Zur Debatte um die österreichische Wehrpflicht

Im Januar soll die Abstimmung zur Zukunft des Bundesheers über die Bühne gehen. Hannes Androsch vom SPÖ-Personenkomitee hat bereits offen gesagt, dass er mit dem Berufsheer in Zusammenarbeit mit der NATO „Rohstoff- und Energiequellen“ erkämpfen will. Doch ist das derzeitige Milizheer eine Alternative?

  Der SPÖ-Vorschlag zur Umwandlung des Milizheers in ein Berufsheer kam überraschend. Hintergrund waren die letzten Wiener Gemeinderatswahlen im Jahr 2010, wo die SPÖ mit diesem Thema punkten wollte. Lange Zeit aber stand die österreichische Sozialdemokratie fest hinter der Wehrpflicht, dem so genannten Präsenzdienst, und seinem zivilen Äquivalent, dem Zivildienst. Die ÖVP stellt sich – zumindest jetzt einmal noch – dagegen, anders die Grünen, die schon seit längerem auf eine Abschaffung des Milizheers drängen.

Zwangsdienst

Bei vielen Linken, besonders bei jungen Menschen, stoßen diese Vorschläge auf große Sympathie. Zwangsweise 6 beziehungsweise 9 Monate (Zivildienst) bei kaum vorhandener Bezahlung und miesen Arbeitszeiten abzuleisten, ist verständlicherweise nicht sehr beliebt bei jungen Männern. Zudem kennt jedeR – entweder aus eigener Erfahrung oder aus Erzählungen im Freundeskreis – die Geschichten von stupiden Übungen, unsinnigen Wachdiensten oder komplexbeladenden Unteroffiziers-Rambos, die jede Gelegenheit nutzen, um Rekruten zu schinden.

Sehen viele im Zivildienst noch wenigstens einen gesellschaftlichen Sinn, so verstehen die meisten die Existenzberechtigung der Armee nicht wirklich. Mehr noch, das österreichische Bundesheer ist nicht nur in jugendlich-alternativen Milieus oft ein Objekt von Spott und Hohn. Höchstens bei Katastropheneinsätzen wie im Fall von Überschwemmungen oder Lawinenunglücken wird den SoldatInnen Anerkennung gezollt.

Lustigerweise versuchen viele VerteidigerInnen des Bundesheers ihre Argumente häufig über diese Schiene fahren zu lassen. Doch wozu für das Schlichten von Sandsäcken Kampfpanzer und schwere Geschütze gebraucht werden, kann niemand beantworten. Oft ist es auch schlicht ein Vorwand. So wurden in Österreich nach dem Lawinen-Unglück von Galtür 1999 Black Hawk Transport-Hubschrauber angeschafft, angeblich für den Katastropheneinsatz. Real ist das natürlich NATO-kompatibles Kriegsgerät.

Wo ist der Feind?

Obwohl übermotivierte Unteroffiziere Grundwehrdiener auch heute noch immer wieder Sturmangriffe für die offene Feldschlacht üben lassen, ist dieses Verteidigungskonzept bei den Militärstrategen längst passé. Die „Panzerschlacht am Tullnerfeld“ wird es nicht mehr geben. Schon in den 70er Jahren etablierte das Bundesheer das so genannte Raumverteidigungskonzept. Es sah einen Rückzug der Bundesregierung und schwerer Einheiten in die Alpen bei gleichzeitigem Guerillakampf im Flachland gegen die feindlichen Nachschublinien vor. Der Feind, das war in den 70er Jahren natürlich der „Kommunismus“, also die Armeen des Warschauer Pakts.

Nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Länder 1989-1991 hat auch das österreichische Heer seinen Feind verloren. Wurden vergangene Generationen von Grundwehrdienern noch auf einen „Einmarsch der Russen“ und den Kampf gegen die „rote Gefahr“ eingeschworen (tatsächlich hatten die entsprechenden Einheiten bei Truppenübungen meistens die Farbe rot), so ist die angebliche Bedrohung aus dem Osten heute nicht mehr gegeben.

Später war eine wesentliche Aufgabe des Heeres die Grenzsicherung. Im Klartext: 18jährige Grundwehrdienst-Leistende wurden zur Flüchtlingsjagd ins Burgenland abkommandiert – mit entsprechender ideologischer Schulung. Im Dezember 2011 wurde dieser „Assistenzeinsatz“ beendet, bis dahin hatten sich in 21 Jahren 350.000 junge Männer zwangsverpflichtet an der Flüchtlingsjagd beteiligt.

Worum geht es?

Heute ergibt sich die Existenzberechtigung des Bundesheers laut seinen VerteidigerInnen vor allem aus folgenden Gründen: 1. Katastropheneinsätze, 2. „friedensstiftende“ Auslandseinsätze und 3. Schutz gegen „terroristische Bedrohungen“. Diesen Argumenten ist natürlich leicht zu begegnen:

Katastrophenhilfe könnte eine schlanke sowie speziell geschulte und ausgerüstete zivile Truppe viel effizienter leisten. Auslandseinsätze – auch unter UN-Mandat – haben nichts mit „Frieden“ zu tun, sondern dienen der imperialistischen Unterwerfung von Rohstoffquellen, neuen Märkten und geostrategisch wichtigen Gebieten.

Es ist kein Zufall, dass Österreich mit 300 SoldatInnen das größte Kontingent im Rahmen des EUFOR-Einsatzes in Bosnien-Herzegowina stellt und gleichzeitig mit einem kumulierten Investitionsvolumen von rund 1,19 Milliarden Euro im Jahr 2011 der größte Auslandsinvestor im Land ist. Und der dritte Grund, der „islamistische Terror“, existiert in Österreich sowieso eher als Hirngespinst denn als Schreckgespenst.

Weltweite Kriege

Der Vorsitzende des SPÖ-Personenkomitees, der Ex-Finanzminister und Großindustrielle erklärt in der Tageszeitung Österreich bemerkenswert offen, wenn es darum geht, die Notwendigkeit eines Berufsheeres (für das europäische Kapital) zu erklären: „Das Aufgabenspektrum sei „im europäischen Verbund in Zusammenarbeit mit der NATO einsatzbereit zu sein, die Rohstoff- und Energiequellen zu verteidigen, die Transportwege, Seewege und Pipelines. Dazu kommt das Flüchtlingsproblem, Terrorismus und Cyberwar.“ In einer Debatte mit dem Ex-Chef der Industriellenvereinigung, Veit Sorger, sprach er übrigens noch expliziter von „unerwünschter Migration“, die es aufzuhalten gelte.

Das sind klare Worte. Es geht darum, dass Österreich fit gemacht wird, im Rahmen der EU-Truppen weltweite Rohstoff-Kriege zu führen. Und das geht mit Söldner nun einmal besser als mit Wehrdienstpflichtigen.

 

Diese Strategie ist dabei nicht auf Österreich begrenzt. Die EU hat sich die Agenda gegeben, in Zukunft weltweit militärisch einsatzfähig zu sein, mit dem Ziel, Rohstoffe für den EU-Imperialismus zu sichern. Die Studie des offiziellen EU-Think-Tanks ISS zur EU-Sicherheitspolitik im Jahr 2020 versteckt hier wenig. Sie sagt, dass die EU nicht "Friedensmacht" sondern Turbomotor der Militarisierung ist. Die EU müsse „in einer symbiotischen Beziehung mit den Transnationalen Konzernen“ die „funktionellen Ströme“ der „globalen hierarchischen Klassengesellschaft“ absichern und „die global Reichen von den Armen“ abriegeln.

Die wichtigste Aufgabe der EU-Sicherheitspolitik werde es – so das EU-ISS – sein, die „transnationalen funktionellen Ströme und deren Knotenpunkte“ sicherzustellen: also vor allem die Waren-, Kapital- und Rohstoffströme. Das erfordere „globale militärische Überwachungskapazitäten und die Fähigkeit zur Machtprojektion“.

Ebenso absurd und amüsant übrigens, dass nun die ÖVP gegen das Berufsheer auftritt. Eigentlich wollte sie es die längste Zeit – aus ihrer Sicht mit guten Argumenten, denn schließlich ist sie die Hauptpartei des österreichischen Kapitals, das von der Rohstoffsicherung profitiert. Scheinbar war diesmal die Abgrenzung zur SPÖ wichtiger als eine Entscheidung im langfristigen Sinne der Kapitaleliten.

Die Führung der Sozialdemokratie hingegen hat verstanden, woher der Wind weht … und dient den von der EU als Partnern genannten „Transnationalen Konzernen“ als österreichische Filiale.

Krieg nach Innen

Verschwiegen wird in der ganzen Debatte natürlich eine weitere wichtige Aufgabe des Bundesheers. Dazu heißt es auf der Homepage des Heers: „Wenn nötig helfen Soldaten des Bundesheeres, die Ordnung und Sicherheit in Österreich aufrechtzuerhalten. Denkbar ist dabei, dass Einsatzkräfte des Heeres die verfassungsmäßigen Einrichtungen unseres Landes (wie etwa Regierung, Parlament, Landräte oder Bezirkshauptmannschaften) schützen und damit die demokratischen Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger sichern.“

In schöne Worte verpackt wird hier eine der seit jeher zentralsten Bestimmungen von Armeen geschildert: Die herrschende Ordnung aufrechtzuerhalten. Da die herrschende Ordnung aber eine Un-Ordnung ist, die für große Teile der Bevölkerung immer wieder Armut, Arbeitslosigkeit und Unterdrückung bedeutet, kommt es immer wieder zu Aufständen dagegen – auch in Österreich. Wann hat denn das österreichische Heer das letzte Mal auf heimischen Boden Kampfhandlungen verübt? Das war im Februar 1934, als Soldaten auf sozialdemokratische ArbeiterInnenheime und Sozialwohnungen feuerten. Hingegen fiel beim Einmarsch der Nazi-Truppen 1938 kein einziger Schuss…

In erster Linie schützt die Armee eben nicht „verfassungsmäßige Einrichtungen“  – sonst hätte sie die Ausschaltung des Parlaments durch die AustrofaschistInnen von Dollfuß bekämpft (statt ihn zu unterstützen), sonst hätte sie schon längst in Kärnten einmarschieren müssen, um dort die in vielen slowenisch bewohnten Orten die gesetzlich vorgeschriebenen zweisprachigen Ortstafeln durchzusetzen. In Wirklichkeit schützt die Armee in erster Linie die herrschende Eigentumsordnung, also das Privateigentum an Produktionsmitteln.

Bundesheer abschaffen?

Eine vollständige Abschaffung des Bundesheeres, wie es etliche Linke (beispielsweise die sozialdemokratische Jugendorganisation SJ) fordern, hätte natürlich Charme. Es reicht aber nicht aus und ist auch ein wenig blauäugig: Denn eine „Abschaffung“ des Bundesheeres würde unter sonst gleich bleibenden kapitalistischen Bedingungen eine Aufrüstung der Polizei oder anderer Strukturen, die dann irgendwie anders heißen, bedeuten (in Österreich gab es etwa bis 1955 die armeeähnliche, so genannte B-Gendamerie, weil Österreich offiziell kein Heer haben durfte). Die bürgerliche Klasse wird niemals ohne bewaffnete Strukturen zur Verteidigung ihrer Herrschaft auskommen. Und je tiefer die Krise wird, desto sichtbarer wird auch die Rolle der Polizei zur Verteidigung der (bürgerlichen) Ordnung, etwa in Griechenland oder Spanien.

Deshalb muss die Forderung nach Abschaffung des Bundesheeres konsequenterweise in eine Perspektive für eine Überwindung des Kapitalismus eingebettet werden. In Bezug auf das Militär heißt das ein Eintreten gegen alle Berufsheerstrukturen und insbesondere gegen die Polizei. Wir sind für eine Zersetzung der bewaffneten Strukturen des bürgerlichen Staates. Dass Armee und Polizei als Instrument für die herrschende Klasse unbrauchbar gemacht werden, ist ein zentraler Punkt einer revolutionären Entwicklung und der damit notwendigerweise verbundenen Zerschlagung des bürgerlichen Staates.

Die Überwindung des Kapitalismus wird ohne revolutionäre Milizen, teilweise von der ArbeiterInnenbewegung selbst geschaffen, teilweise aus zersetzten Militärstrukturen entstehend, nicht möglich sein. Und selbst in einer nachkapitalistischen Übergangsgesellschaft würden wohl bewaffnete Strukturen – leider – notwendig sein, um die revolutionären Errungenschaften gegen eine feindliche kapitalistische Umgebung zu verteidigen. So wie in der frühen Sowjetunion, die kurz nach 1917 von nicht weniger als 21 imperialistischen Armeen angegriffen wurde. Erst eine globale klassenlose Gesellschaft wird endlich ohne militärische Strukturen auskommen.

Miliz- oder Berufsheer?

Da wir keinerlei Illusionen über die wahre Bestimmung eines Heeres haben, sprechen wir uns grundsätzlich gegen die Einführung eines Berufsheers aus – worauf die neuen SPÖ-Vorschläge hinauslaufen und wie das beispielsweise von den (Oliv-) Grünen gefordert wird. Schließlich wird es etwa in einer gesellschaftlich polarisierten Situation wesentlich schwieriger sein, ein Milizheer, bestehend aus Wehrpflichtigen, zum Beispiel gegen Streikende einzusetzen, als ein Heer, bestehend aus Menschen, deren Job der „Dienst mit der Waffe“ ist. Die Erfahrungen aus vielen Klassenkämpfen weltweit zeigen, dass sich SoldatInnen umso eher mit progressiven sozialen Bewegungen solidarisieren, umso mehr sie sozial mit den unterdrückten Klassen und Schichten der Gesellschaft verbunden sind.

Das heißt natürlich nicht, dass wir das derzeitige Bundesheer irgendwie „toll“ finden. „Keinen Mann (und keine Frau) und keinen Groschen für die Armee des bürgerlichen Staates!“ muss die Devise lauten. Doch was heißt das? In Wirklichkeit müssten revolutionäre Forderungen in die gegensätzliche Richtung eines professionalisierten (und wohl teureren) Berufsheers gehen: Kürzung des Militärbudgets (und Umschichtung von Ausrüstung zur Bezahlung für SoldatInnen), Abschaffung der bereits bestehenden Berufsmilitärs, eine radikale Verkürzung des Präsenzdienstes, eine Demokratisierung der Armee, reale Rechte für RekrutInnen und deren VertreterInnen bis hin zur Wahl der OffizierInnen durch die einfachen SoldatInnen; ArbeiterInnenlohn für alle MilizsoldatInnen (inklusive der Offiziere). Die Stoßrichtung kann nur dahin gehen, jedes Heer so unbrauchbar wie möglich zum Einsatz als potenzielle Bürgerkriegstruppe zu machen.

Solche Errungenschaften können aber nur von einer starken und offensiv-kämpferischen ArbeiterInnenbewegung erreicht werden (was auch der Grund ist, warum wir hier lediglich eine grobe Stoßrichtung angeben).

Keine Zwangsarbeit im Sozialbereich!

Sollte es tatsächlich zu einer Umwandlung des Bundesheers in eine Berufsarmee kommen, so müssten MarxistInnen dafür eintreten, dass der Zivildienst nicht durch einen generellen verpflichtenden Sozialdienst zu Hungerlöhnen ersetzt wird. (So wie in 31 Vorarlberger Gemeinden, die – völlig legal (!) – ihre EinwohnerInnen noch zu Frondiensten verpflichten). Stattdessen würden wir uns für die Schaffung tatsächlicher Jobs im Sozialbereich, finanziert aus den Profiten der KapitalistInnen, aussprechen. Doch auch hier gilt: Revolutionäre Ideen sind nett – doch erreicht werden können sie nicht durch Appelle an die bürgerliche Politik, sondern nur durch unsere eigene Aktivität.

Anmerkung: dieser Artikel wurde erstmals im Oktober 2010 online gestellt und nun für die Neupublikation aktualisiert, ausgebaut und überarbeitet. 

Zum Weiterlesen:

EU-Studie zur EU-Sicherheitspolitik im Jahr 2020 (September 2009)

http://www.sozialismus.net//content/view/1266/214/

Gesammelte Artikel zur EU

http://www.sozialismus.net//content/blogcategory/185/214/

Gesammelte Artikel zur NATO

http://www.sozialismus.net//content/blogcategory/0/235/