Das Pferd im Fleisch –– Ein Blick ins Maul der kapitalistischen Lebensmittelindustrie

In mehreren Tiefkühlprodukten und auch in zwei Wurstsorten sind mittlerweile Anteile von Pferdefleisch aufgetaucht – und jeden Tag kommen neue Fälle ans Licht.. Viele fragen sich: Wie ist so etwas möglich? Und welchen Informationen können wir noch vertrauen?

Der gegenwärtige Lebensmittelskandal zieht immer weitere Kreise. Sogar in Hongkong wurde in einer angeblichen Rindfleischlasagne Pferdefleisch aus Europa entdeckt. Grundsätzlich nicht so tragisch, wäre den KonsumentInnen das Ganze nicht als Rind- oder Schweinefleisch verkauft worden. Also ein klarer Etikettenschwindel: Auf dem Weg von den FabrikantInnen zu den ZwischenhändlerInnen über die AbnehmerInnen der Supermärkte bis hin zu den KonsumentInnen wird betrogen und gelogen, dass sich die Hufe biegen.

Zu Pferde

Häufig kommt das betroffene Fleisch aus Rumänien, wurde über ZwischenhändlerInnen weiterverkauft, und gelangte dann, bezeichnet meist als Rindfleisch, über Frankreich nach Großbritannien, Schweden, Deutschland, Tschechien und Österreich. So wurde in Österreich bisher mit "Combino Penne Bolognese“ und "Tortelloni Rindfleisch“ zwei Lidl-Produkte (allerdings von zwei unterschiedlichen Herstellern) aus dem Markt gezogen. In Tschechien fanden die Behörden nicht deklariertes Pferdefleisch in zwei Chargen einer Tiefkühl-Lasagne der tschechische Tochter der britischen Supermarktkette Tesco. Geliefert allerdings aus Luxemburg. Laut Bundesverbraucherministerium wurden in Deutschland bisher 24 Proben positiv getestet. Auch der weltgrößte Lebensmittelkonzern Nestlé entdeckte Pferdefleisch in seinen Produkten und nennt das niedersächsische Fleischunternehmen Schypke als Zulieferer.

Wenn in Kärntner Wurstprodukten Pferdefleisch aus Kanada (!) gefunden wird, so stellt sich die Frage, was hier der eigentliche Skandal ist. Abgesehen davon, dass Fleischkonsum grundsätzlich hinterfragt werden kann, ist es der absurde Ausdruck eines Systems, in dem es sich für die einzelnen Unternehmen rechnet, Lebensmittel von der Erzeugung über die Verpackung bis zum Endverbrauch hin und her, quer über die ganze Welt zu schicken. Das funktioniert nur, weil im Kapitalismus zahlreiche Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. So muss sich kein Privatunternehmen um die Kosten kümmern, die durch die Umweltverschmutzung entstehen, wenn Nahrungsmittel über die halbe Welt verfrachtet werden.

Modernisierungsfolgen

Aufgrund seines geringen Fettanteils gilt Pferdefleisch eigentlich als gesunde Alternative zum Rindfleisch. Wo und wie viel Pferdefleisch gegessen wird, ist jedoch regional unterschiedlich. In Großbritannien, wo der Skandal zunächst publik wurde, ist durch die historisch große Bedeutung von Pferden in der Gesellschaft der Konsum von Pferdefleisch besonders tabuisiert.

Auch die katholische Kirche verteufelte lange Zeit dieses als „Götzenfleisch“ bezeichnete Lebensmittel. Erst im 19. Jahrhundert kam es zu einem Erstarken des Pferdefleischkonsums, als ein „Arme-Leute-Essen“.

So gab es in Österreich im 19. Jahrhundert noch 600 Pferdefleischereibetriebe, heute aber nur noch zwei. Mit dem Einzug des Motors in dieLandwirtschaft ging der Pferdebestand drastisch zurück, und damit auch die Pferdefleischereibetriebe. Carolin Krejci aus dem österreichischen Gesundheitsministerium bezeugt das historische Überbleibsel: „Wenn es auf die Welt kommt ist das Pferd erst einmal ein Lebensmittel und wird erst im Laufe seines Lebens umdeklariert.“ Aha.

Weil derzeit gerade rumänische und bulgarische Bauern und Bäuerinnen auf Traktoren umsteigen, und deswegen ihre alten Ackergäule zu Geld machen, kommt es seit rund drei Jahren zu einem deutlichen Anstieg des Pferdefleischanteils am europäischen Markt. Aber auch abgehalfterte Sportpferde werden geschlachtet. Wobei dabei jedenfalls der teilweise Fund von Rückständen entzündungshemmender Medikamente im Fleisch problematisch ist.

Nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht Biogemüse

Der „Pferdefleischskandal“ ist allerdings nur ein Beispiel von vielen und noch dazu ein vergleichsweise harmloses. Buttermakrele statt Butterfisch kann bei manchen dummerweise gesundheitliche Schäden nach sich ziehen. Schweinefleisch statt Lamm im Kebab für manche religiöse Dilemma auslösen. ExpertInnen in den USA gehen davon aus, dass jeder dritte Fisch ein anderer ist, als der er gehandelt wird.

Was viele Menschen jetzt so erschüttert, ist nicht primär der Inhalt sondern die falsche Kennzeichnung. Die von Oben immer herbeigeredete „Macht der Konsumenten“ zeigt sich hier als das, was sie letztendlich ist: als Ohnmacht. Denn im Kapitalismus können wir – abgesehen von einigen gesellschaftlichen Nischen – immer nur zwischen dem wählen, was angeboten wird. Selbst bestimmen, was und wie produziert wird – und dadurch erst wirklich mit letzter Sicherheit zu wissen, was „drin“ ist – , das können wir nicht.

Natürlich sind derlei Lebensmittelskandale kein neues Phänomen. 2.500 Tonnen „Bio-Futtermittel“ beschlagnahmte 2001 die Polizei in Verona, sie sollten ihren Weg durch Europa finden um dort an Schweine, Rinder und Hühner verfüttert zu werden. Seit 2007 sollen vom selben Betrugsring neben Tierfutter auch Mehl, Obst und Trockenfrüchte für insgesamt 220 Millionen Euro verkauft worden sein. Die simple aber ebenso effiziente Vorgehensweise: Tarnfirmen kauften die Grundbestandteile in Rumänien und Italien ein, als „biologisch“ deklariert wurden sie dann um einiges teurer über ein GroßhändlerInnennetz in Italien, Deutschland, den Niederlanden, Spanien, Frankreich, Belgien, Ungarn, Österreich und der Schweiz verkauft. Unter den Festgenommenen trafen sich großteils Geschäftsleute wie die Chefs der Lebensmittelkonzerne Sunny Land, Sona und Bioecoitalia wieder, aber auch der Direktor der Zertifizierungsstelle der Region Marken in Mittelitalien.

In einem anderen italienischen Fall wurde munter mit Olivenöl gepanscht. So verwandelte sich Billig-Olivenöl durch Mischen oder Umetikettieren in (Bio-)Gourmetprodukte. Laut Spiegel sollen 2011 rund 80 Prozent der gesamten italienischen Produktion betroffen gewesen sein. Aber auch das gilt es zu hinterfragen, denn in vier von fünf Flaschen der Qualitätshöchststufe "Extra Vergine“ fanden die italienischen Behörden Öle aus Spanien, Griechenland oder Tunesien.

Die für Unternehmen „günstigen Bedingungen“ in Tunesien, sprich die niedrige Löhne sowie die wenig kostenintesiven, weil meist wüsten Produktionsstandorte, lassen das Olivenöl um die Hälfte billiger aus der Mühle kommen als etwa in Italien oder Spanien. Verkauft werden kann es dann aber um das Vielfache. Noch nicht ekelig genug? Die Hälfte der Öle, die in zwölf italienischen Supermärkten getestet wurden, war voll Schimmel. Ein bisschen Duftöl drauf, dann geht’s schon.

2011 beschlagnahmte Interpol-Europol in einer Operation, die in zehn Ländern statt fand, insgesamt 2.500 Tonnen falsch gekennzeichnete und minderwertige Lebensmittel: 13.000 Flaschen Olivenöl, 30 Tonnen Tomatensauce, rund 77 Tonnen Käse, mehr als 12.000 Flaschen Wein, fünf Tonnen Fisch und Meeresfrüchte sowie 30.000 Schokoriegel wurden beschlagnahmt. Seit 2007 so die Schätzung, wurden bis dahin 700.000 Tonnen Lebensmittel im Wert von 220 Millionen Euro mit falscher Kennzeichnung verkauft.

Derlei Skandale gibt es also viele, und da war noch gar nicht die Rede von Massentierhaltung, den Antibiotika die gespritzt werden oder von Formfleisch, Instant-Ei und was sonst noch alles nötig ist, um Fleisch, Gemüse, Getreide und Obst so kostengünstig wie möglich um die halbe Welt schippern zu können.

Qualität hat ihren Preis?

Viele der falsch etikettierte Produkte sind Diskontprodukte. Gerade aber der „Bio-Skandal“ und auch das Ölbeispiel zeigen, dass es nicht ein falsches Einkaufsverhalten ist, das die Drecksprodukte in unsere Einkaufswägen bringt. Wenn im Spiegel von der „Billig-Billig-Versuchung“ die Rede ist, wird uns vorgegaukelt, dass KonsumentInnen selbst schuld sind, wenn sie bei Diskontmärkten einkaufen. Als würden es sich diejenigen, die darauf angewiesen sind, das Billigste vom Billigsten zu kaufen so ausgesucht haben. Dass das vielmehr an der hohen Arbeitslosigkeit, der vielen Leiharbeit und Teilzeitjobs liegen könnte, oder daran, dass in den letzten Jahren eine immense Preissteigerung bei Lebensmitteln zu erleben ist, wird schön verschwiegen. Laut dem Armutsbericht der EU ist die Arbeitslosenquote in der gesamten Euro-Zone mit 11,8% inzwischen auf dem höchsten Stand der letzten 20 Jahre. In Griechenland und Spanien liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 50%. Die realen Einkommen der Haushalte sind in zwei Dritteln aller Mitgliedsstaaten um bis zu 20% gesunken.

In den betroffenen Ländern kommt man selbst mit einem Job nicht über die Runden. Wenn dann die Wiener Wirtschaftskammer verlauten lässt „…die Geiz ist geil Mentalität ist definitiv der falsche Weg“, dann ist das wohl mehr als zynisch . Dass Diskonter florieren, ist keine Herzensangelegenheit, sondern für viele schlichte Notwendigkeit.

Die Logik des Kapitalismus

Die kapitalistischen Produktionsweise zwingt die einzelnen KapitalistInnen untereinander zu konkurrieren, sie müssen möglichst viel von den eigenen Waren verkaufen, damit die anderen möglichst wenig verkaufen können. In der Folge wird spekuliert, gepanscht und betrogen. Das hat oftmals nicht einmal mit besonders ausgeprägter Profitgier zu tun, sondern mit dem bloßen Kampf ums Überleben am Markt. Es ist die Logik des Kapitalismus, die zu Lebensmittelskandalen führt, und auch dazu, dass immer wieder tonnenweise Lebensmittel weggeworfen werden, weil diese am Markt keinen Absatz mehr finden (was nicht heißt, dass es dafür keinen Bedarf gäbe). Allein in Wien wird jeden Tag so viel Brot und Gebäck weggeworfen, wie in Graz, der zweitgrößten Stadt Österreichs, konsumiert wird!

Während an den Börsen mit landwirtschaftlichen Gütern Profit gemacht wird, ist Nahrung in weiten Teilen der Welt häufig Mangelware – entweder weil schlicht und ergreifend nicht genug angebaut werden kann, oder weil das, was auf den Märkten angeboten wird, für viele finanziell nicht leistbar ist.

K. Kossdorf von der Fachgruppe Lebensmittel der Wiener Wirtschaftskammer meint „Qualität braucht Kontrolle, Kontrolle kostet Geld“. Wir nehmen Einrichtungen wie der Wirtschaftskammer, der Weltbank oder dem Internationaler Währungsfonds diese Kontrolle gerne ab, um eine Gesellschaft aufzubauen, die die Grundbedürfnisse der Weltbevölkerung befriedigen will, anstelle mit ihnen Geld zu verdienen. Wir wollen eine Gesellschaft, in der wir produzieren, um zu leben und nicht leben, um zu produzieren.