Sowjets in Madrid? –– Ein politischer Reisebericht

Bei den spanischen Regional- und Gemeindewahlen am 24. Mai haben diverse neue linke Listen (u.a. Podemos) landesweit einen Erdrutschsieg erringen können. In Barcelona und Madrid stellen sie nun die Bürgermeisterinnen, während die Bürgerlichen vor „Sowjets“ warnen. Über die Hintergründe der Wahlen, die Linke in Spanien und was wir daraus lernen können.

Teil I: Die Wahlen und Podemos

 

Die Wahlergebnisse haben das politische System Spaniens erschüttert. In Barcelona etwa hat das linke Bündnis „Barcelona en Comú“ den ersten Platz belegt, in Madrid hat „Ahora Madrid“ aus dem Stand mit 32% den ersten Platz um nur ein Mandat verfehlt. Und auch in vielen anderen Städten konnten linke Kräfte massive Zugewinne verzeichnen.

 

Die Wahlergebnisse waren natürlich regional unterschiedlich, aber dennoch nicht weniger deutlich. Sie sind jedenfalls von großer Bedeutung für die Linke in Spanien und ganz Europa – gerade auch im Hinblick auf die spanischen Parlamentswahlen im Herbst. Die spanische Linke hat einen Aufschwung erlebt und wird davon auch in nächster Zeit profitieren. Und sie ist – glücklicherweise – weit mehr als nur Podemos.

 

Regierende PP verliert massiv

 

Wo ein Wahlgewinner, da auch ein Verlierer. In einem ähnlichen Erdrutsch hat die bisher dominierende konservative PP (Partido Popular), die mit Rajoy auch den Ministerpräsidenten stellt, landesweit herbe Verluste hinnehmen müssen. Die PP ist die bürgerliche Nachfolgepartei des Franco-Systems und wird von vielen SpanierInnen auch so gesehen. Sie ist mit den großen Kapitalfraktionen verbunden und hatte während des ökonomischen Aufschwungs vor der Krise (also letztlich der Blasenbildung) ihre Hände im Spiel und am politischen Ruder.

 

In letzter Zeit sind eine Reihe von Korruptionsskandalen an die Öffentlichkeit gelangt und haben der PP die Unterstützung entzogen. So ist etwa eine Audioaufnahme, auf der der Gouverneur der Provinz Valencia beim Zählen von Geld zu hören ist, in die Medien gelangt. Das Thema Korruption landet, wenn in Umfragen die größten Probleme und Bedenken der SpanierInnen erhoben werden, auch ganz oben auf der Liste. Die Entfremdung von dieser politischen „Kaste“ (la casta) war also schon bisher weit fortgeschritten und ist nun noch größer geworden.

 

Ihren Teil dazu beigetragen hat auch die Partei Podemos, die in den letzten Monaten medienwirksam und erfolgreich einen Diskurs gegen die Sparpolitik und die politische Kaste geführt hat. Im Wahlergebnis drückt sich, neben der Ablehnung der Korruption, auch die Ablehnung der Spar- und Krisenpolitik der Herrschenden aus.

 

Nach den Wahlen versucht sich nun landesweit das politische Establishment als Garant für Stabilität und Hort der Vernunft aufzuspielen, ein Pakt des „Zentrums” soll die Demokratie vor Podemos und anderen radikalen Kräften retten. Voller Angst warnt die PP-Spitzenkandidatin der Region Madrid nun vor „Sowjets“, worüber sich die Linke ungebrochen köstlich amüsiert. Die Antwort von „Ahora Madrid“: „Was wir vorschlagen, sind Räume für Bürgerbeteiligung auf Bezirksebene. Aber wenn ihr darauf besteht, nennen wir es „Sowjets“.“

 

Podemos als Alternative

 

Die Wahlergebnisse sind ein klarer Erfolg der Linken und nicht nur mit der Selbstzerstörung der PP zu erklären. Das lässt sich auch daran festmachen, dass die Partei „Ciudadanos“, die versucht, mit Unterstützung durch Teile der Herrschenden von rechts aus Erfolgselemente von Podemos zu kopieren, wenig Erfolg hatte und auch weit hinter den Umfrageergebnissen zurückgeblieben ist. Sie hat darauf gesetzt, sich im Gegensatz zu Podemos als Kraft eines „vernünftigen Wandels“ zu präsentieren.

 

Ihr geringer Erfolg zeigt zwei Dinge: erstens, dass die Stimmen für Podemos und andere Linke mehr als nur Proteststimmen sind (sonst hätten sie genauso zur rechten „Alternative“ wandern können); zweitens, dass die Linken es geschafft haben, Unterstützung für politische Forderung zu gewinnen, auch wenn diese nicht (im kapitalistischen Sinn) „vernünftig“ sind – also InvestorInnen verschrecken. Sie haben wohl gerade deswegen große Unterstützung bekommen, weil sie nicht ins gleiche „There is no alternative“-Horn gestoßen haben. Das politische Programm wurde nicht von Beginn an den kapitalistischen „Sachzwängen“ untergeordnet, sondern gerade gegen diese erhoben, womit überhaupt erst politischer Gestaltungsspielraum entsteht. Das hat dem „Wandel“ („cambio“), für den Podemos und die linken Bündnisse stehen, Glaubhaftigkeit verliehen und von der restlichen politischen Landschaft abgesetzt.

 

Im linken Spektrum ist aber nicht nur Podemos angetreten, sondern in diversen Städten haben sich breitere linke Wahlbündnisse formiert, die von diversen Bewegungen gestützt wurden. Podemos war in vielen Fällen ein Teil davon. Bevor es um die Bündnisse geht, zunächst ein paar Worte über Podemos.

 

Im letzten Jahr hat Podemos es geschafft, zu einem fixen Bestandteil im öffentlichen politischen Leben zu werden. Sie hatten und haben gewaltige Medienpräsenz und in den Gastgärten kann man auf den Nebentischen regelmäßig Gespräche über Podemos und Politik verfolgen. Und es ist ihnen auch gelungen, diese (Zu)stimmung in Wahlstimmen zu verwandeln.

 

Was sind die Gründe für den Erfolg von Podemos? Sie haben es geschafft, sich klar und unerbittlich gegen die neoliberale Krisenpolitik in all ihren Auswirkungen zu stellen (Bankenrettungen, Spardiktat, Flexibilisierungen, Privatisierungen, Zwangsräumungen). Damit haben sie die vermeintliche Alternativlosigkeit dieser Politik durchbrochen und viele gute Antworten auf die Probleme der Menschen formuliert. Sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort und stellen die (vorläufige) Antwort auf das weit verbreitete Bedürfnis nach einer neuen politischen Kraft dar.

 

Wurzeln in der 15M Bewegung

 

Die Wurzeln von Podemos liegen in der 15M-Bewegung der „indignados“ (der „Empörten“) aus dem Jahr 2011, während der wochen- und monatelang öffentliche Plätze spanischer Städte besetzt wurden. Am Anfang der Bewegung stand das Motto: „Wir sind kein Spielball der Politiker und Banker!“ Wichtige Forderungen waren jene für echte Demokratie, Mitbestimmung und Partizipation – auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Es ging stark um das Gefühl, dass das politische System die Bevölkerung nicht repräsentiert („No nos representan“: „Sie repräsentieren uns nicht“). Gerade auch, weil die Politik eng mit der wirtschaftlichen Elite verbunden ist.

 

Die 15M-Bewegung zeigte viele Charakteristika, wie sie auch bei anderen Protesten (etwa der Occupy-Bewegung, Audimax-Besetzung…) zu finden waren. Aus der Entfremdung gegenüber dem politischen System erwuchs auch eine Distanz zu traditionellen Organisationen und Organisationsformen (auch der Linken). An die Stelle der Delegation der eigenen Anliegen an irgendwelche politischen StellvertreterInnen ist die Suche nach etwas Neuem und der Wille zu aktiver Partizipation getreten.

 

Nach dem Ende der Platzbesetzungen kam es zur Herausbildung von Stadtviertelgruppen und neuen Initiativen/Bewegungen. Als ein Beispiel sei hier stellvertretend „Marea verde“ („Grüne Strömung“) genannt, die sich gegen Spardruck und Privatisierungen im Gesundheitssektor einsetzen. Die 15M-Bewegung führte zu einer Politisierung, hinterließ nach ihrem Abebben aber auch eine Lücke. In diesem Kontext wurde Podemos, ursprünglich initiiert von der linksradikalen Izquierda Anticapitalista (Antikapitalistische Linke), ins Leben gerufen. Von Beginn an waren dabei zwei Strategien parallel vertreten: zum einen der Versuch, im öffentlichen und medialen Diskurs präsent zu sein und diesen zu politisieren, um so mehr Menschen zu erreichen. Zum anderen die Verbindung mit diversen Bewegungen und der Versuch, eine linke Umgruppierung zu starten und zu ermöglichen.

 

Formierung von Podemos

 

Zu Beginn war Podemos sehr offen organisiert. Es wurden landesweit Zirkel gegründet, die über politische Forderungen diskutierten, über große Autonomie verfügten und in direkter Verbindung zu diversen Bewegungen standen. Die Idee war, einen Raum für politische Partizipation und linke Umgruppierung zu schaffen. Die politischen Posten in Podemos wurden über für alle offene Wahlen bestimmt. Gerade am Beginn integrierte Podemos also in Theorie und Praxis viele Forderungen, wie sie im Umfeld der 15M-Bewegung entwickelt wurden.

 

Die politische Bühne hat Podemos rund um die EU-Wahlen im Mai 2014 gestürmt, bei der sie mit 8% den vierten Platz erreicht hat. Mit diesem Ergebnis hatte es Podemos geschafft, sich als real existierende Alternative zu präsentieren. Viele der Forderungen und die Art und Weise, in der sich Podemos von den anderen Parteien absetzt, war und ist für viele Menschen interessant – gerade auch für Menschen außerhalb bestehender linker Zusammenhänge. Daher ist die Zustimmung seither beständig gestiegen und hat zu den jetzigen Wahlergebnissen geführt.

 

Dazu zählt auch, dass Podemos festgelegt hat, dass VertreterInnen, die politische Positionen oder Ämter innehaben, nicht mehr als das Dreifache des Mindestlohns (640 €) bekommen. In der ArbeiterInnenbewegung wurde das oft als “ein durchschnittlicher Facharbeiterlohn” bezeichnet, den die offiziellen VertreterInnen verdienen sollen – um sich nicht von der Basis, die sie vertreten, zu entfernen. Dieser Umgang mit dem Verdienst der offiziellen RepräsentantInnen wurde nun als selbstverständlich bei allen linken Wahlbündnissen festgelegt.

 

Wahlpartei oder Bewegung?

 

Mit dem Erfolg bei den EU-Wahlen hat sich Podemos „professionalisiert“ und das Gewicht hat sich in Richtung der Beeinflussung des öffentlichen und medialen Diskurses verschoben. Nun hatte der Zugewinn an den Wahlurnen den Vorzug vor dem Aufbau einer Bewegung. In Folge kam es zur Zentralisierung von Entscheidungsmacht und einem Ausdünnen der Zirkel, sowie einer „populistischen Verflachung“ der Argumentation (um breitere Bevölkerungsschichten anzusprechen).

 

Diese Verschiebung hin zur Beeinflussung des öffentlichen Diskurses ging Hand in Hand mit der stärkeren Dominanz von Pablo Iglesias und seinem Kreis innerhalb von Podemos. Diese Führungsriege sind größtenteils linke Intellektuelle mit persönlichen und politischen Wurzeln in reformistisch-stalinistischer Politik (v.a. der Izquierda Unida: „Vereinigte Linke“). Hier lassen sich wohl auch Parallelen zur griechischen Syriza ziehen, die sich immer mehr in Richtung einer technokratischen Alternative linker ExpertInnen entwickelt (hat). Für manche Teile innerhalb von Podemos ist oder war das auch schon immer die Perspektive. Dennoch verfügt Podemos und die restliche Linke über Mobilisierungsfähigkeit, die Zustimmung geht also über jene an den Wahlurnen hinaus. An einer Demonstration in Madrid im März, die sich für einen Wandel im politischen System eingesetzt hat, haben 150.000 Menschen teilgenommen.

 

Bei den jetzigen Wahlen und im Vorhinein dieser hat sich weiters gezeigt, dass es in und um Podemos politisch und personell starke Kräfte gibt, die das Gewicht wieder in Richtung Partizipation und Basis-Bewegung verschieben wollen und können. Das passierte zu einem Gutteil gegen die Perspektive der Führungsriege, die Podemos als den Mittelpunkt und sich selber als Zentrum von Podemos sehen. Ein Ausdruck dieser Verschiebung sind etwa die Kandidaturen in Madrid und Barcelona, die ein breites Bündnis lokaler Initiativen und Bewegungen darstellen. Daher sind die Bündnisse in ihrer Zusammensetzung und politischen Radikalität auch recht unterschiedlich. Aufgrund des lokalen Charakters der Wahlen und der Bündnisse standen auch lokale Anliegen im Vordergrund. Tendenziell lässt sich sagen, dass dort, wo die lokale Verankerung besonders gut und stark war, auch die Wahlergebnisse besonders gut waren. Ohne die allgemeine Repolitisierung der öffentlichen Debatte und des Aufzeigens von Alternativen, woran Podemos einen entscheidenden Anteil hat, wären diese Erfolge aber so nicht möglich gewesen.

 

Politisch programmatisch hat Podemos die Kritik am Neoliberalismus und den bürgerlichen Antworten auf die Krise ins Zentrum gestellt. Eine Kritik am Kapitalismus selbst oder der Klassenbasis der Gesellschaft wurde vermieden – und entspricht auch nicht dem Programm der nicht-linksradikalen Kräfte. Pablo Iglesias etwa hat sich akademisch-politisch stark mit dem chavistischen Modell Venezuelas beschäftigt und dieses durchaus als Vorbild genommen. Die bürgerlichen Kräfte nutzen diesen Umstand, um das Schreckgespenst einer linken Diktatur an die Wand zu malen, die sie mit Podemos heraufziehen sehen. Das ist natürlich reine Propaganda. Es zeigt aber, dass ihr Programm das einer anti-neoliberalen, linken Verwaltung des Kapitalismus ist und nicht das einer kämpferischen, revolutionären ArbeiterInnenbewegung. Aber glücklicherweise tut sich in der spanischen Linken noch weit mehr…