Warnstreiks der LokführerInnen

Am Freitag den 25. Februar haben die LokführerInnen ihren zweiten Warnstreik durchgeführt. Ihnen geht es um Lohnerhöhungen und eine bessere soziale Absicherung. Doch der Arbeitskampf hat auch politische Bedeutung.

Die Streiks der GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) richten sich gegen die DB (Deutsche Bahn) und die sogenannten G6, die sechs großen Schienenpersonennahverkehrsunternehmen Deutschlands (Abellio GmbH, Arriva Deutschland GmbH, BeNEX GmbH, Keolis Deutschland GmbH & Co. KG, Veolia Verkehr GmbH und die Unternehmen der Hessischen Landesbahnen).

Bisherige Warnstreiks

Am Dienstag kam es zum ersten Warnstreik, nachdem die GDL angekündigt hatte, dass ab Montag gestreikt werden könne. Der Streik dauerte nur zwei Stunden, von sechs bis acht Uhr, sorgte aber für Ausfälle von bis zu 80% der Züge. Auch nach Beendigung des Warnstreiks kam es an diesem Tag weiter zu Verspätungen, da die normalen Fahr-Takte natürlich nicht mehr einhaltbar waren. Auch die Berliner S-Bahn war als Tochterunternehmen der DB  vom Streik betroffen, wie insgesamt der Streikaufruf im Osten Deutschlands stärker befolgt wurde, da es hier so gut wie keine verbeamteten LokführerInnen gibt (im Westen sind es ungefähr 40%). Der kurze Streik der 26.000 GDL Mitglieder hatte also enorme Auswirkungen, insbesondere in Berlin, wo der S-Bahn-Verkehr ohnehin nur eingeschränkt funktioniert. In Folge hatten vor allem PendlerInnen Schwierigkeiten, ihren Arbeitsplatz zu erreichen.

Vor Streikbeginn hatte es erhebliche Verwirrung über den Zeitpunkt des Streikes gegeben, da laut GDL eine Falschmeldung darüber kursierte, dass man bereits am Montag streiken wolle. Die DB nutzte dies natürlich, um die KollegInnen zu diskreditieren und ihnen verantwortungsloses Verhalten auf Kosten der ArbeiterInnen vorzuwerfen. Die GDL hingegen meinte, dass sie von vornherein gesagt habe, dass man zwar ab Montag zwar streiken könne, den genauen Termin aber noch ansagen werde – eine „Pflicht“, Montag zu streiken habe es jedenfalls nicht gegeben. Es hat allerdings absurde Züge, dass sich die KapitalistInnen darüber beschweren, dass nicht gestreikt wird…. 

In Folge wurde auch ein zweite Mal gestreikt, und zwar am folgenden  Freitag von 8.30 bis 11.30. Schließlich hat sich, trotz Beteuerungen von DB und der G6, „verhandlungsbereit“ zu sein, ihr Angebot nicht verbessert, und die Motivation der LokführerInnen zu streiken, sich dementsprechend nicht geändert.

Forderungen

Doch was ist das Angebot von Bahn und der Privatunternehmen?  Die Bahn bietet eine Entgelterhöhung von 1,9% für das nächste Kalenderjahr und findet sich damit vermutlich wahnsinnig großzügig. Oftmals unter den Tisch gekehrt wird allerdings die Tatsache, dass ab 2012 die Wochenarbeitszeit von 38 auf 39 Stunden erhöht werden soll, was, wie die GDL richtig vorrechnete, eine „faktische Entgeltminderung von 2,5 Prozent“ bedeutet.

Die GDL fordert hingegen eine Lohnerhöhung um fünf Prozent bei der Bahn und – was noch viel wichtiger ist – einen einheitlichen Branchentarifvertrag. Derzeit verdienen LokführerInnen etwa bei der Ostdeutschen Eisenbahnen GmbH (ODEG) bis zu 30% weniger als ihre KollegInnen bei der DB und arbeiten auch noch zwei Stunden länger pro Woche. Es geht den LokführerInnen also darum, Lohn- und Sozialdumping zu verhindern.

Auch dies hat gerade für die Berliner S-Bahn ganz aktuelle Züge gewonnen, wird doch gerade der Betriebsvertrag mit der Stadt, der 2017 ausläuft, neu ausgeschrieben. Sollte nun also die Bahn als Betreiberin der S-Bahn ersetzt werden, müssten die LokführerInnen bei einem neuen Unternehmen zu arbeiten beginnen  – allerdings dieselbe Arbeit wie zuvor erledigen – und wohl ohne einen solchen Tarifvertrag eindeutige Kürzungen hinnehmen. Beide Unternehmen, DB und ODEG, fahren natürlich satte Gewinne ein (die Bahn allein im letzten Jahr 1,68 Milliarden Euro), von denen die ArbeiterInnen natürlich nichts sehen.

Selbst bei Zustandekommen eines Branchentarifvertrages gibt es natürlich  keine Übernahmegarantien der ArbeiterInnen, sollte das Unternehmen wechseln. Deshalb fordern die KollegInnen hier verbindliche Regelungen und Absicherung.

Absicherung ist auch bei Arbeitsunfähigkeit nötig, die bei LokführerInnen etwa auch  durch erlittene Traumata bei Suizidversuchen vor ihren Zügen entstehen kann. So haben allein 2008  714 Personen versucht, sich auf deutschen Strecken das Leben zu nehmen – und dies ist keine ungewöhnliche Zahl. Die LokführerInnen brauchen hier eindeutig eine spezifische Regelung, etwa Unterstützung für anderweitige Ausbildungen und psychologische Behandlung. Nicht mal ein Kündigungsschutz ist in diesem Fall vorgesehen! Rücksicht auf die menschlichen Schicksale, die die ArbeiterInnen erleiden, ist natürlich im Kapitalismus nicht vorgesehen, die KollegInnen müssen sie sich erkämpfen.

Gewerkschaftlicher Widerstand

Kritik an ihren Streikplänen erhalten die LokführerInnen nicht nur von Bahn und G6. Auch die im DGB organisierte EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgesellschaft), die aus Transnet hervorgegangen ist, kritisiert die Streiks. Dabei wird zusammen mit dem BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) mit der „Tarifeinheit“ argumentiert. Die Aktionen würden die KollegInnen in den Zügen spalten und sich so eine kleine Sparte auf Kosten der anderen bereichern. Davon abgesehen, dass die Unternehmen es sind, die sich mit ihren Millionenprofiten auf Kosten aller ArbeiterInnen bereichern, geht es hier eigentlich um etwas völlig anderes.

Die Aktionäre und Bosse haben Angst vor einer kämpferischen Gewerkschaft, vor „Unruhestiftern“, die mit offensiven Lohnforderungen auch andere ArbeiterInnen in Deutschland inspirieren könnten. Der DGB macht dabei bereitwillig mit, denn er fürchtet Kontrollverlust über die deutsche ArbeiterInnenklasse. Denn bei einem erfolgreichen Streik der GDL könnte sich auch EVG dazu gezwungen sehen, ihren Mitgliedern Zugeständnisse zu machen und sich kämpferischer zu geben. Der EVG-Vorsitzende Alexander Kirchner kündigte genau deshalb an, dass ein Nachgeben gegenüber der GDL „weitreichende Konsequenzen“ und Nachverhandlungen nach sich ziehen werde. Eine Warnung an die KapitalistInnen, dass ein erfolgreicher Streik für Konsequenzen für die deutsche ArbeiterInnenklasse haben könnte.

Deshalb auch der Versuch, per Gesetz die Koalitionsfreiheit aufzuheben. Ginge es nach BDA und DGB, so würde in einem Unternehmen nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die  im Unternehmen am meisten Organisierte hat – was so gut wie überall die jeweilige DGB Gewerkschaft wäre. Dies würde alle Versuche der GDL quasi mit einem Mal zu Nichte machen, hat doch EVG erst kürzlich mit der Bahn und den G6 einen Tarifvertrag unterschrieben, der 6,25% weniger Lohn und schlechtere Arbeitszeiten mit sich bringen wird. Die Führungsspitze der EVG fordert deshalb im Einklang mit den Bahnführungen die GDL dazu auf, diesen Tarifvertrag zu unterschreiben.

Die GDL lehnt dies ab und gibt sich weiter kämpferisch. Dies bedeutet aber noch lange nicht, dass die GDL Führung die bessere Alternative ist. Letztlich wird sie nur von der Basis zum Kämpfen gezwungen, denn sie organisiert 70% aller LokführerInnen, und hat gar keine andere Wahl, als der kämpferischen Stimmung nachzugeben. Und sie genießt weder die Unterstützung des DGB noch verfügt sie über die guten Verbindungen der EVG zur Konzernführung der Bahn: der ehemalige Transnet-Chef Norbert Hansen saß bis 2009 im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn, mit einem monatlichen Gehalt von 33.000 Euro.

 Doch die Kampfbereitschaft der Gewerkschaft hat klare Grenzen. Einen wirklich politischen Kampf gegen die Ursachen der Lohndrückerei, des sich erhöhenden Drucks, des schlechten Zustandes der Bahn, will auch sie nicht führen. Dies würde einen Kampf gegen Privatisierung und Gewinnorientierung bedeuten. Die GDL hingegen fordert „faire Löhne“ und einen „fairen Wettbewerb“, stellt die kapitalistische Grundsituation also nicht in Frage.

Natürlich ist die Idee, dass ArbeiterInnen ihre Kämpfe gemeinsam und nicht isoliert voneinander führen sollen, vollkommen richtig. Einheit im Kampf ist ein mächtiges Werkzeug. Aber eben nur dann – im Kampf. Wenn Einheit die Einheit des DGB ist, die Einheit mit den KapitalistInnen, die Einheit im Verzicht, dann kann es nicht unsere Einheit sein. Dann muss man ausbrechen aus einer solchen Stimmung und kämpfen, um sein Recht auf soziale Sicherung und ein gutes Leben durchzusetzen. Dies kann vorbildhaft sein, um die Kampfbereitschaft in Deutschland zu verändern, wo Milliarden für Firmen-Rettungspakete rausgeschmissen werden, Unternehmen sich bereichern und die ArbeiterInnen verzichten müssen. Ohne in blinde Euphorie zu verfallen und die Grenzen eines möglichen Streiks der LokführerInnen zu übersehen, muss man diesen dennoch als positives Signal wahrnehmen und sehen, worum hier gekämpft wird.

 Solidarität erleben

Wenn Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) die GDL ermahnt, dass die LokführerInnen die PendlerInnen nicht als Geiseln nehmen dürften, so ist dies einfach zynisch. Der Staat, der die Bahn überhaupt erst zu einem profitorientierten Unternehmen gemacht hat, ist doch für die miserable Situation selbst verantwortlich! Dieser Umstieg auf jährliche Gewinne, eine Erwartung von 500 Millionen Euro im Jahr, wirkt sich dabei nicht nur negativ auf die LokführerInnen aus, sondern auch auf die Fahrgäste und die gesamte Bevölkerung. Auch hier ist das Beispiel der S-Bahn in Berlin – aber auch das Projekt Stuttgart 21 – von maßgeblicher Bedeutung.

Die Berliner S-Bahn als reines Tochterunternehmen soll ab 2017 Gewinne abwerfen. Es scheint wohl nicht möglich, dies nur über die Fahrpreise erreichen zu können, obwohl erst im Januar 2011 diese wieder erhöht wurden. Eine Dreistigkeit, nachdem im Dezember wieder massive Behinderungen im Zugverkehr zu spüren waren. Die Schließung von Werkstätten, Zugausfälle, Kürzungen bei der Wartung und so weiter geschehen alle im Kontext der Profitorientierung. Dabei schiebt man die Schuld auf den „harten Winter“ oder den Bahnhersteller Bombardier, der solche Vorwürfe wohl zu Recht damit abwies, dass seine Züge auch in Sibirien fahren.

Die KollegInnen der Bahn haben auf diese Zustände schon öfters hingewiesen – ohne Ergebnis. Aber oftmals sind sie es, die die Kritik der BahnkundInnen aushalten müssen. So wird ihnen vorgeworfen, sich auf Kosten der anderen ArbeiterInnen bei der Bahn zu bereichern oder eben die PendlerInnen dies ausbaden zu lassen. Dabei hat die GDL sich extra dafür entschieden, den zweiten Warnstreik nicht in Berlin durchzuführen, weil die Situation ohnehin desaströs ist und nur ein Drittel aller Züge regulär fahren.

 Selbst einen gemeinsam organisierten Notdienst hat die GDL angeboten. Dieser umfasste Kranken-/Behindertentransporte, Sonderzüge für SchülerInnenausflüge, Transporte mit überlebenswichtigen Gütern wie Medikamenten und Kraftwerksgüter zur Aufrechterhaltung der Energieversorgung. Auch Schlüsselfunktionen zur Aufrechterhaltung der Betriebssicherheit werden nicht bestreikt. Eine solche gemeinsame Vereinbarung konnte bei Verhandlungen am 25. Februar jedoch nicht erreicht werden, da DB so gut wie den gesamten Regelplan als Notplan deklarieren wollte. Die GDL führt nun eigenständig einen solchen Notfahrplan durch.

Weiterhin kann es auch für die KundInnen nicht von Vorteil sein, wenn die ZugführerInnen physisch immer mehr ausgequetscht werden. So werden bei den privaten G6 drei Mal mehr Warnsignale von den LokfahrerInnen übersehen als bei der aus Staatsbetriebs-Tradition kommenden DB – auf Grund höherer Arbeitsbelastung bei niedrigeren Löhnen. Mehr Druck, mehr Ausbeutung, das bedeutet am Ende weniger Sicherheit. Davon abgesehen ist es letztlich nicht die Schuld der GDL, dass die Bahn nicht auf die einfache Bevölkerung, sondern auf AktionärInnen und ihre Gewinne abfährt. Lassen sich die LokführerInnen das weiter gefallen, so sind die Konsequenzen auf lange Sicht auch für die Fahrgäste nachteilig.

Auch wenn wir verstehen, dass Zugausfälle frustrierend sind und die Chefs sicher kein Verständnis dafür zeigen, dass Streiks eben verhindern, dass man pünktlich zur Arbeit kommt, so zeigt die Kampfbereitschaft der LokführerInnen doch in die richtige Richtung. Am Mittwoch haben 6.000 Telekom MitarbeiterInnen in einem Warnstreik ihre Arbeit niedergelegt. Wenn also die Aktionäre bei Bahn und Co. sich weigern, den berechtigten Forderungen nachzugeben, kann es sein, dass die GDL ihren Streik intensiviert und über einen Warnstreik hinausgeht. Eine solche Situation ist für viele KollegInnen, StudentInnen und auch SchülerInnen, eben für alle, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, mit einigem Mehraufwand verbunden. Dennoch kann unsere Antwort nicht Unmut und die Ablehnung des Streiks sein.

Die LokführerInnen müssen in dieser Situation unsere Unterstützung erfahren. Wenn im Winter die Züge ausfallen, dann sind nicht die anderen Fahrgäste daran schuld, dass die noch fahrenden Züge voll sind. Die Wut sollte sich gegen die da oben richten, die diese Situation verursachen. Gleiches gilt für die LokführerInnen, sie sind unsere Verbündeten im Kampf für bessere Lebensbedingungen und ein Transportsystem, das darauf orientiert ist, für Menschen und ihre Bedürfnisse, nicht für Gewinne, da zu sein. Notwendig ist es daher, Privatisierungen insgesamt zu bekämpfen und die Tendenz umzukehren: private Unternehmen  verstaatlichen und die Kontrolle über das Funktionieren in die Hände der ArbeiterInnen und  Fahrgästen legen! Der öffentliche Verkehr muss dem Profitinteresse entzogen und demokratisch organisiert werden!

 

Zum Weiterlesen

Berliner S-Bahn: wie der Kapitalismus Chaos produziert

Projekt der Herrschenden: Stuttgart 21 (Oktober 2010)

Die Berliner S-Bahnkrise – Privatisierung und KundInnenabzocke (März 2010)

Österreich: ÖBB: Für besseren Verkehr für alle! (Dezember 2009)

Schweiz: SBB-Cargo: Widerstand gegen Privatisierung (April 2008)

Teil 1: http://www.sozialismus.net//content/view/154/72/

Teil 2: http://www.sozialismus.net//content/view/174/72/