Wien: Amerlinghaus bleibt!

Der Verein Kulturzentrum Spittelberg im Amerlinghaus spielt eine wichtige Rolle für zahlreiche soziale, kulturelle und politische Initiativen. Nun ist das Kulturzentrum in seinem Bestand gefährdet. Ein Gespräch mit den Mitarbeiterinnen Lisa und Claudia über die Rolle des Hauses, die politische Bedeutung solcher Projekte und die FPÖ-Hetze gegen Sex-Initiativen …

Der Verein Kulturzentrum Spittelberg im Amerlinghaus bietet Raum für rund 50 soziale und kulturelle Initiativen, politische Organisationen und Selbsthilfegruppen. Es ist eine wichtige Ressource für sehr viele Menschen und aus der politischen und kulturellen Landschaft Wiens kaum wegzudenken. 

So sehr viele „Linke“ das Amerlinghaus ins Herz geschlossen haben, so sehr hasst es die extreme Rechte. Kaum eine Wien-weite Postwurfsendung der FPÖ kommt ohne Hetzartikel gegen das „linksextreme Zentrum“ aus. In Nazi-Foren wird ebenfalls in Bezug auf das Haus erklärt: „Keine linken Freiräume, nirgendwo!“ und kritisiert, dass dort „diese Trotzkistenratten so verhätschelt werden“.

Finanziert wird das Amerlinghaus durch die Gemeinde Wien – nun ist aber der Bestand des Hauses gefährdet, wenn die Finanzierungssituation nicht dringend auf eine neue Ebene gestellt wird. Wir führten dazu ein Interview mit den Mitarbeiterinnen Lisa und Claudia.

 

Könnt ihr uns zu Beginn kurz etwas über die Geschichte des Hauses erzählen?

Klar! Das Amerlinghaus liegt im Wiener Spittelberg-Viertel, also in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt. Es wurde 1975 besetzt und war damit die erste Haus-Besetzung in Wien. Es wurde dann von der Gemeinde renoviert und 1978 dem neu gegründeten Trägerverein des Hauses übergeben. Die Auflage war, dass im Haus auch Platz für das Bezirksmuseum des siebten Bezirks ist, in dem das Haus liegt. Heute ist die Eigentümerin des Hauses die Gemeinde Wien, der Trägerverein verwaltet es.

Damals war der Spittelberg eine Gegend, wo MigrantInnen und sozial Verarmte gewohnt haben, in den folgenden Jahren wurde die Gegend dann immer mehr „revitalisiert“ und ist heute eine der teuersten Gegenden Wiens. Heute leben hier vor allem so genannte BoBos, also „linksliberale“ GutverdienerInnen. Der siebte Bezirk ist auch einer von zweien in Wien, wo die Grünen den Bezirksvorsteher stellen.

Könnt ihr ein wenig mehr darüber erzählen, was im Haus passiert?

Im Haus gibt es derzeit rund 50 Organisationen, Gruppen und Strukturen. Das Angebot ist dabei extrem vielfältig. Es gibt die politischen Organisationen und Gruppen, es gibt soziale Initiativen, es gibt Selbsthilfegruppen, eine Kindergruppe, eine PensionistInnengruppe, MigrantInneninitiativen, die Vereinigung für Frauenintegration, das generationenübergreifende „Aktive Zentrum“, den verein exil/edition exil, Deutschkurse mit Kinderbetreuung, Erwerbsarbeitslosengruppen und -beratungen, das Theater der Unterdrückten, es gibt Veranstaltungen von Kulturschaffenden mit politischem Anspruch, es gibt Ausstellungen, Lesungen, Filmabende, Antirassismusworkshops, Diskussionsveranstaltungen… wie gesagt, das Angebot ist wirklich sehr breit. Und für viele ist das Amerlinghaus die einzige Möglichkeit, überhaupt einen Raum zu bekommen, der sonst unerschwinglich wäre.

Kommen wir zu den aktuellen Problemen. Wie sieht es da aus?

Kurz und knapp: wenn es nicht mehr Geld gibt, müssen wir im Sommer zusperren. Es geht dabei wohlgemerkt nicht einmal um eine Erhöhung der Subvention, sondern nur um die Wertanpassung, die Valorisierung.

2001 wurde die Subvention von – in Euro gerechnet – 236.000 auf 240.000 Euro erhöht, 2004 von 240.000 auf 250.000, seit 2004 gar nicht mehr. Aber die Lohnkosten, die Miete, Strom- und sonstige Betriebskosten, Kosten für Reparaturen usw. sind natürlich gestiegen. Das sich das irgendwann nicht mehr ausgehen kann, wenn keine Wertanpassung erfolgt, ist logisch.

Es gibt jetzt den Beschluss des Wiener Gemeinderats, weiterhin, wie jedes Jahr, 250.000 Euro auszuzahlen. Wir aber bräuchten eine jährliche Subvention von 310.000 Euro und die bereits entstandene Überschuldung müsste gedeckt werden. Diese Summe würde bedeuten, dass wir weiterarbeiten können und die wichtigsten Reparaturen durchführen könnten. Ansonsten sieht die Situation sehr einfach aus: ab dem Sommer ist kein Geld mehr da und wir gehen in Konkurs.

Es gibt auch nichts mehr zu kürzen. 2004 wurde bereits der Hausarbeiter gekündigt, seitdem müssen wir die Reparaturen mitmachen. Ebenfalls 2004 wurden von uns bereits Stunden reduziert.

Nun gehört das Haus ja der Gemeinde, gleichzeitig zahlt ihr Miete an die Gemeinde-nahe Gesiba. Ist das nicht ein wenig absurd?

Es sieht folgendermaßen aus: Das Haus gehört der Gemeinde Wien, aber es gibt einen Vertrag mit der Gesiba, die der SPÖ und damit der Gemeinde nahe steht. Mehr als ein Fünftel unserer Subvention gehen also postwendend von unserem Konto wieder weg.

Aber wäre es dann nicht ein interessanter Schritt, einfach mal die Bezahlung der Miete einzustellen?

Nun, derzeit sind wir in Verhandlungen, was danach passiert, wird sich weisen.

Es gibt ja immer wieder massive Angriffe der FPÖ. Könnt ihr dazu etwas erzählen?

Vor allem John Gudenus junior, FPÖ-Gemeinderat in Wien und ehemaliger Vorsitzender des Rings Freiheitlicher Jugend, hat uns ins Herz geschlossen. Er stammt aus einer rechtsextremen Burschenschafter-Familie, ist wie sein Vater Mitglied der pennalen Burschenschaft Vandalia. Von ihm stammen meist die Angriffe im Gemeinderat.

Gudenus kommt aus einem guten Stall: Sein Vater, der ehemalige FPÖ-Abgeordnete John Gudenus senior meinte etwa zur Frage der Existenz von Gaskammern in Nazi-Deutschland, er müsse nicht jede Frage mit „ja oder nein beantworten“.  Und weiter: „Ich halte mich da raus! Ich glaube alles, was dogmatisch vorgeschrieben ist“. Er wurde bereits wegen Wiederbetätigung verurteilt.

Wenn die FPÖ auf uns hetzt, hat sie immer einerseits die politischen Organisationen im Visier, andererseits die Sado-Maso-Initiative Libertine. Offenbar geht jede Sexualität, die nicht der Norm entspricht, den Moralaposteln der FPÖ gegen den Strich. In einem hetzerischen Bericht der Gratis-Tageszeitung Heute wurden nun erstmals auch migrantische Vereine erwähnt. Aber von dieser Hetze der FPÖ und ihrer Verbündeten lassen wir uns nicht einschüchtern.

Es gab ja in jüngster Vergangenheit nicht nur Attacken von Rechts-Außen. Auch die „antideutsch“ beeinflusste „Unique“, die Zeitung der ÖH Uni Wien, sprach vom Amerlinghaus als „Brutstätte gruseliger K-Sekten“. Wie seht ihr das?

Es scheint, dass Frau oder Herr Anonym der Unique-Redaktion die Kost im Amerlinghaus gar nicht schmeckt. Das wäre ja jeder/jedem belassen, aber warum in einem Artikel der offiziellen ÖH-Zeitschrift eine vorgebliche
“Besprechung“ einer Verlagspräsentation dafür herhalten muss, in „gruseliger“ Diktion und bar jeder inhaltlichen Kritik Diffamierungen gegen das Kulturzentrum und hier arbeitende marxistische Gruppen auszukotzen?  Wir empfehlen stattdessen: Besser zum über-nationalen und gut beheizten McDonalds gehen, und unbehelligt von Lesungen, Konzerten, Bücher- und Infotischen Hamburger verdrücken!

Seit Ende letzten Jahres hat das Amerlinghaus einen neuen Vorstand. Was hat sich geändert?

Der neue Vorstand hat sicher eine sehr hohe Bereitschaft zur politischen Auseinandersetzung. Es gab nun einen Strategiewechsel. Der alte Vorstand wollte sparen, der neue sieht, dass das nicht mehr geht. Neu ist, dass wir kämpfen und politisch fordern. Ebenfalls neu ist, dass es regelmäßige Hausplena gibt und die Hausgruppen nun im Vorstand ein deutlich höheres Gewicht haben.

Für uns ist wichtig, dass das Haus nicht, wie so viele Projekte, ein kommerzieller und unpolitischer Raum wird. Wir wollen einen politischen Raum und wir wollen solidarisch handlungsfähig sein. Dafür brauchen wir kämpferische Strategien, wofür wir jetzt die Grundlagen geschaffen haben.

Wie seht ihr insgesamt das politische Verständnis des Hauses?

Das Amerlinghaus ist zu 100% ein politischer Raum. Voraussetzung für uns ist aber nicht, bewusst politisch tätig zu sein. Wenn z.B. ein Erwerbsarbeitsloser, der Rechtsberatung braucht, bei uns im Büro sitzt und sich mit anderen Betroffenen über seine Situation austauscht, oder etwa eine Person mit Psychiatrie-Erfahrungen kommt und gern eine Ausstellung machen will, ist das für uns ebenfalls politisch. Aber Voraussetzung für uns ist, dass ein gewisser Grundkonsens eingehalten wird. Wir sind anti-rassistisch, anti-sexistisch, anti-heteronormativ und anti-diskriminatorisch.

Sehr wichtig ist uns die Selbstermächtigung der Betroffenen. Wobei wir mit dem Wort vielleicht schon wieder ein Problem haben, es klingt sehr systemimmanent. Das Amerlinghaus ist auch ein sozialer Raum. Wir stellen auch Raum für die Marginalisierten, die Prekarisierten, die MigrantInnen, die Unterprivilegierten, … zur Verfügung. Niemand wird ausgesperrt.

Wir versuchen auch, sehr niederschwellig zu sein. Es gibt oft eine Scheu zur Kontaktaufnahme mit politischen Organisationen. Das ist natürlich auch Ausdruck der Schwäche der Linken und ihrer mangelnden proletarischen Verankerung. Damit sehen wir uns auch als Vernetzungsort der Linken und ihrer sozialen Basis.

Insgesamt haben wir natürlich ein Verständnis, das über den Kapitalismus hinausgeht – aber das zu erreichen, wird wohl noch einige Zeit dauern.

Für sehr viele politische Organisationen ist das Amerlinghaus Heimstätte. Wie seht ihr das Verhältnis zu den Organisationen?

Politische Organisationen sind nicht der einzige Bestandteil des Hauses, aber ohne politische Organisationen wäre das Haus nichts. Die politischen Strukturen sind extrem wichtig für das Haus und das Haus selbst sieht sich in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext.

Wir sind dabei nicht einer Strömung zugehörig. Trotzkistische, antiimperialistische, syndikalistische oder antirassistische Organisationen und Strukturen treffen sich bei uns. Durch die politischen Organisationen sind wir Teil einer sozialen Bewegung – und das ist gut so.

Wir danken Euch beiden für das Gespräch und freuen uns auf viele weitere gemeinsame politische Aktionen!

 

Das Interview führte Michael Mlady