Fahrradfahren: zwischen Klimaschutz, Lifestyle und falschem Verzicht

Fahrradfahren erfreut sich als innerstädtisches Fortbewegungsmittel in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit; es ist billig, schnell, gesund und schont die Umwelt. Doch Fahrradfahren ist weit davon entfernt, einfach nur eine Fortbewegungsart zu sein. Hier soll das Phänomen etwas grundsätzlicher und vor allem politisch diskutiert werden.

Zunächst scheint es vielleicht ungewöhnlich ein so simples Ding wie das Fahrrad und seine Benutzung mit Kapitalismus und Klassen zusammenbringen zu wollen. Denn auf den ersten Blick erscheint Fahrradfahren als neutrale Sache und positiver Beitrag zum Klimaschutz. Außerdem macht es Spaß, bringt einen schnell von A nach B und hält dabei noch gesund. Also wo soll es da ein Problem geben? So einfach ist die Sache dann aber auch wieder nicht. Wie alle Dinge im Kapitalismus ist auch Fahrradfahren und seine Facetten nur im Rahmen des Systems verstehbar. Wie steht es also um den Zusammenhang von Fahrrad, Politik, Klimaschutz und Lifestyle? Widmen wir uns zunächst einmal der Frage, welchen Beitrag Fahrradfahren zum Klimaschutz leisten kann.

Klimaschutz?

Die ökologische Krise, zu der auch der Klimawandel zählt, hat in den letzten Jahren zunehmend an öffentlicher Aufmerksamkeit gewonnen und ist als Realität im Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten angekommen. Sogar viele Unternehmen werben mittlerweile damit, klimaverträgliche(re) Produkte anzubieten und versuchen, sich ein Saubermann-Image zu geben. Und auch Fahrradfahren scheint hier einen einfachen, aber effektiven Beitrag leisten zu können: Jede/r kann es machen, es kostet nicht viel, und es produziert kein CO2.

In einigen Städten wird, dem Trend Fahrradfahren und dem gestiegenen Umweltbewusstsein folgend, zunehmend auf den Ausbau von Radwegen und auf Werbung für dieses Fortbewegungsmittel gesetzt. Bei genauerem Hinsehen wird allerdings klar, dass die dabei vertretenen Konzepte weder einen wirklichen Beitrag zum Klimaschutz leisten können, noch unproblematisch sind.

Der Fahrrad-Diskurs ist exemplarisch für die Behandlung der ökologischen Krise im heutigen Kapitalismus: Er läuft auf eine Individualisierung der Problematik und der Problemlösung hinaus. Sprich: Jede/r Einzelne hat Mitschuld an der ökologischen Krise und hat daher auch die Verantwortung, am eigenen Verhalten etwas zu ändern. Im Kapitalismus heißt das dann vor allem: andere Produkte kaufen, die in ihrer Herstellung und/oder Verwendung klimaverträglicher sind – und eben auch Fahrrad zu fahren.

Eine solche Sichtweise ist in mehrerer Hinsicht falsch und problematisch. Zunächst mal ist die Gesellschaft nicht einfach die Summe der Individuen und ihrer Entscheidungen. Vielmehr ist die ökonomische und politische Macht sehr ungleich verteilt; wir leben eben in einer Klassengesellschaft. Die Lösung kann daher auch nie eine individuelle, sondern nur eine systemische, die die gesellschaftlichen Strukturen ändert, sein. Und „ökologische“ Fingerzeige auf das individuelle Verhalten tragen auch dazu bei, den grundsätzlichen Widerspruch zwischen der kapitalistischen Produktionsweise und der Lösung der ökologischen Krise zu verdecken. Die Profit- und Wachstumsdynamik des Kapitalismus schlägt sich mit einer ökologischen Wende, die auch in der Reduktion des materiellen Verbrauchs und der Outputs (Abfälle, Emissionen) liegen muss. Das wäre eine grundsätzliche Wende in der Art und Weise, wie der Stoffwechsel (also eben dieser Austausch mit der Natur) einer Gesellschaft organisiert wird. Die individuelle Entscheidung Fahrrad zu fahren ist deswegen zwar nicht falsch und noch immer besser fürs Klima als Auto zu fahren. Die wirklich notwendigen Veränderungen, unter anderem eine massive Reduktion des CO2-Ausstoßes, werden damit aber keinesfalls erreicht.

Problematisch ist weiters, dass die ökologische Krise weitgehend auf Klimawandel und CO2-Ausstoß reduziert wird. Letzteres ist jedoch, neben dem Verlust der Biodiversität, anderen Formen der Umweltzerstörung und der Ressourcenkrise, nur ein Aspekt der ökologischen Krise. Außerdem wird so der Straßenverkehr ins Zentrum der Klimakrise und der CO2-Problematik gestellt und dessen Bedeutung überbewertet. Bzw. umgekehrt: Zur Lösung der ökologischen Krise braucht es wesentlich mehr als eine Reduktion des CO2-Ausstoßes von Autos. Denn der Verkehr hat einen Anteil von „nur“ rund 20 bis 30% am weltweiten CO2-Ausstoß.

Die Betonung der Eigenverantwortung, die in dem Fahrrad-Diskurs propagiert wird, bringt für die Herrschenden ein paar weitere Vorteile mit sich: In einer autoritären, von oben verordneten Art und Weise sollen diejenigen, die nicht „bereit“ sind, sich am Klimaschutz zu beteiligen, dafür zahlen müssen. Sprich: Wenn der Benzinpreis noch weiter steigt und du noch immer Auto fährst, bist du selber Schuld – du kannst ja eh auch Radfahren. Hier bietet sich auch ein guter Anknüpfungspunkt, um, mit dem Argument des Umweltschutzes, neue Massensteuern einzuführen (z.B. auf Flugtickets) bzw. alte zu erhöhen (z.B. Mineralölsteuer). Doch mit diesen Steuern werden weder die wirklichen Ursachen der ökologischen Krise erfasst (geschweige denn bekämpft) noch werden diese Einnahmen vom Staat für eine wirkliche Lösung, sondern eher zum Stopfen der Budgetlöcher, verwendet.

Dabei zeigt sich, dass auch die ökologische Krise eine Klassenfrage ist. Einerseits ist es das Wirtschaftssystem der KapitalistInnen, das Natur nur als Ware behandelt und dessen destruktives Potential der maßgebliche Auslöser für die ökologischen Probleme ist. Andererseits haben Menschen entsprechend ihrer materiellen Situation, also vor allem ihrer Klassenlage, aber auch ihrer Herkunft, sehr unterschiedliche Möglichkeiten, auf den Klimawandel zu reagieren und steigende Kosten (etwa für Energie, Lebensmittel, Steuern…) betreffen sie sehr ungleich.

Umweltbewusstsein und Lebensstil

Auch wenn die individuelle Lösung, die im kapitalistischen System so oft propagiert wird, falsch ist, wird der Blick dabei dennoch auf einen wichtigen Punkt gelenkt: Es ist auch unser Lebensstil, der für die ökologische Krise verantwortlich ist – eine Lösung dieser Krise muss also auch mit einer Veränderung von Lebensstilen einhergehen. Damit ist nun aber nicht ein Mode- oder Musikgeschmack gemeint, sondern die routinisierte Art und Weise, in der wir die Natur im Alltag nutzen und auf sie einwirken (Welche und wie viele Produkte kaufen wir? Wie sind diese hergestellt? Wie groß und gut gedämmt ist unsere Wohnung?…). Letztlich geht es darum, welchen „ökologischen Fußabdruck“ (grob gesagt: unser „Einfluss“ auf die Umwelt) wir durch unsere Lebensführung hinterlassen.

Hier fangen die Probleme aber auch erst an: Unser Lebensstil ist nicht eine individuelle Entscheidung, sondern findet innerhalb gesellschaftlicher Rahmenbedingungen statt und ist durch gesellschaftliche Vorstellungen geprägt. Zur Lösung der ökologischen Krise werden sich also natürlich auch unsere Lebensführungen ändern (müssen) – funktionieren kann das aber nur, wenn solche Veränderungen mit Umbrüchen in der gesellschaftlich strukturierten Organisation des Stoffwechsels mit der Natur einhergehen.

Völlig falsch ist es daher auch, den individuellen ökologischen Fußabdruck vor allem als Bewusstseinsfrage zu sehen. Viele Studien haben sogar das Gegenteil bewiesen: Ein „hohes Umweltbewusstsein“ geht in vielen Fällen nicht mit einem geringen ökologischen Fußabdruck einher. Und umgekehrt: Gesellschaftliche Schichten, in denen kein besonders ausgeprägtes Umweltbewusstsein vorherrscht, weisen oft sogar einen sehr geringen ökologischen Fußabdruck auf. Wie kommt es dazu?

Ein hohes Umweltbewusstsein finden wir oft in gut (aus)gebildeten, städtischen „Mittel“- und auch „Oberschichten“. Und die verdienen meistens auch nicht so schlecht, d.h. sie haben ein hohes Konsumniveau, wohnen in entsprechend großen Wohnungen, Reisen verhältnismäßig viel… Das Einkaufen von Bio-Lebensmitteln und die Benutzung eines Fahrrads für kurze Strecken fallen da nicht ins Gewicht. Umgekehrt können sich Schichten mit niedrigen Einkommen (kleine Wohnungen, niedrige Mobilität, geringes Konsumniveau) einen großen ökologischen Fußabdruck schlichtweg nicht leisten.

Dabei zeigt sich also auch, dass die naserümpfende Empörung von Teilen der vermeintlich aufgeklärten städtischen „Mittelschichten“ über die (in Umweltfragen) „ignoranten Proleten“ oftmals jeglicher realer Grundlage entbehrt. Darüber hinaus ist auch der Lebensstil eine gesellschaftliche und damit eine Klassenfrage: Für den/die SoftwareentwicklerIn, der/die im Stadtzentrum arbeitet und lebt, ist es wesentlich einfacher, für tägliche Wege das Rad zu benutzen, als für Menschen, die einer körperlich anstrengenden Arbeit nachgehen und außerhalb des Stadtzentrums arbeiten und leben.

Radfahren, Lifestyle und Politik

Der Boom des Radfahrens in den letzten Jahren war vom Entstehen und der Verbreitung eines ganzen Lifestyles drum herum begleitet – in mehrerlei Hinsicht. Radfahren hat sich zum Element eines jungen, urbanen, „hippen“ Lifestyles entwickelt. Neben dem praktischen Aspekt eines billigen und schnellen Fortbewegungsmittels geht es dabei aber auch noch um andere Dinge: individuelle Identität und Profite.

Radfahren ist weit davon entfernt „gratis“ zu sein: Anschaffung, Reparaturen und Services kosten insgesamt mehrere hundert Euro. Nicht zuletzt wird der Fahrradboom auch vorangetrieben, weil sich damit Geld verdienen lässt. Um mit dabei zu sein, reicht es oft nicht mehr „Rad“ zu fahren, sondern dieses soll gewissen ästhetischen Kriterien entsprechen, sprich „stylisch“ sein. Hier kann sowohl ein sich ausdifferenzierender Fahrradmarkt ansetzen, als auch die Identität eines modernen, urbanen Lifestyles. In den letzten Jahren haben sich vermehrt ganze Fahrrad-Communities, mit Festivals, Zeitschriften und einem ganzen Lebensstil rund ums Fahrrad herausgebildet.

Mit dem Auto wurde es vorgemacht, jetzt zieht das Fahrrad nach: In kapitalistischen Gesellschaften kann ein Fortbewegungsmittel zu einer Quelle von persönlicher Identität (oder zumindest eines Teils davon) werden. Das geht aber auch nur in einer Gesellschaft, die durch eine warenförmige Organisation von Kultur, Leistungs- und Konkurrenzdruck und Vereinzelung geprägt ist. Hier gilt es, sich selbst eine positive Identität zu schaffen, die Sinn stiftet und einen von anderen absetzt – zur Not kann dafür auch das Fahrrad herhalten. Allgemein lässt sich in der Entwicklung des Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten einerseits ein Niedergang expliziter politischer Bewegungen und wirklicher Gegenkulturen und andererseits das Aufkommen von diversen „Sub“kulturen und von „lifestyle politics“ beobachten.

Hier knüpfen auch kritische soziale Bewegungen und Teile der (radikalen) Linken an. Einmal im Jahr findet etwa der „World Naked Bike Ride“ statt, der mittlerweile als gewisser Kultevent etabliert ist. Dabei geht es darum, gemeinsam (möglichst) unbekleidet Fahrrad zu fahren. So soll das Fahrrad als Mittel im Kampf gegen den Klimawandel propagiert und für städtische Lebensqualität (saubere Luft, weniger Autoverkehr…) inklusive dem „Freiheitsgefühl“ Fahrradfahren geworben werden. Die nackten Menschen sollen dabei die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen und so das Anliegen breiter bekannt machen. Nicht nur, dass dabei teilweise ein kruder Naturalismus mitschwingt (die Vorstellung, dass Nacktsein und Fahrradfahren irgendwie „natürlich(er)“ wären), ist es auch als politisches Mittel äußerst fragwürdig.

Zur Freude der Herrschenden wird hier gerade an die Individuen appelliert und ihr Beitrag zum Klimaschutz eingemahnt. Das verdeckt nicht nur, dass diese individuellen Lösungen völlig unzureichend sind, um der ökologischen Krise entgegen zu treten. Darüber hinaus wird den Herrschenden nach dem Mund geredet und eine falsche Vorstellung von „individueller Verantwortung“ verbreitet. Hier können dann Vorstellungen, die auf Verzicht setzen, also die ökologische Krise auf Kosten der Lohnabhängigen „lösen“ wollen bzw. mit dem Argument des „Umweltschutzes“ eine Umverteilung von unten nach oben begründen (zB über Steuern, Verteuerung von Energie und Lebensmitteln…), ansetzen.

Diese „individuelle Verantwortung“ gibt es tatsächlich. Sie besteht aber nicht in falschem (und letztlich ziemlich wirkungslosem) Verzicht, sondern in der Beteiligung am und Organisierung eines offensiven Kampfes gegen das kapitalistische System und all seine zerstörerischen Tendenzen – also langfristigem politischem Aktivismus. Gerade eine solche Perspektive, eines kollektiven, offensiven und politischen Kampfes, wird jedoch gerade durch diese Art der „lifestyle politics“ verhindert und letztlich unterlaufen. Politische Betätigung wird dabei auf kreativen Aktionismus und Aufklärertum reduziert – und das alles ist auf wunderbare Weise mit einem modernen und „hippen“ Lifestyle verbindbar. Zuerst geht es, um das schlechte Gewissen zu beruhigen und um der Verantwortung eines „aufgeklärten Geists“ nachzukommen, auf eine stylische Fahrrad-Aktion, dann mit dem Rad weiter ins Cafè um einen Latte Macchiato zu trinken und am Abend auf die Vernissage. Wenn das nicht die Freiheit des neoliberalen Kapitalismus ist…

Auch in Teilen der – vor allem anarchistisch geprägten – Linken gibt es eine gewisse Kultivierung des Fahrradfahrens, die sich jedoch meist mit einem umfassenderen und wesentlich radikalerem politischem Anspruch verbindet. So gibt es etwa die „Critical Mass“-Bewegung. Dabei werden gemeinsame Fahrrad-Demos durchgeführt, bei denen für mehr Raum für FahrradfahrerInnen und generell mehr Selbstbestimmung geworben wird. Auch wenn diese Aktionen eine allgemeine gesellschaftskritische Ausrichtung beanspruchen, bleibt dann doch äußerst fragwürdig, was am Fahrradfahren „an sich“ schon „kritisch“ sein soll. Ebenso, wie bei diversen „bike punx“-Gruppierungen, was Antifaschismus und Antikapitalismus mit Fahrradfahren zu tun hat? Unterm Strich handelt es sich also wohl eher um eine radikalere Form von „lifestyle politics“ als um erfolgsversprechende antikapitalistische politische Betätigung.

Weiters gibt es Projekte, die mit der Schaffung von (Fahrrad-)Communities auf Selbstorganisation und -bestimmung setzen – oft mit einer anti-kommerziellen Ausrichtung. Auch wenn es durchaus sympathisch und völlig legitim ist, dass hier versucht wird, einen Freiraum abseits der kapitalistischen Logiken zu schaffen, ist es am Ende auch nicht mehr: ein Freiraum, der die restliche kapitalistische Welt weitgehend unberührt lässt. Teilweise kommt es dabei schon fast zu einer Kultivierung eines falschen Verzichts: „Ich brauch kein Auto, ich fahr Rad.“ So lässt sich auch mit wenig(er) Geld auskommen und die prekären, also auch mies bezahlten Jobs passen dann schon irgendwie. Ein kollektiver Kampf für bessere Lebensbedingungen weicht dann weitgehend einem individuellen Ausleben innerhalb von Nischen des Systems.

Nach all der Kritik bleibt aber dennoch klar: Fahrradfahren ist eine durchaus praktische Form der Fortbewegung, gehört mittlerweile zu städtischen Lebensstilen dazu und, stellt, im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen Wende in der Ökologiefrage, durchaus einen positiven Aspekt in der Lösung der Klimakrise dar. Wie könnte ein solches Konzept dann abseits der vorher diskutierten problematischen Implikationen aussehen? Und wie sollten wir uns gegenüber der aktuellen Verkehrspolitik und Stadtentwicklung positionieren?

Lebensqualität, Stadtentwicklung und Lebensstil

Trotz der problematischen Implikationen ist der Ausbau von Radwegen, wie er gerade in vielen Städten betrieben wird, durchaus zu begrüßen. Dabei geht es letztlich auch um die Frage von Lebensqualität in Städten – und die kann durch Verkehrsberuhigung und -reduzierung und Begrünung durchaus konkret verbessert werden. Ein Problem stellt dabei freilich die starke Dominanz des Autoverkehrs dar. Diese ist jedoch nicht die Schuld der individuellen AutofahrerInnen, sondern hat vielmehr gesellschaftliche Gründe und ist historisch gewachsen.

Es waren/sind die Interessen der mächtigen und großen Auto- und Mineralölkonzerne und ihr anhaltender Einfluss auf die Politik, die zu dieser Situation geführt haben. Denn die grundsätzlichen Möglichkeiten für die Einführung klimafreundlicherer Autos, die Verbreitung von Carsharing, einen besseren Ausbau des öffentlichen Verkehrs – und nicht zuletzt eine Förderung des innerstädtischen Fahrradfahrens – bestehen schon seit Jahrzehnten. Die Lösung besteht also nicht in einem Kleinkrieg zwischen Auto- und RadfahrerInnen, sondern in einer grundsätzlichen, gesellschaftlichen Wende in der Ökologiefrage.

Letztlich geht es dabei auch um grundlegende Fragen der Stadtentwicklung. Diese war/ist in den letzten Jahrzehnten zunehmend von „Gentrification“-Tendenzen geprägt, also sogenannten Prozessen der „Aufwertung“. Diese führen zwar teilweise zu einer tatsächlichen Verbesserung der Lebensqualität (durch Renovierungen, Bau von neuen Wohnungen, Ausbau der Infrastruktur…), aber um den Preis von steigenden Mieten und der Verdrängung von großen Teilen der BewohnerInnen dieser Stadtteile. Im Kapitalismus ist auch Wohnraum und Stadt eine Ware und soll Profit abwerfen; es geht dabei also nicht um die objektiven Bedürfnisse der BewohnerInnen. Lebensqualität für die, die es sich leisten können…

Letztlich ist die Frage also: Stadtentwicklung, für wen? Im Rahmen kapitalistischer Stadtentwicklung und einer kapitalistischen „Lösung“ der Ökologieproblematik müssen reale Verbesserungen immer beschränkt und selektiv bleiben sowie mit einer Individualisierung der Problemlösung und von oben verordnetem Verzicht einhergehen. Unterm Strich bedeutet das auch immer eine Abwälzung auf die Lohnabhängigen, auf ihre Geldbörsen und ihre Lebensqualität. Denn der Zugewinn an Lebensqualität durch Verkehrsberuhigung, Radwege, Begrünungen… wird durch sinkende Reallöhne, steigende Preise, steigenden Leistungsdruck in der Arbeit… allemal aufgehoben.

Gegen die KapitalistInnen und ihre Lobbies werden wir nicht durch den individuellen Umstieg aufs Fahrrad oder kreativen Aktionismus im Rahmen von unpolitischen „lifestyle politics“ ankommen. Es braucht eine massive Besteuerung von Reichtum mit der sofortige Maßnahmen zu einer Wende in der Ökologiefrage bezahlt werden können. Eine wirkliche Lösung der ökologischen Krise wird jedoch nur mit einer Überwindung der kapitalistischen Profit- und Wachstumslogik zu haben sein. Eine solche kann nur durch eine Revolution der Lohnabhängigen erreicht werden.

Und was heißt das im Bezug aufs Fahrradfahren? Individuell das Fahrrad zu benutzen ist keineswegs „falsch“, aber es ist eben auch nicht die oft propagierte umweltpolitische „Wunderwaffe“. Ich werde weiterhin viele Strecken mit dem Fahrrad zurücklegen, dabei Spaß haben und auf ein besseres Netz an Radwegen hoffen – und politisch aktiv gegen Kapitalismus, für eine bessere, sozialistische Welt und eine wirkliche Lösung der ökologischen Krise kämpfen.

*Der Autor ist selbst begeisterter Radfahrer

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