Welche Strategie für die Linke?

In der (antikapitalistischen) Linken gibt es unterschiedliche politische Ansätze. Einige von ihnen werden hier beleuchtet: Reformistische Parteien als Vehikel? Bewegungen als Allheilmittel? „Breite Bündnisse“ gegen Rechts? Linke Einheitsprojekte? Betriebsarbeit und Kaderorganisation?

Derzeit treten die Auswirkungen der aktuellen Krise des Kapitalismus besonders deutlich hervor – mit den (bevorstehenden) massiven Sparpaketen und Angriffen auf die Lohnabhängigen. Dabei wird auch die Schwäche der ArbeiterInnenbewegung und der (radikalen) Linken in der Abwehr dieser Verschlechterungen ersichtlich. Gleichzeitig stellen die Krise und ihre Folgen verschiedene Konzepte der (radikalen) Linken auf die praktische Probe. Wir wollen hier verschiedene Strategien diskutieren und unsere eigenen Ideen darlegen. Denn erfolgreicher Widerstand braucht die richtigen Konzepte.

Die Krise hat besonders deutlich das destruktive Potential und die grundsätzliche Krisenhaftigkeit des Kapitalismus gezeigt; eines Systems das nach dem Prinzip der Profitmaximierung funktioniert und nach Wachstum ohne Wenn und Aber verlangt. Hoffnungen auf eine Reformierung oder eine „Zügelung“ haben sich als hochgradig illusionär herausgestellt – und werden es auch in Zukunft bleiben. Die Herrschenden haben deutlich gezeigt, dass sie gewillt sind, die Lohnabhängigen für die Kosten der Krise aufkommen zu lassen. Dem kann nur mit einer kämpferischen Bewegung, mit Streiks, Massenmobilisierungen und Demonstrationen begegnet werden. Außerdem müssen die Klassenkämpfe mit einer systemüberwindenden Perspektive verbunden und geführt werden.

Die Kämpfe sind in verschiedenen Ländern unterschiedlich weit fortgeschritten, so wie auch die Stärke und Zusammensetzung linker/linksradikaler Kräfte große Differenzen aufweist. So gibt es in Griechenland bereits seit Monaten eine kämpferische Bewegung mit zahlreichen Streiks und auch in anderen Ländern, zum Beispiel in Spanien, regt sich Widerstand gegen die Pläne der Herrschenden. Im deutschsprachigen Raum hingegen ist die Klassenkampfsituation (noch) relativ ruhig. Vergessen werden darf jedoch nicht, dass in vielen Ländern die großen Sparmaßnahmen erst ins Haus stehen, die Krise noch keineswegs überwunden ist, also auch neuerliche Einbrüche durchaus realistisch sind und Kämpfe in anderen Ländern eine gewisse Vorbildwirkung haben können.

Welche Strategien soll die Linke aber nun ergreifen, um die Angriffe zurückzuschlagen? Klar ist, dass die Linke momentan schwach und weitgehend isoliert ist; gerade auch im deutschsprachigen Raum. Revolutionäre Ideen und Kräfte verfügen über kaum eine Verankerung, am Wenigsten in der ArbeiterInnenklasse selbst. Wie kann diese Situation überwunden werden? Und wie nicht?

Sozialdemokratie und Gewerkschaften

Die sozialdemokratischen Parteien sind in vielen Ländern in der Regierung und so selbst direkt an der Abwälzung der Krise und der Staatsschulden auf die Lohnabhängigen beteiligt. Sind sie in der Opposition, haben sie vor allem die nächsten Wahlen im Blick. Die Sozialdemokratien beteiligen sich seit Jahrzehnten selbst munter am neoliberalen Umbau der Gesellschaft. Sie sind vollends in der kapitalistischen Logik gefangen und materiell an die kapitalistische Produktionsweise und den bürgerlichen Staat gebunden. Als bürokratisierte Systemparteien ist von ihnen keine andere Politik zu erwarten.

Die Gewerkschaften sind in fast allen Ländern von reformistischen Bürokratien beherrscht, die durch Privilegien an den Kapitalismus gebunden sind und dementsprechend im Sinne der herrschenden Klasse agieren. Sie haben die kapitalistische Standortlogik weitgehend verinnerlicht und betreiben vor allem eine Politik der Schadensbegrenzung für die besser gestellten Teile der ArbeiterInnenklasse der jeweiligen Nation. Sie sind schon in den letzten Jahrzehnten vor den neoliberalen Angriffen immer weiter zurückgewichen, haben diverse Verschlechterungen mitverwaltet und den ArbeiterInnen als unvermeidliches kleineres Übel verkauft. Die reformistisch geprägten Apparate der Gewerkschaften stehen auch jetzt den Auswirkungen der Krise hilflos gegenüber. Statt auf Massenmobilisierung zu setzen, klammern sie sich an die Illusion eines Aufschwunges eines regulierten Kapitalismus und verhandeln im Sinne der Bosse Kurzarbeit, Lohnverzicht und die Abfederung von Massenkündigungen. Hoffnungen auf einen Kurswechsel dieser BürokratInnen sind naiv.

Es braucht also eine Alternative zu den etablierten Organisationen der ArbeiterInnenklasse und ihren Strategien von „Schadensbegrenzung“ und sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen. Einige Linke wollen die Sozialdemokratien von innen, etwa über den Aufbau eines linken Flügels oder mit Hilfe der Jugendorganisationen, reformieren. Diese Versuche müssen allerdings am Charakter der Partei selbst, der einer bürokratisierten Systempartei, scheitern. Sehr geringe Erfolgsaussichten haben auch Projekte des Aufbaus einer linken Strömung, die sich dann, im Zuge der Zuspitzung von Klassenkämpfen, abspalten soll. Meist bleibt das Label „links“ dabei sehr ungenau bestimmt, das heißt, in der Regel gibt es einen kleinsten gemeinsamen linksreformistischen Nenner, auf den man/frau sich konzentriert. Dass sich ein solches Projekt und dessen reformistische programmatische Grundlage dann so einfach radikalisieren, in eine revolutionäre Programmatik verwandeln lassen wird, ist auch keinesfalls ausgemacht. Probleme ergeben sich aber auch wo anders: Zum einen sind viele AktivistInnen mit der Zeit oft selbst (materiell) an die Partei gebunden. Um innerhalb der Parteistrukturen verbleiben zu können, kommt es meistens zu opportunistischen Anpassungen und nicht selten auch zu einer Zusammenarbeit mit der Bürokratie gegen aufmüpfige Teile der Basis. Zum anderen dünnen diese Parteien sowohl politisch als auch personell immer mehr aus. Öfters werden vielmehr AktivistInnen in die Partei hinein, als aus ihr heraus gewonnen. Des Weiteren hat ein gewisses Ausmaß von kritischen, linken Kräften in der Partei eine Funktion für die Sozialdemokratie. Denn es bindet potentiell radikale Kräfte an den Reformismus, behindert die Schaffung eines klassenkämpferischen sozialistischen Pols außerhalb und trägt so zur Konservierung der sozialdemokratischen Hegemonie in der ArbeiterInnenbewegung bei.

Wie kann aber nun eine Alternative zu diesen Organisationen aussehen? Oft ist zu hören, dass es notwendig ist, dass linke Kräfte gesellschaftliche Relevanz und Einfluss erlangen. Die vorgeschlagenen Strategien orientieren sich dann auch daran, „breit“ wirksam zu werden. In der aktuellen Situation, mit drohenden Sparpaketen und der Gefahr einer Stärkung rechter Kräfte, wird diese „Breitenwirkung“ als umso dringender und wichtiger angesehen. Diese Argumente sind zwar prinzipiell richtig; erfolgreich können wir nur mit einer breiten, kämpferischen Bewegung, mit Streiks, Massenmobilisierungen und Demonstrationen sein. Allerdings führen sie bei vielen Linken zu sehr kurzsichtigen und falschen Schlussfolgerungen. Werfen wir also einen Blick auf verschiedene Strategien, die diskutiert und praktiziert werden.

Bewegungen und die Linke

Viele Linke sehen ihre zentralen Aufgaben in der Beteiligung an und dem Aufbau von sozialen Bewegungen. Grundsätzlich stimmt es natürlich, dass erfolgreicher Widerstand nur von einer breiten Bewegung, und nicht von Verhandlungen oder vereinzelten Aktionen, ausgehen kann. Soziale Bewegungen stellen daher für linke Kräfte einen wichtigen und notwendigen Bezugspunkt dar. Allerdings ist es letztlich wenig Erfolg versprechend sich auf den Aufbau von und die Beteiligung in sozialen Bewegungen zu beschränken.

Eine zentrale Eigenschaft von sozialen Bewegungen ist, dass sie über einen eigene Dynamiken verfügen: sie entwickeln sich oft schnell und ungeplant und aktivieren oft innerhalb kurzer Zeit viele Menschen. Allerdings sind sie oft (fast) genau so schnell wieder vorbei, wie sie begonnen haben. Es ist daher auch eine Illusion, dass Bewegungen durch linke Kräfte einfach so gestartet werden können. Außerdem ist das Entstehen einer Bewegung noch kein Garant für einen Erfolg derselben. Dieser hängt sowohl von Größe und Breite, als auch von den beteiligten politischen Kräften und ihrer Stärke ab. Sind die unabhängigen, radikalen Kräfte zu schwach, kommt es oft zu einer Vereinnahmung durch reformistische Kräfte und eine Kanalisierung des Protests in Verhandlungen oder harmlosen Aktionen. Solche Kräfte stellen daher auch eine Gefahr für die Weiterentwicklung der Klassenkämpfe dar, da sie das Problem nicht im Kapitalismus insgesamt, sondern lediglich in seiner „neoliberalen“ Ausprägung sehen. Daher orientieren sie Protestbewegungen auf ein „besseres Funktionieren“ des kapitalistischen Systems. In vielen Fällen kommt es aber auch mangels einer realistischen Perspektive zu einem „Einschlafen“ oder „Totlaufen“ der Bewegung.

Eine Eigenart von Bewegungen ist es meist, politisch diffus und heterogen zu sein. Von vielen Linken wird diese „Pluralität“ als etwas „Neues“ und Positives abgefeiert und so aus der Not eine Tugend gemacht. Um zum Erfolg zu kommen braucht es jedoch vielmehr Klarheit über die politischen Positionen und Perspektiven. Zu Bedenken gilt es auch, dass Bewegungen auch in Niederlagen enden können beziehungsweise dass sich durch und in der Bewegung frisch Politisierte nach dem Zerbrechen von überzogenen Hoffnungen demotiviert zurückziehen. Nicht selten werden auch sogar bereits aktive Menschen ausgepowert und womöglich inaktiv. Deshalb sind auch die Verbreitung von Illusionen über die vermeintliche Stärke einer Bewegung und das Schweigen über die Schwächen und Gefahren mehr als kontraproduktiv. Oft wird einer Bewegung dabei ein „Massencharakter“ angedichtet, über den sie gar nicht verfügt. Die Strategie, um jeden Preis eine „breite“ Bewegung erzwingen zu wollen, ist das daher auch meist das (Nicht-) Eingeständnis der eigenen Schwäche.

Klar ist, dass es nicht ausreicht, dass es Bewegungen gibt und dass diese auch nicht voluntaristisch angestartet werden können. Entscheidend ist, welche politische Stoßrichtung und Perspektive diese haben. Dafür sind die Kräfteverhältnisse von entscheidender Bedeutung. Deswegen dürfen sich revolutionäre Organisationen nicht auf den Aufbau von und die Intervention in Bewegungen beschränken. Sie müssen diese auch für den Aufbau der eigenen Organisation, also die Stärkung kämpferischer Kräfte für zukünftige Auseinandersetzungen, nutzen. Nur so kann sichergestellt werden, dass sich das Kräfteverhältnis bei neuerlichen Bewegungen und Auseinandersetzungen möglichst zu Gunsten der radikalen Teile verschiebt. Die Vorstellung, dass jegliche Bewegung das gesellschaftliche Kräfteverhältnis nach „links“ verschieben würde ist illusionär und gefährlich. Dabei muss auch gefragt werden, was mit „links“ gemeint ist, denn für radikale und unabhängige Kräfte ist es eine Stärkung der „Linken“ nicht einseitig positiv. Denn wenn bürokratische und reformistische Teile der Linken an Stärke gewinnen, verschiebt sich das innerlinke Kräfteverhältnis zu Ungunsten der radikalen Teile und demotivierende Niederlagen sind vorprogrammiert.

Gegen Rechts?

Im Zuge der Krise gewinnen in einigen Ländern recht(sextrem)e Kräfte an Stärke. Viele Linke sehen daher die Verhinderung eines Rechtsrucks als eine der wichtigsten Aufgaben an. Linke und linksradikale Kräfte haben natürlich ein grundsätzliches Interesse daran, dass recht(sextrem)e Kräfte möglichst schwach sind. In dem meisten Fällen hat dieser Widerstand gegen Rechts aber politisch problematische Züge. Oftmals haben solche Kampagnen, zu mindestens indirekt, eine elektorale Ausrichtung und zielen vor allem auf die Schwächung rechter Parteien bei Wahlen ab. Dabei wird einerseits übersehen, dass bürgerliche Wahlen im Klassenkampf und der gesellschaftlichen Gesamtsituation nicht die entscheidende Rolle spielen. Andererseits verkommen solche Kampagnen, oft auch aus Mangel an Alternativen, häufig zur Unterstützung von etablierten Parteien als vermeintlich „kleinerem Übel“. Dann werden jene Kräfte unterstützt, die seit Jahrzehnten selbst rassistische Politik betreiben, den staatlichen Rassismus mitbeschließen und die ArbeiterInnen durch ihren Verrat in die Hände der Rechten treiben.

Nicht selten wird darauf „vergessen“ den Widerstand gegen Rechts in eine antikapitalistische Gesamtausrichtung einzubetten; gerade auch in der Propaganda. Ein Grund dafür liegt wohl auch darin, dass antifaschistische und antirassistische Arbeit oft, in einer moralisierenden Weise, als „besonders wichtig“ und „besonders notwendig“ dargestellt wird. Klar ist jedoch, dass linke/linksradikale Organisationen ohnehin nur über begrenzte Möglichkeiten verfügen. Das Setzen von Schwerpunkten in der politischen Arbeit darf aber nicht nach moralischen Gesichtspunkten, wonach rechte Parteien gegenüber dem normalen kapitalistischen Wahnsinn und Elend „besonders schlimm“ wären, erfolgen. Vielmehr brauchen wir eine längerfristige Strategie, die den Kampf gegen Rechts mit einer revolutionären Perspektive und der Verankerung in der ArbeiterInnenklasse verbindet.

Oft geht es wohl auch darum, mit Hilfe eines gesellschaftlich brisanten Themas eine – meist vermeintlich – „breite“ Front aufzubauen. Dabei geht aber nur zu oft ein eigenständiges, antikapitalistisches Profil verloren oder wird, um mögliche (bürgerliche) BündnispartnerInnen nicht abzuschrecken, aufgegeben oder zurückgesteckt. Dabei wird der Vereinnahmung durch bürgerliche Kräfte Tür und Tor geöffnet und die Integration in den offiziellen „antirassistischen“ Mainstream, der die rassistischen Maßnahmen und Strukturen kaschieren soll, ermöglicht. So werden auch Illusionen geschürt, eine breite, anschlussfähige Bewegung aufzubauen, diese dann stärker zu politisieren und nach links treiben zu können.

Freilich kann es linken und linksradikalen Kräften auch zu Gute kommen, wenn eine breite Bewegung antirassistische Propaganda betreibt. Der Aufbau einer solchen, ohne ein antikapitalistisches Profil, kann jedoch nicht die Aufgabe von RevolutionärInnen sein. Antirassistische und antifaschistische Propaganda darf nicht getrennt von einer antikapitalistischen Ausrichtung stattfinden. Deshalb sind Etappenkonzept, die zunächst darauf abzielen, die Rechten auf der Wahlebene zu schwächen, eine diffuse Bewegung/Linke aufzubauen und später dann  irgendwann (wann genau?) eine Radikalisierung voran zu treiben, auch zum Scheitern verurteilt.

Das Zentrale sind also nicht Wahlergebnisse, irgendwelche Bewegungen oder kreative Aktionen, sondern vielmehr die politische Lage innerhalb der Lohnabhängigen selbst. Diese kann nur durch die kontinuierliche Arbeit und Präsenz von revolutionären Kräften in ihren Reihen verändert werden – und nicht durch die letztliche Unterstützung von reformistischen Kräften, die durch weiteren Verrat und Enttäuschungen rechten Kräften zuspielen.

Linke Einheitsprojekte?

Als ein zentraler Grund für die Schwäche der (radikalen) Linken wird häufig deren Zersplitterung genannt. Die Lösung läge demnach in einer „Einheit“ der Linken. Daher orientieren Viele auf den Aufbau einer neuen linken (Massen-) Partei. Wir sind natürlich grundsätzlich auch für eine möglichst „geeinte“ Linke und streben auch den Aufbau einer neuen, breiten revolutionären ArbeiterInnenparei an. Allerdings sind nicht alle Strategien dafür geeignet und eine Vereinigung linker Kräfte ist nicht zu jedem Zeitpunkt, zu jedem Preis und unter allen Umständen sinnvoll. Probleme ergeben sich dabei in mehrerlei Hinsicht.

Vielen solchen Projekten liegt eine gehörige Portion Selbstüberschätzung zu Grunde. Man/frau glaubt, nach dem Motto „Jetzt aber wirklich!“, dass guter Wille und die richtigen Ideen ausreichen um eine solche neue Massenpartei aufzubauen. Die Gründe für das bisherige Scheitern solcher Versuche werden dann hauptsächlich in den Fehlern der bisher beteiligten Kräfte gesucht und nicht im grundlegenden Charakter eines solchen Projekts. Dass die Linke zersplittert ist, hat jedoch nicht in erster Linie mit der Sturheit einiger Leute/Gruppen zu tun, sondern damit, dass verschiedene politische Positionen und Konzepte innerhalb eines organisatorischen Zusammenhangs zu Problemen führen müssen. Eine möglichst breite linke Organisation/Partei würde diese Auseinandersetzungen in einen Dauerzustand verwandeln. Ohne eine relevante gesellschaftliche Verankerung der beteiligten Kräfte und/oder substantiellen Klassenbewegungen verkommt so eine „Partei“ nur zu leicht zu einer leeren Hülle. Oft kommt es in solchen Vereinigungsprojekten dann auch zu heftigen Streitigkeiten zwischen verschiedenen Fraktionen und Strömungen. Die scheinbar pluralistischen linken Einheitsparteien erweisen sich dann als labile und sehr vergängliche Unternehmen. Das liegt auch wesentlich an der meist diffusen politischen Basis solcher Vereinigungsprojekte. In der Realität sind das meist ein linksreformistischer kleinster gemeinsamer Nenner und kaum ein gemeinsames Verständnis in grundlegenden und perspektivischen Fragen. Die Folge ist, dass solche Parteien den ersten Praxistest in wichtigen gesellschaftlichen Konflikten nicht überleben und Erschöpfung und Demotivierung der AktivistInnen gefördert werden.

Problematisch ist ebenso die Vorstellung von der Entwicklung von (Klassen-) Bewusstsein, die dabei zum Ausdruck kommt. In einem linearen, schematischen Verständnis wird davon ausgegangen, dass die ArbeiterInnen sozusagen erstmal eine linksreformistische Phase durchmachen müssten. Oft beteiligen sich auch „revolutionäre“ oder antikapitalistische Kräfte am Aufbau einer linksreformistischen Partei, in der Hoffnung, damit breitere Schichten anzuziehen und sich selbst ein Interventionsfeld zu schaffen. Die Partei und ihre AnhängerInnen sollen dann (schrittweise) nach links getrieben werden. Hier besteht die Gefahr, dass die Möglichkeiten für eine Radikalisierung mit den Argumenten Einheit und Breitenwirkung verpasst und radikale Kräfte erst recht wieder an reformistische Projekte gebunden werden. Naiv ist auch die Vorstellung, dass sich ein solches linksreformistisches Projekt dann – „zum richtigen Zeitpunkt“ – einfach radikalisieren ließe.

Die angestrebte gesellschaftliche Relevanz, bleibt meist ein frommer Wunsch. Stattdessen reiben sich AktivistInnen in ergebnislosen Diskussionen auf und verpassen es, in dieser Zeit eine stabile Organisation aufzubauen, also revolutionäre AktvistInnen zu organisieren und die Klärung von zentralen politischen Fragen vorzunehmen. Insgesamt sind viele linke Projekte oft politisch äußerst diffus. Wer soll die angestrebten Kämpfe und Bewegungen überhaupt führen? Und mit welchem Ziel?

ArbeiterInnenklasse und Betriebsarbeit

Wir sehen es dagegen als unumgänglich an, gerade in diesen zentralen politischen Fragen, über Klarheit zu verfügen. Die Klärung der zentralen politischen Fragen auf „später“ zu verschieben muss zu späteren Brüchen und in politische Sackgassen führen. Bei regelmäßiger politischer Arbeit wird man/frau nie so einfach die Zeit zu einer solchen Diskussion vorfinden; schon gar nicht in zugespitzten Situationen und während Klassenkämpfen – aber genau dann ist entscheidend, welche Perspektiven vorgeschlagen werden und ob die radikalen Kräfte stark genug sind!

Klar ist, dass ein reformistisches „Herumdoktern“ die grundsätzlichen Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise nicht lösen kann und es daher eine antikapitalistische Ausrichtung braucht. Doch was bedeutet „Antikapitalismus“ überhaupt und wie kann eine antikapitalistische politische Praxis aussehen? Der Kapitalismus wird freilich nicht durch radikale Proklamationen von kleinen Gruppen „abgeschafft“ werden und er wird auch nicht einfach (von selber) zusammenbrechen. Er muss vielmehr durch eine bewusste politische Tat überwunden werden. Dazu ist nur die ArbeiterInnenklasse, bedingt durch ihre Stellung im Produktionsprozess, in der Lage – der Kapitalismus ist eben in erster Linie eine bestimmte Produktionsweise. Die Lohnabhängigen werden allerdings nicht „automatisch“, als Reaktion auf die Krise, zu kämpfen beginnen. Dabei stellt sich auch noch die Frage mit welcher Perspektive diese Kämpfe überhaupt geführt werden würden.

Den entscheidenden Faktor stellt das Kräfteverhältnis verschiedener politische Strömungen innerhalb der ArbeiterInnenklasse dar. In den meisten Ländern dominieren seit dem Zweiten Weltkrieg reformistische, sozialpartnerschaftlich ausgerichtete Kräfte. In den letzten Jahrzehnten lässt sich insgesamt eine Entpolitisierung feststellen und in manchen Ländern können rechte/rechtsextreme Parteien Stimmen unter den Lohnabhängigen gewinnen. Diese Entwicklungen sind letztlich Ausdruck der Schwäche und Isoliertheit von revolutionären Organisationen und ihrer fehlenden Verankerung in den Reihen der ArbeiterInnen selbst.

Um diese Situation zu überwunden, reicht es freilich nicht aus, aufklärerisch mit den „besseren Ideen“ alleine punkten zu wollen oder die ReformistInnen und BürokratInnen zu „entlarven“. Ebenso unzureichend ist es, eine systemüberwindende Perspektive den Tagesforderungen und alltäglichen Problemen des Proletariats gegenüberzustellen. Beim Versuch der Verankerung von revolutionären Ideen und Kräften unter den Lohnabhängigen gilt es vielmehr an den unmittelbaren Lebensbedingungen und Problemen anzuknüpfen und diese mit einer revolutionären Perspektive zu verbinden. Es muss deutlich gemacht werden, dass und wie diese alltäglichen Probleme grundsätzlich mit dem kapitalistischen System zusammenhängen und das nur eine unabhängige Politik der ArbeiterInnen selbst eine Lösung sein kann.

Wir von der RSO versuchen uns daher direkt in der ArbeiterInnenklasse schrittweise eine stabile Verankerung aufzubauen. Dabei intervenieren wir mit Betriebsflugschriften, in denen betriebsinterne und branchenweite Probleme angesprochen sowie allgemeinpolitische Themen diskutiert werden, regelmäßig in mehrere Betriebe. Uns ist dabei die Perspektive auf die Selbstorganisation der KollegInnen an der Basis wichtig; wir wollen uns nicht auf GewerkschaftsbürokratInnen und BetriebsrätInnen verlassen. Eine solche Arbeit kann freilich mit keinem Erfolg von heute auf morgen rechnen, sie ist allerdings die einzige Möglichkeit die Isolierung der revolutionären Kräften von der ArbeiterInnenklasse zu überwinden. Bei einer Zuspitzung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen wird den Kämpfen in den Betrieben, im Herzen der kapitalistischen Profitmacherei, eine Schlüsselrolle zukommen. Dabei wird ein entscheidender Faktor die Verankerung und Präsenz von revolutionären Kräften und Ideen in den Reihen der ArbeiterInnen selbst sein – und nicht das Bestehen von neuen, politisch diffusen linken „Einheits“bündnissen oder vorübergehenden und ebenso diffusen Bewegungen.

Reform und Revolution

Aber ist die Orientierung auf den Aufbau revolutionärer Organisationen und einer Verankerung in der ArbeiterInnenklasse angesichts der Dringlichkeit der aktuellen Situation nicht unangemessen? Sind revolutionäre Forderungen nicht viel zu abstrakt? Muss es nicht in erster Linie um die Verhinderung der aktuellen Angriffe gehen?

Die reformistischen Apparate, die sich der Verwaltung des kapitalistischen Elends verpflichtet fühlen, werden von selbst freilich keine effektiven Maßnahmen zur Abwehr der Angriffe und der Abwälzung der Krise auf die Lohnabhängigen vornehmen. Vielmehr geht es darum mit kleinen Zugeständnissen die eigene Basis ruhig und unmündig zu halten. Unter dem Druck der eigenen Basis können sie sich jedoch durchaus zu kämpferischer Rhetorik und mitunter auch Kampfmaßnahmen gezwungen sehen. Dabei geht es ihnen aber auch weit weniger um tatsächliche Erfolge, als um ein „Dampfablassen“ der KollegInnen und den Erhalt der bürokratischen Kontrolle über die Basis. Der entscheidende Faktor für kämpferische Maßnahmen sind und bleiben also die politische Lage in der ArbeiterInnenklasse selbst und die politischen Handlungen, die sie ergreift – und nicht eine Beeinflussung der BürokratInnen „nach links“ oder deren Überzeugung.

Für einen erfolgreichen Kampf gegen die Verschlechterungen sind die sozialpartnerschaftlichen Konzepte der ReformistInnen völlig ungeeignet. Nachdem sie selber in der „Standortlogik“ verbleiben, bleibt ihnen gar nicht viel mehr übrig als sich um das Wohl der Wirtschaft zu sorgen, also die Krise auf die ArbeiterInnen abzuwälzen; allerdings mit „Abfederungen“. Kommt es zu Kampfmaßnahmen und Streiks werden diese von oben geführt und kontrolliert – und auch wieder abgedreht. Um erfolgreich zu sein, müssen diese jedoch von den KollegInnen selber getragen und geführt werden; die Gängelung durch die Bürokratie muss überwunden werden.

Dabei wird auch deutlich, dass radikale und revolutionäre Forderungen und Kampfmaßnahmen keineswegs „zu abstrakt“ oder der Dringlichkeit nicht angepasst sind. Ganz im Gegenteil: ein erfolgreicher Kampf gegen die Angriffe verlangt vielmehr nach einer radikalen und unabhängigen Gegenwehr der ArbeiterInnenklasse. Mit Übergangsforderungen können die Tagesforderungen und -kämpfe mit einer systemüberwindenden Perspektive verbunden werden. Dabei wird auch deutlich, dass bereits Forderungen aus Tageskämpfen mit der Logik des kapitalistischen Systems zusammenstoßen. Im Zuge der Krise können Übergangsforderungen eine deutlich breitere Resonanz finden als bisher.

Dabei wird auch ersichtlich, dass revolutionäre Politik nicht nur etwas für Zeiten ist, in denen die radikale Linke dann stark genug ist. Dabei ist die Frage auch, wie so eine Stärke überhaupt entstehen soll, wenn nicht durch revolutionäre Arbeit auch schon von kleinen Gruppen. Außerdem ist das erfolgreiche Führen von Tageskämpfen und das Anstreben einer Systemüberwindung keine entweder-oder-Frage und auch kein Etappenprojekt. Die reformistischen Kräfte versagen, aufgrund ihrer Standortlogik und Ausrichtung auf Verhandlungen, selbst im Führen von elementaren Abwehrkämpfen. Dabei entstehen Möglichkeiten für revolutionäre Kräfte, sich als die entschiedeneren KämpferInnen zu profilieren und aus der Dynamik der Tageskämpfe, mit Übergangsforderungen, die Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus aufzuzeigen.

Es wäre auch fatal, die Versuche, eine Verankerung in der ArbeiterInnenklasse herzustellen, auf später zu verschieben, weil es jetzt dringendere Aufgaben gäbe. Gerade die Krise bietet Chancen, Brüche mit traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung voranzutreiben und revolutionäre Kräfte zu stärken. Denn es ist zwingend erforderlich, den Reformismus als dominierende politische Kraft innerhalb der ArbeiterInnenbewegung zu überwinden. Dessen Einfluss wird auch in Perioden des revolutionären Aufschwungs nicht „von selbst“ verschwinden. Vielmehr können reformistische Organisationen aufgrund ihrer traditionellen Verankerung in der Klasse eine entscheidende Rolle beim Abwiegeln und Verhindern von Klassenkämpfen und Revolutionen spielen.

Beim Aufbau von revolutionären Parteien können die reformistischen Massenorganisationen jedoch nicht ignoriert oder einfach „entlarvt“ werden. Es müssen vielmehr Wege und Möglichkeiten gefunden werden, die politischen Entwicklungen in den reformistischen Parteien zu beeinflussen – nicht mit dem illusionären Ziel, diese Parteien zu reformieren, sondern um die Basis dieser Parteien von den reformistischen Parteibürokratien und vom Reformismus überhaupt zu lösen. Zu diesem Zweck verwenden RevolutionärInnen die Taktik der Einheitsfront, bei der es darum geht, die – unter dem Druck ihrer Basis stehenden – reformistischen Organisationen in einen gemeinsamen Kampf für bestimmte anstehende Interessen der ArbeiterInnenklasse zu ziehen und die Mitglieder und AnhängerInnen dieser Organisationen in der konkreten Auseinandersetzung von der Inkonsequenz und/oder dem Verrat ihrer Führungen zu überzeugen.

Bei all diesen Formen ist entscheidend, dass die politische Unabhängigkeit der revolutionären Kräfte gewahrt bleibt, dass diese Taktik des revolutionären Organisationsaufbaus nicht mit einer politischen Anpassung an den Reformismus verwechselt wird. Revolutionäre Politik zu betreiben bedeutet also keineswegs sich von den „Massen“ zu isolieren, sie ist vielmehr notwendig, auch wenn revolutionäre Kräfte noch schwach sind. Wie sonst sollen revolutionäre Kräfte an Stärke gewinnen?

Revolutionäre Organisation aufbauen!

Als zentrale Aufgaben von RevolutionärInnen sehen wir den Aufbau einer stabilen revolutionären Organisation und ihre Verankerung in der ArbeiterInnenklasse. Dabei funktionieren vermeintliche Abkürzungen, wie reformistische Projekte oder eine besonders geschickte (Wahl-) Kampagne nicht. So gut kann eine (Wahl-) Kampagne gar nicht sein, dass sie eine Verankerung in der ArbeiterInnenklasse ersetzen kann. Auch wenn eine Wahlinitiative oder ein ähnliches Projekt durch allerlei professionelle Tricks in den bürgerlichen Medien vielleicht eine Zeit lang als relevantes Projekt dasteht, wird sich schnell zeigen, wie wenig real dahinter steht. Letztlich führt am geduldigen Aufbau einer Organisation von revolutionären AktivistInnen kein Weg vorbei. Ein solches Projekt kann nicht auf kurzfristige Durchbruchserwartungen setzen, die ohnehin immer schnell enttäuscht werden.

Insgesamt kann eine revolutionär-sozialistische Organisation längerfristig nur erfolgreich sein und ihre Funktion für die ArbeiterInnenklasse einnehmen, wenn sie sich auf einen stabilen Kader stützt, also auf eine Schicht von AktivistInnen, die über ein tiefgehendes politisches Verständnis, eine klare gemeinsame Ausrichtung, eine realistische Perspektive, ein festes Engagement für den revolutionären Kampf der ArbeiterInnenklasse und kollektive Entschlossenheit verfügen. Ebenso bedarf es einer klaren Perspektive auf die politische Verankerung der Organisation und ihrer Ideen in der ArbeiterInnenklasse und praktische Schritte in diese Richtung.

Angesichts dessen, dass sich die kapitalistischen Verheißungen immer mehr als hohle Phrasen entlarven, stehen uns stürmische Zeiten bevor, in denen den marxistischen Organisationen große Bedeutung zukommen wird. Diese und ihre Konzepte werden in den nächsten Jahren auf den Prüfstand gestellt werden. Hier gilt es auch die sich ergebenden Chancen nicht zu verpassen und Prozesse einer Radikalisierung auf später zu verschieben. Durch Klassenkampfereignisse und ihre theoretische Verarbeitung wird es nicht nur zu einer Stärkung, sondern auch zu einer Neuzusammensetzung der revolutionären Kräfte und allgemein Verschiebungen innerhalb der (radikalen) Linken kommen. Wir sind überzeugt, dass eine neue revolutionäre Internationale nur durch einen Umgruppierungsprozess in diesem Spektrum entstehen kann. In diesen zukünftigen Prozess wollen wir mit einer politisch, organisatorisch und numerisch möglichst starken Organisation eintreten und für unsere Positionen kämpfen.

 

Zum Weiterlesen:

Kapitalistisches Elend und sozialistische Antworten

Thesen zu revolutionärer Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

Nazis blockieren – und dann?