Französisch lernen – mal anders!

Frankreich wird derzeit von einer massiven Streik- und Protestwelle erschüttert. Über die kämpferische Antwort der französischen KollegInnen und die Lehren für den Klassenkampf in Europa…

Seit über einer Woche wird Frankreich bestreikt – und es ist vorläufig kein Ende in Sicht. Die massiven Proteste richten sich hauptsächlich gegen die von der Regierung Sarkozy geplante Pensionsreform. Diese sieht eine Anhebung des Pensionsantrittsalters vor – abschlagsfrei in Pension soll man nun statt mit 65 erst mit 67 Jahren gehen können, das Mindestpensionsalter wird von 60 auf 62 Jahren angehoben.

Klassenkämpfe in Frankreich…

An den bisherigen nationalen Aktionstagen haben bis zu 3,5 Millionen Menschen teigenommen, sind auf die Straße gegangen, haben demonstriert und blockiert.

Die Streiks legen mittlerweile zentrale Teile des öffentlichen Lebens lahm – vor allem den Verkehr. Alle 12 französischen Raffinerien werden bestreikt und von ArbeiterInnen blockiert, sodass kein Nachschub möglich ist. Dieser ist jedoch ohnehin kaum zu bekommen, da durch Streiks in den Häfen von Marseille und Le Havre die Versorgung unterbrochen ist. Dies hat bereits dazu geführt, dass rund 1500 Tankstellen in ganz Frankreich auf dem Trockenen sitzen. Aber auch der Flugverkehr ist betroffen: weil den nationalen Flughäfen langsam das Kerosin ausgeht, werden bis zu 50 Prozent der Flüge gestrichen.

Auch die EisenbahnerInnen der nationalen Eisenbahngesellschaft SNCF, sowie die Pariser Verkehrsbediensteten beteiligen sich an den Streiks. Und mittlerweile erfassen die Kämpfe auch die Energieversorgung – im nordfranzösischen Atomkraftwerk Flamanville hat die Belegschaft einen 48-stündigen Ausstand beschlossen, wodurch sich die Leistung der Anlage halbieren wird.

In vielen Städten streiken die Stadtbediensteten und im Elsass wurde stundenlang der Zugang von DemonstrantInnen zum Werk des Autoherstellers Peugeot-Citroen blockiert, wo 10.000 Menschen beschäftigt sind.

Auch StudentInnen und vor allem SchülerInnen beteiligen sich an den Demonstrationen und blockieren zum Teil Schulen. Am Montag ist es auch zu gewaltsamen Protesten gekommen, die in den bürgerlichen Medien als „Jugendkrawalle“ abgetan werden.

… und wer sich davor fürchtet

Dass die Kämpfe keine bloß harmlosen Unmutsbekundungen sind, sondern enorme Sprengkraft besitzen, ist der französischen herrschenden Klasse auch bewusst. Am Montag den 18. Oktober wurde bereits ein täglich tagender Krisenstab einberufen. Offiziell, um den ernsthaften Versorgrungsproblemen mit Treibstoff beizukommen, aber wohl auch, weil Radikalisierungen und eine Ausweitung der Proteste und Streiks befürchtet werden. Die Nervosität der Regierung wird sicherlich auch durch die Angst vor einer Ausbreitung des Unmuts und der Proteste auf die Jugend genährt. Man erinnert sich offensichtlich sowohl an die verschiedenen SchülerInnen- und StudentInnenbewegungen, als auch an die Jugendrevolten der letzten Jahre.

Diese Angst bietet scheinbar Anlass genug, den bewaffneten Arm der herrschenden Klasse loszuschicken und hunderte SchülerInnen festzunehmen und gar auf einen 16-Jährigen mit einem Gummigeschoss zu schießen, wodurch dieser wahrscheinlich sein Auge verlieren wird…

Einen weitere Grund „zur Sorge“ bietet der starke Rückhalt in der Bevölkerung, den die Streiks genießen: Rund 70 Prozent der Franzosen und Französinnen befürworten die Aktionen und sprechen sich für eine Fortführung der Streiks aus. JedeR Zweite ist sogar für einen Generalstreik. Das wäre natürlich etwas, wovor sich die Herrschenden zu Recht fürchten…

Ein französisches Problem?

Doch die Situation ist nicht aufgrund einer „typisch französischen Streikwut“ so zugespitzt, sondern es sind die gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Menschen auf die Straße treiben. Frankreich ist von chronischer Arbeitslosigkeit betroffen, Jugendliche – besonders jene mit Migrationshintergrund in den Pariser Vororten – haben kaum eine Perpektive oder Aussicht auf Jobs und nun stehen massive Einschnitten im Sozialbereich an.

Aber diese „französischen Zustände“ stehen nicht isoliert da, sondern sind Teil der Strategie des euopäischen beziehungsweise internationalen Kapitals, mit der dieses auf die Wirtschaftskrise reagiert. Die in Frankreich geplante Pensionsreform ist ein Teil dieser, sich in ganz Europa offenbarenden Strategie und lässt erahnen, was bald auch auf uns zukommen wird.

Nachdem Regierungen in ganz Europa Banken und Großkonzerne mit enormen Bankenrettungs- und Konjunkturpaketen vor dem Bankrott bewahrt haben, werden nun die Zügel gestrafft. Nach den großen „unabwendbaren Verausgabungen“ der Staaten wird jetzt die Krise auf die Rücken der Lohnabhängigen abgewälzt. Wir sollen Sparpakete hinnehmen, die nichts anderes als die Zusammenstreichung von Sozial-, Gesundheits- und Bildungsausgaben bedeuten, damit das System der Profitemacherei möglichst uneingeschränkt weiterlaufen kann. Und wenn sich die Lohnabhängigen zu wehren beginnen, wird die Polizeigewalt losgeschickt – und das nicht nur in Frankreich: Auch bei den Streiks und Protesten in Griechenland oder den aktuellen Demonstrationen gegen das Projekt „Stuttgart 21“ in Deutschland soll der Wille der Herrschenden mittels Tränengas und Schlagstöcken durchgesetzt werden.

„Alle Räder stehen still, …

Trotz der massiven Verschlechterung, die sich für die Lohnabhängigen in ganz Europa ankündigen ist die Lage keineswegs ausweglos. Gerade die Streiks in den Raffinerien zeigen, welche Macht die ArbeiterInnen eigentlich haben. Nur sie schaffen es, durch Streiks und Blockaden die KapitalistInnen und ihre PolitikerInnen – selbst und gerade auch in kapitalistischen Kernländern wie Frankreich – in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen.

Denn wenn beispielsweise die RaffineriearbeiterInnen streiken, gibt es kein Benzin und Kerosin mehr, wenn es das nicht gibt, können viele Menschen nicht mehr pünktlich in die Arbeit fahren, um sich dort ausbeuten zu lassen, dann können viele Produkte nicht mehr produziert werden, was den KapitalistInnen ihre Profite verkleinert…

Wenn zentrale strategische Bereiche wie der Verkehr bestreikt werden, spüren wir alle, welche Stärke eine organisierte und entschlossen kämpfende ArbeiterInnenklasse haben kann. Und plötzlich klingen entmutigende Phrasen, wie „da kann man doch eh nichts machen…“, nicht mehr ganz so überzeugend…

… wenn dein starker Arm es will!“

In Frankreich haben die Gewerkschaften bereits seit Mai diesen Jahres wiederholt zu eintägigen Streik- und Protesttagen aufgerufen, um sich gegen die anstehende Reform zu wehren. Dass der Widerstand sich radikalisiert und verbreitert hat und mittlerweile die UnternehmerInnen und ihre Regierung in Bedrängnis bringt, ist auf den zunehmenden Druck der Basis in den Gewerkschaften und Betrieben zurückzuführen.

Die französische Bevölkerung steht hinter den, nun weitergehenden Maßnahmen und befürwortet auch einen Generalstreik. Auf diesen angesprochen, meinte allerdings der Sekretär der CGT (Allgemeiner Gewerkschaftsbund): „Das ist eine Losung, die für mich völlig abstrakt und verworren ist… Das entspricht nicht der Art und Weise, mit der man das Kräfteverhältnis verbessert.“ Eine derartig „kämpferische“ Gewerkschaft braucht die französische ArbeiterInnenklasse wahrlich wie einen Kropf…

Was es wirklich benötigt, sind tatsächlich kämpferische Gewerkschaften, die nicht bürokratisch von oben herab reine StellvertreterInnenpolitik für die Lohnabhängigen machen. Demokratische Gewerkschaften, die von der Basis ausgehen und wo die Lohnabhängigen wirklich ihre Interessen, und nicht die von irgendwelchen, ins System integrierten GewerkschaftsfunktionärInnen, vertreten können. Die bereits in vielen Betrieben Frankreichs abgehaltenen demokratischen Belegschaftsversammlungen, weisen in eine gute Richtung.

Die Streiks und Proteste treten jetzt in ihre heiße Phase ein, da die Auswirkungen im Produktionsbereich zunehmend spürbar werden und auch der Druck auf die Politik steigt. Wichtig ist daher, dass es einen Generalstreik gibt, der auf einer breiten Basis steht und ausgeweitet wird. Dazu wird weiterhin Druck von und Selbstorganisation an der Basis notwendig sein, damit die GewerkschaftsbürokratInnen diesen nicht einfach abdrehen können und die ganze Wut verpufft. Dazu braucht es Streik- und Organisationskomitees in den Betrieben, den Schulen und Universitäten, die die Proteste organisieren und koordinieren.

Aber besonders zentral ist, dass die Kämpfe, die eben nicht nur eine französische Angelegenheit sind, nicht reine Abwehrkämpfe bleiben dürfen. Eine Pensionsreform zu verhindern, ist natürlich wichtig, aber die Forderungen, die in solchen Kämpfen entwickelt werden, müssen weiter gehen! Denn nicht nur die Reformen und Sparpakete selbst sind das Problem – nun sollen die für die Krise zahlen, auf deren Mist sie wirklich gewachsen ist! Forderungen nach einer radikalen Besteuerung von Vermögen, der Verstaatlichung von Banken und Konzernen unter ArbeiterInnenkontrolle, der Offenlegung der Geschäftsbücher und so weiter sollten jetzt folgen!

Französisch lernen – aber richtig!

Die Kämpfe in Frankreich sind ein wichtiger Bestandteil des Klassenkampfes in Europa sind. Wenn die französischen KollegInnen erfolgreich sind, würde das nicht nur eine herbe Niederlage für die Sarkozy-Regierung bedeuten, sondern ein starkes Zeichen für Proteste in ganz Europa setzen. Sie könnten an einem praktischen Beispiel verdeutlichen, dass Widerstand möglich ist und die Lohnabhängigen nicht zwangsläufig für die Kosten der Krise aufkommen müssen.

Denn es liegt eben nicht an einer französischen Streikmentalität, die es vermeintlich „immer schon“ gab. Gewiss gibt es unterschiedliche Protesttraditionen, aber eine kämpferische Tradition kann man etablieren! Die Streiks in Frankreich zeigen, dass kämpferische und offensive Protestformen notwendig sind und tragen hoffentlich zur Stärkung des Bewusstseins darüber bei, dass, wenn wir es wollen, alle Räder still stehen können!

 

Zum Weiterlesen:

Nachbetrachtung zum Streik auf Guadeloupe

Die Krise ist hier! Wo bleiben die Kämpfe?

Deutschland, Griechenland und die EU 

Vereinigen wir die Kämpfe in ganz Europa!