Kony 2012? Raus mit dem Imperialismus aus Afrika!

Ein am 4. März online veröffentlichtes Video zeigt die Brutalität des Führers der Ugandischen Rebellenarmee, Joseph Kony. Innerhalb der ersten vier Tage wurde das 30 minütige Video, welches von der NGO „Invisible Children“ veröffentlicht wurde, mehr als 50 Millionen Mal gesehen. Hauptsächlich werden darin die Verbrechen von Kony dargestellt, wie zum Beispiel Kindesentführung, Vergewaltigung und Verstümmelung von Gefangenen. Kritik erfährt außerdem der Missbrauch von Kindern als SoldatInnen. Viele, die das Video gesehen haben, sind entsetzt über Konys brutale Vorgehensweise und dies mit voller Berechtigung. Allerdings beschreibt das Video nur einen Teil der Wahrheit, und „Invisible Children“ und seine Ziele sind mehr als zwielichtig.

Zehn Jahre später

Es überrascht ein wenig, dass das Video jetzt erscheint. Die „Lords Resistance Army“, deren Anführer Joseph Kony ist, existiert seit fast 30 Jahren. Der Höhepunkt des BürgerInnenkrieges in Uganda war 2003, seitdem musste die LRA massive Niederlagen hinnehmen. 2006 musste die LRA Uganda sogar verlassen und agiert seitdem in einem riesigen Gebiet, welches Teile der Demokratischen Republik Kongos, Süd-Sudans und der Zentralafrikanischen Republik umfasst. Es wird davon ausgegangen, dass Konys LRA derzeit aus nicht mehr als 200 – 1500 SoldatInnen besteht. Offen gesprochen gibt es mehr Kinder mit Waffen in den Ganggebieten von Los Angeles. Zusammenfassend kann man davon sprechen, dass der Konflikt zwar noch nicht gelöst, aber doch mehr oder weniger beendet ist. Die meisten Menschen, die 2003 Uganda verlassen mussten, sind bereits wieder in ihre Heimat zurückgekehrt.

Doch wieso erhält der Konflikt nun plötzlich solche Aufmerksamkeit? Wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob es nur die Entscheidung der beteiligten AktivistInnen war, diese Kampagne in diesem Jahr zu pushen oder ob es noch weitere Gründe gab. Es ist allerdings interessant zu erwähnen, dass die Kampagne sich vor allem auf die Präsenz von US MilitärberaterInnen und Militärhilfe für die ugandische Regierung konzentriert. Enge Verbindungen zu Uganda helfen den USA definitiv in mehr als einer Hinsicht. Entdeckte Uganda nicht erst im letzten Jahr Öl in seiner westlichen Region und erwartet bis 2017 Ölgewinne von 2 Milliarden Dollar?

Diktatoren in Afrika

Eine weitere Frage die wir uns stellen sollten ist folgende: Warum ausgerechnet Kony? Nicht, dass seine Verbrechen entschuldbar seien, aber Zentralafrika hat nicht gerade wenige verbrecherische Führungspersonen vorzuweisen. Ugandas „Präsident“, Yoweri Museveni, ist einer der dienst-ältesten Diktatoren in Afrika und tritt die Menschenrechte seit 1986 mit Füßen. An die Macht kam er nach einer Rebellion gegen den damaligen Diktator Milton Obote, welcher wiederum 1979 in einer Rebellion gegen den damaligen Diktator Idi Amin an die Macht kam.

Im Video von „Invisible Children“ wird suggeriert, dass im ugandischen Konflikt Joseph Kony der absolute Bösewicht sei. Tatsächlich agieren Musevenis Truppen nicht besser. Diverse Menschenrechtsorganisationen behaupten, dass Vergewaltigung eine gängige Praxis der ugandischen Truppen sei. Während AktivistInnen in Uganda davon berichten, dass auch von der ugandischen Armee heftige Menschenrechtsverletzungen, wie die Nutzung von KindersoldatInnen, begangen werden!

Das Szenario von Gut versus Böse funktioniert hier also nicht; stattdessen, wie üblich in BürgerInnenkriegen, haben beide Seiten enorme Grausamkeiten im Namen der Clique die sie repräsentieren begangen. Opfer war die ugandische Bevölkerung, deren Existenzgrundlage sowohl von Armee als auch Rebellen bedroht wurde.

Ebenso außen vor gelassen wird ein anderer wichtiger Punkt, nämlich die Tatsache, dass Konys Rebellion tatsächlich eine materielle Grundlage hat. Der Ursprung des Konfliktes liegt in der systematischen Diskriminierung des Nordens durch den ökonomisch stärkeren Süden Ugandas. Dieser Konflikt lässt sich auf die frühe Kolonialzeit zurückführen als die nördliche Bevölkerung von den britischen KolonialherrscherInnen vor allem als SklavInnen benutzt wurde.

Gefangen im Netz des Imperialismus

Uganda, wie auch Afrika insgesamt, ist zu großen Teilen von ausländischem Kapital abhängig. Afrikanische Länder sind oftmals vom Export eines wichtigen Rohstoffs oder Agrargutes abhängig. In Uganda sind dies vor allem Kaffee und Tee, welche ein Drittel von Ugandas Exporten ausmachen. Jetzt wird natürlich auch Öl seinen Absatz finden. Die Profite dieser Exporte gehen vor allem an die imperialistischen Länder, bezahlt durch die extreme Armut in den „Dritte Welt“-Ländern. Tatsächlich lebt mehr als ein Drittel der ugandischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze von 1,95 US-Dollar pro Tag.

Einige Krümel der gigantischen Profite, die die ImperialistInnen aus Afrika holen, gehen allerdings an lokale HelferInnen, die nationale Bourgeoisie. Charakteristisch für afrikanische Staaten ist eine sehr kleine und extrem korrupte Bourgeoisie, welche oft Züge eine HerrrscherInnenclique trägt. Ugandas Korruption wird mit 2,4 beziffert, wobei die Skala von 1 = vollkommen korrupt, bis 10 = überhaupt nicht korrupt, reicht.

Zwielichtige Wohltätigkeit

Für die Herstellung des Videos ist die Hilfsorganisation „Invisible Children“ verantwortlich. Die MacherInnen geben sich im Video bewusst als cool und im Trend und rebellisch, um so möglichst viele junge Menschen anzusprechen, welche die Welt zum besseren verändern wollen. Die Realität hinter der Kamera sieht anders aus.

Nur 32% der Spenden die „Invisible Children“ gesammelt hat, gehen tatsächlich an Hilfsprojekte in Uganda. Der Großteil der Gelder wurde für die Filmproduktion, Reisekosten und nicht zu vergessen die Gehaltszahlung von 80.000 US-Dollar für die 3 Gründer der Organisation ausgegeben. Während wiederum ein Großteil der 32%, die in Uganda ankamen, vermutlich in den Händen von korrupten Staatsangehörigen landete, um die man nicht herumkommt, wenn man Hilfsarbeit am Boden leistet.

Schlussendlich ist der Vorschlag der MacherInnen, Militärhilfe für Uganda, sicher keine Lösung und bringt mehr Schaden als Hilfe mit sich. Tatsächlich ist dies als würde man Benzin in ein offenes Feuer schütten: Die Armee, welche die eigene Bevölkerung vergewaltigt, Oppositionsdemonstrationen auseinanderprügelt und auch vor Folter nicht zurückschreckt, soll finanziell besser ausgestattet werden. Wenn man sich außerdem die mehr als 300.000 toten ZivilistInnen im Irak und in Afghanistan in Erinnerung ruft, welche ein Produkt der US „Humanitär-Intervention“ sind, scheinen die USA am wenigsten dafür geeignet Kinderleben zu retten.

Reale Revolution, nicht Facebook-Revolution!

Wir bezweifeln nicht, dass der Großteil der jungen Menschen, die das „Kony 2012” auf ihrer Facebook-Pinnwand geteilt haben, gute Intentionen hatten. „Invisible Children“ nutzt den berechtigten Ekel, den viele Menschen beim Gedanken an imperialistische Plünderungen in Afrika empfinden. Dabei fokussieren sie sich auf die unwichtigste Figur in den mörderischen Kriegen um Profite und Macht in Afrika – und schweigen über die wichtigste und grausamste Figur: Den US Imperialismus.

Die Rolle von Facebook und Twitter, welche vom „Kony 2012“ so hervorgehoben wird, ist eine falsche Lösung. Wir können Protest nicht als etwas passives, wenn nicht sogar konsumorientiertes (kauf das Armband, kauf das Poster, usw.), begreifen, welches in der virtuellen Welt geschieht, indem wir ein Video teilen. Protest und Revolution sollten in der realen Welt auf realen Kräfteverhältnissen beruhen. Anders als im Video suggeriert, sollten die Menschen aktiv teilhaben, ihr Schicksal in ihre eigenen Hände nehmen und nicht Lobbygruppen für PolitikerInnen sein.

Das Elend von Ausbeutung und imperialistischer Dominanz welches Afrika jetzt seit fast 500 Jahren beherrscht ist eine große Aufgabe. Es ist jedoch nicht die Aufgabe von weißen Mittelschichtskindern vor ihren Computern, sondern der ArbeiterInnenklasse in Afrika selbst. Wir können sie in ihrem Kampf unterstützen, indem wir hier in unserem eigenen Land gegen Imperialismus und Kapitalismus ankämpfen und so die Ketten, welche die KapitalistInnen der Dritten Welt auferlegen, brechen.