Auf der Mai-Demonstration in Zürich haben wir eine Flugschrift mit folgender Stellungnahme verteilt…
Die Krise ist hier! Wo bleiben die Kämpfe?
Seit Beginn der Wirtschaftskrise im Herbst 2007 sind nun fast zweieinhalb Jahre vergangen. Wie lässt sich die Krise bisher bilanzieren? Während die Krise für viele ArbeiterInnen / Lohnabhängige massive Verschlechterungen der Arbeits- und Lebensbedingungen bedeutet, werden bei den Banken bereits wieder Boni in Millionenhöhe ausgezahlt. Fanden erste Proteste gegen die Krise noch unter Mottos wie „Wir zahlen nicht für eure Krise“ statt, ist es heute eine Gewissheit: Ja, wir bezahlen für die Krise und legen sogar ein Trinkgeld oben drauf. Wieso ist das so? Wo bleibt der Widerstand der ArbeiterInnen / Lohnabhängigen? Sind die Tage der organisierten ArbeiterInnenbewegung gezählt? Ganz im Gegenteil! Im Folgenden wollen wir zeigen, wie es zur Krise kam, wo es Widerstand gab und gibt und was notwendig ist, damit die ArbeiterInnen / Lohnabhängigen nicht länger auf der Rechnung der Bosse und KapitalistInnen sitzen bleiben.
Ihre Krise, nicht Unsere!
Von sogenannten WirtschaftswissenschaftlerInnen kriegen wir immer wieder zu hören, dass die Krise von uns allen verursacht worden ist. Einige begnügen sich auch damit, den USA und ihrem Konsum auf Kredit den Schwarzen Peter zuzuschieben. Solche Aussagen sollen nur die tatsächlichen Ursachen der Krise verschleiern. Bekannte ÖkonomInnen und PolitikerInnen wie Franz Jäger oder Christoph Blocher waren sich nicht zu schön, unlängst zu verkünden, wir müssten die Krise jetzt gemeinsam mit den Bossen und KapitalistInnen ausbaden, weil wir auch alle in der vorhergehenden Boomphase abgesahnt hätten. Dem ist aber nicht so. Während die Unternehmen tatsächlich eine Zeitlang, Rekordgewinne einfuhren und BankerInnen hohe Boni einstecken konnten, ist unser Reallohn nicht gestiegen, sondern gefallen. Die jährlichen Lohnerhöhungen blieben meist hinter der Teuerung zurück. Zusätzlich wurden und werden in allen Industrieländern seit den 80er Jahren massiv Sozialleistungen abgebaut und Arbeitsplätze wegrationalisiert, was dazu führt(e), dass die Arbeit an immer weniger Beschäftigten hängen blieb, die Arbeitslosenrate anstieg und wir immer mehr schuften müssen für unseren Lohn.
Die Krise: ein Produkt des Kapitalismus
Die Krise ist ein Produkt des kapitalistischen Wirtschaftssystems und damit auch jener Menschen, die es dirigieren: der Bosse und der KapitalistInnen. Aller Wohlstand unserer Gesellschaft wird von den ArbeiterInnen / Lohnabhängigen produziert. Wir arbeiten in den Fabriken, schwitzen auf dem Bau oder im Büro vor dem Rechner, aber von den Produkten unserer Arbeit sehen wir nur wenig. Den Grossteil von dem, was wir schaffen, stecken die KapitalistInnen als Profit ein. Dieser wird als Kapital wieder investiert, um noch mehr Profit zu erzielen. Die Konkurrenz zwischen den Kapitalien führt dabei zu einem ständigen Druck auf die Kosten und damit auf unsere Löhne. Irgendwann ist zuviel Kapital da (Überakkumulation von Kapital), um es weiter profitabel anzulegen.
Seit den 1990er Jahren gab es wieder einmal zu viel Kapital, als dass es profitabel in die Produktion investiert werden konnte. Auf der Suche nach immer höheren Profitraten, welche in der Realwirtschaft nicht mehr erzielt werden konnten, wurde immer mehr Kapital in den Finanzsektor und an die Börsen verlagert.
Von 1990 bis 2007 kam es so zu mehreren Finanzblasen und anschliessenden Finanzkrisen beispielsweise 1997 die Südostasienkrise oder 2001 die Dot-com-Blase in den USA. Beide Male ging das Pokern an den Börsen danach munter weiter. In den letzten Jahren wurde es immer schwieriger, profitable Bereiche im Industriesektor zu finden. Deshalb wurde immer mehr in den Finanzsektor investiert. Zunehmend wurde auch Kapital ins Ausland exportiert, wild auf Hypotheken spekuliert und viele Hypotheken abgeschlossen, welche ungenügend gedeckt waren. Als dieses Vorgehen ans Tageslicht kam und klar wurde, dass diese Hypotheken nicht zurück bezahlt werden können, begann die momentane Krise. Die Überakkumulation von Kapital war kein Phänomen, das nur den US-Hypothekenmarkt oder den Finanzsektor betraf, sondern auch die Realwirtschaft. Deshalb weitete sich die Krise immer mehr aus. In der Folge der Krise ist in allen westlichen Industriestaaten die Industrieproduktion massiv zurückgegangen. In Island kam es sogar zum Staatsbankrott. Viele grosse Banken haben nur überlebt, weil sie Spritzen in Milliardenhöhe vom Staat bekommen haben.
Die Krise wird aber nicht von einzelnen Bossen, KapitalistInnen oder gar den ArbeiterInnen / Lohnabhängigen verursacht, sondern durch die normale Funktionsweise des Kapitalismus. Während die KapitalistInnen aber in der Aufwärtsphase profitiert haben, haben die Angriffe auf die Arbeiterinnen immer stärker zugenommen. Das kapitalistische Wirtschaftssystem liegt nur im Interesse der KapitalistInnen und ist unseren Interessen 180 Grad gegenüber gestellt.
DARUM sollen wir trotzdem für die Krise bezahlen
Dass es nicht um unsere Interessen geht, machen spätestens die neuerlichen Angriffen auf uns klar (die versuchte Senkung des Umwandlungssatzes der Pensionskasse, die Halbierung der Bezugszeiten von Arbeitslosengeld für Junge, die Einsparungen im Gesundheits- und Bildungsbereich etc.), auch wenn uns das immer wieder eingeredet wird. Aber jemand muss den Karren wieder aus dem Dreck ziehen und die KapitalistInnen haben den passenden Packesel schon im Visier: Wir, welche die Krise am wenigsten zu verschulden haben! Dafür müssen wir uns auf Kurzarbeit einstellen, wenn es den KapitalistInnen gerade passt, erhalten noch weniger Lohn, arbeiten noch länger und härter oder verlieren gar unsere Jobs wie gerade die KollegInnen bei Clariant in Muttenz, in der Kartonfabrik in Deisswil, und und und…
In den USA leben Millionen von Menschen in Zelten, weil sie von der Regierung aus den Häusern, welche sie nicht mehr bezahlen können, geworfen wurden. In allen westlichen Industrieländern sollen massiv Sozialleistungen abgebaut werden, allen voran in Griechenland…
Bei uns wird künstlich Fremdenhass geschürt, indem die AusländerInnen als Sündenbocke für die Verschlechterungen hingestellt werden, was uns von dem eigentlichen Verursacher der Krise, dem kapitalistischen Wirtschaftssystem, ablenken soll. Viele von uns werden dieses Jahr keine oder nur minimale Lohnerhöhungen erhalten und müssen mehr Überstunden leisten, als ihnen lieb ist. Wir sind gerade daran, für ihre Krise zu bezahlen.
Widerstand!
Natürlich regt sich bei vielen ArbeiterInnen / Lohnabhängigen Unmut über diese Entwicklungen. Widerstand äussert sich in der Schweiz aber zurzeit in erster Linie passiv und nicht aktiv. Die eindeutige Ablehnung der Senkung des Umwandlungssatzes der 2. Säule verdeutlicht aber die Unzufriedenheit mit der momentanen Situation. Arbeitskämpfe – finden sie überhaupt statt und werden nicht von den Gewerkschaften von vorneherein abgewiegelt – sind in der Regel zurückhaltend, defensiv. Einzig die Besetzung des SBB-Cargo-Werkes in Bellinzona im Jahr 2008 sticht da positiv heraus.
In anderen Ländern werden Kämpfe oft radikaler geführt. In Frankreich griffen die ArbeiterInnen / Lohnabhängigen unlängst zu weit radikaleren Widerstandsmethoden: Bossnapping, die Geiselnahme von MangerInnen, und brennenden Reifen prägten das Bild der Kämpfe. In Griechenland kam es in den letzten zwei Jahren immer wieder zu Generalstreiks und Massendemonstrationen, die in der momentanen zugespitzten Lage immer grösser und ausgedehnter werden (für einen Überblick über die Situation in Griechenland siehe "Von den Griechen lernen!"). In Italien besetzten die ArbeiterInnen/Lohnabhängigen mehrere Fabriken wie beispielsweise die Maschinenfabrik INNSE in Mailand. Und auch in Grossbritannien wurden mehrere Fabriken von den ArbeiterInnen besetzt: in Enfield, Basildon, der Isle of Wright und in Belfast. Zudem besetzten eine Reihe von Gemeinden ihre Schulen, um gegen deren Privatisierung zu protestieren. Die Tapferkeit, welche KollegInnen in der ganzen Welt an den Tag legen, ist beeindruckend und entkräftet sicher das Vorurteil, dass die ArbeiterInnenbewegung ein Fossil der Geschichte sei. Die Fähigkeit der ArbeiterInnen sich als Klasse zusammenzuschliessen und Widerstand zu leisten ist einer der wichtigsten Faktoren, welche die Auswirkungen der momentanen Krise bestimmen wird.
Es mangelt an einer organisierten Bewegung…
Trotzdem sind viele der oben genannten Kämpfe gescheitert, waren wenig erfolgreich und in erster Linie Abwehrkämpfe. Woran liegt das? Bei einer Betrachtung der Kämpfe fällt auf, dass sie oft isoliert voneinander stattfinden. Diese Isolation ist eines der grössten Hindernisse für einen erfolgreichen Kampf. Wollen wir als ArbeiterInnen unseren Interessen durchsetzen, müssen wir koordiniert und gemeinsam handeln. Kämpfe in einzelnen Betrieben und Branchen müssen zu nationalen und internationalen Arbeitskämpfen vernetzt werden. Dazu braucht es Organisationen, welche fähig sind, die Kämpfe zu vernetzen und zu koordinieren. Die Gewerkschaften sind durch die Sozialpartnerschaft an die Unternehmen gebunden, weshalb sie kaum im Interesse der ArbeiterInnen / Lohnabhängigen handeln. Im Gegenteil handeln sie sogar gegen unsere Interessen wie beispielsweise die Kaltstellung klassenkämpferischer GewerkschafterInnen zeigt. Nur zu gern handeln sie schlechte Kompromisse für die ArbeiterInnen / Lohnabhängigen mit den KapitalistInnen aus, statt den Kampf auf der Strasse und in den Betrieben zu führen.
…und an einer politischen Perspektive
Ein weiteres Problem ist, dass den ArbeiterInnen / Lohnabhängigen eine politische Perspektive fehlt, um gezielt Widerstand gegen die Angriffe der rechten und bürgerlichen Parteien zu leisten. Die SP hängt mit den Gewerkschaften in der Sozialpartnerschaft und verwaltet den Abbau der Sozialleistungen seit Jahren mit. Wenn die Rechten uns mit einer Fremdenhass schürenden Kampagne angreifen (wie die Anti-Minarett-Initiative), dann reicht es nicht aus, eine Position der Toleranz oder dergleichen zu propagieren. Es muss vielmehr aufgezeigt werden, dass eine Spaltung der ArbeiterInnen / Lohnabhängigen entlang der Religion und der nationalen Herkunft im Interesse der KapitalistInnen liegt und gegen das Interesse der ArbeiterInnen verstösst. Denn so wird das Potential eines gemeinsamen Widerstandes, unser grösstes Potential, geschwächt.
Viele der letzen Kämpfe waren reine Abwehrkämpfe, in denen sich die ArbeiterInnen / Lohnabhängigen gegen die Angriffe verteidigten. Da der Kapitalismus aber nicht im Interesse der ArbeiterInnen und der Lohnabhängigen liegt, braucht es ein Wirtschaftssystem, welches nicht auf Profitaneignung, Ungleichheit und Konkurrenz beruht. Ein System, das gemäss den Bedürfnissen der Menschen produziert und demokratisch organisiert ist. Mit anderen Worten: Ein kommunistisches System. Und deshalb auch eine politische Kraft, welche sich dieses System bewusst zum Ziel setzt. Nur mit dieser Perspektive können Kämpfe wieder offensiv geführt werden.
Eine revolutionäre Partei ist notwendig
Ein revolutionäres Klassenbewusstsein, die internationale Vernetzung der Klassenkämpfe, eine Verbreiterung der bestehenden Bewegungen, all diese Dinge werden uns nicht geschenkt. Die ArbeiterInnen / Lohnabhängigen müssen sich eine Organisation schaffen, welche diese Rolle übernehmen kann. Wir, die revolutionäre sozialistische Organisation (RSO), sind noch keine solche Partei. Eine solche Partei wird wohl erst in einem längeren Prozess der Umgruppierung und Neupositionierung in der ArbeiterInnenbewegung geschaffen werden. Wir organisieren uns aber schon heute auf der Grundlage von revolutionären, klassenkämpferischen Positionen mit einer kommunistischen Perspektive. Da die Verankerung der Linken in der ArbeiterInnenklasse heute sehr schwach ist, bildet die Arbeit in Betrieben ein Schwerpunkt unserer Arbeit.