Deutschland in der Krise, Teil 3: Auߟenpolitik

Mit deutlichen Schritten versucht die deutsche Bourgeoisie ihre Stellung in der Welt zu verbessern. Kann sie die Krise nutzen, um sich ein größeres Stück vom Kuchen zu sichern?

Viele JournalistInnen waren überrascht, als sich mit der mehr und mehr verschärfenden Wirtschaftskrise – und ganz besonders mit dem Ausbruch der europäischen Schuldenkrise – der deutsche Staat deutlich dominant gerierte. In unzähligen Artikeln und Kommentaren herrschte Verwunderung oder gar Entsetzen darüber, dass die Bundesrepublik, die vormals immer als Verfechterin des europäischen Einigungsprozesses galt, ihre Interessen so rigoros durchsetzte.

Die mit der Bundestagswahl 2009 an die Regierung gelangten CDU/CSU-FDP stehen für eine Forcierung deutscher Großmachtspolitik, für die Krise des Euro im Frühjahr 2010 neue Gelegenheit bot. Die Ziele und Wünsche der konservative Regierung repräsentieren dabei sicherlich die Mehrheit der deutschen Bourgeoisie und durchaus auch eine Kontinuität zu der auch von der SPD verfolgten Linie. Tatsächlich scheint zumindest außenpolitisch mehr oder wenige große Einigkeit über die Richtung zu herrschen, in die die BRD gehen soll.

Diese steht in Tradition mit deutschen Großmachtambitionen und Herrschaftsvorstellungen, die schon seit der Gründung des deutschen Reiches existieren. Zwar haben historische Vergleiche immer den Nachteil der Ungenauigkeit, gleichzeitig lassen sie Rückschlüsse über die politische und ideologische Tradition der deutschen herrschenden Klasse.

Traditionen des deutschen Imperialismus

Schon die Einigung Deutschlands unter Preußen entstand aus dem politischen Kalkül der aufstrebenden deutschen Bourgeoisie: Die war sich der Tatsache bewusst, dass ihre Existenz im sich entwickelnden europäischen Kapitalismus längst nicht gesichert war und die Größe der deutschen Kleinstaaten die Entwicklung des Kapitalismus stark behinderte. Bismarck war sein Leben lang stolzer Preuße – und kein Deutscher. Nichtsdestotrotz drängte er auf einen kleindeutschen Einigungsprozess, um einerseits Preußens Stellung und Existenz zu sichern, den größten Konkurrenten Preußens, Österreich, auszuschalten, aber vor allem den Kapitalismus durch einen Binnenmarkt ohne Zollgrenzen eine freie Entwicklung zu ermöglichen. Der deutsch-französische Krieg bot dafür die perfekte Vorlage und schuf so das Deutsche Reich unter preußischer Vormachtstellung. Und trotz Bismarcks sozialer Herkunft aus dem Junkertum war es diese Politik, die die bürgerliche Revolution von 1848 von oben vollendete und dem deutschen Bürgertum die Macht im deutschen Staat sicherte.

Genau dieses Reich setzte in den Jahren unter Bismarck, der sich selbst als „ehrlichen Makler“ bezeichnete, auf Ausgleich zwischen den Mächten (vor allem die so genannte „Rückversicherungspolitik“ gegenüber Russland), um sich einerseits unverzichtbar zu machen und andererseits nicht in einem Zweifrontenkrieg zerrieben zu werden. Diese Politik konnte sich in der (klein-)deutschen Bourgeoisie allerdings mit der Zeit nicht mehr durchsetzen und mit dem Heraufbrechen des Imperialismus verließ Bismarck 1890 frustriert seinen Posten. Die Folgejahre waren mehr und mehr von deutschen Großmachtansprüchen und innerimperialistischen Konflikten geprägt, die schließlich im Ersten Weltkrieg mündeten. Er ist Ausdruck der Krise, die den Kapitalismus erfasste, die dazu führte, dass der deutschen Bourgeoisie Deutschland längst nicht mehr groß genug war, sondern ein Europa unter Deutschland her sollte, um sich weltweite Macht und Profite zu sichern.

Der Krieg scheiterte – unter anderem daran, dass die Ausgleichspolitik der Jahre zuvor aufgegeben wurde und der Zweifrontenkrieg Deutschland beinahe zerstörte. Die Herrschenden hätten sich glücklich schätzen können, dass die russische Revolution ihren Ostgegner lahmlegte – doch einerseits gab es die berechtigte Angst vor einer Ausbreitung der Revolution und andererseits hoffte man natürlich dem stark geschwächten Gegner noch ordentliche Konzessionen abzugewinnen. Schlussendlich konnte der Erste Weltkrieg die innerimperialistischen Widersprüche allerdings nicht lösen und es bedurfte den Aufstieg des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg, massiv gestützt von und im Interesse der herrschenden Klasse.

Erneut wäre es der Feind im Osten – diesmal die Sowjetunion – gewesen, der Deutschland beinahe hinweggefegt hatte. Und erneut konnten sich die deutschen Herrschenden glücklich schätzen, der Unterstützung ihrer ehemaligen Feinde (USA, England, Frankreich) sicher zu sein. Zwar hatte man bereits den Morgenthau-Plan in der Schublade, der vorsah den deutschen Imperialismus wieder in unwichtige Agrarländer zu zerlegen – also den Zustand vor dem Deutschen Reich. Doch die Angst vor dem „Kommunismus“ (selbst in der karrikaturhaften Form des Stalinismus) war weit größer als vor dem erneuten Aufstieg deutscher Großmachtambitionen.

Der Kalte Krieg konnte durch die Blockkonfrontationen die Herausbildung eigenständiger deutscher Interessen verhindern, verstärkt durch die Regeln, die dem (west-) deutschen Kapitalismus auferlegt wurden. Doch mit der Wiedervereinigung, die auch Nationalgefühlen neuen Aufstieg verlieh, war der Weg mehr und mehr frei für eigenständige deutsche Interessen. Letzte Schritte in diese Richtung waren die entscheidenden Siege über die deutsche ArbeiterInnenbewegung bis 2005, verbunden mit massiven Umstrukturierungen, und der durch die WM 2006 gestützte Aufschwung des Patriotismus – man war (und ist) wieder wer. Damit verbunden waren eine Demoralisierung der ArbeiterInnenklasse und ihre Integration in die Standortlogik.

Machtkampf in Europa

Diese historische Entwicklung macht von vornherein viele Interessen, Wünsche und Handlungsweisen des deutschen Kapitals deutlich. Allein die geographische Lage – aber auch die eigenständige wirtschaftliche Kraft – zwingt die deutschen Herrschenden dazu, sich im Zeitalter des globalisierten Kapitalismus, mit einer europäischen Einigung auseinanderzusetzen. Hatte man 1914 und 1939 noch versucht, diese durch Krieg zu erzwingen und damit die deutsche Vorherrschaft in Europa zu erobern und zu sichern, so war diese Möglichkeit spätestens 1945 ausgeschlossen. Zu groß war die Bedrohung durch die Sowjetunion und die Abhängigkeit von den USA. Auch die militärische Macht fehlte – von den ideologischen Kosten, die kaum abzuschätzen waren, einmal abgesehen. Es musste also ein „friedlicher“ Weg her, den mehr und mehr die EU repräsentierte.

Mit der Umstrukturierung der deutschen Wirtschaft (siehe Teil 1), der Einführung des Euro und der damit verbundenen Schaffung eines europäischen Binnenmarktes, konnte sich die deutsche Wirtschaft mehr und mehr bereichern. Tatsächlich hat der Prozess des deutschen Egoismus, den viele bürgerliche JournalistInnen nun kritisieren, bereits weit früher angefangen. Die weithin bekannte Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom Export (um die 40%) und die Ignoranz des Binnenmarktes führten – und führen – dazu, dass die BRD vom Projekt der EU mehr profitiert als alle anderen Staaten. Die vor kurzem verkündeten hohen Wachstumszahlen sollten nicht blind machen: Eine neue Wachstumsdynamik besteht nicht. Aber sie zeigen deutlich, dass sich die BRD auf Kosten der anderen europäischen Staaten gesund wirtschaften will.

Die Herrschenden können also je nach Notwendigkeit den Lebensstandard der deutschen ArbeiterInnenklasse zerlegen und staatliche Ausgaben kürzen, ist das doch für die Profite deutscher Unternehmen längst nicht so relevant. Dies provoziert natürlich Widerstand von Ländern, in denen sich ein massives Defizit herausgebildet hat und sich daher einen stärkeren deutschen Binnenmarkt wünschen – unter anderem die zweite Hälfte des vor einigen Jahren noch so hoch gelobten Zwillingsgestirns Berlin-Paris. Immer wieder kam Kritik von südeuropäischen Ländern, teilweise unter Beteiligung von Frankreich, dass die Binnennachfrage in Deutschland angekurbelt werden solle, um den europäischen Zusammenhalt zu verstärken.

So sehr die deutsche Bourgeoisie ihre Interessen gegenüber Ländern der EU-Peripherie durchzusetzen bereit ist, so sehr ist der Ausgleich und die Kooperation mit Frankreich für sie essentiell. Der deutsche Imperialismus braucht die EU als ökonomisches, politisches und militärisches Projekt, um global eine relevante Rolle spielen zu können. In der Realität betreibt Deutschland die Herausbildung eines Europas der konzentrischen Kreise, Das bedeutet im Zentrum ein Kerneuropa mit größerer Vereinheitlichung, darum herum die restliche EU und noch weiter außen die an die EU angedockten „Partner“ und Einflusszonen. Ein solches, ökonomisch von Deutschland dominiertes Europa muss außerdem logisch ein Bündnis mit Russland anstreben, um einen von den USA unabhängigen Rohstoff- und insbesondere Energiezugang zu haben; eine Politik, für die der deutsche Ex-Kanzler Schröder seit langem steht und die von Merkel im Wesentlichen fortgesetzt wird.

Für das angesprochene Kerneuropa in Frage kommen neben Deutschland natürlich die Benelux-Länder, Österreich und einige andere, vor allem aber Frankreich, denn ohne die deutsch-französische Achse wäre das gesamte Projekt zum Scheitern verurteilt. Dementsprechend lässt sich die deutsche Bourgeoisie das politische Bündnis mit Frankreich und das militärische Gewicht der französischen Streitkräfte auch ökonomische immer wieder etwas kosten. Welche Rolle die deutsch-französische Kooperation in der EU weiterhin spielt, zeigte die gemeinsame Initiative von Merkel und Sarkozy beim EU-Gipfel im Oktober 2010.

Ein Europa der konzentrischen Kreise birgt natürlich auch Konfliktpotential. Das derzeit deutlich größere Wachstum der deutschen Wirtschaft geht natürlich auf Kosten anderer europäischer Länder und hilft der BRD ihre Politik tatsächlich auch durchsetzen zu können. Dementsprechend wehren sich Länder der EU-Peripherie gegen eine Kerneuropa-Projekt, dagegen, dass ihr Einfluss, ihre Mitsprache und ihre Chance reduziert werden, ihre wirtschaftlichen Probleme auf Kosten der finanziell besser ausgestatteten Länder zumindest abzuschwächen.

Die BRD versucht im Gegenzug, die Bourgeoisien der EU-Peripherie politisch zu unterwerfen und der europäischen Politik den eigenen Stempel aufzudrücken. Dies gilt nicht nur für die Haushaltsplanung, wo Deutschland für Finanzkontrolle eintritt – aus Angst, am Ende selbst die Kosten tragen zu müssen. Auch deshalb versucht sich Merkel mehr und mehr in die Haushalte anderer europäischer Länder einzumischen. Natürlich geschieht dies über die Ebene der EU, praktisch ist es aber der wirtschaftliche Druck, den die BRD mit der Drohung von Nicht-Unterstützung ausüben kann, der politisch bestimmend ist.

Orientierung Richtung Osten?

Aber auch in anderen Fragen versuchen die Herrschenden in Deutschland, angeführt von der angeblichen „Mutter der Nation“ Merkel, sich durchzusetzen, am prominentesten in der Energiepolitik. Dabei drängen deutsche Think Tanks immer wieder auf die Entwicklung eines gesamteuropäischen Energiemarktes und die Entwicklung einer gesamteuropäischen Energiepolitik. Dass dabei natürlich vor allem von Osteuropa beziehungsweise Russland, der Nabucco-Pipeline durch die Nahost-Region (und damit die Türkei) und ähnlichen Projekten gesprochen wird, ist kein Zufall. Denn die BRD erhält so gut wie keine Energierohstoffe aus Afrika (zum Beispiel Marokko), wie das Frankreich tut, und interessiert sich daher herzlich wenig dafür. Im Gegenteil hat für die BRD die Weiterentwicklung der Beziehungen zu Russland hohe Priorität.

Tatsächlich geht es der BRD aber um noch weit mehr. Dies fängt bei der „östlichen Partnerschaft“ an, ein Projekt um strategisch wichtige Länder Osteuropas an die EU heranzuführen, diese politisch und wirtschaftlich zu fördern. Diese sind nicht nur strategisch wichtig, wie zum Beispiel die Ukraine für die Energiepolitik, sondern gerade Osteuropa bildet für den deutschen Imperialismus ein Reservoir billiger Arbeitskräfte und steht zum Teil in halb-kolonialer Abhängigkeit zu Deutschland. Allein in die Ukraine belaufen sich die ausländischen Direktinvestitionen (ADI) aus Deutschland auf 6,6 Milliarden US-Dollar. Aserbaidschan wiederum ist der sechst wichtigste Öllieferant für Deutschland.

Mit Russland konnten große Spannungen diesbezüglich bisher vermieden werden. Im Gegenteil ist man in Deutschland weiterhin um Nähe zur Russischen Föderation bemüht. Deutschland ist Nummer Eins, sagte der Präsident Dmitri Medwedew laut  „Jungle World“ bei Treffen der deutschen und russischen Regierungen im Juli in Jekaterinburg. Russland wünscht sich Modernisierung, um im imperialistischen Machtgefüge nicht abgehängt zu werden. Die BRD ist an mehreren Dingen interessiert. Vor allem geht es natürlich um Öl und Gas. Die Energiefrage wird auch für die weltweite Bourgeoisie immer mehr politisch brisant. Gute Beziehungen Richtung Osten sind daher unerlässlich – auch und gerade, um nicht von US-kontrollierten Öltanker-Routen abhängig zu sein.. Da können keine Krisen bezüglich der östlichen Partnerschaft riskiert werden. So möchte man Russland zu ausgewählten Projekten einbinden, um auch russische Interessen zu wahren.

Natürlich geht es aber auch um Exportsteigerungen, die Deutschland für seine europäische Vormachtstellung benötigt – und die selbstverständlich der kapitalistische Selbstzweck sind, um größere Profite einzufahren und daraufhin noch mehr exportieren zu können. Und so weiter. Bei dieser Entwicklung geht es allerdings nicht nur um Russland. Auch die Türkei ist im Fokus der Herrschenden. Immer wieder werden Debatten angestoßen, wie und ob man die Türkei in die EU integrieren will. Die Positionen reichen dabei von einer Aufnahme bis zu klarer Ablehnung. Klar ist aber, dass mit der ständigen Krisensituation im Nahen Osten, dem Rechtsruck Israels  und dem möglichen Aufstieg des Irans, die Rolle der Türkei deutlich gestärkt wurde. So sieht sich die Türkei als Tor Richtung „Abendland“, als Verbindungsglied zwischen westlicher und islamischer Welt.

Die Türkei kann dabei  für sich in Anspruch nehmen, eine bürgerliche Demokratie zu sein, die zumindest versucht die Rolle des Militärs im Staat zu schwächen. Damit orientiert sie sich Richtung Westen und wird mehr zu einem verlässlichen Partner, der Einfluss auf kleinere Staaten der arabischen Welt nehmen kann. Von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem Wunsch einer „Energiedrehscheibe Türkei“ einmal abgesehen – so soll die Nabucco Pipeline ja durch die Türkei laufen – hat die Türkei also auch politische Bedeutung. Den deutschen Herrschenden ist durchaus bewusst, dass die ständige Unruhe für die Energieversorgung von Nachteil ist und das Ansehen, dass die Türkei in der islamischen Welt genießt, kann zu einer stärkeren Kontrolle dieser Region durch die EU führen. Es geht also sowohl um die Versorgung mit Öl und Gas aus der kaspischen Region über die Türkei als auch um politische Entscheidungsgewalt im Nahen und Mittleren Osten.

Die Orientierung Richtung Osten geht aber weit über unmittelbare europäische Nachbarländer hinaus. Wie der Besuch der Kanzlerin in Russland und China gezeigt hat, liegt auch die Volksrepublik (VR) im Blickfeld deutscher Profitinteressen. Der asiatische Markt ist dabei für die BRD sogar noch wichtiger als Russland. So hat die EU am 15. Oktober das wichtigste Freihandelsabkommen abgeschlossen, das je mit einem Drittland unterzeichnet wurde: mit Südkorea. Südkorea ist der drittwichtigste Absatzmarkt der BRD in Asien, nach China und Japan – und vor Indien. Noch wichtiger ist aber zweifelsohne die VR. Die Delegation der Kanzlerin begleiteten Bosse von Daimler Benz, Siemens, BASF und Volkswagen.

Deutschland ist für China der deutlich wichtigste Handelspartner in der EU. 36 Milliarden Euro betrugen die Exporte der Bundesrepublik nach China 2009, die Importe 55 Milliarden. Im Vergleich mit der VR fiel der Export nach Russland um 30%. Die deutschen Exporte nach China sind in den ersten Monaten des Jahres 2010 um stattliche 50% gewachsen – und auch nach Russland um immerhin 25%.

In der Entwicklung nach Osten scheint sich das deutsche Kapital recht einig zu sein. Investitionen sollen verstärkt, Handelsbeziehungen aufgebaut werden und auch die politischen Beziehungen enger werden. Gerade weil auch die VR von Seiten der USA Aufforderungen erhält, den Binnenmarkt anzukurbeln, sehen sich die Bundesrepublik und die Volksrepublik mit derselben politischen Kritik konfrontiert. Solche Kontroversen zeigen lediglich, dass die USA Einflussbereiche verteidigen, während die BRD versucht die ihren auszuweiten. Die jeweiligen Mittel sind der jeweiligen Situation und den entsprechenden Möglichkeiten angepasst.

Imperialismus & Militär

Angesichts der Gefahr, dass der europäische und weltweite Kapitalismus erneut in die Krise rutscht, stellt sich für die BRD als imperialistische Macht mit Herrschaftsambitionen innerhalb der EU auch die Frage militärischer Interventionen. Erst vor kurzem wurde die deutliche Reduktion (inklusiver einer faktischen Aussetzung der Wehrpflicht) der Bundeswehr beschlossen, mit dem Ziel sie in eine reine Interventionsarmee zu verwandeln.

Dabei endet es jedoch nicht. Schon seit einigen Jahren fordern diverse politische Kräfte in der BRD die Formierung einer gesamteuropäischen Armee oder zumindest einer europäischen Mischung aus Polizei und Militär – einer europäischen Gendarmerie.

Die Idee beruht auf den Erfahrungen, die die BRD durch das Verbot des Militäreinsatzes im Inneren gemacht hat. So wurde beispielsweise der „Bundesgrenzschutz“ (BGS) in den 1950er Jahren explizit mit dem Ziel aufgebaut inneren Widerstand zu brechen – beispielsweise Generalstreiks in der Industrie. Der BGS wurde 2005 von rot-grün in Bundespolizei umbenannt, auch wenn damit keine Aufgabenerweiterung verbunden war. Aber schon zuvor war die Bundespolizei zur Unterstützung und Bekämpfung politischer Bedrohungen von Innen da, mit denen die Länderpolizeien nicht mehr fertig werden. Sie sind also weniger für die alltägliche Polizeirepression zuständig, sondern bekämpfen Bedrohungen für den bürgerlichen Staat aus dem Inneren.

Diese Polizei wahrt natürlich viel mehr als das Militär – auf Grund von Ausstattung, Ausbildung (und Akzeptanz der Polizei durch die Bevölkerung aufgrund täglichen Kontakts) – den Schein der bürgerlichen Demokratie, während ein offener Militäreinsatz das Zugeständnis beinhaltet, dass der Staat sich de facto im Bürgerkrieg befindet – also Krieg nach Innen führt.

Dabei geht es der deutschen herrschenden Klasse nicht nur um mögliche Bedrohungen innerhalb Deutschlands, sondern auch um Klassenkämpfe in anderen europäischen Ländern, für die man auch die gesetzliche und politische Legitimation erhalte möchte, dort zu intervenieren – beispielsweise in Griechenland oder Spanien.

Die europäische Armee geht natürlich weiter und ist vor allem auf die Intervention außerhalb der EU ausgerichtet. Sie soll dann Krieg für europäische, unter anderem deutsche, Interessen führen. Deutschland möchte sich die Kontrolle sichern, überall dort zu intervenieren, wo es seiner Bourgeoisie notwendig erscheint. Dabei will sie aber natürlich nicht alle Kosten tragen, sondern diese teilweise auf andere europäische Länder auslagern. Ein erster Schritt ist zumindest die Transformation der Bundeswehr zu einer kleinen Freiwilligenarmee mit Interventionscharakter. Auch wird überlegt, gemeinsame Militärprojekte zu entwickeln, die gegenseitige militärische Abhängigkeiten stärken (wie gemeinsame Flugzeugträger). Auch eine verstärkte Koordination von EU-Kräften und NATO-Kräften wird teilweise gewünscht.

Erste Schritte in die Richtung wurden bereits getan. Dazu gehört unter anderem auch die Zentralisierung der Entscheidungsgewalt der Bundeswehr auf den Generalinspekteur der Bundeswehr, den höchstrangigen Soldaten der Armee. Es ist noch nicht ersichtlich, aber durchaus im Rahmen des Möglichen, dass der Armee weitere Befugnisse gegeben werden und damit die Kontrollmöglichkeiten für das Parlament noch weiter beschränkt. Doch solange nicht eine breite Antikriegsbewegung und eine kämpferische ArbeiterInnenbewegung mit Massenmobilisierungen bis hin zu Streiks und Blockaden dem einen Strich durch die Rechnung macht, werden ohnehin die militärischen Interessen der BRD in den allermeisten Fällen durchgesetzt. Stärkere Entscheidungsgewalt des Generalinspekteurs über die Truppen würde zweifelsohne die Rolle des Militärs im Staat bestärken und die Parlamentskontrolle reduzieren – ein Rückschritt selbst in der bürgerlichen Demokratie.

Deutschland auf dem Vormarsch

Die Krise zwingt den deutschen  Imperialismus seine Interessen durch eine härtere Gangart durchzusetzen – gibt ihm aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Stärke allerdings auch bessere Möglichkeiten seine Dominanz auszubauen.. Wie in der Geschichte bleiben auch weiterhin die Beziehungen nach Osten von entscheidender Bedeutung, wenn auch durch die Entwicklung der VR diese an Wichtigkeit enorm zugenommen hat. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass die EU immer noch der wichtigste Exportraum des deutschen Imperialismus ist – und vor allem die Ausgangsbasis für eine globale Politik des deutschen Imperialismus.

Die politischen Entscheidungen, die derzeit getroffen werden, haben daher enorme Bedeutung für die Chancen der BRD sich international durchzusetzen. Ist das deutsche Kapital erfolgreich, könnte es massiv gestärkt aus der Krise hervorgehen. Scheitert es, ist fraglich, ob die EU im internationalen Mächtespiel weiter mithalten kann und sich nicht in inneren Kämpfen zerfrisst.

Trotz der vorrangigen Bedeutung der EU, genauer gesagt: eines Europa der konzentrischen Kreise, bleiben Osteuropa, Russland und Asien wichtige Märkte, auf denen Deutschland deutlich dominanter ist als andere starke Länder der EU. Diese Konstellation hilft der BRD ihre politischen Muskeln spielen zu lassen – denn China wird auch in den kommenden Jahren weiterhin enorm bedeutend bleiben und vermutlich in seiner Bedeutung noch steigen. Die Rückständigkeit und die Krise, die die Mittelmeerländer erfasst hat, schadet natürlich auch Frankreich, dem größten Konkurrenten der BRD innerhalb der EU.

Es ist noch lange nicht ausgemacht, dass den Kurs, den der deutsche Imperialismus eingeschlagen hat – sich zum absolut dominanten Faktor der EU-Politik aufzuschwingen – zum Scheitern verurteilt ist. Dies ist zwar eine realistische Möglichkeit, insbesondere wenn ein erneuter Ausbruch der Krise besonders Deutschland hart trifft, aufgrund der Exportabhängigkeit oder dem finanziellen Ausgleich der schwachen Länder. Möglicherweise hat sich Deutschland dann allerdings schon durchgesetzt und sein ambitioniertes Machtprojekt verfestigen können. Derzeit kann das Kapital noch hoffen.

Keine Fraktion der Herrschenden widerspricht dem außenpolitischen Kurs vehement, vor allem da beispielsweise die Warnungen und Aufforderungen des Ex-Kanzlers Schröder, sich verstärkt um Russland und China zu kümmern, offensichtlich ernst genommen werden. Die Entwicklungen innerhalb der BRD, in anderen europäischen Ländern – insbesondere in Bezug auf den Klassenkampf, werden die Erfolge Deutschlands maßgeblich mitbestimmen. Versinkt die EU erneut in der Krise, kann das sowohl zu Friktionen und Konflikten führen als auch eine Restrukturierung der EU beschleunigen

 

Zum Weiterlesen:

 Deutschland in der Krise, Teil 2: Klassenkampfsituation

 Deutschland in der Krise, Teil 1: Ökonomische Lage