In Österreich ist im Zuge der aktuellen Regierungsumbildung ein neues Staatssekretariat – für „Integration und Asyl“ – geschaffen worden. Jetzt ist eine Debatte um die Besetzung des Postens mit dem ÖVP Jungpolitiker Sebastian Kurz entbrannt. Diese geht jedoch völlig an den entscheidenden Punkten vorbei. Eine marxistische Einschätzung.
Nach dem Rücktritt von Josef Pröll hat Michael Spindelegger den Job als österreichischer Vizekanzler und ÖVP-Parteiobmann übernommen. Im Zuge seines Amtsantritts kam es zu (schon länger erwarteten) Regierungsumbildungen und dabei auch zur Schaffung des neuen „Staatssekretariats für Integration und Asyl“. Die Besetzung dieses Postens mit dem JVP (Junge Volkspartei) Politiker Sebastian Kurz hat zu Kritik und Empörung von diversen Parteien und Vereinen geführt. Auch auf Facebook haben sich sehr rasch diverse Gruppen mit mehreren tausend UnterstützerInnen gegründet, die gegen die Besetzung des Jobs mit Kurz mobilisieren. Insgesamt richtet sich die Kritik dabei stark gegen die Unerfahrenheit und mangelnde Qualifikation des 24-Jährigen.
Aufgefallen war Kurz als JVP-Obmann vor allem durch eine peinliche Kampagne für die Einführung der 24 Stunden U-Bahn in Wien. Geworben wurde dabei, in pubertär anmutender Art und Weise, für „24 Stunden Verkehr am Wochenende“, dem Spruch „Schwarz macht geil“ und dem „Geilomobil“. In „Integrationsfragen“ ist Kurz durch provokante rechte Positionen, wie sie in der österreichischen Politik völlig normal sind, in Erscheinung getreten. So forderte er etwa im letzten Wahlkampf, dass Predigten in Moscheen ausschließlich auf Deutsch stattfinden sollten. (Von den katholischen Messen in lateinischer Sprache, die Papst Ratzinger wieder eingeführt hat, hat Kurz nichts gesagt).
Die Kritik der Grünen, die sich gerne als anti-rassistische Partei und VorreiterInnen der Integration darstellen, zielt vor allem auf die Besetzung des Postens mit einem „politisch unerfahrenen und bezüglich Integration völlig unbedarften“ Kandidaten. Die Schaffung des Staatssekretariats sei eine historische Tat, jedoch vergebe die ÖVP so die Chance, endlich sinnvolle Integrationspolitik zu machen.
Integration?
Diese Kritiken gehen jedoch alle völlig an den entscheidenden Punkten vorbei: nämlich einer grundsätzlichen Kritik am strukturellem Rassismus des kapitalistischen Systems und von „Integration“. Denn „Integration“ heißt in bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften immer Anpassung und findet immer mit Blick auf das „Wohl der Wirtschaft“ statt. Der Wahnsinn des alltäglichen Rassismus rückt mit der Ausrichtung auf „gute“ Integration völlig in den Hintergrund. Mehr sogar noch: mit diesem Festhalten am Gedanken der „Integration“ wird der dem kapitalistischen System innewohnende strukturelle Rassismus legitimiert – dieser soll dann nur mehr humanitär ausgestaltet werden.
Was heißt „Integration“ denn überhaupt? Der rechte Mainstream, also fast alle Parteien und die meisten Medien, verstehen darunter ziemlich offen eine Unterordnung unter die Mehrheitsgesellschaft (Sprache, „Sitten“…). Die liberalen und „anti-rassistischen“ Kräfte, etwa die Grünen, wollen, dass sich auch die Mehrheitsgesellschaft verändert und von den MigrantInnen profitiert. Aber an die „Spielregeln“ müssen sich die MigrantInnen trotzdem halten! Und wer sich, trotz Bemühungen der Mehrheitsgesellschaft, nicht integrieren will, wird zum „Problemfall“. Dass es sich dabei nur um eine abgeschwächte Form einer Unterordnung handelt, wird ziemlich schnell ersichtlich. Dem halten wir die Forderungen nach einer wirklichen Selbstbestimmung und für umfassende Rechte von Minderheiten (Gebrauch ihrer Sprache, ihrer eigenen Kultur…) entgegen.
Rassismus und Wirtschaftsstandort
Rassismus ist für den Kapitalismus eine nicht widerspruchslose Sache. Einerseits profitieren die KapitalistInnen ganz klar davon, weil er ihnen ermöglicht niedrigere Löhne zu zahlen, und dazu dient, die ArbeiterInnenklasse, wenn sie in „In-“ und „Ausländer“ gespalten ist, von einem kollektiven Kampf abzuhalten. Deshalb setzen sie auch ganz bewusst auf rassistische Hetze. Andererseits kann Rassismus auch manchen Interessen des Kapitals bis zu einem gewissen Grad entgegenstehen. Hier haken etwa auch die Grünen ein, die sich, mit der Sorge um den Wirtschaftsstandort Österreich im Hinterkopf, für ein multikulturelleres Klima und „bessere“ Integration aussprechen. Damit haben sie, in der Logik des Systems, auch nicht ganz Unrecht: So ergaben Umfragen unter ausländischen Fachkräften, dass der Rassismus für sie einen zentralen Hinderungsgrund darstellt nach Österreich zu kommen. Ebenso kann es „der Wirtschaft“, also den KapitalistInnen, zu gute kommen wenn das System für qualifizierte und „leistungswillige“ MigrantInnen, auch innerhalb Österreichs, durchlässiger wird.
Die offizielle „political correctness“, Aufstiegsmöglichkeiten für einzelne MigrantInnen und manche Verbesserungen bedeuten aber keineswegs, dass sich der Rassismus irgendwie abschwächen würde. Im Gegenteil: unter diesem Deckmäntelchen finden die realen Verschlechterungen statt, die Verschärfung von Asylgesetzen, die Verschlechterung von Arbeitsverhältnissen, die Hetze gegen „radikalen Islam“ und „integrationsunwillige AusländerInnen“…
Das lässt sich auch sehr gut an der „Rot-Weiß-Rot Card“ festmachen. Mit diesem „kriteriengeleiteten Punktesystem“ ist der Zuzug von Nicht-EU-BürgerInnen stärker verregelt worden. Dabei geht es auch darum, ausländische Fachkräfte anzuziehen, also jene MigrantInnen ins Land zu lassen, die die Wirtschaft brauchen kann – der Zuzug wird vorrangig gebunden an Deutschkenntnisse, jugendliches Alter und, für die Wirtschaft besonders wichtig, spezielle Berufsausbildung. Alle anderen sollen gefälligst dort bleiben, wo sie sind, oder als Billigstarbeitskräfte für miese Jobs und ohne rechtliche Absicherung herhalten. Und bei hoch qualifizierten MigrantInnen werden dann auf einmal auch keine Deutschkenntnisse mehr vorausgesetzt – entgegen der Verpflichtung für „normale“ MigrantInnen, Deutschkenntnisse bereits vor (!) ihrer Einreise nachweisen zu müssen. Während es für die meisten also real zu drastischen Verschlechterungen kommt, die von einer rechten Hetze begleitet werden, gibt es für ein paar Privilegierte kleine Verbesserungen. Und das alles zum Wohle der österreichischen Wirtschaft, also der KapitalistInnen.
Das Interesse des österreichischen Kapitals wird auch gar nicht hinter sozialen Floskeln verborgen, sondern klar ausgesprochen: In einer von Sozialminister Rudolf Hundstorfer herausgegebenen Broschüre über die Rot-Weiß-Rot-Card heißt es klipp und klar: „Besser qualifizierte Zuwanderer bringen für Österreich deutliche Vorteile für die Arbeitsmarktentwicklung und letztlich ein höheres Wirtschaftswachstum. Durch die Zuwanderung Hochqualifizierter sind keine Verdrängungseffekte zu erwarten. Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten ergänzen die in Österreich vorhandenen, sodass die Beschäftigung von hochqualifizierten Zuwanderern zusätzliche Arbeitsplätze und Wachstumsimpulse schaffen werden.“ Genau das ist das Ziel: Hochqualifizierten einen leichteren Zugang zu verschaffen, während für die große Masse potenzieller ZuwandererInnen die Hürden erhöht werden sollen.
Nation, Rassismus, Demokratie
Den liberalen Kräften geht es um eine „humane“ Migrationspolitik. Dabei geraten aber weder die wahren Gründe der Migrations- und Flüchtlingsströme in den Blick (die ungleiche Verteilung von Reichtum und Macht im Weltmaßstab), noch wird die Logik der Nationalstaaten in Frage gestellt. Für sie ist es völlig klar, dass „Österreich“ entscheiden kann und muss, wie es mit dem Thema Migration umgehen will und dabei die nationalen Interessen wahren muss. Jedoch stellt die Existenz von Nationalstaaten generell ein Problem dar, und diese schaffen überhaupt erst eine wesentliche Grundlage für Rassismus („Wir“ gegen „die Anderen“). Außerdem verbleiben die „humanistischen“ MenschenrechtsexpertInnen völlig in den Schranken des kapitalistischen Privateigentums und der bürgerlichen Demokratie.
Und es ist nun mal nicht so, dass die Bevölkerung in der bürgerlichen Demokratie wirklich etwas mitzuentscheiden hätte. Das Beispiel der Bestellung von Kurz zum Staatssekretär zeigt das sehr gut. Irgendwann einmal haben die jetzigen Regierungsparteien genügend Stimmen bekommen, um eine Koalitionsregierung bilden zu können. Doch es besteht keinerlei Einfluss auf das Regierungsprogramm, die beschlossenen Gesetze, die personelle Aufstellung der Regierung… Vielmehr haben die Regierenden einen Blankoscheck für mehrere Jahre. Das ist ein viel wichtigeres Problem als die Frage, wer genau den Job des Integrationsstaatssekretärs macht. Und machen wir uns nichts vor: die Personen in der Regierung exekutieren ohnehin nur ein Partei- und Regierungsprogramm, wer das übernimmt, ist letztlich ziemlich gleichgültig. Und ob es eine tatsächliche Verbesserung wäre, wenn jemand „qualifizierterer“ als Kurz als Integrationsstaatsekretär den staatlichen Rassismus verfeinert, ist mehr als fraglich.
Dieses Beispiel zeigt auch sehr gut auf, dass Rassismus nicht vor allem die Schuld der FPÖ und ihrer Hetze ist. Die verschärften Gesetze im Migrationsbereich, die ganz direkt und massiv in die Lebensverhältnisse von Menschen eingreifen, wurden von der SPÖ-ÖVP-Regierung beschlossen. Da braucht es gar kein „Staatssekretariat für Integration und Rückführung“, wie es 2006 von FPÖ-Parteichef Strache in brachialer Manier gefordert wurde. Anti-Rassismus darf sich daher auch nicht auf eine (moralische) Kritik an der FPÖ oder an Nazis konzentrieren, sondern muss zentral auch den staatlichen Rassismus und den Kapitalismus angreifen. Es ist dieser ganz normale Wahnsinn des strukturellen Rassismus im Kapitalismus, der Menschen bei der Überquerung von Meeren ertrinken und die miesesten Jobs machen lässt oder MigrantInnen in kleine Substandard-Wohnungen zwängt.
„Anti-“Rassismus und Anti-Rassismus
Und genau das alles wird von den KritikerInnen der Bestellung von Kurz zum Integrationsstaatssekretär nicht erwähnt. Der „Anti-Rassismus“ der Grünen und anderer liberaler Kräfte entpuppt sich also vor allem als eine mit „Humanität“ verzierte Sorge um das Funktionieren des Kapitalismus. Wir müssen uns jedoch grundsätzlich gegen die Logik des Kapitalismus stellen, die Privateigentum, Klassenspaltung, nationale Konflikte und Rassismus bedeutet.
Ebenso sind Illusionen in ein „richtig“ besetztes Staatssekretariat für Integration und Asyl fehl am Platz. Ein solches ist auch nur ein weiteres Element des staatlichen Rassismus. Und im Kapitalismus könnte ein solches letztlich immer nur „bessere“ Integration von denjenigen, die „die Wirtschaft“ gerade braucht, bedeuten.
Was bürgerliche Liberale und wohlmeinende IntegrationsexpertInnen immer vergessen machen wollen: Konsequenter Anti-Rassismus muss sich immer auch gegen das kapitalistische System richten und auf einen gemeinsamen Kampf aller Lohnabhängigen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Religion, orientieren.
Zum Weiterlesen:
Thesen zu Nationalismus und nationaler Frage