Wenn Streiken Schule machen würde

Unsere aktuelle Vorderseite, die wir in Berlin gemeinsam mit der SAS verteilen. Diesmal solidarisieren wir uns mit den Streiks bei der Bahn – und vielleicht anderen Orten! Das war ein Thriller, besser als jeder Tatort: Wird Deutschland völlig lahm gelegt? Wird das Benzin ausgehen? Oder noch schlimmer: Löst sich die Luftballon-Show an der ehemaligen Westberliner Grenze in Luft auf? Glück gehabt, wir haben nicht gehungert! Aber das Geschrei von Wirtschaftsvertreter_innen und Politiker_innen vor dem Bahnstreik ließ Schlimmes befürchten.

Natürlich konnte niemand glauben, dass 4 Tage Streik von ein paar Tausend Bahner_innen das öffentliche Leben zusammenbrechen lassen. Aber Politik und Wirtschaft wollten nichts unversucht lassen, um den Streik der Bahner_innen schlecht zu machen und sie zum Aufgeben zu bringen.

Die DB könnte natürlich einfach die Forderungen der Bahner_
innen unterschreiben. Nach Berechnungen in der Presse käme das billiger als die Hunderte Millionen Euro Schäden, die die deutsche Wirtschaft und die DB angeblich an jedem Streiktag erleiden.

Streikvirus, eine lebensgefährliche Krankheit für die Unternehmer_innen

Das „Problem“ ist, dass die Bahner_innen nicht nur die Frechheit besitzen, neben mehr Lohn zu allererst niedrigere Arbeitszei-ten und Verringerung des Arbeitsstresses zu verlangen. Sie bitten auch nicht nur freundlich, nein, sie streiken sogar dafür. Und ein Streik, der die Wirtschaft schmerzt und in Bedrängnis bringt, ist für die Wirtschaftsbosse völlig inakzeptabel.

Die größte Angst  der Unternehmer_innen ist, dass die Streikbereitschaft ansteckend sein könnte. Seit Jahren zwingen die Unternehmen den Arbeitenden schlechtere Arbeitszeiten zu immer niedrigeren Löhnen auf. Heute ist die Situation schon so katastrophal, dass nächstes Jahr von dem Mini-Mindestlohn von 8.50 Euro mehrere Millionen Beschäftigte profitieren werden. Die einen arbeiten sich kaputt, die anderen gehen an Arbeitslosigkeit kaputt. Und die Gewinne steigen.

Die Unternehmer_innen brauchen für diese Angriffe gegen die Arbeitenden Ruhe im Karton und Gewerkschaftschefs, die ihnen dabei helfen. Doch es gibt immer einen Punkt, wo die Wut über die Angst siegt und ungeahnter Mut zu Widerstand führt.

Da passt es natürlich gar nicht, dass die Bahner_innen jetzt entschlossen sind, mit Streiks ihre Forderungen durchzusetzen. Und dafür haben die Lokführer-, Zugbegleiter- und Gastronomie-
arbeiter_innen immer mehr Respekt in der Bevölkerung gewonnen. Die Bahner_innen sind im Streik, die Pilot_innen und die Amazonbeschäftigten auch… was wäre, wenn die Busfahrer_innen sich anschlössen, deren Schichten ähnlich katastrophal sind wie die der Bahner_innen? Oder die Arbeiter_innen bei Siemens, Gillette oder Osram in Berlin, wo im großen Stil Stellenabbaupläne vorbereitet werden? Oder Karstadt, wo die Beschäftigten in den letzten Jahren bereits auf 700 Millionen Euro verzichtet haben, und nun die Häuserschließungen und Erpressungen weitergehen? Viele haben gute Gründe sich zu wehren.

Deshalb wollen die Konzernbosse der Idee, dass sich die Arbeitenden mit Streiks gegen die Unzumutbarkeiten zur Wehr setzen könnten, einen Riegel vorschieben. Wenn sie und ihre Freund_innen von CDU/SPD und den Medien so verbittert gegen den Bahnstreik hetzen und Streiks zukünftig sogar durch ein Gesetz verbieten wollen, dann richtet sich das gegen die ganze Arbeit-er_innenklasse, die sich ducken und nicht aufmucken soll.

„Wir sind das Volk“

Den streikenden Bahner_innen ist vorgeworfen worden, ausgerechnet am 9. November, dem Jahrestag des Mauerfalls zu streiken, sei unverantwortlich. Die Streikenden haben auf der zentralen Kundgebung vor dem Bahntower in Berlin diesen lächerlichen Vorwurf mit Sprechchören „Wir sind das Volk“ parodiert. Merkel und Konsorten wollten sich natürlich bei ihrer Jahrestagsfeier nicht stören lassen… ganz so wie Honecker früher. Doch Millionen DDR-Bürger_innen haben sich 1989 auch nicht um die Jahrestagsfeier der Politbüroriege geschert.

Die DDR-Mauer ist seit 25 Jahren Geschichte, doch dafür gibt es viele neue Mauern: die Mauern an den EU-Grenzen zum Beispiel, vor allem aber eine Mauer des Geldes, denn Geld regiert heute alles. Und diese Mauern schweben nicht so locker davon. Deshalb kam den streikenden Bahner_innen gar nicht in den Sinn, wegen der Feierlichkeiten den Streik auszusetzen. Und sie hätten den Streik bis zum Ende durchgezogen, wenn nicht die oberste Spitze der Lokführergewerkschaft GDL lieber den Frieden mit der DB gesucht hätte.

Es wird immer wieder Versuche geben, Streiks möglichst schwer zu machen oder gar zu verbieten. Aber wenn der Mut und die Entschlossenheit nur groß genug sind, werden die Arbeitenden nicht aufzuhalten sein.