Die ߄ra des –„Sonnenkönigs–“. Zum 100. Geburtstag von Bruno Kreisky

Viele Sozialdemokrat/inn/en haben heute eine wehmütig-verklärte Sicht der 1970er Jahre. In der „Ära Kreisky“ hatte die SPÖ nicht nur die absolute Mehrheit an Stimmen und Parlamentsmandaten erobert, sondern auch mit einem Reformschub eine längst überfällige Modernisierung Österreichs eingeläutet. Manfred Scharinger blickt zurück auf die „Ära Kreisky“.

Bruno Kreisky, dessen Geburtstag sich 2011 zum 100. Mal jährt, wurde in eine Wiener jüdisch-assimilierte Fabrikant/inn/enfamilie geboren. Max Kreisky, sein Vater, war Generaldirektor der Österreichischen Wollindustrie und Textil AG und unter anderem im Aufsichtsgremium der österreichischen Nationalbank vertreten.

Bruno Kreisky kam in seiner Schulzeit mit dem Austromarxismus in Kontakt, wurde Mitglied in der Vereinigung Sozialistischer Mittelschüler, dann im Verband Sozialistischer Arbeiterjugend. Nach anfänglichem Widerstand gegen den Fabrikantensohn wurde der Student der Rechtswissenschaften 1933 Leiter der Bildungs- und Kulturarbeit der SAJ. Nach seiner Autobiografie („Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten“) fühlte sich Kreisky in dieser Zeit als linker Sozialdemokrat.

Karriere in der Arbeiter/innen/bewegung

1934 war Kreisky an der Gründung der Revolutionären Sozialistischen Jugend, der Nachfolge-Jugendorganisation der nach dem 12. Februar 1934 verbotenen Sozialdemokratie, beteiligt. Am 30. Jänner 1935 wurde Kreisky verhaftet, im März 1936 begann unter großer Anteilnahme der ausländischen Presse der sogenannte „Sozialistenprozess“, in dem Kreisky eine viel beachtete Verteidigungsrede hielt. Wegen Hochverrats wurde er zu einem Jahr schwerem Kerker verurteilt, kam aber – wie die große Mehrheit der politischen Gefangenen des Ständestaates – bereits im Juni 1936 durch die Amnestie im Gefolge des deutsch-österreichischen Abkommens wieder frei.

Von der Universität relegiert, konnte er erst zu Beginn des Jahres 1938 sein Studium fortsetzen und am 14. März 1938 beenden. Am darauffolgenden Tag wurde er von den Nazis in Schutzhaft genommen. Im Sommer 1938 konnte er nach Schweden emigrieren. Zwei Dutzend von Kreiskys engsten Verwandten fielen dem Holocaust zum Opfer, sein Bruder emigrierte nach Palästina.

Im Juli 1939 nahm Bruno Kreisky in Lille am Kongress der Sozialistischen Jugendinternationale teil, wo er sich gegen eine engere Kooperation mit den stalinistischen Jugendverbänden aussprach. 1940 lernte er den späteren deutschen Bundeskanzler Willy Brandt kennen und arbeitete in der Stockholmer Internationalen Gruppe demokratischer Sozialisten. 1941 wurde Kreisky Obmann des Klubs österreichischer Sozialisten in Schweden. 1942 heiratete er Vera Fürth (1916-1988), ihr kürzlich verstorbener Sohn Peter kam 1944 zur Welt, 1948 die Tochter Suzanne.

Nach dem Weltkrieg

Nach der Niederlage des Faschismus organisierte Kreisky schwedische Hilfslieferungen nach Österreich, ab Oktober 1945 als offizieller Beauftragter der schwedischen Regierung. Im Mai 1946 versuchte Kreisky vergeblich, in der österreichischen Nachkriegspolitik Fuß zu fassen. Auch in der Sozialdemokratie wurden jedoch gegen die Rückkehrer/innen aus dem Exil Ressentiments mobilisiert – die Angst, wie in der Zwischenkriegszeit als „Judenpartei“ nicht mehrheitsfähig zu werden, spielte sicher dabei mit. Der SPÖ-Bundespräsident Karl Renner und der Parteivorsitzende (und spätere Bundespräsident) Adolf Schärf drängten Kreisky zur Rückkehr nach Schweden, um dort die österreichische diplomatische Vertretung aufzubauen. Erst 1950 sollte er nach Wien zurückkehren.

Kreisky wurde außenpolitischer Berater des neuen SPÖ-Bundespräsidenten Theodor Körner und kam dadurch in den engeren Führungszirkel der SPÖ. 1953 wurde er Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten in der neuen ÖVP-SPÖ-Koalitionsregierung und war an den Staatsvertragsverhandlungen beteiligt. Ab Ende 1955 war Kreisky im SPÖ-Parteivorstand vertreten, ab 1956 Parlamentsabgeordneter (was er bis 1983 bleiben sollte), 1959 wurde er Außenminister im neu gegründeten Außenministerium (bis dahin wurde die Außenpolitik direkt im Bundeskanzleramt koordiniert).

Kreisky entdeckt die Außenpolitik

In dieser Periode gestaltete Kreisky entscheidend die österreichische Außenpolitik mit. Österreich profitierte durch seine Neutralität als Vermittler zwischen den Blöcken (zum Beispiel 1964: Treffen Chruschtschow – Kennedy), Kreisky versuchte dabei, die Zweite Republik als entwicklungspolitischen Vorreiter in Europa zu positionieren. All das war aber gekoppelt mit einer klaren Westorientierung. Eine Anbindung an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft war allerdings damals noch durch die von den Garanten des Staatsvertrags strenger ausgelegte Neutralität versperrt.

Ein charakteristisches Kennzeichen der späteren Ära Kreisky ist bereits hier spürbar: Die Grundachsen der Politik stießen zwar auf Vorbehalte der besonders verstockten und reaktionären Teile der in hohem Grad provinziellen österreichischen Bourgeoisie. Sie waren aber letztlich im Interesse eines modernisierten österreichischen Kapitalismus, der in seiner Sonderrolle zwischen NATO und Warschauer Pakt eine Nische für lukrative Geschäfte finden konnte.

Nach der Wahlniederlage der SPÖ von 1966 spitzten sich die Gegensätze in der Partei rasch zu. Kreisky warnte vor einem Gang in die Opposition, um dem „Lagerdenken“ der Ersten Republik kein Einfallstor zu bieten. Trotz seiner Niederlage in dieser Frage konnte Kreisky am Parteitag 1967 den Parteivorsitz übernehmen – mit einer für SPÖ-Verhältnisse nicht gerade grandiosen Zustimmung von knapp 70 Prozent der Delegierten. Die Gegner/innen kamen vor allem vom traditionalistischen Flügel der Partei, der nach dem Abgang Pittermanns von Hans Czettel repräsentiert wurde, und auch vom Gewerkschaftsflügel um Anton Benya, der allerdings wenig später bereits von Kreisky ins Boot geholt wurde. Der Übergang des Parteivorsitzes an Kreisky bedeutete demnach einen weiteren Rechtsruck der SPÖ.

Die „Ära Kreisky“

Ab 1967 wurde unter dem neuen Parteivorsitzenden ein umfassendes Reformprogramm ausgearbeitet: Mit der Kampagne „Für ein modernes Österreich“ gelang es ihm, angeblich 1.400 Expert/inn/en mit ins Boot zu holen. Die Ziele wurden öffentlichkeitswirksam mit „Besser wohnen, besser leben, bessere Bildung, besseres Gesundheitswesen, bessere Justiz“ umschrieben. Bürgerlichen, die mit der reformresistenten ÖVP unzufrieden waren, Intellektuellen, die sich von der SPÖ eine „Durchflutung aller Lebensbereiche mit Demokratie“ erhofften, und SPÖ-Skeptiker/inne/n wurde angeboten, gemeinsam „ein Stück des Weges“ zu gehen. Damit sollte den antisozialistischen Ressentiments in weiten Teilen der österreichischen Gesellschaft begegnet werden, die sich die „Roten“ immer noch als verkappte klassenkämpferische Umstürzler/innen phantasierten.

Kreisky hatte eben gut verstanden, dass es der schwachen österreichischen Bourgeoisie nie gelungen war, in ihrer Geschichte eine stabile bürgerlich-liberale Partei herauszubilden. Mit seiner Politik versuchte Kreisky nicht ohne Erfolg, das Erbe des bürgerlichen Liberalismus für die Sozialdemokratie zu reklamieren und sich in diesem Segment, das einer stark von bäuerlichen Interessen dominierten ÖVP mit ihren klerikal-konservativen Wurzeln reserviert gegenüberstand, zu positionieren.

Kreisky kam bei dieser strategischen Orientierung auf die bürgerlichen Mittelschichten zweifellos auch der „Zeitgeist“ um und nach 1968 entgegen: Die Sozialdemokratie konnte sich einfach besser als moderne, reformorientierte Kraft verkaufen, die bereit und fähig war, mit ihrer sozial- und wirtschaftspolitischen Kompetenz die über ein Vierteljahrhundert verkrusteten innenpolitischen Strukturen aufzubrechen. Kreisky gewann daher auch die Wahlen von 1970 letztlich nicht mit einem sozialdemokratisch-reformistischen Programm, sondern mit einem Appell für eine Modernisierung, die nicht nur den Trend der Zeit widerspiegelte, sondern auch im Interesse einer modernisierten bürgerlichen Gesellschaft liegen musste.

Das war letztlich auch das Plus der Sozialdemokratie an der Regierung: Sie verstand es, einerseits die Arbeiter/innen ruhig zu halten und ihren Interessen ein Stück weit entgegenzukommen und andererseits den Bürgerlichen bis zur Industriellenvereinigung, aber auch weiten kleinbürgerlichen Schichten das Gefühl zu geben, dass deren Interessen von einer Sozialdemokratie an der Regierung gar nicht so schlecht bedient würden. So wird auch verständlich, dass 1971 die SPÖ mit dem Slogan „Lasst Kreisky und sein Team arbeiten“ die absolute Mehrheit einfuhr und bis 1983 absolut regieren konnte – mehr als die Hälfte der österreichischen Wähler/innen wollten mehr als ein Jahrzehnt eben wirklich der Einladung der SPÖ folgen und ein „Stück des Weges“ mit ihr gehen.

Kreisky war dabei in der Wahl derer, die gemeinsam mit ihm ein Stückchen wandern wollten, nicht gerade zimperlich. In der Minderheitsregierung von 1970 waren vier Minister mit NS-Vergangenheit vertreten: Innenminister Otto Rösch, Verkehrsminister Erwin Frühbauer, Bautenminister Josef Moser und Landwirtschaftsminister Hans Öllinger. Von der FPÖ, die allerdings damals eher eine kleine Honoratiorenpartei mit deutschnationalem Background darstellte und mit der heutigen rassistisch-populistischen FPÖ unter Strache nicht unbedingt zu vergleichen ist, wurde die SPÖ-Minderheitsregierung unterstützt – im Versprechen gegen ein moderneres Wahlrecht, das die kleinen Parteien nicht mehr so stark benachteiligte und nicht mehr so sehr auf die Bedürfnisse der Großparteien, vor allem der ÖVP, zugeschnitten war..

Reformpaket

Mit 1971 begann eine von Reformen geprägte Periode. Unter Justizminister Christian Broda, wie Kreisky ehemals im Widerstand gegen den Faschismus aktiv, wurde das Familien- und Strafrecht liberalisiert, mit der Fristenlösung gegen erbitterten Widerstand die Abtreibung in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft straffrei gestellt, Gesetze zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen wurden beschlossen und die Homosexualität wurde legalisiert (wenn auch homosexuelle Lebensgemeinschaften der Ehe von Mann und Frau nicht gleichgestellt wurden). Der Wehrdienst wurde von neun Monaten auf sechs Monate (plus zwei Monate Waffenübungen) geringfügig verkürzt – mit diesem Schachzug und dem Slogan „Sechs Monate sind genug“ konnten ganze Segmente von Jugendlichen für die Wahl der SP gewonnen werden – und schließlich wurde der Zivildienst eingeführt. Sozialleistungen für Arbeitnehmer/innen wurden ausgeweitet, die Geburtenbeihilfe erhöht und auch die Wochenarbeitszeit reduziert („40 Stunden sind genug“).

In der öffentlichen Wahrnehmung war es zu guten Teilen die Sozialpolitik, vor allem die „Vollbeschäftigungspolitik“, die das Bild der Regierung Kreisky nach außen bestimmte. Allerdings wurde die sozialpolitische Reformtätigkeit nach der „Ölkrise“ von 1973 und vor allem nach der darauf folgenden Rezession Mitte der 1970er Jahre merklich zurückgefahren. In den Vordergrund traten bei den Nationalratswahlen von 1975 bereits „Reformen, die nichts kosten“.

Trotzdem wurde der Eckstein der Sozialpolitik, die Politik der „Vollbeschäftigung“, so gut wie möglich weitergeführt und mit einem stetigen Anstieg der Staatsverschuldung erkauft. So stieg diese innerhalb kurzer Zeit von 15 auf 45 Prozent an – im Vergleich zu den heutigen 70 Prozent und den Maastricht-Kriterien, die eine Maximalverschuldung von 60 % festsetzten, immer noch ein moderater Wert. Diese Politik des „deficit spending“ wurde allerdings von der österreichischen Bourgeoisie nicht mehr einhellig mitgetragen, das Anfang der 1970er Jahre hohe Wirtschaftswachstum ging auch während des Jahrzehnts und vor allem ab 1979 zurück.

Ein zweites Element, das für die Aufrechterhaltung der hohen Wahlunterstützung eine nicht unwesentliche Rolle spielte, waren sicher auch die Bildungsreformen: Die Hochschulen wurden für breitere Schichten geöffnet und dem akademischen Mittelbau und den Student/inn/en in geringem Ausmaß Mitbestimmungsrechte gewährt. Mit der Schulbuchaktion, also der kostenlosen Abgabe von Schulbüchern, und der Schüler/innen/- und Student/inn/enfreifahrt wurde ein kleiner, aber doch nicht zu unterschätzender Beitrag zum Abbau von Bildungsbarrieren geleistet.

Keine dieser Reformen tastete auch nur im Geringsten die kapitalistischen Strukturen an, die große Mehrheit, vor allem auch die Bildungsreformen, waren sogar direkt im Interesse eines modernisierten Kapitalismus. Gerade ein Land mit einer niedrigen Akademiker/innen/quote und einem sozial stark gegliederten und undurchlässigen Bildungssystem brauchte einen Reformschub.

Was die Reformen der Ära Kreisky charakterisiert, ist wohl auch, dass sie letztlich zwar bestimmte Elemente des gesellschaftlichen Überbaus an die sich ändernde Basis anpasste, aber in ihren Auswirkungen sehr begrenzt blieben: So ist trotz vier Jahrzehnten Fristenlösung die Abtreibung zwar erlaubt, aber aufgrund des gesellschaftlichen Drucks in weiten Teilen Österreichs bis heute kaum möglich; trotz sozialdemokratischer Bundeskanzler in mehr als drei von vier Jahrzehnten seit 1970 ist von einem „Ende der Bildungsmisere“ Österreich heute wohl nicht weniger weit entfernt als in den 1970er Jahren. Die Frage von zweisprachigen Ortstafeln ist bis heute in Kärnten nicht gelöst – die Regierung Kreisky hatte nach dem von reaktionären deutschnationalen Kräften 1972 organisierten „Ortstafelsturm“ kapituliert, Kreisky wurde als „Saujud“ tituliert, SPÖ-Landeshauptmann Sima tätlich angegriffen, 1976 unter Bruch des Staatsvertrags als Konzession an deutschnationale Kräfte eine Minderheitenfeststellung organisiert.

Und auch die Sozialpolitik muss, selbst nach sozialdemokratischen Maßstäben, als letztlich wenig nachhaltig bilanziert werden: Signifikante Umverteilungen von oben nach unten fanden nicht statt, das „Reichtumsgefälle“ wurde nicht eingeebnet, der Anstieg der Einkommen der unteren Schichten war vor allem einer sich rasch ausdehnenden Wirtschaftsleistung geschuldet doch nicht einer aktiven Anstrengung der Sozialdemokratie. Der Slogan von „Mehr Gerechtigkeit“ reduzierte sich auf längere Sicht darauf, dass der Anstieg der Massenkaufkraft parallel laufen sollte zur weiteren Anhäufung des Reichtums – und selbst das konnten die SP-Alleinregierungen und SP-geführten Koalitionen nicht durchhalten. Wie aber sieht die Bilanz der außenpolitischen Initiativen der „Ära Kreisky“ aus?

Ein „mutiger und visionärer Außenpolitiker“

Unter Kreisky wurde eine Reihe von Initiativen im Nahen Osten gesetzt. Österreich nahm gute Beziehungen zu vielen arabischen Politikern auf – Anwar as-Sadat in Ägypten, Muammar al-Gaddafi in Libyen, Jassir Arafat und die PLO wurden hoffähig. Der Name Kreisky (und mit ihm der Österreichs) hatte in der arabischen Welt einen hervorragenden Klang, und es war wohl kein Zufall, dass ausgerechnet der damalige Handelsminister Josef Staribacher Kreisky konzedierte, sein Ruf komme dort „gleich nach dem Mohammeds“. Denn von den Nahost-Initiativen der Regierung profitierte die österreichische Wirtschaft enorm – Staatsbesuche und politische Delegationen wurden stets von beachtlichen Wirtschaftsdelegationen begleitet, die in aller Regel der Wirtschaft des blockfreien und neutralen Österreich lukrative Aufträge heimholen konnten. Ausfluss dieser Politik war auch, dass es der Regierung gelang, Wien mit seiner neuen UNO-City als UNO-Standort zu positionieren. Österreich ist mit dem „United Nations Office at Vienna“ (UNOV) nach New York (UN HQ) und Genf (UNOG) der dritte offizielle Amtssitz der Vereinten Nationen.

Demselben Ziel der Öffnung Österreichs diente letztlich auch der gemeinsam mit dem deutschen Bundeskanzler Willy Brandt und dem schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme geförderte „Nord-Süd-Dialog“ sowie die „aktive Neutralitätspolitik“ und die „aktive Friedens- und Entwicklungspolitik“ dieser Jahre. Österreichs Wirtschaft boomte nicht zuletzt aufgrund ihrer Sonderstellung: Einerseits war sie stark verflochten mit der westeuropäischen, vor allem der bundesdeutschen Ökonomie, andererseits aber eröffneten sich durch den Status der Neutralität immer wieder bedeutsame Möglichkeiten, die von Vermittlungsgeschäften zwischen West- und Osteuropa bis zu strategischen Investments in den boomenden Ölstaaten oder dem von der imperialistischen Welt weitgehend gemiedenen Libyen reichten.

Es zahlte sich einfach aus, präsent zu sein, während etwa den Ökonomien der NATO-Staaten die Hände weitgehend gebunden waren, weil sich die politischen Beziehungen zu Libyen wegen der Finanzierung des „palästinensischen Terrorismus“ durch Gaddafi immer weiter verschlechterten (1986 sollte die US-amerikanische Luftwaffe in der Operation „El Dorado Canyon“ schließlich Tripolis und Bengasi bombardieren).

Wenn bis heute Kreisky immer wieder persönlicher Mut für seine visionäre Nahost-Politik konzediert wird, so ist das wohl nicht der richtige Ansatz. Kreisky hatte zweifellos persönlichen Mut bewiesen – vor allem im illegalen Kampf gegen das verhasste austrofaschistische Regime. Aber die österreichische Außenpolitik der 1970er Jahre war nicht eine Frage des Mutes oder der Feigheit, schon gar nicht die eines einzelnen Mannes, sondern eingeordnet in eine Orientierung des österreichischen Imperialismus, der sich nach 1918 neu zu positionieren hatte und der den größtmöglichen Profit aus der offiziell gepflegten Neutralität zu ziehen trachtete.

Kreisky betrat gerade in der Außenpolitik weniger Neuland, als heute allgemein vermutet wird. Nachdem ein Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, die Vorläuferin der Europäischen Union) nicht in Frage kam und sich Österreich wohl oder übel in die weniger geschlossene EFTA integrieren musste, richtete sich Österreich schon bald nach dem Abzug der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1955 behaglich in der Nischenposition zwischen den Blöcken ein. Ausfluss dieser Bemühungen war zum Beispiel, dass die 1960 im irakischen Bagdad gegründete „Organisation erdölexportierender Länder“, die OPEC, schon 1965 nach Wien übersiedelte.

Innenpolitische Erfolge?

Zwiespältig bleibt die Bilanz aber gerade in der Innenpolitik. Einerseits gelang es der Sozialdemokratie, 1971, 1975 und 1979 den wahlpolitischen Erfolg von 1970 nicht nur zu wiederholen, sondern auch die absolute Mehrheit der Parlamentssitze zu erlangen.

Kreisky war für eineinhalb Jahrzehnte der unangefochtene Star der politischen Szene Österreichs. Gleich fünf ÖVP-Vorsitzende „verbrauchte“ Kreisky als politischen Konterpart. Souverän spielte er am Klavier der Medien, auch parteiintern waren durch die Wahlerfolge die Kritiker/innen kalt gestellt. Der „Sonnenkönig“ wurde von den Medien hofiert, und dieser wusste, was er ihnen zu geben hatte: Bonmots wie das legendäre „Lernen S‘ a bisserl Geschichte, Herr Reporter!“ wurden ebenso dankbar aufgenommen wie die Abkanzelung des ÖVP-Kontrahenten Josef Taus in der „Fernsehkonfrontation“ durch ein wohl kalkuliertes, lässig hingesagtes „Nicht mich schulmeistern!“

Unter Kreiskys Parteivorsitz erreichte die SPÖ 1978 mit mehr als 700.000 eingeschriebenen Mitgliedern den Höchststand aller Zeiten (heute sind es – bei weiter sinkender Tendenz – nur mehr knapp 300.000), gleichzeitig aber trockneten die Parteistrukturen weiter aus. Doch politisch entfernte sich die SPÖ in dieser Zeit immer mehr von ihren programmatischen Wurzeln. Mit dem neuen Parteiprogramm von 1978 wurden die rudimentären Reste des austromarxistischen Reformismus in der Programmatik weiter zurückgedrängt. Und unter Kreisky kam es zwar zur „Aussöhnung“ der SPÖ mit der Katholischen Kirche unter Kardinal Franz König und mit den Habsburgern, parteiinterne Kritiker/inne/n und Rivalen hatten allerdings kein leichtes Leben – der Konflikt mit „Kronprinz“ Hannes Androsch, von 1970 bis 1981 Finanzminister, zog sich über Jahre hin.

Vor allem aber gegenüber linken Strömungen blieb Kreisky hart: Mit der „Eisenstädter Erklärung“ von 1969 wurde ein klarer Trennungsstrich zur KPÖ gezogen – „Zwischen der SPÖ und den Kommunisten gibt es keine Brücken“. Eine Maßregelung von aufmüpfigen Partei- und Jugendorganisationen wurde damit leicht gemacht, wenn sie, was in breiteren Bewegungen wie auf den Hochschulen nahezu unumgänglich war, mit anderen linken Organisationen zusammenarbeiteten. Kreisky selbst war hier ebenfalls klar. „Solange ich regiere, wird rechts regiert“, ist ein bekanntes Zitat von ihm.

Nicht erfolgreich war Kreisky in einer Reihe von Konflikten – waren sie nun persönlich und/oder politisch motiviert: Bis zu seinem Tode dauerte die Feindschaft mit dem Leiter des „Dokumentationszentrum des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes“ in Wien, Simon Wiesenthal. Auslöser war die sogenannte Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre, in der es vordergründig um die Angehörigkeit des Parteivorsitzenden der damaligen FPÖ, Friedrich Peter, zu einer der brutalsten SS-Morddivisionen ging, im Hintergrund aber um den

Umgang Österreichs mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit. Kreisky stellte sich mit dem Hinweis, es gehe nicht um die Mitgliedschaft, sondern es müsse ein Beweis für die persönliche Schuld Peters erbracht werden, auf die Seite des FPÖ-Obmannes – letztlich ging es aber darum, dass Kreisky die Unterstützung durch die FPÖ über die Entnazifizierung stellte. Kreisky, der nun seinerseits Wiesenthal als Nazi-Häftling der Kollaboration verdächtigte, wurde wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe von 270.000 Schilling verurteilt.

Atomkraft, Monsterprojekte und Sparpakete

Es gelang Kreisky auch nicht, eine Reihe von Prestigeprojekten und Infrastrukturmaßnahmen durchzusetzen. Nach dem Energieplan von 1976 war der Bau von drei Atomkraftwerken vorgesehen – Zwentendorf, St. Pantaleon (an der Grenze von Nieder- und Oberösterreich) und St. Andrä (in Kärnten). Die Inbetriebnahme des nahezu fertig gestellten Kernkraftwerkes Zwentendorf war politisch nicht mehr umzusetzen, die Abhaltung einer Volksabstimmung am 5. November 1978 eine Notlösung. Mit einer knappen Mehrheit von 50,47 % wurde die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf abgelehnt. Kreisky selbst hatte das Votum stark an seine eigene Person gebunden, da er erklärt hatte, im Falle eines Nein zurückzutreten (was er dann nicht umsetzte). Das war bereits ein Indiz für die beginnende Zersetzung der Ära Kreisky.

Als 1982 die ÖVP ein Volksbegehren gegen das Konferenzzentrum in der Wiener UNO-City initiierte und dafür stolze 1,36 Millionen Unterschriften sammeln konnte, musste dies bereits als Votum gegen Kreisky interpretiert werden, was für die Nationalratswahlen im darauf folgenden Jahr nichts Gutes erwarten ließ. Der Bau wurde trotz dieser Widerstände durchgezogen aber die absolute Mehrheit ging 1983 verloren.

Entscheidender als der Bau des Konferenzzentrums war aber sicher das so genannte „Mallorca-Paket“, benannt nach Kreiskys zweitem Wohnsitz. Das Mallorca-Paket war der Vorbote der großen Sparpakete der 1990er Jahre, es beinhaltete die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 18 auf 20 Prozent sowie die Einführung der KFZ-Steuer und der Zinsertragsteuer für Sparbücher. Alle diese Steuern – auch die Zinsertragsteuer – waren Massensteuern, die gerade die sozialdemokratische Basis hart trafen. In Folge des Unmuts, die dieses Sparpaket hervorrief, kam die SPÖ bei den Wahlen im April 1983 nur mehr auf 47,6 Prozent der Stimmen – Kreisky trat zurück und übergab Amt und Regierungsgeschäfte an seinen Nachfolger Fred Sinowatz.

Kreisky zog sich nun auch aus dem politischen Tagesgeschäft zurück, Konflikte mit der SPÖ-Führung folgten. Sie erreichten ihren Höhepunkt mit der Zurücklegung des Ehrenvorsitzes, als die SPÖ 1987 der ÖVP das Außenministerium überließ. Am 29. Juli 1990 starb der gesundheitlich schwer gezeichnete Bruno Kreisky.

Das Erbe Kreiskys

Wird Kreisky mit den farblosen Bürokrat/inn/en der jetzigen SP-Führungsriege um Werner Faymann verglichen, so sticht der Unterschied ins Auge. Kreisky war ein brillanter Rhetoriker, der seine Kontrahent/inn/en jedes Mal alt aussehen ließ. Und er war ein markanter Politiker, der trotz großbürgerlicher Herkunft seine „Volksnähe“ zelebrierte. So sorgte er dafür, was für gutes Marketing spricht, dass alle wussten, dass seine Telefonnummer im öffentlichen Telefonbuch stand und von vielen „einfachen Menschen von der Straße“ auch genutzt wurde.

Kreisky repräsentiert aber auch eine Tradition der österreichischen Sozialdemokratie, die proletarischer Klassenpolitik fremd gegenübersteht und die mit Haut und Haaren mit dem bürgerlichen Staat verwachsen ist. Die Spielregeln der bürgerlichen Demokratie sollten erneuert, die österreichische Gesellschaft modernisiert werden. Es gibt kein Element im Handeln des Partei- und Regierungschefs Kreisky, das über den engen Rahmen der bürgerlichen Demokratie und der kapitalistischen Gesellschaft hinausgewiesen hätte.

Die Wahlsiege der SPÖ zeigen im Übrigen auch die Hohlheit der austromarxistischen Maxime, dass der Aufbau des Sozialismus eine Frage von Erfolgen an der Wahlurne sei. Otto Bauer hatte in der Zwischenkriegszeit noch vollmundig getönt, dass 50 Prozent und eine Stimme genügen würden, um in Österreich auf friedlichem Wege den Sozialismus einzuführen – sollte sich gegen dieses eindeutige Votum des Wahlvolkes die Bourgeoisie wehren, dann – aber dann ganz bestimmt – werde man sie in ihre Schranken weisen, bis dahin müssten sich die Arbeitenden eben in Geduld üben. Die SPÖ hatte unter Kreisky diese Marke von 50 Prozent in drei Wahlen übertroffen, aber der Aufbau des Sozialismus war natürlich kein Thema…

Sozialdemokratische Loblieder

Der Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, Wolfgang Moitzi, kann daher nur auf das kurze Gedächtnis spekulieren, wenn er 2011 die Ära Kreisky als Epoche sieht, „in der man unglaublichen Gestaltungswillen in der Politik erkannt hat“ und insgesamt Loblieder auf diese Politik singt. Denn laut Moitzi ist „Politik (…) dazu da, etwas zu verbessern, zu gestalten“ (Kurier, 9.1.2011). Abgesehen davon, dass Politik in dieser Allgemeinheit eben gerade nicht dazu da ist, „etwas zu verbessern“ und „zu gestalten“, blieb von diesem „Gestaltungswillen“ all das unbeeinflusst, was die bürgerliche Gesellschaft und die kapitalistische Ökonomie und deren Spielregeln wirklich verändert hätte: In Österreich blieb die gesellschaftliche Gliederung stabil.

Die Machtteilung zwischen Sozialdemokratie und Volkspartei, der Proporz in der Postenbesetzung, wurde eben genau nicht geändert, sondern nur etwas modernisiert und in Teilbereichen auch für Nicht-Parteimitglieder geöffnet. Der „Klassenkampf am grünen Tisch“, die „Sozialpartnerschaft“, wurde weitergeführt: Die Knebelung der Arbeiter/innen/klasse durch bürgerliche Ideologie und sozialpartnerschaftliche Konsenssuche wurde sogar noch perfektioniert: Die Klassenauseinandersetzungen sollten Rudolf Sallinger, Präsident der Wirtschaftskammer, und ÖGB-Präsident Anton Benya übertragen werden, die „Benya-Formel“ (mit der Lohnerhöhung strikt an Inflations- und Produktivitätserhöhung ausgerichtet wurden) als Richtschnur der Lohnfindung dienen… Ingesamt versucht Moitzi, der heutigen SP die Ära Kreisky als leuchtendes Vorbild entgegenzustellen. Kein Ruhmesblatt für eine SJÖ, die sich auf den Marxismus bezieht.

Die Ära Kreisky brachte den längst fälligen Modernisierungsschub für die österreichische Gesellschaft. Das war gar nicht wenig für ein in einer bürgerlichen Proporzdemokratie erstarrtes Österreich. Und auch Bundespräsident Heinz Fischer hat recht, wenn er im Rückblick auf die Kreisky-Jahre 1967-1983 behauptete, das Österreich von 1983 war „moderner, weltoffener, sozialer, wohlhabender und pluralistischer als das Österreich des Jahres 1970“. Aber an sozialistische Politik kann und muss ein höherer Anspruch gestellt werden: Natürlich sind Weltoffenheit oder Modernität auch Ziele einer sozialistischen Bewegung.

Aber ist Österreich mit der Ära Kreisky dem übergeordneten Ziel einer sozialistischen Umwälzung näher gerückt? Hat uns die Ära Kreisky dem Ende einer ungerechten kapitalistischen Gesellschaft näher gebracht? Waren das überhaupt Ziele der SPÖ-Alleinregierung? Die Antwort auf alle diese Fragen ist wohl ein klares Nein. Und deshalb fällt aus sozialistischer Sicht die Bilanz der Regierung Kreisky genauso negativ aus, wie wir es von einer bürgerlichen Arbeiter/innen/partei an der Regierung erwarten mussten.