1941: Sieg bei Ford

Vor 70 Jahren kam es bei Ford in Michigan zu einer der bedeutendsten Auseiandersetzungen in der Geschichte der US-amerikanischen ArbeiterInnenbewegung. Der folgende Text über den Ford-Streik von 1941 stammt von GenossInnen der amerikanischen Organisation „Spark“ („Funke“, Mitglied in der Internationalistischen Kommunistischen Union). Übertragung aus dem Englischen von Stefan Neumayer.

Der Südosten des Bundesstaates Michigan, im mittleren Westen der USA gelegen, stellt mit seinem Zentrum Detroit den Schwerpunkt der amerikanischen Automobilindustrie dar und beheimatetet die Stammwerke der drei großen amerikanischen Auto-Hersteller: General Motors (GM) in Flint, Chrysler in Detroit und Ford mit dem River Rouge Komplex in Dearborn. Hier, wo zeitweise über 100.000 ArbeiterInnen im größten Fabrikskomplex der Welt arbeiteten, kam es 1941 zu einer er bedeutendsten Auseinandersetzungen der amerikanischen ArbeiterInnengeschichte. In Folge der großen Depression kam es in den 1930er Jahren in den USA zu ein Aufschwung der Gewerkschaftsbewegung und etlichen bedeutenden Arbeitskämpfen, 1935 wurde die AutomobilarbeiterInnengewerkschaft UAW gegründet. Die Administration von Präsident F.D. Roosevelt reagierte auf die Welle zunehmender Klassenkämpfe mit dem Wagner Act von 1935, der erstmalig in der amerikanischen Geschichte ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsrechte festschrieb, anderseits aber eine gefährliche korporatistische Kehrseite hatte, indem er sie unter die Regulierung des staatlichen Büros für Regulierung der Arbeitsverhältnisse (NLRB) unterwarf.

 

April 1941 fügten die ArbeiterInnen dem riesigen Ford-Reich einen mächtigen Schlag zu und brachten es komplett zum Stillstand. Im Vorfeld des Streiks bei Ford kam es zu etlichen Arbeitskämpfen in anderen Firmen, insbesondere im industrialisierten mittleren Westen. Ford hielt am längsten durch – und war der letzte der großen Automobilproduzenten, der gewerkschaftlich organisiert wurde. Aber nachdem er schließlich organisiert wurde, zementierte der Sieg bei Ford die Errungenschaft, dass die IndustriearbeiterInnen ihre Entscheidung, eine Gewerkschaft zu haben, der gesamten KapitalistInnenklasse aufgezwungen haben.

Ford: Ein bevormundender Sklaventreiber

Die Ford-ArbeiterInnen hatten den Kampf aufzunehmen mit einem Unternehmen, dass sich völlig dem Ziel verschrieben hatte, jegliche gewerkschaftliche Organisierung im Keim zu ersticken. Hierfür erschuf der Firmenchef Henry Ford eine eigene Abteilung und nahm Verbindung mit den Kirchen auf. Diejenigen Prediger, die ihren Einfluss gegen die gewerkschaftliche Organisierung geltend machten, erhielten von Ford finanzielle Zuwendungen und konnten ihren Gläubigen auch eine Anstellung bei Ford sichern. Diejenigen Prediger hingegen, die sich weigerten, dem Anti-Gewerkschaftskurs von Ford zuzustimmen, sahen ihre Gläubigen von Jobs bei Ford ausgeschlossen.

In Anbetracht des herrschenden Rassismus war dies von besonderer Bedeutung für die schwarzen ArbeiterInnen, die in Großbetrieben nur selten beschäftigt wurden. Ford war hierbei eine gewisse Ausnahme und hatte 1941 mehr als die Hälfte aller in der Automobilindustrie beschäftigten Schwarzen unter Kontrakt. Sie machten 11.5% der Beschäftigten aus, manche waren sogar FacharbeiterInnen.

Ford übernahm die nahe des Werkes Rouge gelegene Gemeinde Inkster und installierte dort Sanitäranlagen, baute eine Kanalisation und schuf Zugang zum Elektrizitätsnetz. Die Häuser wurden repariert und frisch gestrichen, dann wurde eine eigenständige Siedlung für einige schwarze ArbeiterInnen des Werks Rouge und ihre Familien geschaffen. Nichts von dem kostete Ford wirklich viel, dennoch liess es das Unternehmen als großen Wohltäter der schwarzen Bevölkerungsgruppe erscheinen.

Klarerweise mussten die meisten schwarzen ArbeiterInnen weiterhin die miesesten Jobs machen und Inkster war bei weitem nicht in einem so guten Zustand wie die Siedlung, die Ford für weiße Rouge-ArbeiterInnen in Dearborn errichten ließ. Und während siech Ford die Verbesserungen in Inkster und Dearborn groß auf die Fahnen heftete, so mussten wenigen ArbeiterInnen, die das „Glück“ hatten, sich eines dieser Häuser kaufen zu können, mit läppischen 12 Cent pro Stunde nach Hause gehen – weil Ford den Rest im Gegenzug für die geleisteten Arbeiten direkt vom Arbeitslohn abzog.

Ford erhoffte sich durch die bevormundenden Verbesserungen die Unterstützung der schwarzen ArbeiterInnen zu gewinnen, während er durch die etwas besseren Arbeitsbedingungen für weiße ArbeiterInnen sich deren bleibende Loyalität zu sichern hoffte. Diese Politik nach dem Motto „teile und herrsche“ sollte für Ford eine Art Rückversicherungspolizze sein, mit der er hoffte, von den unerträglichen Arbeitsbedingungen abzulenken, die allen ArbeiterInnen mehr als genug Grund zur gewerkschaftlichen Organisierung gaben.

Ford beschäftigte auch etliche Spione und eine Schlägertruppe und konnte auf die Unterstützung durch Polizei und Stadtverwaltung von Dearborn, dem Standort des gewaltigen Werkkomplexes Rouge, zählen. Die werkseigene Polizei, teils uniformiert und teils in Zivil, stellte eine eigene Abteilung mit 3000 Beschäftigten dar. Außerhalb des Werkes arbeitete diese Abteilung mit lokalen Verbrechenssyndikaten und der schwarzen Legion zusammen, um GewerkschaftsunterstützerInnen zu attackieren. Die schwarze Legion, ein im Norden der Vereinigten Staaten beheimateter Ableger des Ku Klux Klans, tötete in dieser Zeit dutzende GewerkschafterInnen im Südosten Michigans und verwundete etliche Hunderte weitere.

Gewalt und Einschüchterung waren die Regel im Werk Rouge. Jeder, der der gewerkschaftlichen Arbeit verdächtigt wurde, wurde auf der Stelle gefeuert, insgesamt wurden zwischen 1937 und 1941 mehr als 4.000 Ford-ArbeiterInnen gefeuert, während der Zeit der großen Depression mit hoher Arbeitslosigkeit und verbrecherischer Beschleunigung der Arbeitsabläufe in den Werken.

Die Organisierungskampagne beginnt

1940 begann die vor Kurzem gegründete AutomobilarbeiterInnengewerkschaft UAW eine große Organisierungskapagne bei Ford, die zum Teil von gefeuerten Ford-ArbeiterInnen, zum Teil von GewerkschaftsaktivistInnen von GM und Chrysler getragen wurde, die jüngst erfolgreiche Sitzstreiks durchgeführt hatten. Sie gingen von Tür zu Tür, um mit den Ford-ArbeiterInnen direkt zu diskutieren.

Doch die wichtigste Organisierungsarbeit fand natürlich im Werk selbst statt, ausgeführt von den Ford-ArbeiterInnen selbst. Zeichen der Organisierung waren überall zu sehnen: ArbeiterInnen an der Produktionslinie stellten die Autoradios auf den gewerkschaftseigenen Radiosender ein, sie steckten Flugblätter unter die Scheibenwischer oder deponierten sie in den Toilettenräumen. Gewerkschaftsliteratur wurde nicht nur in Englisch produziert, sondern auch in Polnisch, Serbokroatisch, Ungarisch und Italienisch.

AktivistInnen der Kommunistischen Partei spielten eine Schlüsselrolle in diesen Organisierungsbemühungen. 1938 hatte die Kommunistische Partei Michigans 2600 Mitglieder, von Ihnen arbeiteten 750 in der Automobilbranche. Die AutomobilarbeiterInnen zählten zu den aktivsten Mitgliedern, insbesondere die etlichen Hundert im Rouge-Werk beschäftigten KP-Mitglieder.

KP-Mitglieder gaben bei Ford schon in den 1920er Jahren eine Betriebszeitung heraus, die bis in die 30er Jahre bestand hatte. Sie waren die Hauptverantwortlichen für den Hungermarsch 1932 und zentral in den frühen gewerkschaftlichen Organisationsbemühungen in der Autoindustrie rund um Detroit. Da die KP für ihren Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung bekannt war, konnte sie sich insbesondere einen Einfluss unter Schwarzen aufbauen.

Die KP-Mitglieder waren auch diejenigen, die viel der grundsätzlichen Organisierungsarbeit in den Fabriken leisteten. Sie halfen auch mit, das Gerüst der Gewerkschaft in Rouge aufzubauen, indem sie die AktivistInnen in den verschiedenen Abteilungen vernetzten. Es war ihre Arbeit mehr als 1.000 AktivistInnen in den Fabrikshallen des Rouge-Komplexes zusammenzubringen, lange bevor Ford die Gewerkschaft offiziell anerkannte, und es war diese Struktur die die ArbeiterInnen in die Gewerkschaft aufnahm. In den ersten Monaten des Jahres 1941 schnellte die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder nach oben, in einer einzigen Woche traten 6.000 Rouge-ArbeiterInnen der Gewerkschaft bei.

 

Ford steht still

Am 13. März 1943 setzen sich 3.000 ArbeiterInnen einer Abteilung in Rouge zu Boden, um so gegen die Entlassung von Gewerkschaftsmitgliedern zu protestieren. Am 18.März setzten sich 6.000 ArbeiterInnen im Achsengebäude zu Boden, bis 12 gefeuerte GewerkschafterInnen wieder eingestellt wurden. Am 19. März schlug eine andere Abteilung zu und die Firma musste ein weiteres mal nachgeben. Am 21. März stimmte Ford der Wiedereinstellung von über 1.000 entlassener GewerkschafterInnen zu.

Aber als die Geschäftsführung sich weigerte, mit einer Delegation von ArbeiterInnen im Walzwerk über Kündigungen von GewerkschafterInnen in ihrem Gebäude zu sprechen, stoppten die ArbeiterInnen im Walzwerk ihre Arbeit am 2. April und der Streik wurde rasch auf andere Gebäude und Abteilungen ausgedehnt. Einige hohe UAW-Führer versuchten, dem Streik den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie behaupteten, die Regierung hätte zugestimmt, eine Petition der UAW für eine aussertourliche Wahl anzuhören. Aber die ArbeiterInnen waren nicht bereit zu warten und binnen 9 Stunden stand der gesamte Rouge-Komplex still.

Zumindest 10.000 der 85.000 im Rouge-Werk beschäftigten umringten das Werk in dichten Streikpostenketten. Die ArbeiterInnen bauten riesige Barrikaden aus geparkten Autos und blockierten alle Zufahrtsstrassen. Als die Autos entfernt wurden, begannen die ArbeiterInnen rollende Streikpostenketten einzusetzen: vier bis fünf Seite an Seite fahrende Autos, die rings um den Werkskomplex fuhren. ArbeiterInnen aus der gesamten Region schlossen sich den streikenden KollegInnen an, obwohl die UAW-Leitung versuchte, den Streik auf Ford-ArbeiterInnen zu begrenzen.

Ford erhielt auch Unterstützung durch die Führung des Gewerkschaftsdachverbandes AFL und durch den ehemaligen UAW-Präsidenten Homer Martin, der nun auf der Gehaltsliste von Ford stand. Sie versuchten für die Wiederaufnahme der Arbeit zu mobilisieren und unterstützten Ford, den Streik zu diskreditieren, indem sie ihn als unpatriotisch und gegen die Kriegsanstrengungen gerichtet darstellten und die Streikleitung als KommunistInnen diskreditierten.

Ford versuchte auch „Rassen“auseinandersetzungen zu provozieren, als er bei der Stilllegung der Anlage versuchten, unbedingt einige schwarze ArbeiterInnen im Inneren zu halten. Er bemühte auch die Hilfe schwarzer Prediger und anderer einflussreicher Leute, die er umworben hatte, und bot den ArbeiterInnen die astronomische Summe von 24 Dollar für jeden Tag, den sie im Inneren der Fabrik verbrachten. Etwa 1.000 ArbeiterInnen nahmen dieses Angebot an, die meisten von Ihnen in der Gießerei.

Am 2.April wurden einige der schwarzen ArbeiterInnen im Inneren der Fabrik dazu gezwungen, die Streikposten an Tor 4, die meisten von ihnen Weisse, anzugreifen. Grosse Photos dieser Auseinandersetzungen erschienen in den Detroiter Zeitungen.

Aber die ArbeiterInnen fanden verschiedene Wege, auf diese Attacken zu antworten: Streikposten boten an, Essen und Kaffee mit den ArbeiterInnen in der Fabrik zu teilen; einige dieser ArbeiterInnen kamen dann unter Beifall heraus. Aber am wichtigsten war, dass die Streikleitung auch schwarze ArbeiterInnen, die zuvor von Ford wegen Gewerkschaftsarbeit gefeuert wurde, umfasste.

Die Jugendgruppe der Bürgerrechtsbewegung NAACP war aktiv in der Unterstützung des Streiks, ihre Mitglieder gingen in die Fabrik und appellierten an die dort arbeitenden, doch hinaus zu kommen.

Innerhalb von acht Tagen war Ford bereit, die Gewerkschaft anzuerkennen und die meisten der entlassenen ArbeiterInnen wieder anzustellen – unter der Bedingung dass die Streikenden bereit waren, die Gewerkschaftswahlen unter der Aufsicht der Regierungsagentur NLRB durchführen zu lassen.

Wie der Sieg verspielt wurde

Es war klar, dass die ArbeiterInnen in großer Mehrzahl für ihre Gewerkschaft stimmen würden. Aber die Verknüpfung der Anerkennung der Gewerkschaft mit dieser von der Regierung kontrollierten Abstimmung war ein Vorzeichen für das, was folgen würde: Führende UAW-FunktionärInnen drängten die ArbeiterInnen immer mehr dazu, sich von Regierungsmaßnahmen und Verhandlungen zwischen Bossen und GewerkschaftsvertreterInnen abhängig zu machen, anstatt auf ihre eigenen Kräfte zu vertrauen.

Am 12.April diskutierte eine Massenversammlung von über 20.000 ArbeiterInnen den Vorschlag, den Streik unter diesen Bedingungen zu beenden. Die bewusstesten ArbeiterInnen hatten verstanden, dass sie in der Lage waren, Ford zur direkten Anerkennung zu zwingen, anstatt auf die offiziöse Regierungszustimmung zu warten, und stimmten deshalb für die Fortsetzung des Streiks. Sie wurden überstimmt, verloren allerdings nur mit wenigen Stimmen Unterschied. Als dann die Wahl stattfand, stimmten die ArbeiterInnen natürlich mit überwältigender Mehrheit für die Gewerkschaft.

Am 20. Juni 1941 unterzeichnete Ford einen Vertrag mit GewerkschaftsfunktionärInnen. Ford bot an, die Gewerkschaftsbeiträge direkt von den Löhnen abzuziehen. Dies war das erste Übereinkommen dieser Art und bedeutet, dass die GewerkschaftsfunktionärInnen bei Ford sich keine Sorgen machen mussten und die ArbeiterInnen nicht mehr überzeugen mussten, ihre Mitgliedsbeiträge zu bezahlen. So konnten sich die Gewerkschaft zwar ausreichend finanzielle Mittel sichern, dennoch symbolisierte dies den ersten Schritt, dass die Gewerkschaften schon einen Apparat unabhängig vom den ArbeiterInnen und über Ihnen stehend herausbildeten. Und Ford entschied sich, dass wenn er schon Gewerkschaften in seinem Betrieb akzeptieren musste, dann doch lieber mit GewerkschaftsfunktionärInnen verhandelte als mit den ArbeiterInnen selbst – und half somit den FunktionärInnen, der Kontrolle der ArbeiterInnen zu entkommen.

Nichtsdestotrotz, die Ford ArbeiterInnen hatten bewiesen was möglich ist, wenn sich ArbeiterInnen entschlossen und organisiert vereinigen – etwas was wir heute wieder lernen müssen in einer Zeit, die mehr und mehr jener der großen Depression ähnelt.

Die FordarbeiterInnen setzten ihre Gewerkschaft durch. Sie zeigten auch auf, wie Rassismus und Trennung nach rassistischen Kriterien, die immer im Interesse der Bosse ist, bekämpft werden kann. Und ihr Kampf zeigte dass selbst eine ArbeiterInnenklasse so zersplittert wie die amerikanische ihre Kräfte vereinigen kann, und so die Möglichkeiten zu Siegen ermöglicht, die andererweise undenkbar wären.