Dresden, die Nazis und die Alliierten

Die Luftangriffe auf Dresden 65 Jahre sind her. Für Nazis in In- und Ausland ein Beleg für die Verbrechen der Alliierten und eine Möglichkeit, die deutsche Nation als Opfer darzustellen. Die pseudolinken „Antideutschen“ bejubeln die Luftangriffe. Wie aber sieht eine marxistische Position zu Dresden 1945 und zur alliierten Kriegspolitik aus?

Mitte Februar 1945 wurden durch vier Angriffswelle britischer und US-amerikanischer Bomber große Teile der Innenstadt und der Infrastruktur Dresdens zerstört. Abgeworfen wurden Spreng- und Brandbomben im Ausmaß von 3.600 Tonnen. Die meisten HistorikerInnen gehen davon aus, dass dabei 20-40.000 Menschen ums Leben kamen.

Bombenkrieg

Die extreme Rechte spricht von „Luftterror“ gegen ZivilistInnen, der militärisch zwecklos gewesen sei. Mit Begriffen wie „Bombenholocaust“ setzen die Nazis die alliierten Luftangriffe mit den Verbrechen des NS-Regimes gleich. Ihnen geht es um die Rechtfertigung und Verharmlosung der Nazi-Verbrechen. Ihnen ist jede Empörung über alliierte Verbrechen gegen die deutsche Zivilbevölkerung abzusprechen. Schließlich ging den alliierten Bombardements auf deutsche Städte der Bombenterror des deutschen Imperialismus gegen Warschau, Rotterdam, London, Coventry, Belgrad etc. voraus! Und in Dresden gab es kaum Luftschutzbunker, weil die Gauleitung der Kriegswirtschaft Vorgang vor dem Schutz der Bevölkerung gab.

In der Zurückweisung der rechten Propaganda und die notwendige Mobilisierung gegen das „Gedenken“ der Nazis in Dresden ist sich wohl die gesamte Linke einig. Das kann aber nicht heißen, dass wir in einem falschen Reflex den alliierten Luftkrieg gegen Köln, Hamburg, Dresden etc. als progressiven Akt idealisieren.

Dass die Angriffe auf Dresden keinen militärischen Effekt hatten, ist falsch. Der Eisenbahnknoten Dresden hatte eine wichtige Bedeutung für Transporte an die Ostfront, die Garnison Dresden eine beachtliche Truppenstärke. Durch die Bombardements wurden auch Rüstungsbetriebe und der Bahnhof beschädigt. Gleichzeitig waren nach den Angriffen aber 1/3 der Dresdner Wohnungen völlig zerstört und die meisten anderen und auch Krankenhäuser beschädigt (nur etwa 1/4 blieb unbeschädigt). Gezielte Treffer waren bei nächtlichen Flächenbombardements mit Brandbomben auch weder beabsichtigt noch möglich.

Der britische Premier Churchill sprach – in einem Telegrammentwurf in Bezug auf Dresden – selbst von „bloßen Terrorakten und mutwilligen Zerstörungen“. Das vorgebliche Ziel der systematischen Zerstörung der größeren deutschen Städte, nämlich Zermürbung und einen Zusammenbruch des deutschen Durchhaltewillens herbeizuführen, konnte keineswegs erreicht werden. Statt Demoralisierung war die Folge der massiven Verluste in der Zivilbevölkerung eher Empörung, d.h. keine Aufweichung, sondern eine Verfestigung der verbliebenen Basis der Nazis.

Das zweite vorgebliche Ziel der Bombenangriffe, durch die Vernichtung von bestimmten Sektoren der deutschen Kriegsindustrie (synthetisches Öl, synthetischer Gummi…) die deutsche Kriegsführung zu verunmöglichen, konnte wohl kaum durch gezielte Angriffe auf die Zivilbevölkerung großer Städte erreicht werden. Insgesamt richteten sich nur etwa 10% der abgeworfenen alliierten Bomben gegen Industrieanlagen und Militäreinrichtungen, der große Rest gegen Wohnviertel. Dabei ist es wiederum bezeichnend, dass sich Bombenteppichabwürfe auf Städte wie Hamburg, Köln, Essen, Frankfurt am Main oder München fast ausschließlich auf Viertel der ArbeiterInnenklasse beschränkten. Bürgerliche Wohngebiete wurden weitgehend verschont. Es gibt dabei Vermutungen, dass für diese Auswahl Kontakte zwischen deutschen und US-AgentInnen in Lissabon entscheidend waren. Deutsche Panzerfabriken wurden lange Zeit kaum bombardiert, weil die Panzer vor allem gegen die sowjetische Armee eingesetzt wurden.

Ein Ziel der britischen und US-Bourgeoisie (und auch der deutschen) konnte durch die Flächenbombardements allerdings weitgehend erreicht werden: eine Desorganisation der deutschen Gesellschaft, ein Zusammenbruch der städtischen und industriellen sozialen Strukturen. Konkret bedeutete der Bombenkrieg (Umsiedlungen, Betriebsevakuierungen) ein weiteres Auseinanderreißen von erhalten gebliebenen Zusammenhängen in den ArbeiterInnenvierteln und Betrieben, die eine in den Untergrund gedrängte Grundlage für Klassensolidarität und Widerstand darstellten. Darüber hinaus entstand für Widerstandsgruppen eine zusätzliche Gefahr, da man nach Bombentreffern die Entdeckung bei Aufräumarbeiten fürchten musste. Als Folge der Bombenangriffe mussten viele Widerstandsgruppen Verstecke auflösen und Unmengen von Material vernichten. Der alliierte Bombenkrieg trug nicht unbedeutend dazu bei, die Furcht der Nazis, der deutschen Bourgeoisie und des westlichen Imperialismus vor einer erstarkenden ArbeiterInnenbewegung zu reduzieren und die Möglichkeit eines Klassenkampfaufschwunges zu untergraben.

Alliierte Kriegsführung

Dass es mit dem "Antifaschismus" der westlichen Alliierten weit weniger weit her war als uns Hollywood und die "Antideutschen" das weismachen wollen, kann leicht illustriert werden. Die Befreiung Europas vom Faschismus ist durch den westlichen Imperialismus systematisch verzögert worden. Die USA verfügten spätestens seit 1942 über eine gigantische militärische Überlegenheit und produzierten etwa gleich viele Waffen wie Großbritannien, Deutschland, Japan und die Sowjetunion zusammen. Trotzdem (und trotz sowjetischem Ersuchen) hatten die USA und Großbritannien die Invasion in der Normandie immer wieder verschoben. Die westalliierten Truppen standen seit Sommer 1943 in Italien, marschierten aber 1½ Jahre nicht vorwärts. Britische Truppen wurden dann während des Krieges sogar nach Indien und Ägypten verschoben, um dort imperiale Interessen abzusichern.

Der spätere US-Präsident Harry Truman formulierte die US-Strategie in einer Besprechung mit aller Deutlichkeit: „Sehen wir, dass Deutschland dabei ist, den Krieg zu gewinnen, dann sollten wir Russland helfen, und wenn Russland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen, und auf diese Weise soviel Menschen wie möglich töten.“ Das war auch die reale Linie der USA im Krieg: Deutschland und die Sowjetunion „ausbluten“ zu lassen und dann mit frischen Kräften abzukassieren. Dementsprechend gab es zuerst beschränkte materielle Hilfe für die Sowjetunion (ausreichend, um sie am Krieg beteiligt zu halten), und dann über „neutrale“ Länder wie Portugal, Spanien, die Türkei oder Schweden die Lieferung von kriegswichtigen Rohstoffen (Petroleum, Wolfram, Chrom, Mangan etc.) durch westliche Firmen an Nazideutschland.

Die bewusste Verzögerung der westlichen Alliierten wurde vor allem für die beiden letzten Kriegsjahre relevant. Das aber war auch die Zeit, in der die Nazi-KZs auf Hochbetrieb arbeiteten. Die noble britische und US-amerikanische Zurückhaltung wird auch in den Opferzahlen deutlich: 6 Millionen europäische Juden ermordet, 21 Millionen Tote in der Sowjetunion, 2,5 Millionen (nichtjüdische) polnische und 1,5 Millionen jugoslawische tote ZivilistInnen, fast 6 Millionen „slawische“ Kriegsgefangene von den Nazis ermordet, aber „nur“ 200.000 US-amerikanische und 400.000 britische Kriegsopfer (fast ausschließlich Soldaten).

Bei und nach Kriegsende wurden die Antifa-Komitees, die in deutschen Städten von der sich neu formierenden ArbeiterInnenbewegung gebildet wurden und begannen, Verwaltungsaufgaben zu übernehmen, sofort aufgelöst – von den alliierten Besatzungstruppen. In Westdeutschland wurden stattdessen diverse Nazifunktionäre in den Staatsapparat übernommen, galten sie doch im beginnenden Kalten Krieg als verlässlicher als die AktivistInnen der ArbeiterInnenbewegung. Die Westintegration der BRD wurde schließlich durch ehemalige Funktionäre des Reichswirtschaftsministeriums durchgezogen (Erhard, Emminger, Abs, Herbst).

Die „Entnazifizierung“ à la CIA war eine glatte Farce. Es ging darum, „die Deutschen“ für den Nationalsozialismus verantwortlich zu machen, den (kapitalistischen) Klassencharakter des Faschismus zu verschleiern, den proletarischen Widerstand runterzuspielen und damit die Nazi-Funktionäre (die man als solide antikommunistische Partner schätzte) zu entlasten. Wo ein ganzes Volk schuldig ist, verschwimmt die Schuld der (unter 20% der Bevölkerung ausmachenden) NSDAP-Parteimitglieder.

Krieg und Revolution

Die herrschende Klasse hatte angesichts des bevorstehenden Kriegsendes eine revolutionäre, sozialistische Entwicklung befürchtet. Stauffenberg, der reaktionäre Offizier, der jahrelang alle NS-Verbrechen mitgemacht hatte und später zum „Widerstandskämpfer“ stilisiert wurde, plante mit seinem Putsch eine Militärdiktatur der Wehrmacht: Notstandsrecht und Streikverbot sollten den erwarteten Aufschwung des „Bolschewismus“ verhindern. Ein Berater des US-Präsidenten Roosevelt meinte, ohne alliierte Intervention „würde Deutschland kommunistisch werden“.

Im noch faschistisch beherrschten Norditalien führte der zunehmende Widerstand der ArbeiterInnenklasse ab 1943 zur Bildung von ArbeiterInnenräten. Im März 1944 fand schließlich ein Generalstreik statt. Ausgerechnet während des Generalstreiks bombardierten die Alliierten die italienischen ArbeiterInnenstädte. In Griechenland hatten britische Landungstruppen die NS-Kollaborationsverbände direkt von der Wehrmacht übernommen und aus ihnen einen neuen rechtsextrem beherrschten Staatsapparat aufgebaut. Gemeinsam mit ihnen unterdrückten 75.000 britische Soldaten schließlich in wochenlangen Kämpfen die griechische ArbeiterInnenbewegung. Gleichzeitig bombardierte die britische und US-Luftwaffe pausenlos die von der Linken dominierten Stadtviertel Athens. Während der Nazi-Faschismus in Mitteleuropa weiter wütete, während beispielsweise Auschwitz weiter auf Hochbetrieb „arbeitete“, war für die „demokratische“ britische Führung der „Kampf gegen den Kommunismus“ in Griechenland prioritär gegenüber einem schnelleren Zurücktreiben der Wehrmacht in Italien.

„Antifaschismus“ war jedenfalls nicht das Ziel des Luftkrieges der westlichen Alliierten und ihres Krieges insgesamt. Es ging um imperiale Interessen des US- und britischen Kapitals, um die Verhinderung einer revolutionären Entwicklung in Europa und die Eindämmung des sowjetischen Einflusses.

Dafür, dass die westlichen Imperialismen mit ihrer konterrevolutionären Kriegspolitik erfolgreich sein konnten, war allerdings auch die stalinistische Volksfront-Politik verantwortlich. In ganz Europa ordneten sie, die aufgrund des Prestiges der von ihnen usurpierten Oktoberrevolution in den meisten Ländern die ArbeiterInnenbewegung dominierten, den Klassenkampf dem angeblich „antifaschistischen“ Bündnis mit den „demokratischen“ Imperialismen unter. In Griechenland hatte die Widerstandsbewegung in völliger Naivität ihre späteren Henker mit Jubelkundgebungen begrüßt. In Italien gaben die PartisanInnen auf Weisung aus Moskau ihre Waffen ab.

Die damalige stalinistische Politik findet heute ein skurriles Echo bei den „Antideutschen“, die sich als Cheerleader der westlichen Imperialismen kostümiert haben. Eine marxistische Position bedeutet hingegen das Beziehen eines von der Bourgeoisie unabhängigen Klassenstandpunktes und die Orientierung auf Klassenkampfmethoden als konsequentestes Mittel gegen Faschismus und Kapital.