Deutliche Annahme der Anti-Minarett-Initiative zeigt die Schwäche der Linken

Die Initiative zum Verbot von Minaretten wurde mit einer deutlichen Mehrheit von fast 57,5 % angenommen. Was bedeutet das und was können wir nun tun?

Die Wahlbeteiligung am 29. November war mit knapp 53% der Schweizer Stimmberechtigten etwas höher als üblich. Fast die Hälfte der Stimmberechtigten hat aber nicht gewählt, was zeigt, dass die parlamentarische Demokratie an Vertrauen eingebüsst hat. Es wäre also falsch, pauschal zu sagen, dass über die Hälfte der Bevölkerung gegen Minarette ist oder grundsätzlich Abneigungen gegen MuslimInnen hegt. Doch ist das kein Grund für Entwarnung: Fakt ist, dass Islamophobie, als Rassismus gegen MuslimInnen in der Schweizer Bevölkerung sehr weit verbreitet ist. 57,5 % Ja Stimmen sind ein Ergebnis, das deutlich über den Erwartungen liegt. Im Vorfeld der Abstimmung wurde zumeist davon ausgegangen, dass die Vorlage knapp abgelehnt wird.

Interessant wird nun, wie der Staatsapparat diese Vorlage umsetzen wird, die dem Völkerrecht widerspricht. Ohne, dass wir irgendwelche Illusionen in kapitalistische Gesetze hätten, ist es doch bemerkenswert, dass derzeit noch überhaupt nicht klar ist, ob die Umsetzung der Vorlage überhaupt möglich ist. Doch selbst, wenn die Umsetzung scheitern würde, ist die Annahme der Vorlage ein massives Warnsignal.

Schwäche der Linken

Das Ergebnis spiegelt aber auch die Diskussionen im Vorfeld wieder. Während die Rechte voll in die Offensive ging, massiv präsent mit Plakaten, Flyern etc. war und die Diskussion über den Islam immer wieder in den Mittelpunkt ziehen konnte, hat die Linke ihre Schwäche gezeigt. Es waren kaum Plakate gegen die Initiative zu sehen, und wenn waren sie von der Freisinnig Demokratischen Partei, welche allein schon wegen den von ihr vertretenen Klasseninteressen nicht richtig gegen die Initiative politisieren konnte.

Wenn Linke debattierten, dann meist nur unter dem Vorwand der Religionsfreiheit und der Toleranz, welche zwar richtig sind, aber die Argumente der Rechten nicht als das enttarnen konnten, was sie tatsächlich waren: Ein ideologischer Angriff auf die Interessen der ArbeiterInnenklasse.

Nicht Religionskritik, sondern Rassismus

Haupttriebkräfte der Initiative waren die christlich fundamentalistische Eidgenössisch Demokratische Union und die rechts-populistische Schweizerische Volkspartei. Beides Parteien also, die, was religiöse Bigotterie, Sexismus und Homophobie anbelangt, etwa auf dem gleichen Niveau stehen wie die von ihnen angegriffenen IslamistInnen. Nicht zuletzt deshalb kann die Kritik dieser Parteien am Islam auch nicht ernst genommen werden.

Die ganze Übung war aber auch gar nicht als Religionskritik gedacht, sondern als rassistischer Übergriff auf MigrantInnen muslimischen Glaubens. Die Minarette selbst nahmen in der Diskussion auch immer einen untergeordneten Platz ein. Stattdessen wurde die "Islamisierung" der Schweiz zum zentralen Thema. Das ist natürlich kompletter Unsinn, denn die meisten MuslimInnen in der Schweiz sind eher moderat in ihrem Glauben und stammen zumeist aus den Balkan-Ländern oder der Türkei, welche selbst säkuläre Staaten sind, und in denen es tatsächlich auch christliche Kirchen mit Kirchturm (!) gibt.

Die Absicht dahinter ist natürlich, Grenzen zu ziehen, wo gar keine sind, nämlich in der ArbeiterInnenklasse entlang den Religionslinien. Auch das Schweizer Kapital hat mit der Krise zu kämpfen und führt deshalb massive Entlassungen und Lohnkürzungen durch. Zusätzlich wird immer mehr Arbeit präkarisiert. Da kommt Widerstand der ArbeiterInnenklasse natürlich sehr ungelegen.

Die Aufbauschung der Islamophobie in der Schweiz ist hier ganz klar ein Ablenkungsmanöver, um die ArbeiterInnenklasse vom Klassenkampf abzuhalten. Diese Strategie ist altgedient, seit Beginn des Kapitalismus werden gezielt Gruppen von Lohnabhängigen gegen andere ausgespielt. Wenn wir also die Islamophobie bekämpfen wollen, müssen wir das vor allem als Teil des Klassenkampfes tun, und nicht unter dem Banner einer abstrakten "Religionsfreiheit".

Vorbild für Europa?

Während das offizielle Europa bestürzt über den Ausgang der Abstimmung ist, so haben wir doch schon von anderen Bekannten Glückwünsche für das neue Gesetz erhalten. So zum Beispiel von der französischen "Front National", der italienischen "Lega Nord" und von H.C. Strache von der österreichischen FPÖ, welcher sich sogar überlegt, selbst eine Kampagne für ein Minarettverbot zu starten. Österreich sei dafür prädestiniert, da in Kärnten bereits ein solches Verbot existiert.

Es ist natürlich nicht wirklich schmeichelhaft, dass die rechtsextreme und faschistische C-Prominenz aus ganz Europa hinter der Schweiz steht. Und es zeigt nochmals klar aus welchem politischen Lager dieser Vorstoss wirklich kommt. Ganz sicher ist die Initiative nicht der Menschenliebe gewisser PolitikerInnen geschuldet, welche einfach die aufgeklärte westliche Welt gegen die muslimische Barbarei verteidigen wollen.

Ganz generell sind die Kategorien, die in dieser Debatte eingebracht werden, falsch. Es gibt keinen Konflikt zwischen westlich-christlischer Kultur und muslimischer Barbarei. Beide Religionen beinhalten die gleichen reaktionären Tendenzen und bei beiden Religionen sind die Mehrheit der Gläubigen keine FundamentalistInnen.

Der Konflikt Westen-Islam ist viel mehr eine ideologische Hülle für den Konflikt zwischen den imperialistischen Ländern und den asiatischen und afrikanischen Halbkolonien. Die europäisch-christliche Kultur ist eben nur die Kultur der jahrhundertealten Ausbeutung der übrigen Welt und so kein bisschen zivilisierter als die Ideologien, welche sich als Reaktion auf diese imperialistische Hegemonie des Westens gebildet haben. Die Frage heute ist kapitalistische Barbarei oder Sozialismus und nichts anderes. Die Verteidigung westlich-christlicher Werte ist nichts anderes als rassistischer Chauvinismus.

Antirassismus und Betriebsarbeit

Angesichts dieser Niederlage und der weiten Verbreitung islamophober Ideologie stellt sich die Frage, wie wir diese bekämpfen können. Die reformistischen linken Parteien, so hat sich in diesem Wahlkampf gezeigt, sind nicht fähig, hier im Interesse der ArbeiterInnenklasse ein Gegengewicht zu bilden. Viel zu fest sind sie mit der kapitalistischen Struktur verbunden und können deshalb nicht die Wurzeln des gesellschaftlichen Rassismus offen legen. Die Bekämpfung des Rassismus als Gegenstrategie des Kapitals zu einer organisierten und geschlossenen ArbeiterInnenbewegung ist aber unbedingt notwendig.

Wo also sollten RevolutionärInnen ansetzen? Unserer Meinung nach dort, wo die Künstlichkeit des Rassismus am offensichtlichsten ist, direkt auf betrieblicher Ebene am Arbeitsplatz, also im Produktionsprozess, in welchem alle ArbeiterInnen gemeinsam im gleichen Boot sitzen. Durch die gemeinsame Erfahrung aller ArbeiterInnen im Produktionsprozess und im daraus resultierenden Klassenkampf kann am allerbesten eine gemeinsame Perspektive erwachsen. Dies erfordert auch die Arbeit von RevolutionärInnen, welche bemüht sein müssen, die marxistische Idee zurück in die Fabriken zu bringen und gezielt den Unsinn rassistischer Spaltung aufzeigen.

 

Zum Weiterlesen:

RSO-Thesen zum (Anti-) Rassismus (November 2009)

Die schweizerische Anti-Minarett Initiative: Nur ein bisschen Ablenkung (November 2009)

„Traditionsbedingte“ Gewalt, Kultur und Rassismus (Oktober 2008)

Zur Hölle mit Ratzinger! (September 2007)

Analyse des islamischen Fundamentalismus (Dezember 2005)

Viel Zoff um den Stoff: Zur Debatte um das Kopftuch-Verbot (Mai 2004)

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Gesammelte Artikel zu Religion und Esoterik