmatisch vorgeschriebenen Charakter einer Revolution hinauszugehen beginnt. Genau das passierte in Portugal, womit die KP dem realen revolutionären Prozess hinterherzuhinken und diesen zu bremsen begann.

Damit aber erreichte die KP neben einer Demobilisierung der Bewegung entgegen ihrem Willen zweierlei: Einerseits wurde die SP politisch als attraktiver Gegenpol gestärkt, und zweitens auch die linksradikalen Strömungen in proletarischen und halbproletarischen Schichten gefördert. Beim Streik der Postarbeiter trat eine große Zahl an Arbeitern von der KP in die SP über, zunehmend verlor die KP in den nächsten Monaten vor allem dort, wo die Massen besonders aktiv waren. Meist verlor die KP sowohl nach links an die extreme Linke als auch nach rechts, an die Sozialistische Partei.

Erst im Dezember 1974 konstatierte – parallel mit der Linkswende in der MFA – auch die KP, deren Bindung an das Proletariat durch die Politik der voran-gegangenen Periode eindeutig geschwächt worden war, eine Beschleunigung des Rhythmus der Revolution und wollte nun der von ihr demobilisierten Bewegung wieder mehr Schwung verleihen… Plötzlich wurden Nationalisierungen gefordert und in der Regierung auch durchgesetzt. Zu einer generellen Wende ihrer Politik aber war die KP nicht bereit, das wird schon allein daran sichtbar, dass die KP in allen Regierungen vertreten war und alle Schwenks, das Auf und nach der fünften auch das Ab des revolutionären Prozesses auf Regierungsseite mitmachte.

Trotz all ihrer bürokratischen Politik der Demobilisierung und der partiellen Verluste blieb aber die KP ein gut organisierter Attraktionspol für die Arbeiter-bewegung in Portugal. Ihr großes Plus war ihre engmaschige Organisation bereits unmittelbar nach dem April 1974. Die KP wurde in Portugal eine Massenpartei mit vielen Mitgliedern, aber auch mit vielen Posten, die sie zu vergeben hatte. Im Juli 1974 war ihre Mitgliedschaft auf 10.000 angewachsen, im Mai 1975 auf 100.000 und im Jahr 1976 auf 115.000. Sie blieb – auch wenn sie andererseits wieder Verluste an Mitgliedern und Sympathisanten hinnehmen musste – die Hauptpartei des portugiesischen Proletariats – mit Ausnahme der Angestellten, in denen die SP dominierte, und einiger radikaler Gewerkschaftsverbände, die meist unter der Dominanz anderer Gruppen der Linken standen, wie die nationale Lehrergewerkschaft, in der die linkssozialistische MES dominierte.

Bei dem Gewerkschaftsdachverband Intersindical war die KP von Anfang an erfolgreich gewesen, sich eine sichere Stellung zu verschaffen. Durch ein Gewerkschaftsgesetz im Jänner 1975 ließ sie von staatlicher Seite per Gesetz festlegen, dass die Intersindical die einzig zulässige Gewerkschaft in Portugal sei. Das Recht der Koalitionsfreiheit, also das Recht, eigene Organe der Arbeiter-demokratie zu gründen, wurde damit zwar bewusst verletzt, aber der Hintergrund war natürlich, dass die KP ihre Stellung abzusichern trachtete, die sie als dominierende Kraft des anti-salazaristischen Widerstands auch in der illegalen Gewerkschaftsbewegung erkämpft und in der Folge ohne Wahlen auf den neuen Gewerkschaftsverband Intersindical übertragen hatte.

Dieselbe Politik der Absicherung ihrer Machtposition wie im Intersindical versuchte die KP mit einigem Erfolg auch in den Massenmedien, in Fernsehen, Radio und Presse, und natürlich auch auf lokaler Ebene. Nach dem 25. April wurden oftmals die Bürgermeister spontan abgesetzt, an ihre Stelle traten in vielen Fällen Mitglieder und Sympathisanten der KP, die ihre Titel der schnellen Initiative der KP in den ersten Stunden und der Unterstützung der MFA verdankten. Gerade hier hakte Soares und die SP ein – nicht aus Gründen der abstrakten Demokratie, versteht sich, sondern natürlich, weil die SP in ihrem Parteiaufbau hinter der KP hinterherhinkte und erst später eine ähnliche Organisationsdichte erreichte. Daher auch ihre Forderung nach freier Wahl der Bürgermeister, denen sich die KP aus genauso klaren Ursachen widersetzte. Erst durch den bürokratischen Zugriff der KP auf die Gewerkschaft, die Manipulation der Presse und der Massenmedien sowie durch die konsequente Durchdringung der Gemeindeverwaltungen bekamen die demokratischen Proklamationen der SP jene Glaubwürdigkeit, die sie als besten Garanten gegen den totalitären Kommunismus erscheinen ließ.

Ein letztes Wort zum Verhältnis der KP zur MFA: Die KP anerkannte die MFA als einzig legitime militärische Macht in Portugal und legte systematisch ihren Schwerpunkt auf die Einheit mit der MFA, die als Motor des Prozesses der Demokratisierung des Staatsapparats und als dessen Garant politisch legitimiert wurde. Gleichzeitig war die MFA für die KP aber auch ein Instrument der Lenkung der Massenbewegung. Die KP erfüllte – mit Ausnahme der kurzlebigen fünften Regierung – ihre Funktion als linke Flankendeckung der jeweiligen Regierungen und versuchte, die herrschende Gruppierung in der MFA auf ihre Positionen einer antimonopolistischen Demokratie festzulegen. Objektiv federte sie den Übergang zu einem bürgerlich-demokratischen Regime ab und integrierte von links breite Kräfte der Arbeiterbewegung.

Dass die KP eine Stabilisierung der Verhältnisse und nicht ein Weitertreiben der Revolution anstrebte, wird auch besonders deutlich an der außenpolitischen Orientierung: Im Programm von 1965 war noch die Forderung nach einem Austritt aus der NATO enthalten gewesen. Diese Forderung wurde aus dem Programm gestrichen! Das internationale Kräfteverhältnis sei dafür ebenso maßgeblich gewesen wie die Entspannungspolitik zwischen den beiden Blöcken, was einen Austritt aus der NATO nicht mehr notwendig mache, war Cunhals Erklärung für diese Kurskorrektur. Was am Beispiel der NATO gezeigt wurde, setzte sich auch in der Wirtschaftspolitik fort: Die anti-imperialistischen Aspekte des Programms von 1965 wurden zurückgedrängt, so wurde eine Verstaatlichung des Auslands-kapitals abgelehnt, um die Revolution nicht zu isolieren und zu gefährden.

Konsequent versuchte die KP auch, eine Internationalisierung der Revolution zu hintertreiben – der Versuch, einer Radikalisierung der Revolution die Basis zu entziehen, aber auch ein fatales Zugeständnis an den Imperialismus, um einer ausländischen Einmischung in Portugal zu entgehen. Statt dessen forderte sie eine Verstärkung der Beziehungen zur Dritten Welt und zu den Sozialistischen Staaten – angesichts der Hoffnungen in weiten Teilen des Proletariats auf eine Perspektive Portugals in Richtung Westeuropa und westeuropäischen Lebensstandard eine wenig überzeugende Alternative! Aber all dieses war Ausfluss eines typisch stalinistischen Etappenmodells und der Volksfrontkonzeption, die auf eine Limit-ierung des revolutionären Prozesses, letztendlich auf eine politische Entwaffnung und Demobilisierung der Arbeiteravantgarde abzielte und damit – zwar mit ihren Mitteln und Methoden, aber in der Funktion ähnlich der SP – ihr Teil zur Stabilisierung der bürgerlichen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse beitrug.

Angesichts der Tiefe der Herrschaftskrise des bürgerlichen Systems musste eine Demobilisierungspolitik, wie sie von SP und KP verfolgt wurde, einen relativ breiten Raum für Kräfte außerhalb der beiden traditionellen politischen Strömungen der Arbeiterbewegung frei lassen. Die portugiesische Revolution wurde daher auch nicht zufällig zu einem Experimentierfeld für eine Vielzahl linker Strömungen, deren Politik nun im folgenden kurz untersucht werden soll.

Substitutionalismus & Sektierertum – die subjektiven Revolutionäre

Die Geschichte Portugals kannte keine Phase, in der das Proletariat seine Erfahrungen mit einer längeren Phase eines sozialpartnerschaftlich gezähmten Kapitalismus hätte machen können. Und auch seine Erfahrungen im Umgang mit bürgerlich-demokratischen Freiheiten waren extrem beschränkt. Das bedingte zweierlei: Erstens dass das Militär vielen als Verkörperung revolutionärer Hoffnungen erscheinen musste, war ja die Armee und deren Berufsmilitärs in der Geschichte immer wieder die Träger revolutionären Gedankenguts gewesen. Und zum zweiten öffnete sich ein breites Feld für linksradikale Organisationen und Strömungen, die an den antiparlamentarischen und oft auch – in der Tradition des Syndikalimus stehenden antipolitischen Vorstellungen in Teilen des Proletariats anknüpfen konnten. Das rasche Tempo der Radikalisierung von breiten Schichten junger Arbeiter, das politisierte Klima im allgemeinen, die Herausbildung einer breiten Bewegung unter den Soldaten bei gewaltig gesteigerten Freiräumen durch die Zersetzung des Staatsapparats – all das schaffte günstige Voraussetzungen für die Entstehung und die Ausweitung des Einflusses von Gruppen der radikalen Linken.

Schon vor dem April 1974 war die subjektiv revolutionäre Linke weit auf-gefächert gewesen, und diese Zersplitterung verstärkte sich nach dem Beginn des revolutionären Prozesses noch weiter: maoistische, trotzkistische, anarchistische, rätesozialistische, linkssozialistische und andere Strömungen versuchten sich in der Arbeitervorhut und vor allem in den räteähnlichen Strukturen, die sich ab dem Frühsommer 1974 herausbildeten, zu verankern. Die subjektiv revolutionäre Linke Portugals zeichnete sich in aller Regel durch zwei politische Charakteristika aus: einmal ein extremes politisches Sektierertum, das sie zu einer Einheitsfrontpolitik gegenüber den Hauptströmungen der Arbeiterbeweguing unfähig machte, und zum anderen hatte sie ein substitutionalistisches Revolutionskonzept, also ein Konzept, in der die Aufgaben der Arbeitervorhut (oder überhaupt der eigenen Organisation) mit der der gesamten Klasse verschmolzen und nicht mehr unterschieden wurde zwischen den Aufgaben einer Einheitsfrontstruktur, wie etwa Räten, und denen politischer Strukturen wie der der eigenen Partei.

Das Reservoir, aus dem ein Teil der radikalen Linken schöpfte, waren die Revolutionären Brigaden, die ab den 60er Jahren durch spektakuläre Aktionen im Sinne einer Guerillastrategie (Gefangenenbefreiungen, Überfälle auf Polizei-stationen, Banken etc.) auf sich aufmerksam machten und sich in der PRP, der Volksrevolutionären Partei eine politische Struktur schufen. In diese Richtung einzuordnen war auch die LUAR, die Liga der Revolutionären Einheit. Eine zweite Traditionslinie war der maostalinistische Flügel in der KP, der sich nach 1963 und dem Bruch zwischen der Sowjetunion und China von der KP abspaltete, die Politik der KP orthodox-stalinistisch von links kritisierte und von dem die MRPP, die Bewegung zum Wiederaufbau der revolutionären Partei, gegründet wurde.

Eine dritte Strömung der Linken außerhalb der traditionellen Parteien bildete das Spektrum der linkssozialistischen Gruppierungen, die sich als Linksabspaltungen der traditionellen Parteien konstituierten. Nach der Niederlage in der SP ab 1975 verselbständigte sich die MSP, die später die FSP (die Sozialistische Volksfront) bildete; die Bewegung der Sozialistischen Linken entwickelte sich aus dem linken Rand der Wahlkommissionen der CDEs heraus. Zu dieser heterogenen Strömung gehörten auch Gruppen wie die GAPS, die Autonomen Sozialistischen Gruppen, die als Minderheitsströmungen bei verkleinertem Spielraum z.B. in der SP verblieben waren.

Auf faktisch keine Wurzeln aus der Zeit vor 1974 konnten die trotzkistischen Organisationen (siehe weiter unten) zurückgreifen, sie entwickelten sich im Zuge der Ereignisse ab dem Sommer 1974 und als Reaktion auf die Politik der Demobilisierung von KP und SP. Auf jene Strömungen der militärischen Linken, die sich als linker Rand der MFA definierten, wird in diesem Zusammenhang näher einzugehen sein.

So heterogen wie das Spektrum waren auch die politische Ansätze der subjektiv revolutionären Linken: Sie reichten von der mao-stalinistischen MRPP, für die sich der Charakter des Regimes nach dem April 1974 nicht grundsätzlich geändert hatte und die davon ausging, noch unter dem Faschismus zu kämpfen, bis zu jenen Gruppen, die sich innerhalb der SP als linkes Korrektiv einer zu weichen Politik empfanden, aber keine Notwendigkeit eines grundsätzlichen Bruchs mit dem sozialdemokratischen Reformismus sahen.

Es ist hier nicht von besonderer Bedeutung, die Politik jeder einzelnen Gruppierung nachzuzeichnen, es mag für unsere Zwecke genügen, auf die große Bandbreite in den politischen Positionen hinzuweisen. Diese reichte von den eben als linksreformistisch charakterisierten Gruppen bis zu Anhängern der mao-stalinistischen Drei-Welten-Theorie, die in der UdSSR den Hauptfeind der Völker sahen (und die in Portugal die MRPP und die AOC, die Allianz der Arbeiter und Bauern, dazu brachte, mit der SP z.B. bei der Gewerkschaft intersindical politisch nicht ausgewiesene Zweckbündnisse einzugehen, ja sogar gemeinsame gegen die KP gerichtete Listen zu initiieren)…

Die Basis für das rasche Wachstum all dieser Gruppierungen war der Kurs von SP und KP, der auf eine Stabilisierung der kapitalistischen Verhältnisse und auf ein Abbremsen des revolutionären Prozesses ausgerichtet war. Sie waren v.a. in den Rätestrukturen verankert, konnten bis zur fünften Regierung im Sommer 1975 ihren Einfluss sukzessive steigern und verfügten allein in Lissabon um diese Zeit über eine ungefähre Mobilisationskraft von bis zu etwa 40.000. Bei den Wahlen zur Konstituante konnte dieses Spektrum alles in allem etwa 190.000 Stimmen auf sich vereinigen, was ca. 3,4% der Stimmen entsprach. Aber einzig die maostalinistische UDP, die Demokratische Volksunion, konnte einen Abgeordneten in die Verfassunggebende Versammlung entsenden und verfügte bis in die 80er Jahre über einen Abgeordneten im Parlament (sie sollte auch die einzige Organisation dieses ganzen Spektrums sein, die sich über längere Zeit eine relative Bedeutung in der portugiesischen Klassengesellschaft bewahren konnte).

Seit dem April 1974 konnten also etliche Organisationen der „extremen Linken“ breiten Einfluss in der Arbeiteravantgarde gewinnen. Was ihnen aber nicht gelang, war die Entwicklung von Taktiken, die sie befähigt hätte, gegen die Spaltung in der Arbeiterklasse anzukämpfen. Sie wurden zunehmend an die Seite des linken MFA-Flügels gepresst, der die Sozialisierungsoffensive des Jahres 1975 mittrug – Paradebeispiel dafür waren die in der FUP (Volkseinheitsfront) und der späteren FUR (Front der revolutionären Einheit) vereinigten Gruppen . Damit allerdings isolierten sie sich noch weiter von der Masse der Arbeiter, die unter der politischen Hegemonie des Reformismus, und hier vor allem der Sozialdemokratie, standen. Das Problem war also, die Politik darauf einzurichten, dass es nicht unmittelbar um einen Kampf um die Macht gehen konnte, sondern „lediglich“ um einen Kampf um die Überzeugungen der proletarischen Massen.

Das substitutionalistische Herangehen eines großen Teils der Linken war hier natürlich wenig hilfreich. Die zentristischen und linksreformistischen Gruppen verwechselten systematisch die Aufgabe der Eroberung der Avantgarde mit der der Eroberung der Massen. Nur so ist zu verstehen, dass etwa der unter der Dominanz der PRP-BR, der Revolutionären Partei des Proletariats – Revolutionäre Brigaden, stehende „1. Nationale Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte“ im April 1975 sich die unmittelbare Aufgabe stellte, die Diktatur des Proletariats in Portugal zu errichten, und die Politik von SP und KP im generellen zurückwies. Wenige Tage später aber bewies die Wahl zur Konstituante nicht nur, dass die Hauptmasse der Arbeitenden noch großes Vertrauen in die Organe der bürgerlichen Demokratie setzte, sondern auch in die soeben vom „Rätekongress“ verdammten Parteien SP und KP… Räte sind Einheitsfrontorgane, und jene linken Organisationen, die 1975 in Portugal behaupteten, die Massen zu führen (der oben zitierte Rätekongress sollte nicht der einzige bleiben – jede Gruppierung, die auf sich hielt, führte ihren eigenen, sozusagen „privaten“ Kongress durch), verkannten bewusst oder unbewusst das reale Kräfteverhältnis der Strömungen innerhalb der proletar-ischen Bewegung. Die Aufgabe wäre gewesen, in den tagtäglichen Auseinander-setzungen die realen politischen Gegensätze zu den bürgerlichen Strömungen des Verrats und der Demobilisierung innerhalb der Arbeiterbewegung herauszuarbeiten und nachvollziehbar zu machen – jeder Substitutionalismus der revolutionären Ungeduld musste hier fatal wirken und die Schere zwischen der Arbeiteravantgarde und den breiten reformistisch beeinflussten Massen noch weiter vergrößern.

Die Fehleinschätzung des Bewusstseins und der realen Kräfteverhältnisse kulmin-ierte im Sommer 1975 vor und während der V. provisorischen Regierung. Die Demonstration vom 16. Juli 1975 forderte das Ende der Regierung („Provisorische Regierung nein – Revolutionäre Regierung ja“) und die „Auflösung der Konstituante jetzt“, ohne dass diese in den Augen der Hauptmasse der Arbeitenden als Instrument der Konterrevolution entlarvt worden wäre. Dementsprechend musste sich die Arbeitervorhut auch politisch in die Sackgasse verlaufen, denn wer sollte an die Stelle der Konstituante treten? Die Einwohnerkomitees und die anderen Formen der Rätedemokratie sollten als Beispiel praktischer Volksmacht dienen – ein durchaus richtiger Gedanke, wenn das Schwergewicht auf das Wort Beispiel gelegt wird. Aber sie konnten in der Realität – auch wenn sie gemäß den Forderungen institutionalisiert worden wären – keine Alternative zur Konstituante sein, dazu waren sie zu wenig repräsentativ und nicht engmaschig genug über das Land verteilt. Es blieb als sozialer Träger einzig das Militär – in Zusammenarbeit mit den zivilen Basisstrukturen – übrig: „MFA – Volksmacht“ als Alternative zur Konstituante zeigte die Hilflosigkeit, mit der die Linke den gordischen Knoten der Ungleichzeitigkeit des Bewusstseins durchbrechen wollte. Die Etappe des bürgerlich-demokratischen Massenbewusstseins sollte nicht überwunden, sondern übersprungen werden… Die Analogie zu Trotzkis Schrift von 1931 „Die Spanische Revolution und die ihr drohenden Gefahren“ liegt auf der Hand: „Sehr vielen Arbeitern in Spanien stellt sich die Sache jetzt so dar, als könne man grundlegende Fragen des sozialen Lebens mit Hilfe von Wahlzetteln lösen. Diese Illusion kann nur durch die Erfahrung zerschlagen werden. Doch zu dieser Erfahrung muss man verhelfen können.“

Die politische Methode dazu kann nur die Einheitsfronttaktik sein. Genau diese aber lehnten die „Poder Popular“-Gruppen wie MES, LUAR, PRP prinzipiell oder die trotzkistische LCI in der Praxis ab, da die Sozialdemokratische Partei prokapitalistisch, der „Zwilling des Faschismus“ (die Dritte Periode der Komintern ließ grüßen), bereits von den Massen im Bewusstsein hinter sich gelassen und daher als Adressat einer Einheitsfrontpolitik irrelevant und von der west-europäischen Sozialdemokratie und deren Imperialismen abhängig sei.

Mit der Verabschiedung des Leitfaden-Dokumentes der MFA-Delegierten-versammlung im Juni 1975 erreichten die Gruppen der revolutionären Linken den Höhepunkt ihres Einflusses. Aber auch dann schafften sie keine reale Sicht der Kräfteverhältnisse. Statt dessen tendierte ein Großteil der Linken dazu, das Militär zum Garanten der Revolution hochzustilisieren und die Ungleichzeitigkeit der Bewegung in jakobinischer Tradition zu negieren. Nur in geografisch eng begrenzten Teilen der Arbeiterbewegung angesiedelt und in ihrem Einfluss kaum über den Rahmen der Arbeitervorhut hinausreichend, musste die voluntaristische Sicht des Kräfteverhältnisses und das Sektierertum gegenüber den anderen Strömungen der Arbeiterbewegung in einer Katastrophe enden.

Letzten Endes herrschte in weiten Teilen der subjektiv revolutionären Linken eine spontaneistische Konzeption vom Übergang jenes Bewusstseinsniveaus, das die Arbeiteravantgarde seit April 1974 sich erworben hatte, zu dem, das für die Erfüllung der Aufgaben einer sozialistischen Revolution notwendig gewesen wäre. In einem breiteren Rahmen gesehen, hieß das nichts anderes als eine Bestätigung der extrem zugespitzten Krise des subjektiven Faktors. Das Fehlen einer revolutionären Partei, auch wenn sie klein gewesen wäre, und das Abreißen der revolutionären proletarischen Traditionen hemmte die Verallgemeinerung und die Zentralisierung der Kampferfahrungen und verhinderte damit einen qualitativen Sprung im Bewusstsein der Massen.

Nicht der Untergang der diversen Gruppen der revolutionären Linken ist also die eigentliche Tragödie, auch nicht, dass sie in den revolutionären Prozess mit ungenügenden Methoden intervenierten und reale Möglichkeiten ungenutzt verstreichen ließen, sondern dass die Chancen zur Herausbildung eines stabilen revolutionären Kaderkerns ungenützt vorüberging – also einer Partei, die in künftigen Klassenauseinandersetzungen mit jenen Erfahrungen intervenieren hätte können, die sie in Portugal 1974 bis 1976 sich erwarb.

Der portugiesische Trotzkismus

Im wesentlichen hatten wir es in Portugal um 1975 mit zwei politischen Strömungen des trotzkistischen Lagers zu tun – mit der LCI, der Liga Communista Internacionaliste – Internationalistische Kommunistische Liga, und der PRT, der Revolutionären Arbeiterpartei.

Beide Gruppen entstanden erst nach dem April 1975 im Zusammenhang mit der Differenzierung des politischen Spektrums und der stärker werdenden Unzufrieden-heit in der sich herausbildenden Arbeiteravantgarde mit der Politik von KP und SP. Und beide Gruppen teilten – in unterschiedlichem Maße – die allgemeinen Schwächen des gesamten revolutionären Prozesses. Der zentrale Fehler der Gruppen des Poder-Popular um die FUP/FUR, zu der die LCI gehörte und deren Erklärungen sie unterschrieb, war, dass sie Aktionen und gemeinsame Propaganda für die Räteansätze der Volksmacht betrieben (und damit den Unterschied zwischen Propaganda und gemeinsamen Aktionen verwischten), aber eine systematische Einheitsfrontpolitik gegenüber KP und SP verweigerten. Die Differenzierung in der SP-Basis wurde ignoriert und damit die Bindung der Basis an die Führung gestärkt. Die LCI machte da keine Ausnahme (auch wenn sie die Nicht-Unterscheidung zwischen SP und Faschismus in der FUR bekämpfte), aber als Sektion der von Ernest Mandel geführten Hauptströmung des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale setzte sie auch deren Politik in Portugal um: Die Bedeutung der traditionellen Arbeiterorganisationen wurde sträflich unter-schätzt, ebenso die Bindungen weiter Schichten des Proletariats an diese. Statt hier – in der Bindung an die Arbeiterorganisationen den Schlüssel für die weiteren Geschicke zu suchen – sollte die Hegemonie in der neuen Massenavantgarde errungen werden, was eine Anpassung an den Zentrismus der „extremen Linken“ beinhaltete (einschließlich der Illusionen in KP und MFA) und einen Zugang zur SP-Basis verhinderte. Sie machte die ultralinken Abenteuer mit und vertrat auch die Forderung nach der „sofortigen Auflösung der Konstituante“. Zusammengefasst können wir sagen, dass sie zwar richtigerweise für Räte und die Ausweitung der existierenden Ansätze eintrat, aber systematisch die existierenden Arbeiter-, Stadtteil-, Mieterkommissionen und anderen Räteansätze, in denen die fort-geschrittensten Arbeiter vertreten waren, mit wirklichen Räten, die das Proletariat in seiner großen Mehrheit vertreten, verwechselte. Sie kam damit zu einem substitutionalistischen Konzept, das zu einer Anerkennung der realen Kräfte-verhältnisse nicht in der Lage war und die LCI zu einer abenteuerlichen Politik der revolutionären Abkürzer verführte. Während des Höhepunktes ihres Einflusses verfügte sie sogar über die Mehrheit in der Lehrergewerkschaft und wusste auch einige Kommissionen hinter sich, aber mit dem Rückgang der revolutionären Bewegung wurde daher sehr bald auch ihr Einfluss marginalisiert.

Die zweite Gruppierung, die PRT, stand der internationalen Minderheitsströmung des Vereinigten Sekretariats um die US-amerikanische SWP (Socialist Workers Party) nahe und war um einiges kleiner als die LCI (am 1. Mai 1975 konnte sie 350 Leute in ihrem Block in Lissabon mobilisieren). In ihrer Zeitung „Combate Socialista“, Sozialistischer Kampf, vertrat sie im wesentlichen korrektere Positionen als die LCI und trat in Anerkennung der realen Stufe der Bewegung und der wirklichen Kräfteverhältnisse für eine Regierung SP, KP und intersindical ein, gab aber ebenfalls Mitte 1975 dem ultralinken Druck nach: Als linke Flanken-deckung für MFA und Regierungschef Goncalves konnte sie sichdem Niedergang der MFA-Linken und deren schließlichen Untergang nicht entziehen und erlitt dasselbe Schicksal wie ihre größere trotzkistische Konkurrentin, die LCI.

Alle anderen Strömungen des trotzkistischen Spektrums verfügten in Portugal – sofern sie überhaupt Kontakte dahin hatten – nur über wenige Individuen, kamen aber auch nicht annähernd an die Bedeutung der beiden oben charakterisierten Organisationen PRT und LCI heran. Doch eines darf nicht vergessen werden: Trotz aller Kritik an diesen beiden Gruppierungen muss festgehalten werden, dass sie die politisch fortgeschrittensten Teile der Arbeitervorhut umfassten und – trotz aller Schwächen – noch am ehesten Elemente einer korrekten Analyse der portugies-ischen Realität in ihre Politik inkludierten und am ehesten eine richtige Revolutionsperspektive vorgaben.

Am Rande sei noch angemerkt, dass zwar beide Organisationen in den Strudel der Abwärtsbewegung der Revolution und der Zersetzung der Organisationen der Linken ab 1975/1976 hineingezogen wurden, aber heute verfügt das Vereinigte Sekretariat der Vierten Internationale wieder über eine relativ starke Sektion in Portugal, die sogar im Stadtparlament von Lissabon mit einem Abgeordneten vertreten ist.

Räte oder Vorformen von Räten

Die große Zahl an wilden Streiks bereits unmittelbar nach dem April 1974, die Säuberungsaktionen (saneamento) gegen die Vertreter des alten Regimes, die Aktionen, die sich gegen die Wirtschaftssabotage richteten und die Initiativen der Wachsamkeit des Volkes (die gegen die Reaktion und deren Aktivitäten gerichtet waren) waren Indizien für die Herausbildung einer Arbeiteravantgarde, die auch in Ansätzen über die reformistischen Vorstellungen einer bürgerlichen Demokratie hinauszugehen bereit war. Auch wenn sie ihrem Umfang nach beschränkt war und trotz ihrer Unerfahrenheit und Gespaltenheit, konnte diese Arbeiteravantgarde ein relativ starkes Gewicht in den Klassenkämpfen der Jahre 1974 bis 1976 entwickeln: Die Schwäche des portugiesischen Kapitalismus, die strukturelle Krise ganzer Sektoren – beides vor dem Hintergrund einer internationalen Wirtschafts-krise um 1975 und dem Zuendegehen des Nachkriegsbooms – ließen breiteren Raum für die Verfestigung einer fortgeschrittenen proletarischen Minderheit.

Und wie in allen revolutionären Situationen dieses Jahrhunderts trieben die Organisationsformen des Proletariats rasch in Richtung Rätestrukturen: Die Wirtschaftssabotage der Kapitalisten bereitete den Boden für Betriebsbesetzungen; die schlechten Wohnverhältnisse provozierten die Entstehung von Mieterinitiativen; Entlassungen, Arbeitslosigkeit und die Arbeitsbedingungen im allgemeinen führten zu vielfältigen Formen der Arbeiterkontrolle; das Machtvakuum im Staat und in vielen Betrieben führte zu Formen der proletarischen Selbstorganisation und zur eigenen Organisation der Produktion.

Der Drang zur Schaffung von Organen der direkten Demokratie war gerade in Portugal mit seinen wenig entwickelten reformistischen Traditionen stark spürbar. Natürlich war diese Bewegung stark in sich differenziert, die Selbstorganisations-strukturen unterschieden sich stark hinsichtlich ihrer Repräsentativität und den Funktionen, die sie wahrzunehmen gedachten und in der Realität dann auch wirklich wahrnahmen. Auch wiederholte sich in diesen Organen die Spaltung der Arbeiterbewegung.

Am Beispiel der Nachbarschaftskomitees und -kommissionen lässt sich diese Entwicklung sehr schön nachvollziehen: So entstanden in den Wohnvierteln oft mehr oder weniger spontan (und oft auch autonom von den traditionellen Parteien) eine Vielzahl von Strukturen, die zwar den Anspruch formulierten, das Wohngebiet zu vertreten, aber de facto Vorfeldstrukturen der diversen Organisationen oder ein Vehikel für den Aufbau spezifischer politischer Projekte darstellten. Die Bewegung der Nachbarschaftskomissionen stieß damit bald an ihre Grenzen: Begonnen in der Organisierung von Hausbesetzungen oder ähnlicher ganz konkreter Aufgaben, waren sie unfähig, komplexere soziale Probleme aufzugreifen und Antworten für Probleme etwa in den Bereichen Transport, Teuerung, allgemeine Wohnungsnot zu finden. Eine Zentralisierung der Strukturen wäre hier notwendig gewesen, sollten diese Fragen gelöst und Antworten darauf formuliert werden. Aber die (halb-) spontane Massenbewegung erschöpfte sich ebenso wie die Spielereien der diversen Kleingruppen mit Rätestrukturen – die Kommissionen wurden marginalisiert, von den politischen Gruppierungen aufgesogen oder von den Großparteien in das bestehende politische Gefüge eingebunden und ihrer sozialrevolutionären Dynamik entkleidet.

Bereits unmittelbar nach dem Sturz des Caetano-Regimes begann diese Entwicklung in Richtung Arbeiterkommissionen – die Arbeiteravantgarde versuchte zwar diese Ansätze der proletarischen Selbstorganisation richtigerweise zusammen-zufassen und zu Organen der Doppelherrschaft auszubauen, die in der Lage sein sollten, die Herrschaft der Bourgeoisie zu zerstören, ihren Staatsapparat zu zerschlagen und durch die Herrschaft der Arbeiterklasse zu ersetzen. Das Fehlen einer revolutionären Partei, die aufgrund ihres Verständnisses den Stand der Kämpfe theoretisch analysieren und die nächsten Aufgaben korrekt bestimmen hätte können, verhinderte aber ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Integration der weniger fortgeschrittenen Arbeiter in die von der Avantgarde geschaffenen Räteansätze bzw. die Anwendung revolutionärer Taktiken für eine solche Einbindung.

Im Sprachgebrauch des revolutionären Marxismus entwickelten sich die Rätestrukturen von wirklichen Räteorganen, die sie im Ansatz waren, eher noch weg: Räte sind Einheitsfrontorgane, die keine politischen Vorbedingungen für die Teilnahme von Tendenzen der Arbeiterbewegung an ihnen kennen. Genau das macht sie ja zu Organen der Klasse und nicht zu Vorfeldorganisationen und -strukturen einer Partei oder einer Strömung – welchen Charakters auch immer. Ihre eigenen Erfahrungen verallgemeinernd, die die Avantgarde im Laufe der politischen Radikalisierung immer weiter von den breiten Massen entfernt hatte, die im Bewusstsein zurückgeblieben waren, wurden direkt oder indirekt in vielen der Selbstorganisationsstrukturen politische Vorbedingungen eingeführt und damit de facto die Mehrheit des Proletariats, die diese höhere Bewusstseinsstufe noch nicht erreicht hatte, von diesen ausgeschlossen. Dies galt z.B. für eine Reihe von Kommissionen, die für eine Teilnahme die Anerkennung der Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats und des unmittelbaren Kampfes für diese zur Bedingung gemacht hatten.

Das falsche Räte-Verständnis der Avantgarde und der sie verkörpernden Organisationen tendierte dahin, die Räte als Aktionseinheiten der fortgeschrittenen Arbeiter zu verstehen und als Kampforgane der bewusstseinsmäßig höchst-entwickelten und kampfbereitesten Arbeiter und nicht als Organe der Einheitsfront des gesamten Proletariats. Die Aufgabe, diese in Übereinstimmung mit den Bewusstseinsfortschritten des Proletariats erst zu Kampforganen der Doppelherrschaft werden zu lassen, zu solchen zu machen, degenerierte zu einer Vorbedingung. Aus dem Ziel wurde eine Voraussetzung. Aber wirkliche Autorität können Räte nur dann gewinnen, wenn sie möglichst viele Arbeiter umfassen, wenn sie möglichst große Teile des Proletariats vertreten. Nur in Situationen wie im Österreich des Jahres 1918/1919, in der nahezu das gesamte bewusste Proletariat in der Sozialdemokratie organisiert war, gerieten politische Vorbedingungen (in diesem Fall die Mitgliedschaft in der SdAP) nicht von vorneherein in Widerspruch zum Anspruch, möglichst breite Schichten der Arbeiterklasse zu vertreten und zu integrieren. Aber selbst in Österreich musste im weiteren Verlauf diese Vor-bedingung fallengelassen und die Räte für andere Tendenzen der Arbeiterbewegung geöffnet werden. In aller Regel sind die Räte jedoch die Organe der proletarischen Demokratie, wo die verschiedenen Parteien und deren Mitglieder die Vorschläge vor dem Auditorium der Klasse zur Diskussion stellen. Nur auf dieser Basis können die weniger fortgeschrittenen Schichten der Arbeiterklasse für die Revolution gewonnen werden. Aber statt am Widersprich der Parteiführungen von Portugals SP und KP anzusetzen, die zwar verbal für die Arbeiterkommissionen eintraten, aber in der Realität deren Wirkungsbereich beschneiden, die Kampfkraft zurückdrängen und eine wirkliche Diskussion in diesen hintertreiben wollten, wurden zunehmend die Mitglieder und Sympathisanten dieser Parteien aus den Räten und Räteansätzen hinausgedrängt. Statt dessen wurden die Sympathien auch in der Arbeitervorhut für Vorstellungen stärker, die die Räte der MFA unterordnen und in diesem Zuge die nicht genehmen Parteien und deren Mitglieder von einer Teilnahme an den Räten ausschließen wollten.

Daher wurden auch Tendenzen zu einer potentiellen Zweiteilung innerhalb der Arbeiterbewegung sichtbar: einerseits eine autonome, rätedemokratische Strömung, die in den Arbeiterkommissionen ihren Ausdruck fand, hier hatten die Strömungen der radikalen Linken ihr wichtigstes Aktionsfeld – und andererseits eine traditionell(er) ausgerichtete realpolitische Strömung, in der SP und KP um die Vorherrschaft rangen und deren Ausdruck die Gewerkschaftsbewegung intersindical wurde.

In der Phase des Aufschwungs der Bewegung im Frühjahr 1975 verringerten sich nochmals die Differenzen, als es zu einer klaren Abgrenzung der Aufgabenbereiche und einer Arbeitsteilung kam: Während die Gewerkschaften für die traditionelle Gewerkschaftspolitik, angefangen von den Kollektivverträgen, verantwortlich blieben, sollten die Arbeiterkommissionen sich um Fragen der Arbeiterkontrolle und der Produktionskontrolle in den nationalisierten Betrieben oder denen unter staatlicher Aufsicht widmen. Mit dem Abwürgen der revolutionären Welle im Herbst 1975 und Frühjahr 1976 wurde aber dieser zweiten Tendenz der Boden unter den Füßen entzogen – die Arbeiterkommissionen versandeten oder wurden sozialpartnerschaftlich in das bestehende System eingebunden und damit der potentiellen Funktion als Gegenmachtorgan entkleidet. So wurde die „Kontrolle über die Geschäftsleitung“ in der Verfassung von 1976 festgeschrieben, aber aus der potentiell revolutionären Arbeiterkontrolle war ein Organ der Klassen-kollaboration, ein den österreichischen Betriebsräten vergleichbares Organ – fest in die sozialpartnerschaftliche Mitbestimmungspolitik eingebunden – geworden.

Bonapartismus als Programm – die Rolle der MFA

Der 25. April 1974 war das Ergebnis einer Offiziersverschwörung gewesen – ein klassischer Putsch, in den nicht einmal die niedrigeren Ränge, geschweige denn die einfachen Soldaten eingeweiht gewesen waren. Das Ziel des Putsches konnte es nur sein, und dafür sprachen ja auch die ersten Proklamationen der MFA, das altersschwache Caetano-Regime wegzuputschen und damit den Weg freizumachen für eine Erneuerung des Systems, ohne die Gefahr einer unkontrollierbaren Massenbewegung zu riskieren – einer solchen Massenbewegung also zuvor-zukommen. Eine der Erklärungen für das Datum Ende April, auf das der Putsch festgesetzt wurde, war ja, dass in Armeekreisen das – gar nicht unwahrscheinliche – Gerücht zirkulierte, am 1. Mai werde es zu Zusammenstößen kommen, auf die das Caetano-Regime mit Gewalt zu antworten gedenke, womit die Krise des Regimes offenkundig werden müsse und die Gefahr einer blutigen Revolution gegeben wäre, die dann weit über die beschränkten Ziele der Offiziere hinausgehen hätte können. Die Ablösung des Caetano-Regimes durch die Straße galt es zu verhindern, das war der tiefere Sinn des 25. April 1974!

Nun gelang es, wie wir wissen, den Offizieren nicht, die Massenbewegung zu verhindern. Somit bekam die MFA eine neue Rolle zugewiesen, die des „neutralen“ Schiedsrichters, der zum Wohle Portugals zwischen den streitenden gesellschaftlichen Klassen zu vermitteln habe – ein klassisches Lehrstück des Bonapartismus, das auf der portugiesischen Bühne aufgeführt wurde. Es ist also durchaus falsch, wenn sich bis weit in die Linke hinein der Glaube an die fortschrittliche Rolle der MFA hält. Der MFA kommt aber das unzweifelhafte Verdienst zu, die Lage deblockiert zu haben und mit seinem April-Putsch – allerdings ungewollt und ungeplant – der Auslöser des Aufschwungs der Massen gewesen zu sein.

Historisch war die MFA das Produkt der Unfähigkeit des alten Regimes gewesen, den Kolonialkrieg, der sich seit den sechziger Jahren entwickelt hatte, siegreich zu beenden oder zumindest zu einer Übereinkunft mit den Befreiungsbewegungen zu kommen. Unter diesem Druck entstand eine – sozial und politisch gesehen – kleinbürgerliche Offiziersbewegung, die in ihrer Breite und Heterogenität Ausdruck einer begrenzten Radikalisierung der portugiesischen Kleinbourgeoisie war. Die MFA erkannte, dass der Kolonialkrieg das Haupthindernis für die Einleitung längst fälliger Reformen war und entschloss sich schließlich zum Putsch. Der Krieg verschlang 40% des Staatshaushalts, 150.000 Deserteure belasteten die Gesell-schaft noch zusätzlich zu denen, die das Land auch deshalb verlassen hatten, um nicht eingezogen zu werden, und führten zu einer Distanzierung der Offiziere von der Caetano-Diktatur.

Dabei wurde die MFA vom Imperialismus und von jenem Teil der Bourgeoisie unterstützt, der seine Profite nicht in erster Linie aus der Ausbeutung der Kolonien bezog und deshalb an einer raschen Beendigung des Krieges interessiert war, um Kräfte freizubekommen für den Ausbau der Wirtschaft in Portugal selbst. Die Bourgeoisie musste diesen Weg gehen, da sie weder in der Lage war, den Kolonialkrieg mit ihren traditionellen Herrschaftsmethoden zu beenden, noch konnte sie die notwendige Modernisierung und Umstrukturierung der portugies-ischen Wirtschaft unter diesen Bedingungen in Gang setzen. Aufgrund ihrer tiefen Gespaltenheit (Europa-Orientierte gegen Kolonialbourgeoisie) musste sie auf einen bonapartistischen Lösungsversuch setzen und eine Bewegung im Militär, die sich ebenfalls das Ziel der Deblockierung gesetzt hatte, unterstützen.

Das Militär war natürlich nicht zufällig gewählt. Einerseits ein zentrales Repressionsinstrument des bürgerlichen Staates, war die portugiesische Armee in den Jahren vor 1974 gewaltigen Umbrüchen unterworfen worden und für eine radikalere Veränderung anfällig. So wurde zwar das Offizierskorps sozial stärker geöffnet und für die Kleinbourgeoisie zugänglich, andererseits aber wurde die Offizierskaste durch die gesellschaftlichen Veränderungen und den Kolonialkrieg in ihrer Einheitlichkeit und Bedeutung schwer bedroht: So wurden die Universitäten immer attraktiver und eine echte Alternative zu einer Militärkarriere, dem klassischen Aufstieg für die unteren Schichten der Gesellschaft und vor allem die Kleinbourgeoisie für mehr als ein halbes Jahrhundert. Andererseits aber wurden im Kolonialkrieg verdiente Soldaten, die milicianos, den Berufskadern bei Beförderungen gleichgestellt oder sogar vorgezogen, was eine weitere Distanzierung vieler Offiziere vom alten Regime beförderte.

Die MFA versuchte die Armee als einheitliches Instrument zu erhalten und sah sich selbst als Garant dieser Einheit der Armee. Das war natürlich der Versuch, die Krise eines sich differenzierenden und zerfallenden Offizierskorps abzuwenden und die von Klassenspaltung bedrohte Armee auch in Zeiten eines verschärften Klassenkampfes zusammenzuhalten – denn nur so konnte sie ihre bonapartistische Schiedsrichterrolle auch weiterhin erfüllen. Aber die Einheitlichkeit der Armee richtete sich von Anfang an potentiell auch gegen das Proletariat, deshalb wäre es notwendig gewesen, gerade die Einheitlichkeit der Armee zu untergraben und für eine Zersetzung der bürgerlichen Strukturen in der Armee einzutreten. Denn auch wenn linke Offiziere zeitweise die Armee führen oder in ihr eine wichtige Rolle einnehmen, bleibt diese ein Organ der Klassenherrschaft der Bourgeoisie, die allein schon durch ihre Absonderung von der Arbeiterklasse als stehendes Heer zu einer potentiellen Gefahr für das Proletariat wird.

Wie links aber waren die Offiziere, die die MFA führten? Persönlich standen eine ganze Reihe von MFA-Exponenten der Linken nahe und hatten ein Selbst-verständnis als Revolutionäre, wie etwa Premierminister Vasco Goncalves, der schon seit den 50er Jahren sich als Sozialist verstand. Aber die MFA als Offiziersbewegung war zu keiner Zeit ein vorwärtstreibender Faktor des revolution-ären Prozesses in Portugal. Auch die Herausbildung des linken Flügels der MFA im Herbst 1974, der sich vor allem auf Marine und das COPCON, das Operative Kommando des Kontinents, stützte, war eher ein Reflex auf die Radikalisierung der Massen und keineswegs deren Motor. Erst in den Kraftproben mit Spinola, zur Abwehr seiner zwei Putschversuche, setzte die MFA widerwillig, aber doch auf Massenunterstützung.

Was aber die MFA politisch wohl am besten charakterisiert, ist ihr Verhältnis zu den politischen Bewegungen des zivilen Spektrums im allgemeinen und ihr Konzept der Allianz MFA – Volk. Goncalves, ein Vertreter des linken MFA-Flügels, antwortete in einem Interview auf die Frage, ob er Kommunist sei, meines Erachtens durchaus ehrlich und für die MFA nicht untypisch:

„Ich könnte Ihre Frage mit Ja oder Nein beantworten, aber niemand wird mich dazu veranlassen können, dies zu tun. Es ist ein Kernstück des Programms der Streitkräfte, sich jeder Parteilichkeit zu enthalten. Daß sich jeder einzelne von uns genau daran hält, ist mit eine Grundlage für die Einheit der Streitkräfte. (…) Ich bleibe dabei, niemand wird mich von unserer Vereinbarung, nicht über parteipolitische Neigungen zu reden, abbringen. Wer das versucht, hat nur das Ziel, die Einheit der Offiziersbewegung MFA aufzubrechen.“

Die ganze politische Pespektive der MFA war also darauf gerichtet, sich dem „Parteienstreit“, dem partidarismo, zu entziehen und neutral zu bleiben. Die Kritik an den Parteien, die nur gegeneinander arbeiten, aber nicht die gemeinsamen Interessen des Volkes vertreten würden, war ein konstitutives Element in den Vorstellungen der MFA, das sich nach den Wahlen zur Konstituante noch verstärkte, da das Volk ja weder der Empfehlung gefolgt war, weiß zu wählen und damit ein Votum für die über den Parteien stehende MFA abzugeben, noch revolutionär gewählt hatte.

In dieser Phase gewannen in der MFA-Linken Tendenzen, die eine linke Militärdiktatur befürworteten, breiteren Raum. Damit gelang es diesem Flügel, die Gruppen der extremen Linken und die von ihnen beeinflussten Räte- und räteähnlichen Strukturen an sich zu binden. Wichtig wurde in diesem Zusammenhang der Beschluss der MFA-Vollversammlung vom 8. Juli 1975, das „Leitfaden-Dokument“, das als Alternative zum Parteienstaat die Errichtung von Volksversammlungen vorsah, die in einem Zeitraum von 15 Jahren in Etappen die Macht im Lande übernehmen, die neue sozialistische Ordnung schützen und in enger Verbindung zur MFA stehen sollten. Die meisten Organisationen der Linken begrüßten diese Entscheidung und erkannten nicht, dass es sich hier um eine Einbindung von Rätestrukturen in den Rahmen des bürgerlichen Staates handelte. Stellvertretend die linkssozialistische MES, die die Entscheidung der „revolutionären Soldaten und Matrosen des MFA“ als „historische Entscheidung“ bejubelte. Wir wollen einmal davon absehen, dass die MFA eben genau nicht ein demokratisch gewähltes Organ der revolutionären Soldaten und Matrosen war, sondern nach wie vor eine fast exklusive Standesorganisation der Offiziere, historisch war die Entscheidung nur insofern, als dies ja nur heißen konnte, dass damit die Rätestrukturen den existierenden Massenparteien gegenübergestellt werden sollten. In der gegebenen Situation konnte dies nur bedeuten, dass die bereits oben skizzierte Entwicklung der Räte zu Sammelbecken der Arbeiter-avantgarde ohne Einbeziehung der breiten Massen verfestigt und vertieft wurde.

So hieß es z.B. im Statut der Volksversammlung von Potinha: „Die Einheit der Volksmassen mit den Militärs verstärken, indem man Organe der über den Parteien stehenden Macht schafft, die das Prinzip des neuen, im Dienste der Arbeiterklasse stehenden Staates sind.“ Der grundlegende Zug der apartidaria, der über den Parteien stehenden Macht, blieb kennzeichendes Element der MFA-Politik. Genau das hatte die SP erkannt, die die MFA-Räte als undemokratische und im Grunde gegen die Arbeitenden gerichtete Strukturen darstellen konnte, da sie nicht unter der Kontrolle der breiten Arbeitermassen stünden. Demagogisch gegen die Revolutionäre gewendet, konnte sich die SP als Schützerin und Hüterin der demokratischen Interessen der breiten Massen profilieren. Die Unterstützung solcher Ansätze durch die subjektiv revolutionäre Linke führte demgegenüber zur Selbstisolierung der Arbeiteravantgarde von den Hauptkräften des Proletariats. Der Hauptfehler der zivilen Linken bestand im Unverständnis des bonapartistischen Charakters der MFA – einschließlich der MFA-Linken – und in der Verwechslung der MFA-apartidaria mit einem revolutionär-demokratischen Ansatz, der an die Stelle des bürgerlichen Parlamentarismus höhere Forme der direkten proletarischen Demokratie setzen möchte.

Es braucht wohl nicht näher betont zu werden, dass die KP die treueste Verteidigerin der Armee war. Für sie war eine von der MFA geführte Armee der entscheidende „Garant der Demokratie“, und sie trat offensiv gegen eine Unter-grabung der militärischen Befehlshierarchie auf: „Kein Land, nicht einmal die ältesten Demokratien der Welt, dulden öffentliche Aufrufe zur Desertion in den Streitkräften“, die Soldaten wurden aufgefordert, sich den MFA-Offizieren unterzuordnen.

Nie ging aber die MFA den entscheidenden Schritt in Richtung Volksbewaffnung und Auflösung der stehenden Armee in die bewaffnete Arbeiterklasse. Das Volk sollte nicht militarisiert werden, denn: Die MFA garantiere ohnehin die vom Volk gewünschte Entwicklung… Das Konzept einer MFA als „nationaler Befreiungsbewegung“ mit den Räten der Waffengattungen als Rückgrat musste eine Illusion und selbst in der MFA minoritär bleiben. Nein, die MFA war weder Garant noch Motor der Revolution! Die Aufgabe wäre gewesen, die einfachen Soldaten und die revolutionären Offiziere auf die Seite der proletarischen Demokratie zu ziehen, was bedeuten hätte müssen, einen Kampf gegen die Standesvorrechte der Offizierskaste zu führen und für den Aufbau von Soldatenräten anstelle der MFA als Ausdruck einer kleinbürgerlichen Offiziers-bewegung einzutreten. Die SUV (Vereinte Soldaten werden siegen) als Vertreterin einer Bewegung der einfachen Soldaten war ein richtiger Schritt, erfolgte aber zu spät und war zu wenig verankert, um noch eine Verbreiterung und Demokratisierung der Bewegung im Militär herbeiführen zu können.

Auch außenpolitisch blieb die MFA inkonsequent: Die NATO-Einbindung und der von der Bourgeoisie gewünschte Ausbau der Beziehungen zur EG wurde nicht in Frage gestellt, und die MFA garantierte die Einhaltung bestehender Verträge, allerdings sollten die Außenbeziehungen auf eine breitere Basis gestellt und die Verbindungen mit Ländern der Dritten Welt intensiviert werden.

Diese zwiespältige Politik, einerseits auf Rätestrukturen zu setzen und gemeinsam mit der Linken Nationalisierungen durchzuführen, andererseits aber sich aus dem Parteienstreit heraushalten zu wollen, eine reformistische Strategie weiter-zuverfolgen, die linken Regimenter aber zu tolerieren, die zu selbständigen Aktionen an der Seite der Arbeiteravantgarde tendierten, außenpolitisch aber den Imperialismus nicht herausfordern zu wollen, musste die Brüche in der MFA vertiefen. Im Laufe des Jahres 1975 verfestigte sich die Spaltung innerhalb der MFA in Gemäßigte und „Realisten“ einerseits, die den Druck von SP im Inneren und des Imperialismus von außen widerspiegelten, und dem Block um Goncalves und die COPCON-Offiziere (die in ihrer Mehrheit politisch mao-stalinistisch einzuschätzen waren), der letztlich in die Richtung einer autarken, blockfreien Agrargesellschaft, die sich auf Dorf-, Stadtviertel- und Arbeiterräte stützen hätte sollen, getrieben wurde.

Im Herbst 1975 wurde der Unmut in der MFA größer: Die Berufsoffiziere empfanden die Destablisierung als zunehmende Belastung, die MFA-Linken geriet nach der Niederlage der V. provisorischen Regierung in die Defensive, die in der Liquidierung der 5. Division im November 1975 festgeschrieben wurde. Mit der politischen Liquidierung des linken Flügels konnte der MFA-Bonapartismus gemäß der Verschiebung des gesamtgesellschaftlichen Kräftegleichgewichts ebenfalls wieder nach links rücken; mit dem Abflauen der revolutionären Welle 1975/1976 wieder zu seinem Ausgangspunkt, einer ständisch orientierten Offiziersgruppe, zurückkehren.

Ein kurzes Resumee

Die revolutionäre Bewegung in Portugal endete also mit einer Niederlage – vergleicht man die Ergebnisse mit dem subjektiven Bewusstsein der Beteiligten, die in ihrer großen Mehrheit vom Ziel einer sozialistischen Gesellschaft ausgingen und davon überzeugt waren, für diese eintreten und kämpfen zu wollen – mit dem Stimmzettel, in der Armee oder in den Kommissionen. Die Revolution der Nelken beendete aber die koloniale Repression und stürzte das Caetano-Regime, beides an sich nicht einmal wenig.

Der revolutionäre Aufschwung nach dem 25. April 1974 machte aber auch die Grenzen einer halb-spontanen Massenbewegung einmal mehr schmerzlich sichtbar – ohne revolutionäre Partei, die in den entscheidenden Situationen auf der Höhe der Geschichte sich erweist, ist jede Revolution zum Scheitern verurteilt. Und Portugal war auch der lebendige Beweis für die Untauglichkeit all jener Konzepte, die sich die Erkämpfung einer neuen Gesellschaft von einer anderen Kraft als der Arbeiterklasse erhofften und erwarteten – in diesem Fall erwies sich eine Offiziersbewegung als unfähig dazu.

In all diesen Fällen haben die portugiesischen Erfahrungen die allgemeinen Erkenntnisse einer revolutionär-marxistischen Tradition bestätigt. Aber für die Analyse der Ereignisse ist noch etwas anderes interessant: 1974 hatte ein Großteil der Marxisten in Portugal die Stabilisierung eines bürgerlich-parlamentarischen Systems ausgeschlossen oder zumindest für extrem unwahrscheinlich gehalten: Neben einer schmalen oligarchischen Oberschicht existierte in Portugal eine breite Schicht des städtischen und ländlichen Proletariats, aber nur eine relativ kleine Arbeiteraristokratie. Die materiellen Ressourcen, um breitere Schichten an das Konzept einer bürgerlichen Demokratie zu binden, waren dementsprechend beschränkt. Trotzdem müssen wir heute konstatieren, dass es eine Grundlage für die relative Stabilisierung eines bürgerlich-demokratischen Systems gab: eine zahlenmäßig große, in sich differenzierte Mittelschicht und eine Arbeiterklasse mit weitverbreiteten Sozialstaatsillusionen, die sie ideologisch für die sozial-demokratische Propaganda empfänglich machte.

Und noch etwas trug ganz wesentlich zur ideologischen Stabilisierung und zum letztendlichen Sieg einer bürgerlichen Demokratie in Portugal bei. Es gab einen Grundkonsens in der portugiesischen Gesellschaft, diese sei weder direkt noch indirekt kolonisiert – ein wesentlicher Unterschied zu Lateinamerika, in denen die imperialistische Durchdringung vom Großteil der Gesellschaft mehr als Gefahr für die nationalen Interessen denn als Chance auf Angleichung gesehen wird. Der westeuropäische Imperialismus und seine Ambitionen in Portugal wurden in breiten Schichten bis ins Proletariat hinein daher auch nicht als Bedrohung empfunden, sondern als Chance, den Entwicklungsrückstand aufzuholen und einen Lebens-standard wie in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern Westeuropas zu erreichen.

Natürlich sind die Spielräume für eine Integration der Arbeiterklasse nach wie vor geringer als in den reicheren imperialistischen Ländern der Europäischen Union. Daher konnte auch der chronische Charakter der Regierungskrisen, die das 20. Jahrhundert in Portugal charakterisierten, nur bedingt durchbrochen werden – Regierungen verschleißen in der Regel schneller als in anderen Ländern. Trotzdem kann das reformistische Experiment, in Portugal ein autoritäres System abzulösen, ohne dass im sich notwendigerweise ergebenden Machtvakuum über den Kapitalismus hinausweisende Kräfte die Oberhand gewinnen, als im wesentlichen geglückt betrachtet werden. Das portugiesische Experiment empfahl sich also trotz der tiefgehenden Krise und dem eineinhalb Jahre dauernden Aufschwung zur sozialdemokratischen Nachahmung in vergleichbaren Ländern wie in Spanien.

Aber eines soll ganz zum Schluss nicht vergessen werden: Die heißen Jahre 1974 und 1975 in Portugal haben bewirkt, dass eine ganze Generation mit der Rückkehr der Revolution nach Europa konfrontiert worden ist und sich in diesem Prozess – gegen den sozialdemokratischen und den stalinistischen Reformismus, deren Politik der Demobilisierung klarer als in anderen Fällen auf dem Tisch lag – politisiert hat. Denn Portugal war das erste Mal nach der Jugendrevolte 1968, dass wir direkt in Europa – quasi vor der Haustür – das Aufbrechen revolutionärer Konflikte mitverfolgen und die politischen Konzepte der diversen Strömungen vergleichen konnten. In diesem Sinne hat die portugiesische Revolution uns alle mit neuen Hoffnungen und der Gewissheit erfüllt, dass der Mai 1968 seine Nachfolge finden wird – 1974 in Portugal und in der Folge dann auch in Deutschland und Österreich.

von Manfred Scharinger

Verwendete Literatur:

Auf eine durchgehende Zitierung wurde in diesem Aufsatz verzichtet, statt dessen sollen hier jene Bücher, Broschüren und Zeitschriften aufgeführt werden, auf die sich die vorliegende Arbeit im wesentlichen stützte:

Bücher und Broschüren:

Jakob Moneta, Hella Schumberger: Portugal – Wiedergeburt eines Volkes, München o.J.

Charles Reeve: Die portugiesische Erfahrung. Die putschistisch-militärische Konzeption der Sozialen Revolution, Hamburg o.J.

Ute Sperling: Portugal – Von Salazar zu Soares. Krise der Diktatur und System-stabilisierung in einem europäischen „Entwicklungsland“, Marburg 1987

ZK des Spartacusbundes: Die portugiesische Revolution in Gefahr, Essen o.J.

ZK des Spartacusbundes: Unser Kampf im „RASP“, Essen o.J.

Zeitungen und Zeitschriften:

Gruppe Internationale Marxisten: die internationale (v.a. Nr. 8 und Nr. 9)

Gruppe Internationale Marxisten: Was tun?

Gruppe Revolutionäre Marxisten: Rotfront

Gruppe Voran: Voran

Internationale Kommunistische Liga: Permanente Revolution

Kommunistische Partei Österreichs: Weg und Ziel

Sozialistisches Büro: links

Spartacusbund: Spartacus

Trotzkistische Liga Deutschlands: Kommunistische Korrespondenz

Verband Sozialistischer Studenten Österreichs (Sektion Salzburg): Sozialistische Nachrichten

Vereinigtes Sekretariat der Vierten Internationale: Inprekorr (Internationale Presse Korrespondenz)