Projekt der Herrschenden: Stuttgart 21

Hundertausende Menschen waren bereits auf der Straße, um gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 zu protestieren. Was versprechen sich die Herrschenden von S 21 und was steckt hinter den Protesten?

Neuer Bahnhof, neue Streckenführung, neue Stadtviertel und ein neues Einkaufszentrum. Ziel des Milliardenprojekts S 21 ist die Umgestaltung des Stuttgarter Stadtkerns. Pläne für das Projekt, aus dem bisherigen Kopfbahnhof einen unterirdischen Durchgangsbahnhof entstehen zu lassen, existierten bereits 1901, wurden damals jedoch aus bautechnischen Gründen wieder verworfen.

Inzwischen halten die Herrschenden allerdings am Projekt S 21 fest, denn es geht um Einiges. Dabei werden auch die enorm hohen Kosten in Kauf genommen, die sich laut der Deutschen Bahn auf 7 Miliarden Euro belaufen. Laut dem Verkehrsberatungsbüro Vieregg-Rössler in München liegen die Kosten aufgrund des extrem schwierigen Baugrundes allerdings sogar bei 14 Milliarden.

Die von den BefürworterInnen genannten Vorteile stehen allerdings in einem so unausgeglichenen Verhältnis zu den Kosten, dass wohl nach anderen Gründen für die Umgestaltung gesucht werden muss. So sollen etwa bei der Verbindung Stuttgart-Ulm 26 Minuten gespart werden. Durch fehlende Wartung der Strecken zwischen München und Stuttgart brauchen Züge auf dieser Strecke im Vergleich zu den 90er Jahren allerdings heute 15 Minuten mehr – wodurch die Zeitersparnis auf 11 Minuten zusammen schrumpft.

Nicht berücksichtigt wurde auch, dass sich durch das Konzept von S 21 der interregionale und internationale Verkehr sowie die regionale S-Bahn einen Bahnhof teilen, da sie die gleiche Strecke in der Stadt haben. Kommt es zu Störungen auf den S-Bahngleisen, müssen diese auf die Schienen des Fernverkehrs ausweichen – womit der ganze Takt des Fahrplans zusammenbricht. Vordergründig ist auch das Argument, dass sich durch die neue Gleisbettverlegung die Fahrzeiten verkürzen würden, denn es wird erst zu überprüfen sein, ob dies nicht durch verlängerte Wegstrecken im neuen, größeren Bahnhof wieder negativ ausgeglichen wird.

Profitinteressen

Worum geht es also beim Projekt S 21 eigentlich? Im Zentrum des Projektes steht – wie im Kapitalismus üblich – der Profit. S 21 ist zuallererst ein Immobilienprojekt. Die Stuttgarter Innenstadt wird dadurch massiv aufgewertet: „Für 500 Millionen Euro will ein Konsortium aus ECE, Strabag und Bayerische Bau und Immobilien Gruppe das ,Quartier am Mailänder Platz´ errichten – mit 43.000 Quadratmetern Verkaufsfläche, Gastronomie, Dienstleistung, Hotel, Büros sowie rund 500 Mietwohnungen und 2.200 Tiefgaragenstellplätze“ schreibt das Handelsblatt.

Diese Neugestaltung der frei werdenden Flächen ist das für die Profit-Interessen relevanteste Element des Projekts. Wir sehen hier eine internationale Entwicklung: historisch bedingt sind viele Bahnhöfe in teuren innerstädtischen Lagen angesiedelt. Nachdem vor allem in den 1990ern sehr viele Bahngesellschaften (teil-)privatisiert wurden oder zu AGs in öffentlichem Besitz umgewandelt wurden, die auf eigene Rechnung wirtschaften müssen, werden diese Flächen von den Bahngesellschaften nun „entwickelt“, um so neue Finanzierungsquellen zu erschließen. Kurz gesagt: S 21 ist also auch eine Folge der Umwandlung der DB in eine Aktiengesellschaft und die daraus resultierende Notwendigkeit für die Bahn, finanzielle Mittel zu lukrieren.

Auch andere Konzerne haben ein Interesse daran, dass der Bahnhof um jeden Preis unterirdisch gebaut wird. Günther Oettinger, damals CDU-Ministerpräsident von BW, verkündete 2008 in einer Regierungserklärung, dass die Herrenknecht AG bohren werde – ohne Ausschreibung. Und Lothar Späth, ebenfalls Ex-CDU-Regierungschef Baden-Württembergs, sitzt inzwischen im Aufsichtsrat ebendieser Herrenknecht AG, die maßgeblich für die Bohrungen der Tunnel verantwortlich sein wird.

Automobil-Industrie als Profiteur

Letztlich profitiert selbst die Automobilindustrie vom Bahnprojekt (!) S 21. Der Abriss des alten Bahnhofes und der Neubau sind nämlich mit einer Reduzierung des Bahnverkehrs und einem Fokus auf (interregionale) Hochgeschwindigkeitsstrecken im Personenverkehr verbunden. Dadurch wird der Güterverkehr weiter von den Schienen auf die Straße verlagert und der private Autoverkehr aus dem Umland in die Landeshauptstadt vorangetrieben. Dies würde natürlich den Auto- und LKW-Verkauf ankurbeln und damit Profite sichern.

Gerade die Verbindungen von DB und Daimler sind vielfältig. Nur die Spitze des Eisberges ist der Vorstandsvorsitzende der Bahn, Rüdiger Grube, der gleichzeitig im Aufsichtsrat von Daimler sitzt. Auch der ehemalige Vorstandsvorsitzende Hartmut Mehdorn, der wegen der Datenaffäre der Bahn, bei der MitarbeiterInnendaten ausspioniert wurden, zurücktreten musste, war von 1972 bis 1995 leitender Manager in Daimlers Luftfahrtsparte.

Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, ist sogar ganz offiziell Mitglied der „Initiative Pro Stuttgart 21“. Zetsche, aber auch Wendelin Wiedeking, ehemals Vorstandsvorsitzender von Porsche und Aufsichtsratmitglied von Volkswagen, und andere träumen von S 21 als „Das neue Herz Europas“. Sie wollen die Industrieregion Baden-Württemberg stärken, um Profite zu sichern. Zu untersuchen wäre neben diesen unmittelbaren Interessen auch die Verflechtung der in BW traditionell einflussreichen Automobilkonzerne mit der Immobilienindustrie und damit verbundenen Interessen an S 21.

Entscheidungen von Oben

Viele Menschen, die gegen S 21 protestieren, erregt vor allem die Art und Weise, wie das Projekt durchgesetzt wird. So wurden seit 1994 systematisch Gutachten, Kostenrechnungen und Risikoplanungen, die dem Projekt widersprechen, der Öffentlichkeit vorenthalten. Denn S 21 ist alles andere als offen und sicher. Das vor kurzem veröffentlichte Gutachten des Schweizer Bahnplanungsbüros sma wies nach, dass das Planungs- und Betriebskonzept der Bahn „schwer beherrschbare Risiken für Leistungsfähigkeit, Pünktlichkeit und Sicherheit enthält“.

Schwerwiegender ist allerdings, dass das Projekt um jeden Preis durchgedrückt werden soll – und damit offen gezeigt wird, dass „alle Macht“, die angeblich vom Volke ausgehen soll, in der Bundesrepublik nichts wert ist, wenn sie den grundlegenden Interessen des Kapitals widerspricht. Transparent-Sprüche wie „Scharf Schärfer Demokratie“ und die von vielen interviewten Menschen geäußerte Position, dass sie sich ihre demokratische Willensäußerung nicht nehmen lassen, zeugen davon.

Zu dieser verschärften Haltung hat auch der BürgerInnenentscheid von 2007 beigetragen, in dem 67.000 statt der notwendigen 20.000 Menschen ihre Ablehnung kundtaten. Dieser wurde dann allerdings von CDU, SPD, FDP und den Freien Wählern abgelehnt. Während der BürgerInnenentscheid lief, wurden außerdem Verpflichtungen für die Stadt Stuttgart in Verträgen festgesetzt – es war daher völlig klar, dass die Entscheidung der Bevölkerung nichts zur Sache tut, wie dies mit Volksbegehren und BürgerInnenentscheiden immer wieder der Fall ist.

SPD und Grüne

Tatsächlich haben die Vorwürfe der BefürworterInnen (zum Beispiel der Regierung), dass die Parteien, die jetzt einen Baustopp befürworten oder sich gegen das Projekt stellen (also SPD und Grüne), nur dagegen seien, weil ein großer Teil der Bevölkerung sich gegen S 21 stellt, einiges für sich. So hat die SPD nicht nur S 21 mitbeschlossen und war Jahre dafür, auch die Grünen haben – durch die Landesvorsitzende BaWüs Silke Krebs – ausdrücklich betont, dass sie einen Stopp des Projektes nicht versprechen können, falls sie in die nächste Landesregierung gewählt würden.

Ihnen geht es darum, sich durch die Bewegung Stimmen bei der Landtagswahl 2011 zu sichern. Ihr Hauptanliegen ist allerdings, die Bewegung unter Kontrolle zu halten, sie in sichere Bahnen zu lenken und eine gesellschaftliche Eskalation zu vermeiden.

Es macht sich ein Konflikt zwischen den Herrschenden auf, die entweder – vertreten durch die regierenden Parteien – für eine harte Niederschlagung jeglichen Protestes in Deutschland sind oder Zugeständnisse machen wollen, um die Bevölkerung ruhig zu halten.

Protestbewegung

Der Protest gegen S 21 läuft bereits seit Jahren. Doch mit dem Beginn des Abrisses des aktuellen Bahnhofs sind die Auseinandersetzungen nun eskaliert. Jede Woche demonstrieren zehntausende StuttgarterInnen gegen den geplanten Durchgangsbahnhof. Dazu gehören allerdings nicht nur linke, sondern auch viele (inzwischen wohl ehemalige) CDU- AnhängerInnen. Dies gibt dem Protest eine Ambivalenz, die es umso wichtiger macht, eine antikapitalistische Perspektive einzubringen.

Auch die Gewerkschaften sind nur sehr halbherzig bei der Sache. Die SPD und die Gewerkschaftsführungen, die eigentlich Pro S 21 sind, machen hier natürlich gehörig Druck. Zwar hat die IG Metall nun die Forderung nach einem sofortigen Baustopp und mehr Bürgerbeteiligung aufgenommen, aber erst nachdem immer mehr Druck von unten kam und sie dieser zum Positionswechsel zwang. Auch die Grünen (und ihnen politische nahestehende Gruppen wie der BUND), orientieren die Proteste auf Wahlen und nicht auf Massendemonstrationen oder Streiks. Es muss ein politischer Kampf mit diesen Gruppen geführt werden. Ihr Einfluss – der auf lange Sicht dazu führen wird, dass Kämpfe im Sand verlaufen und die Menschen demoralisiert werden – muss durch eine antikapitalistische, revolutionäre Perspektive eingeschränkt werden.

Linke Organisationen leisten dabei wichtige Arbeit. Hervorzuheben ist dabei sicher die sich auf den Trotzkismus berufende SAV und die von ihr initiierte „Jugendoffensive gegen Stuttgart 21“, die seit Jahren gegen S 21 aktiv sind. Allerdings wäre es wichtig, auch hier noch klarer zu werden.

So hatte die Jugendoffensive am Tag nach den bisher schwersten Ausschreitungen auf einer von ihr organisierten und weit beachteten Pressekonferenz die Chance, das Projekt S 21 aus antikapitalistischer Sicht zu kritisieren. N-TV etwa übertrug die gesamte Pressekonferenz live, andere Sender schalteten sich ein. Stattdessen aber kritisierten SAV und Jugendoffensive ausschließlich die Polizeiübergriffe und sprachen von einem unverhältnismäßigen Polizeieinsatz (was natürlich das Problem in sich birgt, dass das bedeutet, dass es auch einen verhältnismäßigen Polizeieinsatz bei Räumungen geben könne). Leider aber kein Wort über die zugrunde liegende Profitlogik von S 21. Schade um diese wichtige Möglichkeit.

Schlichtungsgespräche

Die politische Perspektive von Teilen der Protestbewegung, vor allem der Grünen – wortstark vertreten durch die Tageszeitung die taz – sich auf die Schlichtungsgespräche zu konzentrieren, kann sich politisch fatal auswirken. Mittlerweile hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Mappus einen Schlichter eingesetzt, Heiner Geißler, ebenfalls CDU-Politiker, soll zwischen beiden Parteien, den BefürworterInnen und GegnerInnen verhandeln. Geißler, der sich inzwischen zum moralischen Attac-Gewissen der Konservativen gemausert hat, dient dabei eindeutig den Herrschenden.

Denn wie bereits von der Jugendoffensive gegen S 21 formuliert wurde, haben weder die BefürworterInnen die Vorteile noch die GegnerInnen die Nachteile schlecht kommuniziert. „Es geht eben um Interessengegensätze.“ Die Gespräche dienen einzig dazu, die Proteste runter kochen zu lassen und dadurch das Projekt langsam aber sicher durchzusetzen. Während der Gespräche laufen wichtige Vorarbeiten für die Abrissarbeiten weiter – und die Proteste werden schwächer. Eine absolute Vorbedingung für jede Form von Verhandlungen (und nicht „Schlichtungen“) müsste also eine vollständige Aussetzung der Bauarbeiten sein.

Man muss sich weiterhin fragen, was am Ende heraus kommen soll. Das Projekt S 21 läuft für Profitinteressen und diese Interessen werden nicht aufgegeben. Es kann hier keinen Kompromiss geben. Wie sollte dieser auch aussehen? Das Projekt kann ja nicht halb gebaut werden. Und welchen Sinn kann es haben, mit den PolitikerInnen zu diskutieren, die permanent versuchen, der Öffentlichkeit kritische Dokumente gegen S 21 zu verheimlichen und für ihre Interessen lügen? Ein erfolgreicher Kampf kann letztlich nur auf der Straße und in den Betrieben geführt werden.

„Keine Gewalt!“

S 21 soll um jeden Preis durchgekämpft werden. Somit werden die DemonstrantInnen, die diese vollkommene Umstrukturierung des Stadtkerns und das damit verbundene Zerstören der Natur nicht akzeptieren wollen, Opfer von Polizeigewalt. Bei Demonstrationen kommt es zum Einsatz von Reizgas, Schlagstöcken und Wasserwerfern und dabei wird weder vor kleinen Kindern noch vor älteren Menschen Halt gemacht. Dietrich Wagner, einer der vielen DemonstrantInnen, wird nach dem Einsatz eines Wasserwerfers auf einem Auge für immer blind sein.

Es wäre wohl zu weit gefasst, wenn davon ausgegangen wird, dass die Polizeigewalt zielgerichtet von der Bundesregierung durchgesetzt wird. Merkel geht es vor allem darum, dass die Politik sich nicht von der Straße erpressen lässt und sie stärkt deshalb der Landesregierung (und damit der Polizei) den Rücken, um das Projekt durchzusetzen. Die genaue Ausformung, wie mit den Protesten umzugehen ist, hat wohl eher der Landesregierung (inklusive dem CDU-Innenminister Heribert Rech) entschieden. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die CDU mit Blick auf die Landtagswahl als starke Kraft, als „law and order“-Gewalt etablieren wollte, um konservative WählerInnen an sich zu binden. Die Handlungen der Polizei waren dementsprechend eskalativ – und im Interesse der Herrschenden.

Dabei ist es auch wichtig, die Rolle der Polizei richtig einzuschätzen. Die tägliche Arbeit der Polizei als Repressionsorgan im Interesse der Herrschenden bringt sie in eine materielle Situation, die sie ideologisch wie finanziell an Staat und Kapital bindet.

Es ist eine falsche Schlussfolgerung, wenn man davon ausgeht, dass ein relevanter Teil der Polizei im Laufe der Proteste den Befehl verweigern wird; da ändert auch die interne Kritik aus Polizeireihen nichts, die vereinzelt und marginalisiert ist. Die SAV etwa hat in diesem Zusammenhang eine Debatte mit der SPD (vertreten durch Peter Conradi) über Polizeigewalt geführt. Die für die SAV von Ursel Beck vertretene Position, dass PolizistInnen ArbeiterInnen in Uniform seien, führt aus unserer Sicht in die falsche Richtung.

Denn unabhängig von der Herkunft der PolizistInnen zeigt die Geschichte, dass es vielleicht in revolutionären Situationen möglich ist, dass einzelne Polizeieinheiten den Dienst verweigern. Doch in einer solchen Situation befinden wir uns nicht. Hier wäre es aus unserer Sicht wichtiger, vor allem die Rolle der Polizei als feindlichem Repressionsapparat hervorzuheben und die Frage des Selbstschutzes der Demonstrationen aufzuwerfen.

So ist auch die Darstellung der Polizei als die Verantwortliche für die Gewalt und die im Gegenzug dazu beschworene Friedlichkeit der DemonstrantInnen in einiger Hinsicht kritisch. Eine solche Haltung trägt den Keim der Spaltung, denn was passiert, wenn die Wut der Massen auf Demonstrationen eskaliert und dann die Demos nicht mehr friedlich sind? Und wie gehen wir damit um, dass es eigentlich dringend notwendig wäre, sich kollektiv gegen Angriffe der Herrschenden auf Demonstrationen auch mit einem entsprechenden Demo-Schutz zur Wehr zu setzen? Abgesehen davon werden wir auch keine Tränen weinen, wenn etwa der Weiterbau von S 21 durch Sabotage verzögert wird.

Erste Konsequenzen dieser Haltung zeigen sich in der Forderung von Teilen der Bewegung, Protestierenden die Vermummung abzureißen – aus Angst vor staatlichen agent provocateurs, also PolizistInnen in Zivil, die zu Gewalt anstiften, um danach folgende Polizeiübergriffe zu legitimieren. Eine solche Spaltung würde den Protesten schaden und nicht helfen. Es ist natürlich wichtig, sich gegen solche ProvokateurInnen zur Wehr zu setzen. Doch es kann sicher nicht die Antwort sein, DemonstrantInnen, die sich aus Angst vor Repression vermummen, zwangsweise die Tücher vom Kopf zu reißen.

Ein alternatives Bahnprojekt!

Die S 21 AktivistInnen sind nicht, wie von Angela Merkel behauptet, gegen die Modernisierung der Bahn, sie haben ihr eigenes Konzept, genannt Kopfbahnhof 21 oder K 21. Dies würde bedeuten, den denkmalgeschützten Bahnhof zu erhalten – indem zwei neue Gleislinien durch das Neckartal gebaut werden. S 21 besteht aber darauf, Stuttgart und Ulm in Hochgeschwindigkeit unterirdisch erreichbar zu machen.

Eigentlich sollte die Debatte aber auf einer völlig anderen Ebene geführt werden. Denn das Hauptproblem an Stuttgart 21 sind die Art und Weise und die gesellschaftlichen Umstände, unter denen das Projekt durchgesetzt werden soll. Die wirtschaftlichen Interessen sorgen dafür, dass der Nahverkehr reduziert und auf Hochgeschwindigkeitszüge orientiert wird. Die wirtschaftlichen Interessen fordern einen unterirdischen Bahnhof, um Freiflächen für Immobilien zu schaffen und den Bahnhof außerdem in eine große Shopping-Area zu verwandeln. Und es sind die wirtschaftlichen Interessen, die Schienen verkommen lassen, weil Wartung Geld kostet, während man Milliarden rausschmeißt um die Profitinteressen der Wirtschaft zu befriedigen.

Allerdings kann das Hauptargument gegen S 21 nicht das Geld sein, denn letztlich sind auch die Menschen an großen, schönen, funktionstüchtigen Bahnhöfen interessiert, die es ermöglichen, den Autoverkehr zu reduzieren und damit Energie zu sparen. Auch in einer postkapitalistischen Gesellschaft ist eine schnellere Ereichbarkeit von Orten in Europa ein gesellschaftlicher Fortschritt, den wir anstreben. Ein Durchgangsbahnhof würde sich dafür wahrscheinlich besser eignen als ein Kopfbahnhof.

Es ist auch verständlich, dass zwar die Mehrheit in Stuttgart gegen S 21 ist, aber viele Menschen in der Region das anders sehen. Denn im Raum Ulm etwa wäre S 21 tatsächlich für viele eine Verbesserung der Verkehrsanbindung gegenüber dem jetzigen Zustand. Solche Punkte müssten in den Widerstand gegen S 21 in dieser Form sicher verstärkt einbezogen werden, um sich hier nicht regional spalten zu lassen.

Eine Umgestaltung des gesamten Öffentlichen Verkehrs in der Region ist also sicher sinnvoll. Ein solcher Bahnhof, der allerdings auch den Nahverkehr stärkt und für Menschen angenehm zu nutzen ist, würde insgesamt wohl auch mehr als K 21 kosten. Allerdings könnten im Vergleich mit S 21 die Verschwendungen, die im Interesse der Industrie durchgeführt werden, eingespart werden. Es ginge darum, einen Bahnhof zu schaffen, der nicht weniger, sondern mehr Gleise bzw. bessere Anbindungen hätte. Der für mehr Menschen leistbar ist, um den Flughafenverkehr zu reduzieren. Und der natürlich schnellere Verbindungen für alle schafft.

Es scheint schwer, eindeutig zu beantworten, welche Form ein solcher Bahnhof genau annehmen würde. Fakt ist allerdings, dass sich die Frage, wie die Bevölkerung von einem solchen Bahnhof den größten Nutzen trägt, im Kapitalismus nicht stellt. Dass sie die Entscheidung nicht treffen kann, weil die Entscheidung rund um Profitinteressen fällt. Doch müsste in einem demokratischen Entscheidungsprozess die Entscheidung getroffen werden, was für ein Bahnhof den Menschen tatsächlich am meisten nützt – und wie er gestaltet werden soll. Das allerdings wird im Kapitalismus nicht möglich sein. Um diese Diskussionen führen zu können, werden wir dem Kapital die Entscheidungsmacht entziehen müssen.