Griechenland: Untergrundorganisation –„17.November–“

In den letzten beiden Jahren machen in Griechenland erneut linksradikale Untergrundgruppen mit Anschlägen auf sich aufmerksam. Derartige Aktionen haben in diesem Land eine lange Tradition. Wir unterziehen die Tätigkeit des „17. November“ einer kritischen Bilanz.

Seit dem Polizeimord an einem 15-jährigen Schüler im Dezember 2008 in Athen haben sich die linksradikalen Untergrundaktivitäten deutlich verstärkt. Das reicht von nächtlichen Brandanschlägen auf Banken und Konzernzentralen über Angriffe auf Polizeibusse und -stationen bis zu einer Raketenattacke auf die US-Botschaft und Anschläge auf Richter oder Journalisten. Die neuen Untergrundgruppen nennen sich „Revolutionärer Kampf“ oder „Sekte der Revolutionäre“. Sie stehen mit ihren Aktivitäten zumindest implizit in der Tradition der legendären Untergrundorganisation „17. November“, die von 1975 bis 2002 bestand.

Militärjunta und Radikalisierung

Zurückreichend in die Zeit der Junta und mit besonderem Bezug zu den Ereignissen im November 1973, als der Polytechnion-Aufstand blutig niedergeschlagen wurde, erlebte die griechische radikale Linke nach dem Sturz der Obristen einen deutlichen Aufschwung. Die weitverbreitete Stimmung nach grundlegenden Veränderungen zusammen mit der angepassten Politik der stalinistischen KKE, der eurokommunistischen KKE-es und der „sozialdemokratischen“ PASOK schufen den politischen Raum für die Entstehung und das Anwachsen von verschiedensten Gruppen der radikalen Linken. Sie konnten mit Opposition gegen die „demokratisch“ kaschierte erneuerte Herrschaft der Bourgeoisie, revolutionärer Rhetorik und militantem Auftreten immer wieder die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich ziehen.

Neben den maoistischen und trotzkistischen Organisationen bestanden in der radikalisierten Atmosphäre im Griechenland nach der Junta auch etliche weitere, oft nur zeitweilig bestehende, überwiegend studentische linke Gruppen. Dazu kam ein gestärktes anarchistisches Milieu, das in loseren Zusammenhängen (Zeitungsprojekte, Klubs) formiert war. In Athen und Saloniki fanden in den Jahren 1974-76 nahezu andauernd linksradikale Demonstrationen statt. Es wurden oft US-Fahnen verbrannt und vor Ministerien und den Büros von US-Einrichtungen explodierten regelmäßig selbstgebaute Bomben. Nach Angabe der US-Botschaft wurden im Jahr 1975 fast 200 Autos, die US-Militärangehörigen und anderem US-Personal gehörten, angezündet, im Jahr 1976 120 und im Jahr 1977 84.

Ab 1975 traten schließlich auch linksradikale Untergrundgruppen in Erscheinung. Die Epanastatikos Laikos Agonas (Revolutionärer Volkskampf – ELA) ging davon aus, dass eine revolutionäre Veränderung eine bewaffnete Avantgarde professioneller Revolutionäre brauche. Sie kritisierte die KKE für die Teilnahme an der Konsolidierung der bürgerlichen Ordnung. Eine proletarische Machtübernahme könne nicht durch das Parlament und graduelle Reformen erreicht werden, sondern nur durch revolutionäre Gewalt. Die ELA verstand sich in gewisser Weise als Erziehungsservice für das Proletariat und setzte auf eine Reihe von nicht-tödlichen Anschlägen mit symbolischer Bedeutung. Eine der ersten Aktionen der ELA war das Anzünden von acht Autos von US-Militärs auf der US-Basis Elefsina Ende April 1975. 1978 spaltete sich eine radikale Gruppe von der ELA ab, formierte sich als Omada Iounios 78 (Gruppe Juni 78) und reagierte auf ihre Weise auf die seitens der Regierung ausbleibende Verfolgung der Junta-Mörder: Ende Juni 1979 tötete sie den ehemaligen Geheimdienstoffizier und Junta-Folterer Petros Bambalis – und verschwand daraufhin wieder von der Szene.

Die ELA selbst setzte ihre Ausrichtung auf „low-level“-Ziele fort: Es folgten weitere Anschläge auf US-Militäreinrichtungen, auf Polizeistationen und Banken, auf IBM, American Express, auf Büros der EG und der UNO, auf ausländische Botschaften und das Management von Fabriken. Die politische Botschaft wurde jeweils über Antipliroforisi (Gegeninformation), das Untergrundjournal der ELA, an Sympathisant/inn/en und die restliche Linke kommuniziert. Insgesamt soll die ELA bis 1995 etwa 200 Anschläge durchgeführt haben. Nach den angeblichen Selbstmorden der RAF-Kader im Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim im Oktober 1977 verübte ein Kommando der ELA einen Anschlag auf die Niederlassung der deutschen Firma AEG in Athen. Dabei wurde der mutmaßliche ELA-Führer Christos Kassimis erschossen. Als Mittäter des Anschlags verdächtigt wurde auch Giannis Serifis, der während der Junta als Gastarbeiter in Deutschland und Australien den Widerstand unterstützte und nach seiner Rückkehr im AEG-Werk eine linksradikal-anarchistische Gewerkschaft aufbaute. Serifis saß eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft, was für die Gewerkschaftsgruppe ein harter Schlag war. Es gelang der Justiz aber trotz eindringlicher Bemühungen nicht, ihm was anzuhängen und er musste schließlich freigesprochen werden. Als Nachfolger von Kassimis und neuer Führer der ELA wurde Christos Tsoutsouvis vermutet. Er stand in Verdacht 1985 den Bezirksrichter Georgios Theofanopoulos getötet zu haben und wurde selbst Mitte Mai 1985 bei einem Schusswechsel mit der Polizei erschossen.

Entstehung des „17. Novembers“

Die radikalere und letztlich auch bekanntere linksradikale Untergrundorganisation in Griechenland war aber die Epanastatiki Organosi 17 NoemvriRevolutionäre Organisation 17. November – 17N). Der 17N, der sich auf die Tradition des Kampfes der griechischen Partisan/inn/enbewegung ELAS und auf die Rebellion gegen die Militärjunta im November 1973 bezog, verstand sich selbst als die bewaffnete Avantgarde der Arbeiter/innen/klasse. Anders als die meisten Stadtguerillagruppen in Westeuropa entstand der 17N nicht aus einem schrittweise in den Untergrund gehenden Teil der linksradikalen Bewegung, der dann auch die Anschlagsformen graduell radikalisierte. (

Der 17N hingegen trat am Vorabend von Weihnachten 1975 mit einer äußerst spektakulären Aktion auf die Bühne: Drei unmaskierte Männer erschossen den berüchtigten CIA-Chef von Athen, Richard Welch, der bei den wiederholten rechtsextremen und US-Interventionen auf Zypern eine zentrale Rolle gespielt hatte, in Athen auf offener Straße; der 17N übernahm die Verantwortung. Da der Anschlag aber in einer derartigen Präzision durchgeführt worden war, wurde das einer bisher völlig unbekannten linksradikalen Organisation vielfach nicht zugetraut und die Polizei und die Medien ergingen sich in wilden Spekulationen über die „wahren“ Urheber (die Mutmaßungen reichten bis dahin, dass ein Teil des griechischen Geheimdienstes KYP für den „Verrat“ in Zypern Rache geübt hätte oder die CIA selbst Welch loswerden wollte).

Ein Jahr nach dem Angriff auf Welch erschoss der 17N Evangelos Mallios, einen Polizeioffizier und Folterer während der Militärjunta. Mit einem Publicity-Coup machte die Untergrundgruppe vorerst einigen Spekulationen ein Ende: In einem Communique, das vermutlich über Jean-Paul Sartre der französischen Zeitung Liberation zugespielt wurde, übernahm der 17N die Verantwortung – und schilderte gleichzeitig im kleinsten Detail, wie es nur die Beteiligten wissen konnten, die Durchführung des Anschlages auf Welch. Im Januar 1980 tötete der 17N dann den Kommandanten der MAT-Spezialpolizei und ehemaligen Geheimdienstoffizier und Folterer während der Junta, Pandelis Petrou, und seinen Chauffeur. Alle vier bisherigen Getöteten waren mit derselben 45er-Pistole erschossen worden, die zum Kennzeichen der Gruppe geworden war.

Die Auswahl der Ziele und ihre Symbolkraft zeigten die Absicht des 17N, sich mit einer breiteren Stimmung gegen das neue rechte „demokratische“ Regime zu verbinden. In der griechischen öffentlichen Meinung wurde der 17N bald als linksradikale Gruppe wahrgenommen, die über die nachsichtige Haltung der Karamanlis-Regierung gegenüber den Junta-Mördern wütend war und das Gesetz in die eigenen Hände nahm. Angesichts der staatsfeindlichen Traditionen in Griechenland und der radikalisierten Stimmung stießen die Aktionen des 17N auf relativ breite Akzeptanz und bei erheblichen Teilen der Bevölkerung sogar auf offene Sympathie. Damit ging die Taktik des 17N zwar teilweise auf. Wie bei sämtlichen Konzepten des individuellen Terrors handelte es sich aber auch beim Agieren des 17N um eine Stellvertreterpolitik, die in diesem Fall zwar die Zustimmung von Teilen der Unterdrückten erzielte, die sie aber gleichzeitig nicht selbst aktivierte, sondern im Gegenteil in einer Beobachterposition festhielt.

17N und die PASOK-Regierung

Nach der Machtübernahme der „sozialdemokratischen“ PASOK im Jahr 1980 und angesichts ihrer sozialistischen Versprechungen gingen die Gewaltakte durch radikale Linke drastisch zurück, von 56 im Jahr 1980 auf vier im Jahr 1983. PASOK hob die Anti-Terror-Gesetze auf und der 17N verhielt sich für zwei Jahre ruhig. Das änderte sich allerdings mit dem Schwenk von Papandreou zur Austeritätspolitik ab 1983 und der Erneuerung der Abkommen über die US-Basen im Land: Mitte November 1983 erschoss der 17N von einem Motorrad aus den US-Marineoffizier und Leiter der Marine-Abteilung der Joint US Military Advisory Group in Greece (JUSMAGG), George Tsantes und seinen griechischen Chauffeur, als deren Wagen bei einer Ampel hielt.

Der Anschlag wurde als Antwort auf das weitere Verbleiben des US-Militärs in Griechenland erklärt. In seinem Communique führte der 17N außerdem aus, dass die PASOK-Regierung ihre Wähler/innen betrogen und den Sozialismus aufgegeben habe. Außerdem wurde allen griechischen Chauffeur-Bodygards von US-Stellen angekündigt, dass es ihnen genauso ergehen könne, wie dem Fahrer von Tsantes. Teile der griechischen Presse konnten nicht glauben, dass einige Linksradikale zu solch gewagten und klinisch geplanten Operationen in der Lage wären und spekulierten nun über türkische Agenten und Auftragsmörder.

Der 17N erklärte nun den US-Einrichtungen in Griechenland den Krieg. Im April scheiterte ein Schussattentat auf den JUSMAGG-Offizier Robert Judd. In seinem Communique führte 17N aus: „Die Basen werden weder durch Wahlen noch durch parlamentarische Methoden verschwinden. (…) Nur ein dynamischer Massenkampf und legitime revolutionäre Gewalt des Volkes werden sie hinauszwingen.“ Das erstmalige Scheitern einer Operation wurde damit erklärt, dass es sich beim 17N eben nicht um professionelle Mörder handle, sondern um „einfache Kämpfer aus dem Volk mit einfachen Mitteln und einer rudimentären Organisation“. Die Papandreou-Regierung sei ein Komitee, das die Geschäfte der „lumpen-großbourgeoisen Klasse“, der griechischen Oligarchie, manage. Damit wurden Anschläge auf das griechische politische Establishment angekündigt.

Im Februar 1985 erschoss der 17N im Zentrum von Athen Nikos Momferatos, Herausgeber der auflagenstärksten konservativen Zeitung (Apogefmatini) und ehemaliger Industrieminister der Junta, und seinen Bodygard. Im 17N-Communique wurde er als „faschistischer Junta-Mann“ und CIA-Agent angeprangert, der die griechische Bevölkerung systematisch desinformiere. Im November 1985 verbarrikadierten sich über 1.000 Linksradikale im Athener Polytechneion. Sie protestierten damit gegen die Tötung des 15-jährigen Michalis Kaltezas, der während des Marsches zur US-Botschaft anlässlich des Jahrestages der Revolte von 1973 durch die Kugel eines MAT-Spezialpolizisten ums Leben kam. Papandreou verweigerte den Rücktritt des Innenministers. Der 17N reagierte darauf mit einem Bombenanschlag auf einen Bus der MAT, bei dem ein Spezialpolizist getötet und 14 verletzt wurden.

Terror gegen das Kapital

Nach diesem ersten Bombenanschlag der Untergrundorganisation erhöhte sich die Dichte der Aktivitäten des 17N. Im April 1986 erschoss ein junger Motorradfahrer den führenden Industriellen Dimitris Angelopoulos, Vorsitzender des Chalivourgiki-Stahlkonzerns und enger Freund von Papandreou. Das Communique des 17N erklärte, dass Angelopoulos als Ziel ausgewählt worden wäre, weil er, wie die typischen griechischen Kapitalist/inn/en, sein staatlich gestütztes Unternehmen absichtlich in den Konkurs getrieben, gleichzeitig aber massiv Gelder außer Landes geschafft habe. Papandreou reagierte auf diesen Anschlag mit der Auswechselung der Polizeiführung und damit, dass britische Experten für ein halbes Jahr nach Athen geholt wurden, um die griechische Polizei in Anti-Terror-Techniken zu trainieren – ohne Erfolg, denn die Aktivitäten des 17N gingen intensiv weiter.

Im Februar 1987 wurde dem bekannten Arzt und Besitzer der Engefalos-Privatklinik, Zacharias Kapsalkis, von einem 17N-Kommando mehrmals in Bauch und Beine geschossen, absichtlich aber nur verletzt. Kapsalkis war ein wichtiger Megalogiatros, also einer der sogenannten großen Doktoren, die für Reichtum, Korruption und Ausbeutung standen, einer von denen, die sich gegen die Verstaatlichung des Gesundheitswesens besonders querlegten und so ihre Privilegien verteidigten. Der 17N machte ihn verantwortlich für die unzureichende Gesundheitsversorgung der griechischen Lohnabhängigen. Im April und August 1987 verübte der 17N zwei Anschläge auf US-Militärbusse, bei denen insgesamt 25 US-Militärs teilweise schwer verletzt wurden. Der zweite Anschlag fand während eines Besuchs des US-Unterstaatssekretärs Michael Armacost in Athen statt. In einem Communique wurde gewarnt, dass bis zur Schließung der US-Basen die Angriffe auf die etwa 3.500 US-Soldat/inn/en in Griechenland weitergehen würden. Anfang März 1988 erschoss der 17N den rechten Fabrikanten Alexandros Athanasiadis-Bodosakis, Generaldirektor des Larco-Bergbaukonzerns und der Pyrkal-Waffenfirma (der größten in Griechenland). Die Untergrundorganisation lastete ihm Ausbeutung und Bereicherung auf Kosten der griechischen Arbeiter/innen/klasse an.

Im Juni 1988 tötete der 17N mit einer Zeitzünde-Bombe den Militärattache der US-Botschaft, Marineoffizier William Nordeen. Bald danach kam ein FBI-Team nach Athen, um den mit größter Präzision durchgeführten Anschlag zu untersuchen. Die US-Regierung bot 500.000 US-$ für Informationen an, die zu Festnahmen von 17N-Mitgliedern führten. Aber auch diesmal blieb die Hilfe der westlichen Geheimdienste ergebnislos. Die Sicherheitsausgaben der US-Botschaft in Griechenland wurden zu den höchsten der Welt.

Die griechische Polizei, die ohnehin mehr durch Brutalität als durch logistische Kompetenz auffiel, wurde im August 1988 vollends lächerlich gemacht. Sechs 17N-Kämpfer überrumpelten die Besatzung einer Polizeistation im Athener Vor-ort Vyron, sperrten die Polizisten ein und verschwanden mit zwei automatischen und acht anderen Schusswaffen. Das darauf folgende Communique, in dem erklärt wurde, dass die Waffen zur effizienteren Fortsetzung des Kampfes besorgt worden seien, war mit einem Foto ergänzt, das die gestohlenen Waffen unter der roten Fahne des 17N und Porträts von Karl Marx und Aris Velouchiotis, dem (später von den Stalinist/inn/en ans Messer gelieferte) Führer der griechischen Partisan/inn/enbewegung, zeigte. Damit stellte sich der 17N mit großer Symbolkraft in eine bestimmte Tradition.

Als Ende der 1980er Jahre die Finanzskandale und die Korruption rund um die Bank von Kreta zum bestimmenden politischen Thema wurden, intervenierte der 17N auch hier. Er warf der griechischen Justiz vor, die korrupten Industriellen zu schonen. Im Januar 1989 zerschossen 17N-Kommandos zwei rechten Staatsanwälten die Kniescheiben. Kostas Androulidakis wurde von der Untergrundorganisation vorgeworfen, dass er die Freisprechung der Großkapitalisten-Familie Tsatos, die unter dem Verdacht großangelegten Betruges stand, und gleichzeitig ein Gesetz zur Illegalisierung von Streiks betreibe. Panagiotis Tarasouleas wurde vom 17N angegriffen, weil er die ebenfalls in massive Korruption verwickelte Andreadis-Familie (Bank- und Werftbesitzer) vor Strafverfolgung schützte.

Die griechische Justiz wurde durch diese Anschläge erheblich verunsichert; zwei der obersten Richter legten ihre Ämter zurück. Einige Tage später zerstörte der 17N mit Bomben drei unbewohnte Luxusresidenzen von reichen Geschäftsmännern etwa im Athener Nobelviertel Kolonaki. Trotz der Einführung von sogenannten Anti-Terror-Gesetzen, der Unterstützung von britischen und US-Geheimdiensten und der In-Aussicht-Stellung von astronomischen Belohnungen hatte der griechische Staat zu Ende der PASOK-Ära 1989 keinerlei Spur zur Untergrundorganisation 17N. Anders als in den verschiedenen westeuropäischen Ländern, wo der „linke Terrorismus“ weitgehend zerschlagen war, existierte in Griechenland weiterhin eine hochaktive bewaffnete Organisation, die noch dazu noch immer die zumindest klammheimliche Sympathie von Teilen der Bevölkerung besaß.

Fortsetzung in den 1990er Jahren

Das Jahr 1991 war voll mit Angriffen des 17N, besonders gegen Ziele, die mit der US-geführten Allianz gegen den Irak in Zusammenhang standen, die vom 17N für den Tod von 130.000 Menschen verantwortlich gemacht wurde. Es gab Anschläge auf das Büro des französischen Militär-Attaches, auf Barclays, die Citibank, American Express und BP. Mitte März erschoss der 17N den US-Air Force-Offizier Ronald Stewart.

Im selben Monat zerstörte der 17N fünf Reisebusse, die von der Regierung zum Brechen des Streiks im öffentlichen Nahverkehr in Athen einsetzte wurden. Im April versenkte der 17N ebenfalls wegen Streikbruches einen Schleppkahn im Hafen von Piräus. Am Vorabend des Staatsbesuches von George Bush sen. im Juli 1991 in Athen scheiterte ein Versuch des 17N, den türkischen Botschafter zu töten. Im darauf folgenden Oktober erschoss die Gruppe aber dann – wegen der türkischen Okkupation Nordzyperns – den Presseattache der türkischen Botschaft, Cettin Gorgu.

Bald darauf kam es zu einer direkten Konfrontation zwischen dem 17N und der Polizei, die für letztere in einem Desaster endete. In einer wilden Schießerei mit automatischen Waffen im Bezirk Sepolia wurden vier Polizisten verletzt, die 17N-Aktivisten konnten unverletzt und unerkannt entkommen. Im März 1992 wäre ein Kommando des 17N fast einer 30-Mann-starken Einheit der US-trainierten Spezialtruppe EKAM ins Netz gegangen. Als Spezialpolizisten aber realisierten, dass aus dem angehaltenen Kleinbus zahlreiche Waffen auf sie gerichtet waren, gaben sie auf und das 17N-Kommando konnte entkommen. Das weitere Jahr 1992 und 1993 waren von gesteigerter Polizeipräsenz, einem gescheiterten Anschlag auf Finanzminister Giannis Paleokrassas, die bewusste Verletzung eines ND-Hinterbänklers und ansonsten sporadische low-level-Angriffe gekennzeichnet.  Das politische Establishment und die Medien spekulierten bereits über ein Ende des 17N.

Im Januar 1994 aber erschossen 17N-Aktivisten von einem Motorrad aus den ehemaligen Gouverneur der griechischen Nationalbank, Michalis Vranopoulos, der 1992 in den korrupten Verkauf des Herakles-Zementkonzerns an ein italienisches Konglomerat involviert war. Papandreous neuerliche Regierungsübernahme brachte den 17N diesmal nicht mehr zu einem vorläufigen Abwarten. Raketen wurden auf britische, niederländische, deutsche, türkische und US-Firmen abgeschossen, etwa auf IBM. Nachdem im April 1994 eine Rakete auf einen britischen Flugzeugträger abgeschossene nicht ihr Ziel erreichte, wurde im Juli der türkische Diplomat Haluk Sipanhioglo erschossen – von einem Kommando Theofilos Georgiadis, benannt nach einem zypriotischen Menschenrechtsaktivisten, der vom türkischen Geheimdienst wegen seiner pro-kurdischen Tätigkeit in Nikosia ermordet worden war.

Bis März 1995 unternahm der 17N dann keine weiteren Aktionen. Allerdings sprengte die ELA, die seit 1975 über 250 nicht-tödliche, low-level-Anschläge durchgeführt hatte, im September 1994 einen Polizeibus in die Luft, wodurch ein Polizist getötet und zehn verletzt wurden. ELA versprach weitere Angriffe auf griechische Polizist/inn/en, die als „lokale Repräsentanten des CIA“ bezeichnet wurden. Die entnervte Regierung erklärte den Kampf gegen den Terrorismus zur höchsten Priorität. Die Gelder für die Polizei, den Geheimdienst, für Spezialeinheiten und spezielle think-tanks wurden massiv aufgestockt. 3.000 potentielle Ziele bekamen rund um die Uhr Polizeischutz. Dennoch explodierten im März 1995 genau während der Abendnachrichten zwei Raketen in den Studios des Privatsenders Mega TV. Der Newsroom wurde weitgehend zerstört, von den etwa 100 anwesenden Personen wie durch ein Wunder niemand verletzt (die 15 Minuten zuvor erfolgte Warnung des 17N war offenbar ignoriert worden). Der 17N sprach von einer Verschwörung von CIA und griechischen Medien.

Im Februar 1996 scheiterte dann ein Raketenangriff des 17N auf die US-Botschaft. Im Mai 1997 erschoss ein 17N-Kommando am helllichten Tag in einer belebten Straße von Piräus den Schiffsbesitzer Kostas Peratikos, der für die umstrittene Privatisierung der Elefis-Werften verantwortlich gemacht wurde (die Peratikos-Gruppe hatte die Werften 1992 gekauft, ausgeplündert und 1997 mit riesigen Schulden für den Staat geschlossen). Der 17N attackierte zunehmend den PASOK-Premier Kostas Simitis, den sie als Handlanger von USA und EU betrachteten, und seine nachgiebige Politik gegenüber der Türkei ebenso wie insbesondere die Auslieferung von des Kurdenführers Abdullah Öcalan von Griechenland an die Türkei. 1998 gab es Anschläge auf Niederlassungen von General Motors, McDonald’s und Citibank, nach den NATO-Angriffen auf Serbien folgten 17N-Anschläge gegen Filialen von Chase Manhatten, Midland Bank und Banque Nationale de Paris. Im Juni 2000 wurde schließlich der Militärattache der britischen Botschaft in Athen, Stephen Saunders, im dichten Morgenverkehr von einem 17N-Kommando auf einem schweren Enduro-Motorad mit vier Schüssen aus dem bekannten 17N-Revolver getötet.

Ende des 17N

Ende Juni 2002 detonierte dann aber im Hafen von Piräus ein Sprengkörper in den Händen des Ikonenmalers Savas Xiros und verletzte ihn schwer. In Gewahrsam der Antiterrorspezialisten der griechischen Polizei, die ihn wohl gezielt unter Drogen setzten, lieferte Xiros schließlich die Spuren zum 17N. Bei der Durchsuchung mehrerer konspirativer Wohnungen in Athen fanden die Polizisten Schusswaffen, Panzerfäuste, Munition und Propagandamaterial. Insgesamt wurden in den folgenden Wochen 19 Personen festgenommen, darunter auch zwei Brüder von Xiros. Anders als oft spekuliert waren es keine Mitarbeiter fremder Geheimdienste oder ähnliches, sondern einfache Werktätige wie Schlosser, Imker, Tischler oder eben Ikonenmaler.

Unter ihnen war aber auch Alexandros Giotopoulos, der Sohn des historischen Führers der Archeiomarxist/inn/en (einer in den 1920er und 1930er Jahren sehr sehr starken, dem Trotzkismus nahe stehenden Bewegung in Griechenland). Giotopoulos hatte seit 1974 unter falschem Namen in Athen und auf der Ägäis-Insel Lipsi gelebt. Er wurde vom griechischen Staat als Kopf und gemeinsam mit Dimitris Koufontinas als Anführer des 17N hingestellt. Außerdem versuchte die Polizei wieder einmal, dem anarchosyndikalistischen Gewerkschafter Serifis etwas, nämlich diesem die Mitgliedschaft im 17N, anzuhängen. Ähnliches galt für den ehemaligen Trotzkisten Theologos Psaradellis, der schon in der Junta inhaftiert und gefoltert worden war. Er war 1986 an einem Bankraub beteiligt gewesen, mit dessen „Erlös“ er die Herausgabe der Schriften von Pantelis Pouliopoulos (einem der wichtigsten Führer des griechischen Trotzkismus, der von den italienischen Besatzern exekutiert worden war) mitfinanziert hatte und der mittlerweile verjährt war.

Die Verhafteten wurden in einem Spezialgefängnis eingesperrt. Der Prozess gegen die mutmaßlichen 17N-Aktivist/inn/en dauerte von Anfang März bis Ende November 2003 und verhandelte etwa 2.500 Anklagepunkte. Das Sondergericht sprach schließlich 15 der 19 Angeklagten schuldig. Die höchste Freiheitsstrafe in der griechischen Rechtsgeschichte erhielt der 59-jährige Giotopoulos: 21mal lebenslänglich. Koufontinas bekam 13mal lebenslänglich. Ein- oder mehrmals zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurden auch Savas und Christodoulos Xiros, Vasilis Tsortsatos und Iraklis Kostaris. Neun weitere Angeklagte erhielten Freiheitsstrafen zwischen acht und 25 Jahren. Insgesamt wurde 66mal lebenslang und 9.225 Jahre Gefängnis ausgesprochen. Die Außenministerien der USA und Großbritanniens drückten ihre Zufriedenheit aus.

Die Angeklagten freilich haben das Sondergericht als illegitime Klassenjustiz abgelehnt und sich politisch verteidigt. Giotopoulos hat sich auch positiv auf den Archeiomarxismus und den Trotzkismus, mit denen er mit den Methoden des 17N natürlich nur wenig gemein hatte, besonders aber auf die ELAS bezogen. Koufontinas übernahm die politische Verantwortung für alle Aktionen des 17N und fasste sein Verständnis in seiner Schlusserklärung zusammen: Er attackierte das Rechtssystem, „das die Mächtigen und Reichen ungestraft lässt: den Industriellen, der bei Arbeitsunfällen mordet, den Reeder, der in seinen alten Schiffen die Menschen ertränkt, und den Räuber öffentlichen Eigentums – für sie alle gilt dieses Recht nicht.“ Er sprach von einem Krieg, der seit Beginn der Klassengesellschaften ausgefochten werde, und einem System, das nicht reformiert werden könne. Er bezeichnete den 17N als „Organisation der revolutionären Linken“ und bezog sich dabei auf Marx, Lenin (und die Oktoberrevolution), Velouchiotis (und die ELAS) und Che (und die kubanische Revolution).

Er verteidigte die Praxis des 17N gegen den Vorwurf des Terrorismus: „Die US-amerikanische Botschaft in unserem kleinen Land hatte die höchsten Sicherheitsausgaben auf der Welt. Die Geheimdienste aller westlichen Länder schickten ihre Spezialisten nach Griechenland. Die Großindustriellen und Reeder bauten Festungen, unterhielten Heere von Leibwächtern, gaben ihr Geld für gepanzerte Fahrzeuge und elektronische Sicherheitsanlagen aus. All diese Leute, einige Tausend – jawohl, sie wurden terrorisiert, und der 17N ist stolz darauf. Aber das griechische Volk wurde weder von der Angst vor dem 17N geweckt, noch ging es mit dieser Angst zu Bett.“ Das Schlusswort von Koufontinas erschien in der Tageszeitung Elephterotypia. Vorsorglich hatte das linksliberale Massenblatt seine Auflage verdoppelt, sie war dennoch bereits zu Mittag ausverkauft.

Bilanz

Der 17N hatte in 25 Jahren 106 Angriffe durchgeführt und 23 meist schwer bewachte Personen getötet. Der Staat tappte weiterhin ohnmächtig im Dunkeln und hatte kein Rezept gegen den 17N vorzugehen. Während er auf die herrschenden Eliten einen tatsächlich terrorisierenden Effekt hatte, wurde er in der griechischen Gesellschaft schon mehr oder weniger als normaler Teil des nationalen Lebens akzeptiert. Der „Rache-Terrorismus“ gegen imperialistische Einrichtungen, gegen ausbeuterische Kapitalist/inn/en, gegen ihre Polizei und ihre Politiker/innen hatte weiterhin eine, wenn auch rückläufige, beachtliche passive Sympathie in Teilen der Bevölkerung. Auch in den 1990er Jahren sympathisierten selbst nach Angaben eines ND-Abgeordneten etwa 24% der griechischen Bevölkerung mit dem 17N. Allerdings hatte sich der 17N mit seinem Bezug auf den November 1973 und seinen Kampfmethoden von den politischen Realitäten der 1990er Jahre doch immer mehr isoliert. Sein elitärer Untergrundkampf trug letztlich nichts zur Aktivierung der Lohnabhängigen für ihre eigene Befreiung bei.

So spektakulär die Angriffe des 17N (und der ELA) auf den US-Imperialismus, die Junta-Folterer, das Großkapital und den Staatsapparat auch waren, so sehr die meisten ihrer Aktionen auch von vielen Leuten als gerecht und legitim angesehen wurden, so wenig trugen sie zur Organisierung der Arbeiter/innen/klasse gegen das kapitalistische System bei. Die große Mehrheit der griechischen radikalen Linken distanzierte sich deshalb – in der Tradition von Lenin (oder auch Trotzki) – vom individuellen Terror. Sie betrachteten die Aktivist/inn/en von 17N und ELA in der Regel als „Genoss/inn/en, die den falschen Weg genommen haben“, und lehnten ihre Logik als elitäre und militaristische Stellvertreterpolitik ab.

Heute versuchen einige Gruppen in Griechenland, in die Fußstapfen des 17N zu treten. Wesentlich wird aber nicht sein, ob ihnen diese Fußstapfen zu groß sind oder nicht. Entscheidend in der zugespitzten Klassenkampfsituation in Griechenland – mit einer verunsicherten Bourgeoisie und eine kampferprobten Arbeiter/innen/klasse – wird vielmehr sein, ob es der revolutionären Linken gelingt, sich in den Betrieben zu verankern und eine alternative politische Führung (gegenüber der Gewerkschaftsbürokratie und dem stalinistischen Reformismus der KKE) zu formieren.

Die Koordinierung der Basisgewerkschaften, die in den Kämpfen der letzten Monate entstanden war und in der viele Organisationen der antikapitalistischen Linken mitarbeiten, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dass in der starken anarchistischen Szene Athens, in der es massive Sympathien für militante Aktionen gab und gibt, teilweise Tendenzen zu syndikalistischer Arbeit gibt und einige auch in Richtung leninistischer Organisationsstrukturen nachdenken, ist ebenfalls ein positives Signal.

 

Zum Weiterlesen zu Klassenkampf und revolutionärer Bewegung in Griechenland:

 

Revolution und Konterrevolution in Griechenland

Entwicklung von Klassengesellschaft und Arbeiter/innen/bewegung in den letzten 100 Jahren

Griechische Linke zwischen Repression, Revolte und europäischer „Normalisierung“

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