Immer wieder Massen auf den Straßen, Referendum abgesagt, neue Regierung, Putschgerüchte. Die Ereignisse in Griechenland sind dramatisch. Was ist los – und was könnte passieren?
Ende Oktober hat die EU eine „Rettung“ Griechenlands beschlossen. Diese „Rettung“ bedeutete Schuldenerlass und Finanzspritzen und im Gegenzug weitere harte Sparprogramme gegen die Bevölkerung.
Kurz darauf kündigte der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou an, die Bevölkerung über die Maßnahmen abstimmen zu lassen. Der Hintergrund war offenbar, dass der Sozialdemokrat Papandreou keine Mehrheit mehr im Parlament hatte – in den letzten Monaten sind immer mehr Abgeordnete der regierenden PASOK abgesprungen, weil sie in ihren Wahlkreisen zu sehr unter Druck kamen.
Neue Regierung – alte Fragen
Ein Aufschrei der kapitalistischen Eliten in ganz Europa war die Folge. Merkel, Sarkozy und Co empörten sich darüber, dass Papandreou die Menschen befragen wollte, anstatt auf die „Signale der Märkte“ zu hören. Es dauerte nicht lange, bis er zurück ruderte.
Stattdessen wird nun eine neue („ExpertInnen“-)Regierung gebildet, diesmal unter Einschluss bzw. Duldung der konservativen Nea Dimokratia, die in den letzten Monaten gegen die Sparpakete getrommelt hatte. Diese Politik war natürlich wahltaktisch begründet, aber doch reichlich ironisch, da die Sparpakete genau die Politik sind, die auch die Konservativen an der Regierung vorgenommen hätten.
Ein Streik löst den anderen ab
Durch eine neue Regierung wird die Mehrheit im Parlament wieder auf eine etwas breitere Basis gestellt, was das Überleben nicht von ein bis zwei Abgeordneten abhängig macht. Doch es löst keine der Fragen – denn die Bevölkerung kocht.
Seit Beginn der Krise löste in Griechenland ein Generalstreik den anderen ab. Doch dieses Mittel ist keine Lösung. Zum einen streiken vor allem die gut organisierten Bereiche des öffentlichen Dienstes und die Häfen, in der Privatindustrie können die Streikaufrufe weniger gut umgesetzt werden – und sehr viele Menschen, die keine Jobs haben, können sich ohnehin nicht beteiligen. Zum anderen aber und vor allem stellt ein Generalstreik die Machtfrage, doch er allein beantwortet sie nicht.
Linksruck
Um die Machtfrage zu beantworten, bedarf es bewusster Kräfte. Unbemerkt von der Öffentlichkeit in den deutschsprachigen Ländern wird die (radikale) Linke in Griechenland immer stärker. Bereits bei den Regionalwahlen im November des letzten Jahres waren die Entwicklungen klar.
Die stalinistische KKE steigerte ihren Stimmenanteil um 3% auf 10,7% landesweit und auf 14,4% in Attika, der Region um Athen. Die linksreformistische SYRIZA ging nach einer Abspaltung und massiven internen Konflikten geschwächt in die Wahl und stagnierte bei 4,5%.
ANTARSYA, ein Bündnis verschiedener linksradikaler, darunter einige aus dem Trotzkismus kommender Organisationen, erreichte landesweit 1,7% und steigerte damit ihre Stimmen (trotz gesunkener Wahlbeteiligung) von etwa 25.000 bei den Parlamentswahlen auf 95.000. Und auch die trotzkistische OKDE (Ergatiki Pali), die in je einem Bezirk von Athen und Thessaloniki eigenständig kandidierte, erreichte dort 1,5% beziehungsweise 2% der Stimmen. Zu den Ergebnissen der radikalen Linken müssen noch die bewussten Wahlenthaltungen des anarchistischen Spektrums gezählt werden.
Zusammen kamen KKE, SYRIZA und ANTARSYA landesweit auf etwa 20%, in der Region Attika auf über 25,2% (Athen/Zentrum 22,3%) und in Patras gar auf 42,3%. Seitdem zeigen Umfragen, dass dieses Potential noch gestiegen ist.
Die Möglichkeiten nützen
Die Frage ist nun, ob dieses Potential ausgenützt wird. Die KKE spricht immer wieder von Volksregierungen, doch spielt sie eine äußerst sektiererische Rolle. Üblicherweise organisiert sie eigene Demonstrationen und eigene Kundgebungen.
Doch unter dem Druck der Ereignisse haben die KKE und ihre Gewerkschaftsfraktion PAME bei den letzten Generalstreiks am 20.10. zum ersten Mal seit vielen Jahren auch zum Syntagma-Platz vor dem Parlament mobilisiert – und prompt mit ihren Ordnerketten gemeinsam mit der Polizei das Parlament vor dem Sturm geschützt. Dies führte zu gewaltsamen Auseinandersetzungen vor allem mit AnarchistInnen. Wir können den Ärger und die Wut der anarchistischen GenossInnen gut verstehen, doch sollten solche Aktionen der KKE besser politisch beantwortet werden, um die Basis der KKE nicht noch näher um die Führung zu schließen.
Das linksreformistische Bündnis SYRIZA könnte von den Ereignissen zerrieben werden. Der rechte Flügel rund um die Parlamentsfraktion (getragen von der eurokommunistischen SYNASPISMOS) war lange bereit zu einer Koalition mit der Sozialdemokratie, der linke Flügel orientiert eher auf die radikale Linke – wird aber schwächer, da Organisationen der radikalen Linken SYRIZA verlassen haben.
Entscheidend wird zweifellos sein, wie sich ANTARSYA und die anderen Organisationen der radikalen Linken verhalten, ob sie es schaffen, mit guten Losungen Druck vor allem auf KKE und SYRIZA auszuüben sowie ihre eigene Präsenz in den Betrieben, den Stadtvierteln, den Schulen und den Unis zu verbessern – wobei ihre große Schwäche, die es zu überwinden gilt, vor allem in der Schwäche der betrieblichen Verankerung liegt.
Gefahr eines Putsches?
Bereits im Frühjahr tauchte ein Memorandum der US-Botschaft in Athen auf, das als eine mögliche Lösung einen Putsch diskutierte. Diese Stimmen werden lauter. So schrieb die internationale Finanzzeitschrift Forbes: „wenn wir das kleine Problem ignorieren, dass Griechenland dann eine Militärdiktatur wäre – er [ein Militärputsch] in Wahrheit ein gute Lösung für Griechenland zeigt.“ Der britische „Telegraph“ berichtet über einen Witz, der in Finanzkreisen und offensichtlich auch im britischen Kabinett kursiert: Es wäre jetzt gut, in Griechenland putschte sich eine Militärjunta an die Macht, denn Militärjuntas dürfen nicht Mitglied der EU sein.
Wir können nicht einschätzen, wie groß diese Gefahr heute real ist. Wir sollten uns aber bewusst sein, dass eine „autoritäre Lösung“ durchaus diskutiert wird. Als Warnsignal sollte jedenfalls gelten, dass Ende Oktober überraschend die Generalstabschefs entlassen wurden und der Verteidigungsminister dabei kritisch von der Armee als einem Staat im Staate sprach. (Und wir sollten nicht vergessen, dass die letzte Militärdiktatur in Griechenland erst 1974 beendet wurde).
Die extreme Rechte spielt derzeit keine besondere Rolle. Die rechtsextreme LAOS stagniert bei rund 5%, die FaschistInnen von Chrisi Avgi (Goldener Sonnenaufgang) scheinen keine bedeutenden Zugewinne zu erfahren.
Klar ist aber jedenfalls, dass die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung sich auf Angriffe von Rechts vorbereiten müssen, dass Verteidigungskomitees der Organisationen der Linken ein Gebot der Stunde sind.
Leuchtfeuer!
Euro und Sparpakete? Staatsbankrott? Wiedereinführung der Drachme? Austritt aus dem Euro-Raum und einseitige Beibehaltung des Euro wie in Montenegro oder Kosova/o? Es kusieren derzeit viele Fragen.
Doch liegt es nicht an uns, auf diese Fragen Antworten zu geben. Es wäre natürlich genug Geld da, um Griechenland zu stabilisieren – doch dass würde massives Eingreifen in die Marktprozesse des kapitalistischen System erfordern. Eine Richtung, in welche die VertreterInnen der europäischen KapitalistInnenklasse sicher nicht gehen wollen.
Jede „Lösung“ innerhalb des Kapitalismus und seiner „Sachzwänge“ bedeutet aber für die griechische Bevölkerung zweifellos weitere brutale Einschnitte. Es ist allerdings nicht zu akzeptieren, dass die ArbeiterInnenklasse die Krise des Kapitals bezahlt. Es ist durchaus möglich, dass dann eine Massenbewegung eine oder mehrere Regierungen stürzt – wie in Argentinien rund um das Jahr 2000. Doch ob dies ein Strohfeuer bleibt oder ein Leuchtfeuer entzündet, wird von der Stärke, Programmatik und Entschlossenheit der radikalen Griechenlands abhängen.
Gesammelte Artikel der RSO zu Griechenland