Griechenland: Freiheit für Aris Seirinidis!

 Seit 10 Monaten sitzt der revolutionäre Aktivist Aris Seirinidis in Athen im Gefängnis. Die Vorwürfe waren von Anfang an haarsträubender Unsinn. Nun wird auch der Prozess, der endlich begonnen hat, zur einer Justizfarce.

Im Mai 2010 hatte sich in Griechenland der Klassenkampf gegen die „EU-Junta“ und ihre rabiaten Sozialabbaupläne zugespitzt (wir haben über die Streiks und Demos berichtet). Vor diesem Hintergrund wurde Aris Seirinidis, einer der bekanntesten Aktivisten der starken anarchistischen Strömung in Athen, am 3. Mai 2010 bei einer zufälligen Polizeikontrolle verhaftet. Der Versuch der Polizei ihn als Täter eines Überfalls auf einen Praktiker-Baumarkt zu präsentieren, scheiterte. Danach haben sie sich offenbar etwas Neues ausgedacht.

Polizei und Justiz werfen ihm seitdem vor, im Sommer 2009 auf einen Bus der berüchtigten Spezialpolizei MAT geschossen zu haben. Obwohl nur ein Schuss abgegeben wurde, lautet die Anklage auf 17-fachen Mordversuch. Das wirklich haarsträubende sind aber die so genannten „Beweise“, die gegen Aris vorgelegt wurden: Es handelt sich um eine chirugische Mund-Nasen-Schutzmaske, auf der die DNA von Aris gewesen sein soll und die angeblich in der Nähe des Tatortes gefunden wurde. Tatsächlich liegen in Exarchia, dem linken Athener Stadtviertel, in dem alles stattgefunden hat, hunderte, wenn nicht tausende solche Masken herum, weil sich sämtliche DemonstrantInnen damit gegen den massiven Einsatz von Tränengas durch die Polizei schützen.

Der Zeuge, der gesehen haben will, dass der Täter die Maske weggeworfen hat, wurde am Tatort selbst von niemandem sonst gesehen. Er hat die Maske auch erst einen Tag später an die Polizei übergeben. Die ganze Sache ist höchst dubios und es gibt viele Spekulationen über eine Manipulation durch die Polizei. Der Prozess hat auch deshalb eine besondere Bedeutung, weil er für den Staat ein Testlauf einer neuen Repressionsmethode ist, nämlich der Versuch, erstmals in Griechenland mit DNA als einzigem „Beweis“mittel für Schuld durchzukommen.

Offensichtlich geht es für den griechischen Staat darum, einen bekannten revolutionären Aktivisten aus dem Verkehr zu ziehen. Dementsprechend wurde Aris ins berüchtigte Koridallos-Gefängnis gesteckt und erst einmal gewartet. In Griechenland ist es möglich, jemanden bis zu 18 Monate ohne Prozess hinter Gittern zu halten. Dass Aris trotz der mehr als dünnen „Beweis“lage so lange in Haft ist, zeigt den politischen Charakter der Sache. Auch der Staatsanwalt fügte, nach seinen Ausführungen zu Maske und DNA, an, dass der Angeklagte „jedenfalls“ seine „subversive Tätigkeit“ gar nicht verstecke, sondern selbst zugebe „Revolutionär“ zu sein und „gegen Staat und Kapitalismus“ zu kämpfen.

In einer Erklärung aus dem Gefängnis heraus schreibt Aris, es gehe in Wirklichkeit nicht um die DNA auf der Maske, sondern um „meine politische DNA“: Die Grundlage für die Anklage „ist nicht das genetische Material, dass auf einer der Masken, die in Exarchia aufgrund der Auseinandersetzungen des Vortages herum lagen, gefunden wurde, sondern mein politisches genetisches Material, meine Präsenz auf der Seite der Barrikade, die meine Klassenposition und mein Klassenbewusstsein definiert – gegen die kapitalistische Herrschaft und den Regierungsterrorismus.“

Der Versuch, Aris Seirinidis einen mehrfachen Mordversuch anzuhängen, ist Teil einer breiteren Repression des griechischen Staates, mit der politischer Widerstand und Klassenkampf gegen die von Regierung, Kapital, EU und IWF durchgeführten Attacken auf die griechischen Lohnabhängigen kriminalisiert werden sollen. Als Beispiel sei Simos Seisidis genannt, der von der Spezialpolizei ohne Vorwarnung von hinten angeschossen und dann im Gefängnis so lange nicht ordentlich behandelt wurde, bis sie ihm ein Bein amputieren konnten. Außerdem gibt es regelmäßig Angriffe der MAT auf Demonstrationen.

Die Solidaritätskampagne für Aris war nach wenigen Wochen vom Tod seines Vater Kostas überschattet. Kostas Seirinidis war selbst jahrzehntelang ein Aktivist der radikalen Linken und spielte in der Solidaritätsarbeit für seinen Sohn eine zentrale Rolle; aus Stress und Sorge hatte er schließlich einen Herzinfarkt und starb. Das Begräbnis wurde zu einer politischen Demonstration, aus dem Gefängnis wurde eine Rede von Aris übertragen (wir haben berichtet ).

Trotz dieses tragischen Ereignisses ist die Solidaritätskampagne immer stärker geworden. In der Vier-Millionen-Stadt Athen hängen überall Plakate mit der Aufschrift „Freiheit für Aris Seirinidis!“ Vor einigen Wochen haben 1.500 Menschen für die Freilassung von Aris demonstriert, auf Solidaritätsveranstaltungen waren Hunderte. Zahllose linke Organisationen, Gewerkschaften und Personen haben sich mit Aris solidarisch erklärt und seine Freilassung gefordert. Im Prozess wird unter anderen auch Manolis Glezos für Aris sprechen. Glezos ist in Griechenland eine legendäre Persönlichkeit; er hat als Jugendlicher Ende Mai 1941, im von den Nazis besetzten Athen, in einer nächtlichen Aktion die Hakenkreuz-Fahne von der Akropolis gerissen und ist seitdem immer in der Linken aktiv gewesen.

Am 9. März hat nun der Prozess gegen Aris begonnen. Als es am zweiten Verhandlungstag am 17. März schließlich um die Kernfragen ging, war schließlich der dubiose Zeuge der Anklage einfach verschwunden, für die Polizei tatsächlich oder angeblich nicht mehr auffindbar. Die Verteidigung konnte nachweisen, dass das Haus, das von der Anklage als Adresse des Zeugen angegeben wurden, seit 1988 (!) nicht bewohnt ist. Bei dem Zeugen handelt es sich um einen Polen, der weder einen ordentlichen Wohnsitz noch eine legale Arbeit – und es können darüber Vermutungen angestellt werden, durch welche Druckmittel die Polizei diesen Mann zu irgendwelchen Aussagen gebracht hat.

Angesichts des Verschwindens des Hauptzeugen der Anklage (und von sich widersprechenden Aussagen der Polizisten) hat das Verfahren gegen Aris nun auch den letzten Rest von juristischer Seriosität verloren und musste eigentlich eingestellt werden. Allerdings haben Justiz und Polizei offenbar das Gefühl, dass sie es irgendwie rechtfertigen müssen, dass sie eine Person ohne ernsthafte Beweise zehn Monate lang eingesperrt haben, und setzen den Prozess auf Biegen und Brechen fort. Nicht auszuschließen, dass sie irgendwelche neuen Dinge konstruieren, um doch noch eine Verurteilung zu erreichen.

Wir sagen:

Schluss mit dieser Justizfarce!

Freiheit für Aris Seirinidis!

Über das griechische Solidaritätskomitee für Aris Seirinidis fordern neben Manolis Glezos auch zahlreiche weitere Organisationen und Persönlichkeiten die Freilassung von Aris. Darunter sind etwa die Gewerkschaften der Buchhandelsbeschäftigten, der BotenfahrerInnen und der LehrerInnen sowie als Vertreter der linken Parteien Giannis Voutsis (für Synaspismos), Aggelos Hagios (für Antarsia) und Theodoros Koutsoumbos (EEK). Die StudentInnenvertretungen der TU Athen und der Pädagogischen Hochschule in Thessaloniki unterstützen die Kampagne ebenfalls

15 UniversitätsprofessorInnen haben in der großen liberalen Tageszeitung Eleftherotypia eine eigene Solidaritätserklärung veröffentlicht. Darunter sind Aggelopoulos Venios (Professor an der TU Athen), Kastrinaki Rania (Lektorin an der Panteion Universität für Sozialwissenschaften), Kouvelakis Stathis (Professor am King's College in London), Giorgos Maniatis (Professor an der Universität Athen), Basalexi Dina (vom CNRS Paris) und andere.
 

Wir wollen dazu beitragen, dass die Solidaritätskampagne für Aris noch stärker eine internationale Komponente bekommt.

Wir fordern euch auf, auf verschiedenen anderen Pages und sonstige Medien darüber zu berichten; ihr könnt dafür gern diesen Text oder Teile davon übernehmen.

Und wir rufen euch alle dazu auf, diese Solidaritätserklärung zu unterzeichnen !