Bilanz und Perspektiven der Uniproteste – Teil 3

Im Oktober, November und Dezember 2009 hat Österreich die größte StudentInnenbewegung seit langer Zeit erlebt. Was wurde erreicht? Welche Lehren können und sollten wir daraus ziehen? Wie soll es nun weiter gehen? Über Stärken, Schwächen und Besonderheiten der Bewegung.

Nach Wochen von Besetzung und Protest ist langsam wieder der Alltag auf die Unis und ins Leben der Studierenden zurückgekehrt. Wir haben gesehen, dass selbst im „verschlafenen“ Österreich Widerstand möglich ist und in der Praxis ein Gefühl von Solidarität und Kollektivität erlebt. Viele StudentInnen haben gemerkt, dass sie sich wehren können und nicht alles einfach hinnehmen müssen. Nach Jahren einer dominant unpolitischen Stimmung und ohne relevante Bewegungen haben diese Ereignisse viele Menschen wachgerüttelt. In diesem Artikel wollen wir diese studentische Protestbewegung bilanzieren, den Fragen nachgehen, was wir daraus lernen können und sollen und inwiefern sich die Situation für Widerstand dadurch geändert hat und wie es nun eigentlich weiter gehen soll.

Teil I: Charakter, Stärken und Schwächen der Proteste

Teil II: Forderungen und politische Ausrichtung

Teil III: Was nun?

 

Teil III: Was nun?

Neuauflage der 68er-Bewegung?

Die Studierendenbewegung, ihre Größe und Dauer, gibt Grund zur Hoffnung und hat gezeigt, dass sich die Widersprüche des Kapitalismus zuspitzen und verdichten – gerade unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise. Dennoch sind überoptimistische Hoffnungen unangebracht. Eine realistische Aufarbeitung der Proteste darf nicht auf ein Herausstreichen der Chancen und veränderten Bedingungen reduziert werden, sondern muss gerade auch die Schwächen, die Hindernisse für neue Proteste und eine Ausweitung sowie potentielle Gefahren mit ein beziehen. Die zentralen Schwächen der Protestbewegung wurden weiter oben analysiert und sind letztlich einer allgemeinen Schwäche der (radikalen) Linken geschuldet. Dabei wird speziell die Schwäche der radikalen und antikapitalistischen Kräfte deutlich.

Eine zentrale Frage ist, wie die Proteste von den TeilnehmerInnen verarbeitet werden: Hat es sich ausgezahlt zu kämpfen? Oder war ohnehin alles umsonst? Die Bewegung endete jedenfalls nicht in einer direkten Niederlage, wodurch eine breite Demotivierung unter den TeilnehmerInnen im speziellen und den StudentInnen allgemein nicht unwahrscheinlich gewesen wäre. Es konnten aber andererseits auch kaum messbare Erfolge erzielt werden (lediglich 34 Millionen mehr Budget, breite Medienberichte und eine „Bildungsdebatte“); die aufgestellten Forderungen blieben unerfüllt. Es kam also stärker zu einem „Totlaufen“ der Bewegung. Die größten Erfolge mit den größten Auswirkungen auf das politische Leben auf den Unis in nächster Zeit, sind die Bewegung selber, d.h. die praktischen Erfahrungen sich wehren zu können und gemeinsam zu kämpfen und eine größere Offenheit gegenüber linken politischen Positionen.

Gerade in Kombination mit kommenden Kürzungen im Sozialbereich und internationalen (Klassen-)kämpfen kann sich das politische Klima, auch auf den Unis, also durchaus (zumindest ein Stück weit) verändern. Die Auswirkungen der Krise haben besonders in den Kernländern der EU noch nicht voll durchgeschlagen und ein neuerlicher Einbruch der wirtschaftlichen Konjunktur, also eine weitere Vertiefung der Wirtschaftskrise, erscheint als durchaus reale Möglichkeit. In welcher Art und Weise und wie weitgehend sich die politische Landschaft verändern wird, ist also unmittelbar danach nicht vorhersagbar. Ein Faktor dabei wird die Frage sein, welche politischen Rückschlüsse aus den Protesten gezogen werden und wie die politisch bewusstesten Teile in nächster Zeit agieren werden.

Die Aufgabe von revolutionär-marxistischen Organisationen ist es, hier eine grundsätzliche und fundierte Analyse und eine weiterreichende Perspektive anzubieten sowie die Notwendigkeit einer antikapitalistischen Stoßrichtung und eine Orientierung auf die ArbeiterInnenklasse zu propagieren. Das Schüren von Illusionen in einen notwendigerweise und bald kommenden Neuaufschwung und in rasche Erfolge wirkt hier nur kontraproduktiv und führt sehr oft zu überzogenen Hoffnungen und umso größeren Enttäuschungen in baldiger Zukunft.

Die Sache mit dem (studentischen) Bewusstsein

Die Proteste haben gezeigt, dass neoliberale Gedanken nicht so weit verbreitet und internalisiert sind, um Widerstand prinzipiell zu verhindern, deren Bekämpfung also eine unumgängliche Vorbedingung, um Proteste überhaupt erst zu ermöglichen, wäre. Klar ersichtlich wurde auch, dass die Vorherrschaft passivierender und Unterdrückung legitimierender Vorstellungen gerade durch Kämpfe und die praktischen Erfahrungen die dort gemacht werden, ins Wanken gerät. Das Erleben von direkter Solidarität und Kollektivität ist weit mehr wert als ein weiterer Vortrag über „Bildung/Universitäten im Neoliberalismus“.

Welche Auswirkungen können/werden die Proteste aber nun auf das widersprüchliche Bewusstsein der Mehrheit der StudentInnen haben? Wie können wir das entstandene Potential für zukünftige Proteste und eine prinzipielle größere Offenheit gegenüber linken/radikalen Ideen nutzen?

Zunächst müssen wir uns darüber klar werden, dass die Proteste nur von einem Teil der StudentInnen unterstützt wurden. Eine nicht unwesentliche Menge stellte sich offen dagegen; ihre „Opposition“ war jedoch weitgehend auf das Gründen von Gruppen in Internetplattformen beschränkt und fand kaum einen direkten politischen Ausdruck. Diese Studierenden gehören entweder selbst zu (stark) privilegierten Teilen der Gesellschaft und treten (mehr oder weniger) offen für Elitenbildung ein oder sie sind tatsächlich durch die herrschende Propaganda ruhig gestellte Schäfchen. Uns muss aber auch klar sein, dass Widerstand nie von einer Mehrheit ausgeht, dass es notwendig ist, innerhalb der Unterdrückten für Unterstützung zu kämpfen und es auch dort Anfeindungen und Kritik gibt.

Es bedarf also natürlich auch eines „ideologischen“ Kampfes gegen die herrschenden Gedanken. Beim Argument, dass es notwendig sei, die Hegemonie neoliberaler Vorstellungen und Ideen und deren Verankerung im Bewusstsein der StudentInnen (sowie aller Unterdrückten) in Frage zu stellen und aufzubrechen, schwingt jedoch oft die Vorstellung einer graduellen und schritt/etappenweisen Verschiebung dieses Bewusstseins mit. Falsch ist auch zu glauben, neoliberale Vorstellungen könnten alleine durch „Aufklärung“ erfolgreich und dauerhaft zurückgedrängt werden. In den letzten Wochen wurde offensichtlich, dass sich in Kämpfen Dynamiken entwickeln, die zu eine raschen Veränderung des Bewusstseins führen (können). Das Bemühen um das Zurückdrängen neoliberaler Vorstellungen kann also nicht isoliert von konkreten Kämpfen und ihrem Ausgang gesehen werden.

Für relativ „ruhige“ Zeiten nach und zwischen Kämpfen gilt es zu bedenken, dass sich die daran Beteiligten dann wieder verstärkt in ihrem bisherigen (unpolitischen) Alltag wieder finden, d.h. verstärkt dem Einfluss bürgerlicher Medien und Ideen ausgesetzt sind, im tagtäglichen Kleinkrieg gegen die Anforderungen und Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft bestehen müssen… Wir sollten also nicht glauben, gegen diese geballte Kraft an widersprüchlichen Erfahrungen und Einbeziehungs-, Belohnungs- und Ausschließungsstrategien der Gesellschaft, wie sie aus den Lebensverhältnissen der meisten StudentInnen erwachsen, alleine mit den „besseren Ideen“ ankommen zu können.

Wir haben erlebt, dass Menschen sich eben nicht nur engagieren bzw. arbeiten wollen, wenn es einen persönlichen ökonomischen Anreiz dafür gibt, wie uns die vorherrschende Propaganda einreden will, oder wenn sie bereits das „richtige“ Bewusstsein haben. Viele der AktivistInnen haben konkret gemerkt, dass man/frau Sinn und Befriedigung aus einem solchen gemeinsamen Agieren und einer Arbeit für ein Kollektiv ziehen kann. Bewusstsein entwickelt sich also wesentlich auch durch konkrete politische Erfahrungen. Ein entscheidender Faktor dabei ist auch die Frage, in welche Richtung sich Proteste entwickeln und ob diese erfolgreich sind oder in einer Niederlage enden. In diesem Punkt spielen die Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft sowie innerhalb der Protestbewegung bzw. der Linken eine zentrale Rolle.

Wie weiter?

Eines haben die Proteste deutlich gezeigt: welche massiven Spuren der Neoliberalismus speziell auch in der (Uni-)Linken hinterlassen hat. Wir haben gesehen, dass Ideen, die es zu bekämpfen gilt, sich nicht nur außerhalb linker Zusammenhänge finden. Die Ideologien der „Ideologiefreiheit“, von „Pluralität“ und „Individualität“ statt Kollektivität und Organisierung sind gerade Ausdruck davon. Für viele wird es nach den Protesten wohl so weiter gehen wie bisher: sie werden sich weiter in ihrer abgehobenen „Aufgeklärtheit“ (als „freie Individuen“) sonnen und nichts auf die Reihe bekommen. Außer bei den nächsten Protesten wieder quer zu schießen und wieder ihren Anteil daran zu haben die Proteste möglichst erfolglos zu Ende gehen zu lassen. Gratulation!

Den neoliberalen Vorstellungen muss etwas entgegengesetzt werden – etwas das Sinn macht und sich in der Praxis beweisen kann. Es braucht weit mehr als nur die Verbreitung oder das Aussprechen der richtigen Ideen. Eine zentrale Schlussfolgerung muss also sein, die organisierten, politisch bewussten und radikalen Kräfte zu stärken – um neu politisierte Menschen nicht wieder in einen unpolitischen Alltag zu entlassen und bei zukünftigen Protesten bessere Ausgangsbedingungen zu haben.

Die Orientierung auf den Aufbau einer breiten, „pluralen“ (linken) Bewegung/Netzwerk/Sammelbecken oder gar möglichst vielfältiger, dezentraler Dauer-Arbeitsgruppen wäre kontraproduktiv – würden sich darin doch wieder ähnliche Vorstellungen reproduzieren können und sich die Kräfteverhältnisse innerhalb der (Uni-)Linken nicht zugunsten einer kämpferischen, vorwärtstreibenden Ausrichtung verschieben. Die starke Präsenz von politischen Vorstellungen und Strategien die die Kämpfe in eine Sackgasse bzw. Niederlage führen, ist in den aktuellen Kämpfen sehr augenscheinlich geworden.

Diese sind Ausdruck, einerseits eines falschen bzw. mangelhaften theoretischen Verständnisses und einer unzureichenden Verarbeitung früherer Erfahrungen, andererseits der impliziten wie expliziten Präsenz von bürgerlichen Vorstellungen und dem bewussten wie unbewussten Agieren in der Logik des Systems. Es braucht also theoretische Klarheit, eine wirkliche Verarbeitung der aktuellen Proteste und allgemein der Klärung von strategischen und taktischen Fragen. Dabei geht es nicht darum, einen zukünftigen Protest vollends auf dem Reißbrett zu entwerfen, sondern zu analysieren, was für einen politischen Kampf und dessen Erfolg notwendig ist.

Und die Uni-Bewegung hat auch eines gezeigt: wenn es zu Kämpfen kommt, werden politische Konzepte auf die praktische Probe gestellt und es kommt ohnehin sowohl zur Zusammenarbeit verschiedener linker Kräfte als auch einer Auseinandersetzung zwischen ihnen. Eine möglichst breite linke Organisation (oder ein wie auch immer gearteter Zusammenhang) würde diese Auseinandersetzungen in einen Dauerzustand innerhalb eines (organisierten) Zusammenhangs verlagern. In einem breiten Bündnis würde sowohl der Prozess einer inhaltlichen Klärung verhindert, als auch Paralysierung, Aufreibung und Demotivation der AktivistInnen gefördert werden (durch das Führen der immer wieder gleichen, ergebnislosen Debatten – wie oft im Audimax-Plenum).

Wichtige Schlüsse

In zukünftigen Protesten werden wir wohl vor ähnlichen Problemen stehen wie bei diesen: einerseits werden die in linken Zusammenhängen weit verbreiteten Vorstellungen von „Pluralität“, „Individualität“ und Basis„demokratie“ eine effektivere Organisierung und Ausweitung der Proteste erschweren bzw. verhindern, andererseits werden die Ideologien der „Ideologiefreiheit“ und von „unpolitischen“ Anliegen einer Politisierung der Proteste und der AktivistInnen entgegenstehen. Es gilt die Schlussfolgerung zu ziehen, auf solche Auseinandersetzungen in Zukunft besser vorbereitet zu sein und allgemein einen Kampf gegen die Feindseligkeit gegenüber Organisationen und Kollektivität im Allgemeinen zu führen.

Die „linke“ ÖH hat auch in diesen Protesten wieder bewiesen, wofür sie steht: „konstruktive“ Verhandlungen und Debatten – meistens hinter dem Rücken und ohne die Beschlüsse der kämpfenden StudentInnen. Da wird auch in Zukunft nicht viel anderes zu erwarten sein.

Was wir brauchen ist auch eine neue Widerstands- und Protestkultur – und zwar eine politische und kämpferische. Dazu braucht es einen Bruch sowohl mit dem vorherrschenden Verständnis von Politik (als etwas, das im Parlament von Menschen im Anzug gemacht wird) als auch mit einer Beschränkung auf die karikaturhaften und kapitulierenden „neuen“ und „kreativen“ Widerstandsformen sowie den Hoffnungen in und Vertröstungen auf eine „kritische“ Wissenschaft.

Eine Lehre muss auch sein, dass linke Kräfte auf der Uni sich nicht auf „Bildungsfragen“ beschränken dürfen. Ohne eine Kritik an der Rolle von Wissenschaft und Bildung im Kapitalismus allgemein und die Einbettung von „Bildungsfragen“ in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext sind ähnliche Probleme wie bei diesen Protesten vorprogrammiert. Für einen erfolgreichen Kampf bedarf es eben auch einer Ausweitung auf die Lohnabhängigen.

Revolutionäre Organisation aufbauen!

Auch in dieser Uni-Bewegung ist die wichtige Rolle des „subjektiven Faktors“ deutlich geworden. Es braucht organisierte Kräfte, die in einer Bewegung möglichst stark für eine kämpferische und antikapitalistische Ausrichtung eintreten können. Eine solche Organisation fällt aber nicht vom Himmel, sondern muss durch Organisierung der bewusstesten politischen Elemente, ihre theoretische und praktische Schulung, auf Grundlage eines klaren Programms aufgebaut werden. Dazu bedarf es, auch abseits von konkreten Kämpfen politisch aktiv zu sein bzw. zu werden.

Die Proteste auf den österreichischen Unis werden sicherlich nicht die letzten gewesen sein. Gerade angesichts der Wirtschaftskrise und ihrer Auswirkungen können wir mit einer allgemeinen Zunahme von Kämpfen und Protesten rechnen. In nächster Zeit werden sich bessere Möglichkeiten für die Verbreitung und Verankerung von linken und radikalen Ideen und Konzepten unter den StudentInnen bieten. Diesen Raum gilt es mit konkreten Antworten und Perspektiven auszufüllen. Mit diesem Text wollen wir dazu einen Beitrag leisten. Wenn Du unserer Analyse etwas abgewinnen kannst, dann laden wir dich ein, mit uns in Kontakt zu treten!