Serie: Rechtsextremismus in Europa, Teil 1: Rechtsextremismus und Faschismus

Die blutigen Anschläge in Norwegen haben die Gefährlichkeit des Rechtsextremismus wieder einmal klar bewiesen. Doch wie stark ist eigentlich die extreme Rechte in Ost- und Westeuropa, wo gibt es Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede? Eine Rundschau.

Die norwegische Forschrittspartei ist mit 23% bei den Wahlen von 2009 eine der stärksten rechtsextremen Parteien Europas. Der Attentäter von Oslo und Utøya, Anders Behring Breivik, war früher selbst aktives Mitglied der Partei und dem Vernehmen nach Funktionär ihrer Jugendorganisation.

FaschistInnen und Rechte fühlen sich natürlich dann besonders wohl, wenn es ein gesellschaftliches Umfeld gibt, indem sie Zustimmung für ihre Ideen finden. In den meisten Ländern Europas wird dieses Umfeld heute nicht von klassisch faschistischen Parteien geboten, sondern von rechtsextremen bzw. rechtspopulistischen Parteien, die mit ihrer Hetze gegen MigrantInnen, Roma/Sinti oder JüdInnen den Boden für Gewalttaten aufbereiten. Und genau diese Parteien wollen wir in unserer Serie unter die Lupe nehmen.

Was ist Rechtsextremismus, was ist Faschismus?

Kurz zusammengefasst könnten wir den Unterschied wohl so fassen, dass rechtsextreme Parteien innerhalb der bürgerlichen Demokratie ihre Ziele durchsetzen wollen, während FaschistInnen auf eine Diktatur orientieren. Besonders wird dabei natürlich auch das NS-Regime und in Italien auf den italienischen Faschismus Bezug genommen, aber auch die Franco-Diktatur in Spanien bis 1975 ist ein Ansatzpunkt.

Diese unterschiedliche Ausrichtung bedingt natürlich auch eine unterschiedliche Struktur, so sind faschistische Parteien meisten keine Parteien, die auf möglichst vielen Mitgliedern basieren, sondern AktivistInnenparteien. Daneben brauchen sie einen anderen Apparat, haben also beispielsweise auch (offen oder versteckt) paramilitärische Einheiten oder die Mitglieder sind insgesamt militärisch geschult. Faschistische Parteien treten ebenso wie rechtsextreme Parteien zu Wahlen an, doch für die Rechtsextremen haben die Wahlen gegenüber Straßenmobilisierungen eine weit höhere Bedeutung – während FaschistInnen massiv auf Aufmärsche, Kundgebungen, usw. setzen.

Die Unterschiede sind dabei fließend und auch nicht immer leicht zu treffen. Parteien ändern ihre Ausrichtung, Parteien, die schon lange existieren, entwickeln, obwohl historisch faschistisch, einen gewissen Pragmatismus und Parteien haben verschiedene Flügel mit verschiedenen politischen Zielen.

Bei manchen faschistischen Parteien, wie der deutschen NPD, ist die Sache klar. Bei manchen rechtsextremen Parteien ebenfalls, die FPÖ etwa besteht in ihrem Kern zu einem großen Teil aus FaschistInnen, doch die Partei hatte nie das Ziel einer faschistischen Machteroberung. Ihr geht es darum, innerhalb der bürgerlichen Demokratie möglichst rechte Positionen umzusetzen. Entscheidend ist also, die Rolle zu analysieren, die eine Partei spielt.

Das Beispiel Italien

Es ist aber nicht immer so einfach. Ein sehr gutes Beispiel ist Italien. Der MSI (Movimento Sociale Italiano, Soziale Bewegung Italiens) ist unmittelbar nach 1945 entstanden. Er bezog sich klar auf Mussolini und seine von der Wehrmacht verteidigte letzte Bastion im norditalienischen Salo, die „Soziale Republik Italien“. Der MSI war also eine klassische faschistische Partei mit wichtigen Größen des alten Regimes in seinen Reihen. Vor allem in Süditalien wurde der MSI von den GroßgrundbesitzerInnen als Rammbock gegen von der KP unterstützte Landbesetzungen eingesetzt.

Der MSI hatte militärisch organisierte Strukturen und Mitglieder des MSI waren bei vielen faschistischen Gewalttaten beteiligt oder organisierten diese. Gleichzeitig unterstützte der MSI in den 1960ern eine christdemokratische Minderheitsregierung und stabilisierte so die bürgerliche Mitte. In dieser Zeit bekam der MSI bei Wahlen national rund 8%, in Kalabrien in Süditalien waren es allerdings über 20%.

In den 1990ern brach das gesamte italienische Parteiensystem zusammen. Die bürgerlichen Parteien und die Sozialdemokratie zerbrachen in gigantischen Korruptionsfällen völlig, die KP spaltete sich in Folge des Zusammenbruchs des Stalinismus in einen sozialdemokratischen und einen kommunistischen Flügel und auch die FaschistInnen machten einen Veränderungsprozess durch. Die rechtsextreme Lega Nord entstand als eine rassistische und wohlstandschauvinistische Partei in Norditalien und aus dem MSI wurde die rechtsextrem/rechtspopulistische Alleanza Nazionale, die dem Faschismus offiziell abschwor.

Die AN war allerdings auch nur ein Zwischenschritt, heute ist die große Mehrheit der AN – gemeinsam mit kleineren faschistischen Parteien, die sich von der AN abgespalten hatten – als Fraktion in der rechten Sammelpartei Il Popolo della Libertà (Die Menschen der Freiheit) von Silvio Berlusconi organisiert.

Es wird nun nicht leicht sein, zu bestimmen, ob der MSI in den 1950ern bis 1990ern immer eine faschistische Rolle spielte und wann genau die Umwandlung in eine rechtsextreme Partei stattfand. Auch die Übergänge sind oft fließend.

Rechtsextreme stärker als offene FaschistInnen

Feststellen können wir aber, dass heute in Westeuropa die stärksten Rechtsaußen-Parteien eher aus dem Lager des Rechtsextremismus kommen als aus dem des Faschismus.

Gegenbeispiele sind die NPD-DVU in Deutschland, die British National Party (die allerdings beide im europäischen Vergleich eher klein sind, NPD-DVU haben nur auf Landesebene Erfolge, die BNP hält national bei 6%). Die einzige in breitem Ausmaß erfolgreiche faschistische Wahlpartei ist Vlaams Belang (Flämische Interessen) in Belgien. Für Frankreich wäre eine genauere Analyse notwendig, denn der Front National macht seit einigen Jahren einen ähnlichen Prozess durch wie MSI und AN in Italien.

In Osteuropa ist die Sache möglicherweise ein wenig anders, neben klar faschistischen Parteien wie Jobbik in Ungarn gibt es eine Reihe von Parteien, die weit genauer analysiert werden müssten als dies im Rahmen dieser Serie geschehen kann, etwa die Liga der polnischen Familien, Ataka in Bulgarien oder die Großrumänien-Partei.

Doch die großen Wahlparteien in Westeuropa sind sicherlich eher rechtsextreme Wahlformationen. Zu nennen wären die FPÖ in Österreich, die SVP in der Schweiz, die Dänische Volkspartei, die Forschrittspartei in Norwegen und die PVV in den Niederlanden.

 

Mehr zu den Parteien in einzelnen Ländern in den bald erscheinenden nächsten Artikeln unserer Serie:

Teil 2: „Der Aufstieg rechtsextremer Parteien in Westeuropa“

Teil 3: „Rechtsextreme Parteien in Osteuropa“