Oberösterreich: brutaler Verrat der Gewerkschaftsführung

Für Ende März hatte die Gewerkschaft der Gemeindebediensteten im Land ob der Enns einen Streik gegen Lohnkürzungen angekündigt. Doch einen Tag davor wurde der Streik gestoppt. Die KollegInnen sind wütend und frustriert. Die Chronologie eines Verrats – und die notwendigen Schlussfolgerungen.

Ende September 2011 hatte der Landtag in Oberösterreich einen folgenschweren Beschluss getroffen: der nächste Gehaltsabschluss für die Landesbediensteten sollte auf jeden Fall einen Prozentpunkt unter dem bundesweiten Abschluss bleiben. Allein das hätte auf Lebenszeit für die KollegInnen bereits tausende Euro Gehaltseinbuße bedeutet. Eine Gemeindemitarbeiterin etwa, die 2.000 Euro brutto verdient, hätte laut ÖGB bei einem angenommen Bundesabschluss von 3,5 Prozent im ersten Jahr knapp 200 Euro verloren, in zehn Jahren knapp 2.000 Euro.

Für diesen harten Sozialabbau stimmten ÖVP und Grüne (die in Oberösterreich eine Koalition bilden) sowie die FPÖ, die so wieder einmal ihr wahres Gesicht zeigte. Die SPÖ, die im Bund harte Sozialabbau-Maßnahmen durchsetzt, konnte sich in Oberösterreich oppositionell geben, wusste sie doch, dass die schwarz-grüne Koalition das Gesetz durchwinken würde.

Gewerkschaft gibt sich kämpferisch

Die zuständige Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (GdG) sammelte aus Protest 17.000 Unterschriften – was bei 60.000 Betroffenen im ganzen Bundesland und einer sehr dicht organisierten Gewerkschaft nicht hervorragend ist, aber ein guter Anfang. Am 5.12. protestierten bis zu 4.000 KollegInnen vor dem Landhaus in Linz. Es war dies bereits eine Art von Streik, nämlich eine öffentliche Dienststellen- und Betriebsversammlung aller städtischen Bediensteten der Stadt Linz. Und Christian Meidlinger, Vorsitzender der GdG, erklärte auf der GdG-Bundeskonferenz vollmundig: „Die Pläne der zuständigen Landepolitiker sind schlichtweg ein Skandal. Dieses miese Politspektakel muss sofort beendet werden“.

Dennoch betrachtete die GdG-Führung den 5. Dezember offenbar bereits als Ende der Mobilisierungen. Erst auf Druck der Basis wurde der 1. Februar als konkreter Streiktermin beschlossen. Die nächste Verhandlungsrunde am 11. Jänner brachte seitens des Landes nur leere Versprechungen und Worthülsen, nichts konkret Fassbares. Dennoch wurde der Streikbeschluss für den 1. Februar sofort wieder fallengelassen.

Auf Druck der KollegInnen, unter anderem aus dem Allgemeinen Krankenhaus (AKH) Linz, wies dann aber der erweiterte Landesvorstand der GdG das „Angebot“ des Landes zurück. Gleichzeitig wurde gegen den Willen des Vorsitzes beschlossen, dass jedes Verhandlungsangebot einem erweiterten Landesvorstand vorzulegen wäre und nicht mehr das Verhandlungsteam allein abschließen dürfe. Unser Ziel wäre natürlich, dass solche Verhandlungen nur in einer Urabstimmung aller KollegInnen beschlossen werden dürfen. Dennoch ist jede Ausweitung zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Haudum will kein Depp sein

Der Landesvorstand der GdG beschloss also Kampfmaßnahmen, falls die Landesregierung nicht einlenken sollte. Die GdG verlangte allerdings keine Rücknahme des Beschlusses durch die schwarz-grüne Regierung, sondern eine „monetäre, staffelwirksame Abgeltung als Ausgleich der beschlossenen -1%-Regelung“ … was mit dem Zusatz „staffelwirksam“ (also gestaffelt nach Lohngruppen) bereits einigen Raum für Zugeständnisse lässt.

In der Öffentlichkeit erklärte Norbert Haudum, Vorsitzender der Landesgruppe Oberösterreich der GdG in einem Artikel am 24.01. allerdings publikumswirksam: „Beamte und VB [Vertragsbedienstete] wollen nicht die Deppen der Nation sein!“ (Was für seine Person im Lichte der folgenden Ereignisse wohl noch zu hinterfragen wäre.)

Inzwischen hatte sich auch die Gesamtsituation extrem verschärft. Der Beschluss des bundesweiten Sparpakets sieht für alle Beschäftigen im öffentlichen Dienst eine Null-Lohnrunde vor – und das würde beim „Minus-1“-Beschluss für die KollegInnen in Oberösterreich sogar eine Lohnsenkung bedeuten.

Angeblich Richtung Streik …

Unter dem Druck der Basis steuerte die GdG, wohl auch unterstützt durch die nicht vorhandene Kompromissbereitschaft von Schwarz-Grün, auf einen Streik zu. Anfang März erklärte die GdG, dass es Ende März einen Streik geben würde, wenn es zu keiner Einigung käme.

Am 15.03. las Vorsitzender Haudum im Informationsblatt der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG) den ChristgewerkschafterInnen der FCG sogar die Leviten. Haudum erklärte der FCG, warum ein Streik richtig, gut und notwendig sei und ersuchte mit wahrlich großen Worten „ALLE um tatkräftige Unterstützung der Streikaktivitäten“.

Der 28.03. wurde als erster Streiktag bekannt gegeben. Als Landeshauptmann Pühringer am 22.03. weitere Gespräche für Mitte April ankündigte, erklärte die GdG, dass das zu spät sei und der Streik umgesetzt würde. GdG-Boss Haudum sprach von einer „klaren Deadline“ bis zum Streiktag.

Die Stimmung in den Betrieben war gut und kämpferisch. Laut Gewerkschaftsangaben wollten sich über 100 Gemeinden an dem Streik beteiligen, in Linz bis zu 7.500 KollegInnen von Magistrat, AKH und anderen stadteigenen Unternehmen, landesweit bis zu 25.000 KollegInnen.

… doch dann kam alles anders!

Einen Tag vor dem Streik war dann aber plötzlich alles anders. Die KollegInnen wurden davon informiert, dass der Streik abgeblasen sei. Als Begründung wurde genannt, dass Landeshauptmann Pühringer „in einem persönlichen Telefonat ein ordentliches und anständiges Angebot im Zuge der Verhandlung am 16. April 2012 versprochen“ habe.

Im Klartext: es wurde eigentlich gar nichts zugesagt, LH Pühringer bekräftigte im „Österreich“-Interview zu seinem angeblich „ordentlichen und anständigen Angebot“ für die Gemeindebediensteten sogar: „Aber die Minus-ein-Prozent bleiben“. Doch nun reichte diese Nicht-Zusage (und ein Termin beim Landeshauptmann am 28. zum Austausch der bekannten Positionen), um alles zu beenden. Und interessanterweise tauchte im GdG-Bericht vom Treffen mit Pühringer am 28. auch das Wort Streik nicht mehr auf.

Um dem Beschluss, dass der Landesvorstand der Streikabsage zustimmen müsse, am Papier zu entsprechen, wurden (ausschließlich) die sozialdemokratischen Mitglieder des Vorstandes angerufen und um Zustimmung ersucht. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass alle Mitglieder überhaupt erreicht wurden – und natürlich ist ein Einzelgespräch auch gut geeignet, um Druck aufzubauen.

Und ganz allgemein zeigt sich hier auch die Problematik der Beschränkung auf den Vorstand – denn natürlich ist hier nicht die Basis der KollegInnen aus den Betrieben vertreten, sondern es sind vor allem höhere SP-FunktionärInnen, die teils auch persönlich einiges an Privilegien zu verlieren haben, wenn sie sich gegen die SP-Spitze der GdG stellen.

KollegInnen sind wütend – AKH protestiert

Die KollegInnen kamen am nächsten Tag in die Betriebe und standen vor den Scherben der Streik-Vorbereitungen. Die Basis in den Betrieben war stinksauer, die KollegInnen fühlten sich zurecht betrogen.

Im AKH Linz, bereits zuvor eine Hochburg der kampfwilligen KollegInnen, verabschiedeten 200 KollegInnen eine scharfe Resolution. Sie schrieben: „Die TeilnehmerInnen an der BV protestieren auf das Schärfste gegen das Vorgehen des Landesvorstandes der GdG-KMSfB am 27.03.2012. Aufgrund der Tatsache, dass es seitens des LH kein konkretes Angebot gibt, ja sogar im Gegenteil der LH in den Medien bekundet, dass er seine Position bis dato nicht verändert habe, sodass sich zwischen dem Streikbeschluss und dem Aussetzen des Streiks nichts entscheidend verändert hat, hätte der Streik aus unserer Sicht keinesfalls ausgesetzt werden dürfen. Wir brauchen ein faires und respektvolles Ergebnis für unsere engagierte und hochqualifizierte Belegschaft! Im Namen der Gerechtigkeit. Die Verhandlungen sind aus unserer Sicht mit aller Härte zu führen!“

Diese Resolution bringt die Stimmung sehr gut auf den Punkt. Leider fehlt hier noch die explizite Forderung, dass der Streik schleunigst aufgenommen werden soll und jedes Ergebnis einer Urabstimmung zu unterziehen ist. Doch ist diese Resolution eines großen Betriebs ein riesiger Fortschritt gegenüber der allgemeinen Lähmung, die oft nach einem solchen Verrat eintritt.

Hintergründe und Schlussfolgerungen

Die Gewerkschaftsführung wollte offenbar das übliche Spiel spielen, ein wenig drohen und dann klein beigeben. Das funktionierte diesmal nicht so gut, weil es enormen Druck von der Basis gab. Viele KollegInnen sind mittlerweile sogar bereit, Null-Lohnrunden hinzunehmen, aber eine drohende reale Lohnsenkung war dann doch zuviel.

Die Leitung der GdG hatte aber politisch natürlich ihre eigenen Interessen und Vorstellungen. Der ÖGB hat sich klar zum Sparpaket bekannt, die ÖGB-SpitzenfunktionärInnen, die für die SPÖ im Parlament sitzen, haben dem Sparpaket ausnahmslos zugestimmt. Was der ÖGB in dieser Situation natürlich nicht will, ist ein Streik gegen Sozialabbau-Maßnahmen. Dieser könnte eine Dynamik auslösen könnte, die das Potential hätte, der Regie des ÖGB-Präsidiums zu entgleiten.

Es ist natürlich nicht völlig ausgeschlossen, dass es nach der nächsten Verhandlungsrunde doch noch Kampfmaßnahmen gibt – doch es scheint aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich. Wenn die GdG einen Streik gewollt hätte, wäre der 28. der beste und logische Tag gewesen, offensichtlich will sie nicht. Und Mobilisierungen sind auch nicht wie ein Lichtschalter, der einfach an- oder abgeschalten werden kann. Es wird jedes Mal schwerer werden.

Doch die GdG-Führung hat sich ohnehin entschieden und wird nun ihr ganzes Gewicht in die Waagschale legen, um Kampfmaßnahmen abzuwehren. Und wenn die schwarz-grüne Regierung einzelne Zugeständnisse bei den niedrigen Lohngruppen machen wird (wovon auszugehen ist), dann wird das der GdG reichen, um sich abzufeiern und die Aussetzung des Streiks zu rechtfertigen.

Die GdG tanzt aber noch auf einer weiteren Ebene auf zwei Hochzeiten: sie steht nicht nur zwischen ÖGB und Beschäftigten, sondern auch zwischen den Beschäftigten und den Stadtregierungen. Die GdG-Spitze fühlt sich auch den Interessen der meist sozialdemokratisch regierten Gemeinden verpflichtet. Linz, Wels oder Steyr werden traditionell von der SPÖ regiert – und die sozialdemokratische GdG ist in diesen Städten eng mit der sozialdemokratischen Stadtregierung verzahnt. Oft spielt sie hier die Rolle einer „gelben“ (also unternehmerInnen-kontrollierten) Gewerkschaft. Das gilt übrigens natürlich genauso in Wien und anderen Städten mit einer traditionellen SP-Stadtregierung.

In den Betrieben gibt es nun eine enorme Wut. Doch in die Wut mischte sich natürlich auch Resignation. Viele KollegInnen überlegen, aus der Gewerkschaft auszutreten – es wäre sehr interessant, die Mitgliedsentwicklung der GdG OÖ in den nächsten Monaten beobachten zu können. Dieser Schritt ist mehr als verständlich. Dennoch glauben wir, dass es besser ist, in der Gewerkschaft zu bleiben und dort für eine andere Stimmung zu sorgen.

Es wird in den nächsten Jahren enorme Angriffe auf den öffentlichen Dienst geben. Die Ereignisse in Oberösterreich haben wieder einmal in aller Deutlichkeit gezeigt, dass auf die Gewerkschaftsführung und die Führung der sozialdemokratischen FSG kein Verlass ist. Sie werden uns betrügen, wo sie nur können – denn sie sind davon überzeugt, dass der Sozialabbau notwendig und alternativlos ist. Das hat mit den politischen Positionen der Sozialdemokratie zu tun – aber auch mit den persönlichen Privilegien der SpitzenfunktionärInnen, die schon lange nicht mehr wissen, wie sich Lohnkürzungen anfühlen.

Gleichzeitig ist es aber hoch an der Zeit, der Sozialabbau-Politik der Regierungen etwas entgegenzusetzen. In Verhandlungen müssen wir Urabstimmungen über alle Ergebnisse verlangen. Statt Lohnkürzungen wollen wir als Basis eine gleitende Lohnskala, also Löhne, die automatisch an die Inflation angepasst werden. Zusätzlich sind natürlich Lohnsteigerungen nötig, wobei wir für Beträge (also z.B, 200 Euro mehr für alle) statt Prozenten eintreten, damit vor allem die unteren Lohngruppen profitieren.

In der Gewerkschaft und den Personalvertretungen treten wir für volle Demokratie und für die jederzeitige Abwählbarkeit von FunktionärInnen ein. FunktionärInnen dürfen nicht mehr als einen FacharbeiterInnenlohn verdienen, damit sie wissen, wen sie vertreten.

Wir glauben, dass das nur gestützt auf kämpferische und selbstorganisierte Basis-Strukturen in den Betrieben passieren kann. Die RSO arbeitet in verschiedenen Bereichen im Öffentlichen Dienst für diese Ziele und unterstützt KollegInnen und GenossInnen beim Aufbau solcher Strukturen. Wenn Du dabei mit uns zusammenarbeiten willst, sollten wir miteinander reden!