–„Die Leute gehen nicht einfach nach Hause –– die Wut ist immer noch in ihnen!–“

Die Lage in Griechenland spitzt sich immer mehr zu. Im Zuge eines Griechenland-Aufenthalts von Aktivisten der RSO entstand ein Interview mit Elias von der trotzkistischen Sozialistischen Arbeiterpartei (SEK) über die Krise, den Widerstand und die Perspektiven der radikalen Linken.

Am 3. Dezember protestierte die Gewerkschaft der migrantischen ArbeiterInnen auf dem Omoniaplatz im Zentrum Athens. Dort versammelten sich zwischen 1000 und 2000 Menschen, großteils migrantische ArbeiterInnen. Die Demonstration zog wie üblich vor das Parlament am Syntagmaplatz. Protestiert wurde gegen zunehmende Gewalt faschistischer Schlägerbanden, die in Zusammenarbeit mit der Polizei regelmäßig MigrantInnen terrorisieren und angreifen.

Der Rückweg wurde dann gemeinsam angetreten, um sich gegenseitig vor Polizeikontrollen und -schikanen zu schützen.

Unterstützt wurde die Demonstration unter anderem von der trotzkistischen Sozialistischen Arbeiterpartei (SEK). Im Zuge dessen führten wir ein Interview mit Elias, Mitglied der SEK.

In Deutschland berichten die Medien regelmäßig über die großen Generalstreiks und über Straßenschlachten zwischen DemonstrantInnen und der Polizei. Ein wirkliches Bild der Lage kann man sich daraus nicht bilden. Wie schätzt du den Stand der Kämpfe gegen die Auswirkungen der Krise ein?

Elias: Die Angriffe der Herrschenden sind gigantisch. Große Teile der ArbeiterInnenklasse und der Mittelschicht werden massiv angegriffen. Lohnkürzungen von bis zu 50% treffen sowohl die Angestellten im staatlichen Bereich als auch die Beschäftigen im Privatsektor. Verschärft wird die Situation durch die Sparpakete, mit denen die Regierung die Vorgaben von EU und IWF einhalten will.

Ein Ende der Krise ist auch nach vier Jahren nicht in Sicht. Die Menschen sind also gezwungen sich zu wehren. Und der Widerstand nimmt zu. In den letzten 18 Monaten gab es 16 Generalstreiks, mit bis zu einer Million DemonstrantInnen nur in Athen. Gleichzeitig sind die Kämpfe bisher kaum erfolgreich und die KapitalistInnen sind nicht mehr zu Zugeständnissen bereit. Die Menschen haben Wut im Bauch und sind bereit zu kämpfen, es fehlt aber die Perspektive.

Wie entwickeln sich die Klassenkämpfe weiter?

Die großen Generalstreiks mit 500.000 und sogar einer Millionen DemonstrantInnen im Oktober waren ein großer Schritt vorwärts. Durch die große Beteiligung haben die Kämpfe ein neues Level erreicht. Die Leute gehen nicht einfach nach Hause, die Wut bleibt in ihnen. Immer mehr Menschen kritisieren nicht nur die Sparpakete, sondern auch den Kapitalismus an sich. Positionen der radikalen Linken verbreiten sich und finden zunehmend mehr Zustimmung.

Gleichzeitig ist die Bewegung noch nicht in der Lage, genug Druck aufzubauen, um die Angriffe zurück zu schlagen. Es ist eine festgefahrene Situation. Es wird von uns und der antikapitalistischen Linken abhängen, ob wir es schaffen die verschiedenen Kämpfe zu verbinden und den Protesten eine revolutionäre Stoßrichtung zu geben.

Wo finden zur Zeit die wichtigsten Kämpfe statt?

Wichtig sind gerade vor allem die Streiks in der Industrie. Bedeutend sind im Moment der unbefristete Streik in der Stahlverarbeitung in einer Fabrik 20 Kilometer vor Athen sowie die Streiks in Fabriken der Waffenproduktion. Gleichzeitig sind die Streiks im öffentlichen Dienst wichtig. Dass der Widerstand bei den staatlich Beschäftigten so stark ist, liegt nicht nur am teilweise hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad, sondern vor allem auch an den massiven Angriffen in diesem Bereich.

Wie ist die Beteiligung von MigrantInnen an den Abwehrkämpfen der ArbeiterInnenklasse?

Früher sah man kaum MigrantInnen bei den Generalstreiks. Heute gibt es eigene Demoblöcke von migrantischen ArbeiterInnen, z.B. organisiert von der „Gewerkschaft der migrantischen Arbeiter“. Das gemeinsame Auftreten auf der Straße mit anderen Lohnabhängigen schafft Selbstbewusstsein. Es gelingt also in Ansätzen, die Proteste von griechischen und migrantischen Lohnabhängigen zu verbinden. Aber wir stehen hier noch ganz am Anfang. Der ständige Polizeiterror und der schwierige rechtliche Status, die Angst vor Abschiebung und Verlust des Einkommens erschweren die Teilnahme an Streiks und Demonstrationen.

Die Herrschenden wollen uns spalten zwischen Frauen und Männer, zwischen sexuellen Orientierungen und auch zwischen griechischen und migrantischen Lohnabhängigen. Das ist aber Bullshit! Wir gehören zusammen! Wir sind alle ArbeiterInnen!

Was tut ihr, um die Vereinigung der ArbeiterInnenklasse weiter voran zu treiben?

Das Wichtigste ist, dass wir mit den Menschen auf Augenhöhe reden. Wir wollen niemanden bemitleiden, wir wollen zusammen kämpfen. Egal woher die Menschen kommen, mit denen wir reden, sie sind genauso ArbeiterInnen wie wir.

Wir fordern MigrantInnen nicht auf sich zu integrieren, wie es der Staat fordert. Wir fordern von niemandem, dass er oder sie die griechische Sprache lernen muss. Im Gegenteil geben wir Flugblätter in anderen Sprachen heraus. Z.B. haben wir Flugblätter auf französisch geschrieben, um sie an ArbeiterInnen aus dem Senegal zu verteilen, die sich mit anderen migrantischen Arbeiterinnen in der „Gewerkschaft der migrantischen Arbeiter “ organisieren und sich gemeinsam wehren.

Wie sieht deiner Meinung nach die Perspektive für den Klassenkampf von unten und für die Vereinigung der ArbeiterInnenklasse aus?

Die Mehrheit der ArbeiterInnenklasse bewegt sich nach links. Nachdem die PASOK, also die sozialdemokratische Regierungspartei, sich so offensichtlich gegen die Interessen der Lohnabhängigen gestellt hat, schwindet ihr Einfluss und Rückhalt täglich. Davon profitieren alle Parteien links der PASOK. Neben linksreformistischen Bündnissen und Parteien profitiert davon natürlich auch die antikapitalistische Linke.

Die objektive Lage der ArbeiterInnenklasse führt zu einer Ablehnung der politischen und wirtschaftlichen Ordnung und zu einer weiteren Radikalisierung. Die Bedingungen für die revolutionäre Linke sind also gut. Gleichzeitig stehen wir, gerade was die Verbindung von Kämpfen angeht, noch ganz am Anfang. Ob es in der nächsten Zeit gelingen wird, diese zu verbinden und eine Solidarität zwischen allen Lohnabhängigen aufzubauen, kann ich nicht sagen. Es wird an uns liegen, ob wir es schaffen den Klassenkämpfen eine revolutionäre Stoßrichtung zu geben. Davon wird letztlich abhängen, ob wir die Angriffe von oben zurückschlagen können.