Der groߟe Jahresrückblick des kapitalistischen Wahnsinns

Von Hollande bis Obama, von Spanien bis Südafrika – Stefan Horvath und Michael Mlady kommentieren die letzten zwölf Monate mit Augenzwinkern..

 

Januar

Am 24. Januar 2012 wird der Unteroffizier der US-Armee Frank Wuterich für seine Beteiligung am „Massaker von Haditha“ verurteilt. Am 19. November 2005 war seine Einheit auf sein Kommando („zuerst schießen, dann fragen“) drei Stunden lang auf einem privaten Rachefeldzug durch die irakische Stadt Haditha unterwegs. Dabei wurden 24 ZivilistInnen, darunter einige Kinder, erschossen. Nachdem es ranghohen Militärs nicht gelungen war, den Vorfall zu vertuschen, kommt dieser vor ein Militärgericht. Die Strafe für das Morden fällt wahrhaft drakonisch aus: 90 Tage Gefängnis.

FPÖ-Chef Heinz Christian Strache vergleicht die Proteste gegen den rechtsextremen WKR-Ball in der Wiener Hofburg mit den November-Pogromen von 1938 und sieht seine Partei als „die neuen Juden“. Es herrscht Rätselraten, wie künftig der Arier-Nachweis in der Partei gehandhabt wird.

 

Februar

Im besten aller Systeme (Kapitalismus) und im fortschrittlichsten aller Kontinente (Europa) fordert eine mehrwöchige Kältewelle 250 Menschenleben. Todesopfer gibt es unter anderem in Deutschland, Italien, Frankreich oder Österreich. Die meisten Erfrierungstote hat die Ukraine zu verzeichnen, deren Regierung verlautbaren lässt, dass es sich hauptsächlich um die Folgen von Alkoholmissbrauch handle.

März

Ein von der „Hilfsorganisation“ „Invisible Children“ am 4. März veröffentlichtes, äußerst klischeehaftes Video über die Brutalität der ugandischen Rebellenarmee unter der Führung von Joseph Kony wird zum Massenphänomen im Internet. „Kony 2012“ soll wachrütteln und zum Spenden animieren. Menschen mit Restbeständen an politischer Vernunft fragen sich unter anderem, wieso in einem Film über Afrika so viele weiße Mittelschichtskinder zu sehen sind, wofür die 68% der Spendengelder gehen, die nicht an Hilfsprojekte in Uganda fließen und warum der Film gerade jetzt erscheint. Schließlich existiert Konys Rebellenarmee bereits seit 30 Jahren und hat zum Zeitpunkt der Video-Veröffentlichung nur mehr geschätzte 200 bis 1500 SoldatInnen – weniger als es Kinder mit Waffen in den Ganggebieten von Los Angeles gibt. Die MacherInnen fordern Militärhilfe für die ugandische Armee (die nicht weniger Menschenrechtsverbrechen am Gewissen hat als die Rebellen) und fordern per YouTube: Kauf das Armband der Kampagne! Kauf das Poster!

In einem Referendum stimmt die Schweizer Bevölkerung gegen die Erhöhung des gesetzlichen Urlaubsanspruches von vier auf sechs Wochen. Das Votum ist selbstverständlich völlig frei und unabhängig zustande gekommen und hat nichts mit der Angstpropaganda zu tun, die Wirtschaftsverbände, Regierung und Medien im Vorfeld verbreitet hatten.

Im März freuen wir uns, auch unsere Leserinnen im Jahr 2012 zu begrüßen. Frauen in Deutschland, Österreich und der Schweiz bekommen soviel weniger für die gleiche Arbeit bezahlt, dass sie bis Anfang März (Schweiz), Mitte März (Deutschland) und Anfang April (Österreich) brauchen, um im Jahr 2012 anzukommen.

April

Der spanische Innenminister Jorge Fernández Díaz will ein neues Gesetz durchbringen, wonach die Anstiftung zur Störung der öffentlichen Ordnung durch Medien oder soziale Netzwerke mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden soll. Auf die Frage, warum über die Hälfte der SpanierInnen unter 24 Jahren arbeitslos ist, hat die Regierung hingegen keine Antwort.

 

Mai

JP Morgan Chase & CO, die größte US-amerikanische Bank hat sich durch riskante Handelsgeschäfte verspekuliert und muss innerhalb von sechs Wochen rund zwei Milliarden US-Dollar abschreiben. Dieselbe Bank hatte übrigens im Herbst 2011 – zur Zeit der Occupy Wall Street-Proteste – eine Spende von 4,6 Millionen Dollar an die New York City Police Foundation getätigt, „um die Sicherheit in New York zu erhöhen“. Indes muss sich JP Morgan als sogenannte „systemrelevante Bank“ keine Sorgen um ihr Überleben machen, im Ernstfall wird sie durch Steuergelder sicher aufgefangen. Im Jahr vier nach Ausbruch der Finanzkrise hängen übrigens noch über 300 US-Banken am Tropf des Staates.

Der Sozialdemokrat François Hollande wird neuer Präsident Frankreichs, es ertönen sozialdemokratische Jubelchöre. Der Jubel wird ein wenig leiser, als sich herausstellt, dass alle Wahlversprechen gebrochen werden und Hollande in den nächsten Monaten milliardenschwere Sparpakete ankündigt.

Juni

Einige europäische PolitikerInnen geben bekannt, die Fußball-Europameisterschaft der Männer in Polen und der Ukraine boykottieren zu wollen. Aber nicht etwa deswegen, weil es in Polen regelmäßig Angriffe auf Schwule und Lesben gibt oder weil in den Foltergefängnissen der Ukraine allein im Jahr 2010 51 Menschen gestorben sind. Nein, sondern nur deshalb, weil die mit mafiösen Methoden steinreich gewordene Politikerin Julia Timoschenko in der Haft nicht standesgemäß behandelt wird.

Vor der ägyptischen Präsidentschaftswahl rufen einige verwirrte Linke zur Wahl von Mohammed Mursi, dem Kandidaten der Moslembruderschaft auf und erklären ihn zum Revolutionär. Nach der Wahl schauen sie dumm drein.

Juli

Nur ein massives Polizeiaufgebot kann Angriffe von Rechtsextremen auf die „Budapest Pride“ am 7. Juli verhindern. Der Hass gegen Menschen mit nicht-hetereosexueller Orientierung kommt allerdings aus der Mitte der Gesellschaft. Schon im Vorfeld hatte der Budapester Bürgermeister István Tarlós mehrfach klar gemacht, dass er keinerlei Unterstützung, geschweige denn Sympathie, für die Veranstaltung aufbringen könne.

 

August

Deutschlands RentnerInnen sind auch im hohen Alter noch topfit. Schließlich arbeitet eine dreiviertel Million heute in einem Minijob. Zeitungen austragen und Regale auffüllen – genau das Richtige für Menschen mit 75.

Aufgrund einer regierungskritischen Protestaktion in einer russisch-orthodoxen Kirche in Moskau stehen drei Mitglieder der feministischen Punkband Pussy Riot vor Gericht. Präsident Wladimir Putin zeigt sich versöhnlich und meint: „Ich denke nicht, dass sie dafür zu hart verurteilt werden sollten“. Das Gericht sieht die Sache offenbar ähnlich, schließlich verurteilt es die Frauen nur zu zwei Jahren Straflager.

Die südafrikanische Polizei ermordet 34 streikende Bergarbeiter. Die BergarbeiterInnen organisieren sich gegen die Repression und kämpfen für ihre Rechte, unterstützt von trotzkistischen AktivistInnen. Die Regierungstroika aus ANC, Kommunistischer Partei und Gewerkschaftsdachverband COSATU hingegen unterstützt den Massenmord.

September

Woche für Woche hat die „Troika“, bestehend aus EU-Kommission), Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, neue Ideen um Griechenlands Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Im September schlägt sie etwa vor, die 6-Tage-Woche wieder einzuführen und die zulässige Tageshöchstarbeitszeit auf 13 Stunden am Tag zu erhöhen.

Am 25. September gründet der austro-kanadische Milliardär Frank Stronach seine eigenen Partei – das Team Stronach für Österreich. Stronach, der sich in einem Werbevideo rühmt, gerade „80 Jahre jung geworden“ zu sein, vertritt die Partei gemäß Statuten „alleine nach außen“. Dieses Nach-Außen-Vertreten ist überaus amüsant, einige seiner TV-Auftritte erlangen Kultstatus. So lässt Stronach seine InterviewpartnerInnen nur selten zu Wort kommen und pflegt diese mit „Du“ anzusprechen. Hinter diesen skurillen Auftritten bleibt allerdings die neoliberale Agenda von Stronach und Co verborgen. Und Fragen nach Eurofighter-Schmiergeldern mag er auch nicht, Einer Aussage von Stronach über das staatliche Fernsehen können wir uns jedoch anschließen: „Der ORF ist ein Part des Systems, wo verhindert wird, dass die Menschen die Wahrheit erfahren.“

Oktober

Der diesjährige Friedensnobelpreis geht an die Europäische Union. Diese habe, so die Begründung des Nobelkomitees, unter anderem einen „erfolgreichen Kampf für Frieden und Versöhnung und für Demokratie sowie die Menschenrechte“ geführt und Europa „von einem Kontinent der Kriege zu einem des Friedens“ gemacht. Dieser Frieden wird aktuell im Wochentakt in die Köpfe der DemonstrantInnen in den verarmten EU-Ländern Griechenland und Spanien geprügelt. Flüchtlinge aus Afrika machen ihre ersten Erfahrungen mit den europäischen Menschenrechten hingegen bereits am Mittelmeer, wo sie von der EU-Flüchtlingsbekämpfungsagentur Frontex gejagt und nicht selten in den Tod getrieben werden. Währenddessen tragen deutsche SoldatInnen den Frieden der EU bis an den Hindukusch.

In fünf weiteren Wiener Bezirken werden kostenpflichtige Kurzparkzonen eingeführt. Die ÖVP kampagnisiert seit Monaten gegen das „rot-grüne Parkpickerl“ und sieht den Untergang des Abendlandes heraufziehen. Auch dem FPÖ Wien-Verkehrssprecher Toni Mahdalik, der gegen „axtschleudernde Rumänen, prügelnde Nepalesen, messerstechende Russen und waffenstarrende Araber“ auf der Wiener Donauinsel berittene Polizei fordert (FPÖ-Presseaussendung vom 13. Sept. 2011), ist kein Vergleich zu dumm, um gegen kostenpflichtiges Abstellen von Privatautos im öffentlichen Raum mobil zu machen.

 

November

Am 18. November kommt es in einer Textilfabrik in Ashulia/Bangladesch zu einem Großbrand, bei dem 111 ArbeiterInnen ums Leben kommen und weitere 200 verletzt werden. Die Ermittlungen ergeben, dass der Besitzer und mehrere leitende Angestellte den großteils weiblichen ArbeiterInnen zunächst verbieten wollten, das brennende Gebäude zu verlassen. Die Fabrik produzierte unter anderem für WalMart und C&A.

Der erste europäische Generalstreik findet statt. Große Streiks und Massen-Demonstrationen gibt es unter anderem in Belgien, Bulgarien, Griechenland, Italien, Malta, Portugal, Spanien und Zypern. Der Generalstreik erreicht auch Mitteleuropa in voller Härte: Im schweizerischen Bern mobilisiert die Gewerkschaft UNIA zu einer Protestaktion – mit einigen dutzend Personen. In Österreichs Hauptstadt Wien ruft der Gewerkschaftsdachverband ÖGB zum kollektiven Sirtaki-Tanzen auf dem zentralen Stephansplatz auf.

Dezember

Barack Obama wird vom Time Magazine zum Mann des Jahres gekürt. In afghanischen Familien werden die Sektflaschen hervorgeholt und es knallen die Drohneneinschläge.

SPD-Kanzlerkandidat und Weinkenner Peer Steinbrück spricht sich im Interview mit der BILD-Zeitung gegen eine Erhöhung des Kindergelds aus. 10 Euro Erhöhung seien ja lediglich „zwei Schachteln Zigaretten, zweieinhalb Bier oder zwei Pinot Grigio“. Doch Steinbrück beweist Geschmack, indem er klarstellt: „Also zwei Gläser Pinot Grigio, denn eine Flasche, die nur fünf Euro kostet, würde ich nicht kaufen.“

Und jetzt mal ehrlich… Willst Du, dass 2013 auch so wird?

Nein? Dann heb deinen Hintern und werde aktiv !