Als bisher prominentester Fußballer hat sich der ehemalige deutsche Nationalspieler Thomas Hitzlsperger öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt. Wer den Männerfußball und sein Umfeld kennt, weiß, was dieser Schritt auch heute, im 21. Jahrhundert, noch bedeutet. Über Fußball, Homophobie und den notwendigen Selbstreinigungsprozess der Fanszenen.
Hitz, the Hammer
Anfang der Nullerjahre wurde der von der bayrischen Provinz nach Birmingham zum englischen Erstligaverein Aston Villa geholte Hitzlsperger zum Publikumsliebling. Aufgrund seiner Schusskraft, die dem Mittelfeldspieler einige sehr ansehnliche Weitschusstore ermöglichte, verliehen ihm die Fans den Spitznamen „Hitz, the Hammer“. Nach fünf Jahren bei Aston Villa wechselte er zum VfB Stuttgart, mit dem er 2007 auch deutscher Meister wurde. Es folgten Stationen bei Lazio Rom, West Ham, VfL Wolfsburg und dem FC Everton. Daneben wurde er zur fixen Größe im deutschen Nationalteam und kam dort auf 52 Einsätze. Aufgrund zahlreicher Verletzungen beendete Hitzlsperger im September 2013 seine aktive Karriere – mit sehr kritischen Worten: „Wirtschaftlich überdreht ist die Branche schon seit langem, und diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen“ meinte er über die fortschreitende Kommerzialisierung des Fußballs. Schließlich war „Hitz“ nicht nur für seinen strammen Schuss oder sein gutes Passspiel bekannt, sondern auch als intelligenter und belesener Interviewpartner, der sich außerdem gesellschaftspolitisch engagierte, zum Beispiel gegen Rassismus und Antisemitismus oder für HIV-positive Kinder in Südafrika.
Coming Out
„Ich äußere mich zu meiner Homosexualität, weil ich die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen möchte”, sagte der 31-Jährige im Interview mit der „Zeit“. Hitzlsperger hofft, mit seinem Coming Out „jungen Spielern und Profisportlern Mut machen“ zu können. Denn noch immer gibt es keinen aktiven Profifußballer in Deutschland oder Österreich, der in der Öffentlichkeit zu seiner Homosexualität steht. Genauer gesagt gibt es weltweit erst einen einzigen (!) offen schwulen Fußballprofi – der in der US Major Soccer League bei L.A. Galaxy beschäftigte Robbie Rogers. „Die Fußballszene begreift sich in Teilen immer noch als Machowelt. Das Bild eines schwulen Spielers wird von Klischees und Vorurteilen geprägt“ schreibt Hitzlsperger auf seiner Website. Das ist, gelinde gesagt, noch sehr diplomatisch ausgedrückt.
Homophobie im Männerfußball
Wenn jetzt die vereinte Besserwisserschaft in den Untiefen der Internet-Foren und Social Networks dieser Welt geifert, dass Hitzlspergers Coming Out gar nichts besonders wäre, schließlich sei ihnen die sexuelle Orientierung eines Fußballers ja ganz egal, dann ist das scharf zurückzuweisen. Es geht hier nicht darum, dass ein Fußballer schwul ist. Es geht darum, dass er sich in einem extrem homophoben Umfeld offen dazu äußert.
Der Männerfußball ist eine der letzten ganz großen Bastionen von Machotum und tradierten Männlichkeitsvorstellungen. Härte, Kraft, Zweikampfstärke, Durchsetzungsvermögen, all das sind Eigenschaften, die mit dem Fußballsport verbunden werden und die im homophoben Weltbild Schwulen abgesprochen werden (genauso wie sie oft auch Fußballerinnen abgesprochen werden). Von der Hobbyliga-Umkleidekabine bis zum Bundesligastadion ist „schwul“ noch immer eines der am häufigsten als Schimpfwort benutzten Begriffe. Wird der Ball nicht richtig getroffen, ist es ein „schwuler Schuss“. Geht jemand nicht konsequent genug in einen Zweikampf, so wird ihm nahegelegt, nicht „so schwul“ zu attackieren.
Was unter Spielern gebräuchlich ist wird auch von Funktionären betrieben. In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen verpestet irgendein anderer Trainer oder Vereinsverantwortlicher die Luft mit seinen menschenverachtenden Aussagen. So ließ der EU-Parlamentarier und Besitzer von Steaua Bukarest, George „Gigi“ Becali, die Öffentlichkeit wissen, niemals einen homosexuellen Spieler einstellen zu wollen. Und der vor kurzem verstorbene Vlatko Markovic, bis 2012 Präsident des kroatischen Fußball-Verbandes, erklärte: „Solange ich Präsident bin, werden sicher keine Homosexuellen im Nationalteam spielen.“ Auf die Frage, ob er in seiner aktiven Karriere je einem schwulen Fußballer begegnet sei, meinte er: „Nein, glücklicherweise, Fußball spielen nur normale Menschen“. Trainerlegende Jose Mourinho sprach vor Fernsehkameras von „Schwuchteln“ und den ehemaligen österreichische Fußballstar Toni Polster überkam beim Fernsehen die homophobe Paranoia: „Wenn ich heutzutage meinen Fernseher aufdrehe, überkommt mich das Gefühl, ich bin abnormal, weil ich heterosexuell bin und nicht schwul.“ Apropos Fernsehen. Als in der populären Krimiserie Tatort das Thema Homosexualität unter deutschen Nationalspielern thematisiert wurde meldete sich der Manager des deutschen Nationalteams, Oliver Bierhoff zu Wort: „Ich finde es schade und ärgerlich, dass die Prominenz der Nationalelf missbraucht wird, um irgendein Thema zu entwickeln oder einen Scherz zu machen.“ Die Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen.
„Die sollen sich doch bitte outen, wir haben ja eh kein Problem damit“ fordern nun viele. Eine, wenn auch nicht immer böse gemeinte, dennoch fatale Haltung. Denn die „Schuld“ für die Misere liegt sicher nicht bei homosexuellen Spielern, die sich angesichts der eben beschriebenen Zustände verstecken müssen, sondern bei Vereinen, Verbänden und Fans, die es nicht schaffen (und das oft genug auch nicht wollen), eine Atmosphäre zu etablieren, wo Coming Outs möglich sind, ohne seine persönliche Integrität und seine Karriere aufs Spiel setzen zu müssen.
Alleine, dass homosexuelle Menschen ein Coming Out machen müssen, sich also in einem bewussten und dezidierten Schritt dazu bekennen gleichgeschlechtlich zu lieben, zeigt, wie wenig schwul (und lesbisch) sein zur Normalität gehört. Damit verbunden ist nicht selten eine „gönnerhafte“, schein-aufgeklärte Haltung, die sich als tolerant gegenüber einem Bekenntnis zur Homosexualität gibt und damit als akzeptiertes Anhängsel der eigentlichen, heterosexuellen Normalität sieht.
Selbstreinigungsprozess der Fanszenen
Was von Spielern und Funktionären vorgelebt wird, wird, wenig verwunderlich, von den Fans weiter geführt. Wer hin und wieder österreichische Bundesligaspiele besucht, ist mit schwulenfeindlichen Fanchören leider nur all zu gut vertraut. Wenn beim großen Wiener Derby die gesamte Rapid-Fankurve „schwuler FAK“ singt und die Gegenseite mit „schwuler SCR“ antwortet wird eine Atmosphäre geschaffen, die es für neu in die Stadien strömende Jugendliche als völlig „normal“ erscheinen lässt, „schwul“ als Schimpfwort zu verwenden.
Ist hier also Hopfen und Malz verloren? Nein. Vor allem die organisierten Fanszenen haben in den letzten zwei Jahrzehnten gezeigt, dass sie lernfähig und zur positiven Veränderung bereit sind. Als der Autor dieser Zeilen Mitte der 1990er Jahre als Jugendlicher seine ersten Schritte in die Fansektoren der österreichischen Bundesliga machte, waren etwa rassistische Schmähungen noch weit verbreitet. Kam ein schwarzer Spieler des gegnerischen Teams an den Ball, so begannen etliche Fans Affenlaute zu imitieren. Kleinere Gruppen von Fans konnten unbehelligt mitten im Sektor verkünden, dass sie gerne eine U-Bahn vom Stadion des Gegners nach Auschwitz bauen würden. Diese Vorfälle sind inzwischen mehr und mehr verschwunden. Dies ist auch ein Verdienst der großen Fanklubs wie etwa der Ultras bei Rapid Wien, die etwa beim Aufkommen der eben erwähnten Affenlaute mittels Megaphon und Lautsprecheranlage konsequent andere Sprechchöre angestimmt haben. Versuchten Nazis Reichskriegsflaggen oder andere rechtsextreme Insignien im Sektor zu präsentieren, so wurden diese von den Ultras entschlossen entfernt und zerstört.
Gibt es also einen automatischen Weg in Richtung Fortschritt und Emanzipation? Nein. Kritische Marxist_innen lehnen eine solche teleologische Sichtweise der gesellschaftlichen Entwicklung ab. Das heißt, wir denken nicht, dass es eine automatisch auf einen wünschenswerten Endzustand zusteuernde gesellschaftliche Entwicklung gibt. Wäre dies so, so bräuchten wir uns als politische Aktivist_innen nur zurücklehnen und abwarten. Die aktuelle Situation bei der Wiener Austria, wo die Nazis von „Unsterblich Wien“ praktisch die Kontrolle über den Fansektor übernommen haben, ist ein warnendes Beispiel.
Nein, was mit dem Beispiel gezeigt werden soll, ist, dass die organisierten Fanszenen durchaus dazu fähig sind, sich von innen heraus zum Positiven zu verändern. Klarerweise steht dieser Veränderungsprozess „von innen heraus“ in Zusammenhang mit allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen. Dennoch wird dieser Selbstreinigungsprozess im Großen und Ganzen nicht durch Kampagnen des liberalen Establishments von oben herab angestoßen werden können, sondern muss von den Fans selbst initiiert werden. Denn es muss auch um mehr gehen als eine politisch korrekte Fassade, die oft genug erst recht wieder als Rechtfertigung für diskriminierendes Verhalten hergenommen wird.
Fans gegen Homophobie
Heute gibt es bereits viele Fanklubs, die sich dezidiert gegen Diskriminierung von Homosexuellen aussprechen und somit positive Vorbilder darstellen. So setzten in den letzten Jahren etwa die Fans von St. Pauli, die Ultras von Werder Bremen oder den Portland Timbers (US Major Soccer League), der queere Mainz 05-Fanklub Meenzelmänner und einige andere mit beeindruckenden Choreographien starke Statements gegen Homophobie. In Österreich sind „Fußballfans gegen Homophobie“-Transparente in den Fansektoren des Wiener Sportklub und der Vienna zu sehen. Als vor ein paar Jahren bei einem Drittligaspiel zwischen Krems und dem Wiener Sportklub einige Kremser Fans ein Spruchband mit der Aufschrift „Vienna + WSC = Wiens erste Homoehe“ entrollten, antworteten die Sportklubfans gewitzt, indem sie den Schmähruf „schwuler WSC!“ intonierten und damit auf sich selbst umlegten.
Welche Rolle können linke Aktivist_innen, die gleichzeitig auch Fußballfans sind, bei einem solchem Prozess spielen? Zugegebenermaßen eine sehr bescheidene. Ihr Hauptaugenmerk liegt in der Regel nicht auf der politischen Arbeit im Stadion und so werden sie in der subkulturell-identitären Fanszene zumeist als Leute „von außen“ wahrgenommen, deren Wort naturgemäß weniger zählt.
Der Kampf geht weiter
Sollten linke Aktivist_innen in der einen oder anderen Form Zugang zu Milieus von Fußballfans haben, so würden wir für eine Herangehensweise unter dem Motto „geduldig erklären statt obergescheit belehren“ plädieren. Ähnlich wie in der politischen Arbeit unter Beschäftigten in großen Betrieben sollte hier nicht jede unbedachte Äußerung auf die Waagschale gelegt werden. Gleichzeitig sollten linke Aktivist_innen selbst eine klare Linie gegen Diskriminierung vertreten und auch persönlich vorleben.
Eins ist jedenfalls klar. Der Kampf gegen Diskriminierung im Fußball und in der Gesellschaft geht weiter. Und das Schlusswort zu diesem Artikel gehört Thomas Hitzlsperger: „die Leute, die homophob sind, andere ausgrenzen aufgrund ihrer Sexualität, die sollen wissen: Sie haben jetzt einen Gegner mehr!“
Einige Fan-Choreographien gegen Homophobie und Sexismus
FSV Mainz 05, deutsche Bundesliga
Portland Timbers, US Major Soccer League
Werder Bremen, deutsche Bundesliga
Babelsberg 03, deutsche 4. Liga