Interview zur Situation in französischen Krankenhäusern

Zu unserer politischen Arbeit im Gesundheitsbereich gehört auch der regelmäßige Blick über den nationalen Tellerrand. Wir haben ein Interview mit den revolutionären Aktivistinnen Aurelie aus dem Hauptkrankenhaus in Lyon und Anne aus dem Krankenhaus in Besançon geführt und sie über die allgemeinen Entwicklungen, die Stimmungen der Belegschaften und aktuelle Proteste befragt. 

RSO: Welche Entwicklungen könnt ihr im französischen Gesundheitsbereich sehen?

Anne: Seit 1996 bin ich im Krankenhaus als MTD für Radiologie tätig. In den 80iger und 90iger Jahren waren die Arbeitsbedingungen besser und es gab genug Personal, auch wenn es schon 1988 eine sehr große Bewegung gegen schlechte Arbeitsbedingungen und Löhne gab. Seit ungefähr sechs Jahren wird es aber schlechter und es gibt große Probleme. Es besteht die permanente Forderung nach Rentabilität. Es gibt mehr Arbeit, aber weniger Personal. 2004 hat die damalige Gesundheitsministerin Bachelot ein neues Gesetz zur Selbstverwaltung der Krankenhäuser eingeführt. Seit dem Gesetz haben alle Krankenhäuser ein Defizit und ständig Personalabbau. Es ist nicht wie in der Privatwirtschaft. Es gibt keine Kündigungen in dem Sinn, sondern die Stellen werden nicht bei allen Berufsgruppen nachbesetzt. Stellen von Pensionierten, von befristeten Verträgen oder Kündigungen werden lange nicht nachbesetzt, dadurch gibt es immer mehr Phasen der Unterbesetzung.

Ein Beispiel dafür von meiner Station: Der Vertrag von einem meiner Kollegen sollte einfach nicht verlängert werden. Wir waren aber immer eine kämpferische Station, deswegen haben KollegInnen einen Streik angekündigt, daraufhin kam es doch zur Vetragsverlängerung.

Aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen mögen viele KollegInnen 12-Stunden-Schichten, weil sie dann weniger Tage arbeiten müssen.

RSO: Was sagt ihr gegen den 12-Stunden-Tag?

Anne: Hauptsächlich, dass selbst 8 Stunden schon schwer und schlecht für die Gesundheit sind. Es gibt viele Studien, dass es ab 8 Stunden mehr Unfälle gibt. Das Gesetz schreibt grundsätzlich 35 Wochenstunden vor. Unsere Großeltern haben schon gegen lange Arbeitszeiten und für Arbeitszeitverkürzung gekämpft, es wäre ein riesen Rückschritt wenn jetzt der 12-Stunden-Tag eingeführt werden würde.

Aurelie: Ich arbeite in 12-Stunden-Schichten. Viele wollen das, weil man dann nur drei Tage arbeitet und vier Tage frei hat. Aber du brauchst dann die vier Tage rein für die Erholung, weil du so fertig von der Arbeit bist. Die Einführung des 12-Stunden-Tags bringt deutlich mehr Flexibilität für die Leitung. Es gibt Studien, die zeigen, dass mit dem 12-Stunden-Tag insgesamt mehr gearbeitet wird. Eigentlich ist das Maximum 48 Stunden pro Woche, aber aufgrund der 12-Stunden-Dienste können es bis zu 60 oder 70 Stunden werden. Die gesundheitlichen Probleme steigen, die Lebenserwartung sinkt und die Verkehrsunfälle nehmen zu. Auch die Burnout–Fälle steigen. Es sind oft die jungen KollegInnen, die die Probleme nicht sehen. Die Leitung kann dadurch die Älteren zu 12-Stunden-Diensten zwingen und Druck machen. Manchmal wird das freiwillig gemacht, aber wenn es einmal befolgt wird, dann wird es schnell zu einer generellen Sache.

Anne: Wenn die Direktion gewerkschaftliche Strukturen einschaltet und wir über die 12-Stunden-Dienste abstimmen können, glauben die anderen KollegInnen, dass wir gegen sie sind. Es ist schwer ihnen unsere Gründe zu erklären.

RSO: Gibt es noch andere Probleme?

Aurelie: Das Hauptproblem ist der Personalmangel. In meinem Team wird auch ein bisschen über die Löhne diskutiert, aber hauptsächlich über Arbeitsbedingungen und Personalmangel. Die Leitung steigert die Arbeitsbelastung für PflegerInnen. Sie haben mehr PatientInnen um die sie sich kümmern müssen. Ich hab vor zwei Jahren dort zum Arbeiten begonnen. Es gab damals 3 Bereiche. Anfangs gab es für einen Bereich zwei PflegerInnen und zwei HelferInnen für 12 PatientInnen. Es gab dann Umstrukturierungen, von einer Abteilung wurde ein Teil zu einer anderen dazugelegt. Jetzt gibt es für 11 PatientInnen einE PflegerIn und einE HelferIn.

Eine wichtige Verschlechterung ist auch, dass das Personal immer mehr von Station zu Station springen muss statt fix in einer Station zu arbeiten. Das erhöht den Stress zusätzlich und verschlechtert die Bedingungen für alle.

Patientenferne Bereiche werden zunehmend mit Fremdfirmen privatisiert. Daher gibt es oft nicht genug Leute. Die Zimmer sind oft nicht sauber und das Essen nicht gemacht. Die Direktion aber reagiert nicht. Es ist zum Beispiel ein großes Problem, dass, wenn es Ausfälle durch Schwangerschaft oder Krankheit bei den Fremdfirmen gibt, diese Stellen nicht nachbesetzt werden.

RSO: Wie reagieren die Beschäftigten? Wie ist die Stimmung?

Anne: Generell ist die Stimmung aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und der Politik der sozialistischen Regierung sehr schlecht. Die Leute fühlen sich unterdrückt. Ich war immer in kämpferischen Stationen, wo es viele Diskussionen und Streiks gab. Die Situation hat sich verändert und wird immer schlechter. Parallel mit der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Man hört immer mehr „Was soll das bringen?“, „ Warum demonstrieren, haben wir schon so oft gemacht!“, etc. Es stellt sich allgemeine Resignation ein.

Ich sag das jetzt so, aber eigentlich gibt es sehr viele kämpferische Krankenhäuser mit Streiks und Kämpfen. Zum Beispiel in der psychiatrischen Anstalt in Caen, wo sie versucht haben seit April eine landesweite Bewegung aufzubauen. Diese Bewegung könnte zu einem landesweiten Streik werden. Es gab Streiks in Caen im Sommer, wenn es Gehaltsverhandlungen gab. Die Direktion war besetzt, aber das Gericht hat das verboten und es gibt Strafen. Jetzt werden immer mehr Aktionen mit Masken gemacht, damit die Leute nicht erkannt werden.

National hat es drei allgemeine Versammlungen gegeben, in Caen, in Paris und wieder in Caen. Es gab bereits eine Demo in Caen mit 500 Personen aus ganz Frankreich. Für 23. September ist in Paris eine Demo angekündigt und ein „Kontaktkomitee“ zur Koordinierung wurde gegründet.

Die klassischen Gewerkschaften wie CGT, FO, CFTD demoralisieren und versuchen alles Mögliche gegen diese Bewegung zu unternehmen, wobei in Caen CGT und FO gemeinsam dafür gekämpft haben.

RSO: Was sagt ihr den KollegInnen? Was ist eure Rolle?

Aurelie: Allgemein kämpfen wir gegen Verschlechterungen und die schlechten Arbeitsbedingungen, und versuchen die Verbindung mit der Politik der Regierung zu zeigen. Wir versuchen den anderen zu zeigen, dass sie die Sparlogik nicht glauben sollen. Wir müssen das nicht auf unserem Rücken austragen lassen. Die Politik ist es, die zu Defiziten führt, weil es seit 2004 ein neues Budgetgesetz gibt. Der Staat gibt den Krankenhäusern ein Budget. Krankenhäuser müssen dem Staat Leistungen in Rechnung stellen. Mit diesem neuen Gesetz bekommt jedes Krankenhaus eine gewisse Summe und diese mussten sie selbst verwalten. Je mehr Operationen und Leistungen das Krankenhaus durchführt desto mehr Geld bekommen sie aus diesem Topf. Aber dieses Geld, das die Krankenhäuser für jede Operation und Leistung kriegen, wird jedes Jahr weniger. Das heißt die Aktivität in den Krankenhäusern muss gesteigert werden, allerdings wird dann wieder weniger Geld hergegeben, weil gemeint wird, dass ja eh mehr mit weniger Geld möglich ist. Also steigt der Druck und der Stress wieder auf die Beschäftigten.