Der Zweite Weltkrieg: Demokratie gegen Faschismus?

Materialistsiche Geschichtsauffassung: Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg, der bislang mörderischte Krieg der menschlichen Geschichte. Das offizielle „Gedenken“ von Politik und Medien steht im Zeichen von Totalitarismustheorie und Personifizierungen. Wir setzen dem eine marxistische Analyse entgegen.

Hitlers Machtgier, Chamberlains Nachgiebigkeit, der Aufstieg von politischem Extremismus und Diktaturen, verschiedene nationale Mentalitäten und der unfaire Vertrag von Versailles – das sind die populären Erklärungsmuster für den Zweiten Weltkrieg, die in Jubiläumspublikationen, von nachdenklichen Fernsehsendungen und auf offiziösen Gedenkveranstaltungen zusammengemixt werden. Sie vermeiden die Auseinandersetzung mit den ökonomischen und sozialen Interessen, die die eigentlichen Ursachen für den Krieg darstellten.

Clausewitz, ein deutscher General aus dem 19. Jahrhundert, kam der Wahrheit näher als die heutigen gelehrten Propagandisten, wenn er den Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln verstand. Wenn wir mit Lenin hinzufügen, daß Politik konzentrierte Ökonomie ist, entpuppt sich der Zweite Weltkrieg bei genauerer Betrachtung als eine Fortsetzung der imperialistischen Rivalitäten, die die Welt seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts prägten. Am Beginn einer Untersuchung des Zweiten Weltkrieges muß deshalb die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen stehen, die die Basis für diesen größten militärischen Konflikt der Geschichte darstellen.

Imperialismus

Ein zentrales Charakteristikum der kapitalistischen Produktionsweise ist die Konkurrenz. Mit dem Entstehen von großen Konzernen, Kartellen und Banken nahm diese Konkurrenz eine neue Qualität an. Die Entwicklung der Industrie, das Wachstum der Produktivkräfte, die gesamte Produktion der bedeutendsten Industriemächte und besonders die Ausdehnung des Finanzkapitals und des Investitionspotentials überschritten zunehmend die Grenzen der Nationalstaaten. Es ging nicht mehr um einige Geschäfte, sondern um die Interessen von Industrie- und Finanzgiganten, die sich zunehmend politisch und militärisch bestimmend auswirkten. In der Folge beteiligten sich Staaten und ihre Flotten und Armeen immer massiver unmittelbar an dieser Konkurrenz, am Wettkampf der kapitalistischen Großmächte um Absatzmärkte, um den Zugang zu billigen oder seltenen Rohstoffen, um die Kontrolle von Handelswegen und um die Investition in neue Produkte. Das zerstörerische Potential dieser Entwicklung drückte sich zunehmend in einer wachsenden Militarisierung und ideologisch in Rechtfertigung und Verherrlichung von nationaler Expansion und Krieg aus.

W.I. Lenin bezeichnete dieses neue, im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts entstandene Stadium des Kapitalismus als Monopolkapitalismus oder Imperialismus, den er wie folgt definierte: „1. Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine so hohe Entwicklungstufe erreicht hat, daß sie Monopole schafft, die im Wirtschaftsleben die entscheidende Rolle spielen; 2. Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital und Entstehung einer Finanzoligarchie auf der Basis dieses ‚Finanzkapitals‘; 3. der Kapitalexport, zum Unterschied vom Warenexport, gewinnt besonders wichtige Bedeutung; 4. Es bilden sich internationale monopolistische Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich teilen, und 5. die territoriale Aufteilung unter die kapitalistischen Großmächte ist beendet.“1

Der imperialistische Kapitalismus teilte die Länder der Welt in zwei unterschiedliche Gruppen: imperialistische Länder und solche, die vom Imperialismus ausgebeutet werden. Unter letzteren waren bis 1945 die Kolonien vorherrschend, die europäischen Großmächte annektierten große Teile Afrikas und Asiens. Es existierten allerdings auch bereits Halbkolonien (Lateinamerika, Türkei, teilweise Iran und China, ..), die nach 1945 zur dominanten Form der imperialistischen Ausplünderung werden sollten, die formal unabhängig, nicht mehr von imperialistischen Staaten militärisch besetzt, aber weiterhin wirtschaftlich und politisch abhängig sind.2

Aber die Bildung von Kolonialreichen erwies sich als nur verübergehende Antwort auf das immer größere Mißverhältnis zwischen dem Wachstum der Produktivkräfte und dem Nationalstaat. Aufgrund ihrer Armut stellten die Kolonien zu unbedeutende Absatzmärkte dar. Der Protektionismus der verschiedenen Großmächte verschärfte die Widersprüche weiter. Da Frankreich und vor allem Großbritannien sich schon relativ früh große Teile der Welt unter ihre Kontrolle gebracht hatten, blieb für die sich später rasant entwickelnden Industriemächte USA, Deutschland, Japan (und mit Abstrichen auch Italien und Rußland) wenig Raum für die überseeische Ausbreitung. Diese Entwicklung führte notwendigerweise zur Destabilisierung der territorialen Ordnung, die am Beginn des Jahrhunderts bestand, und des Gleichgewichts zwischen politischer und ökonomischer Macht. Die Möglichkeit, die Begrenztheit der eigenen Expansion auf Kosten der imperialistischen Konkurrenten zu überwinden, wurde immer attraktiver. Der sich zuspitzende Konflikt zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den existierenden politischen Strukturen konnte immer weniger durch durch Diplomatie und lokale militärische Auseinandersetzungen gelöst werden. Der Erste Weltkrieg war schließlich nichts anderes als der unvermeidliche Ausbruch dieser imperialistischen Widersprüche.

Der Erste Weltkrieg und die Folgen

Die Aussicht auf die Vereinigung Europas unter der Herrschaft Deutschlands, das zur führenden Industriemacht Europas geworden war, mit all den Folgen für die (halb)kolonialen Länder bedrohte nicht nur die Interessen der unmittelbar betroffenen imperialistischen Mächte Großbritannien und Frankreich, sondern auch die der USA und Japans. Die Intervention der USA auf seiten der Entente war schließlich entscheidend für die deutsche Niederlage.

Der wachsende Widerspruch zwischen Ökonomie und Politik im kapitalistischen Weltsystem konnte allerdings auch durch den Ersten Weltkrieg mit seinen etwa 12 Millionen Toten und riesigen Zerstörungen nicht gelöst werden. Deutschland war zwar geschlagen, aber nicht entscheidend genug, um es vom Kampf um die Weltherrschaft auszuschließen, denn die westlichen Imperialisten wagten es – aus Furcht vor der Ausbreitung der sozialistischen Revolution nach Deutschland – nicht, ihren Konkurrenten völlig zu entwaffnen und seine industrielle Leistungsfähigkeit nachhaltig zu brechen.

War der Zweite Weltkrieg eine logische Folge des Ersten? Ja und nein. Nein in der Hinsicht, daß die antideutschen Bestimmungen und Reparationszahlungen des Vertrages von Versailles zwar sicherlich die Konflikte in der Zwischenkriegszeit verstärkten, daß sie aber ebensowenig die wirkliche Ursache dieser Konflikte und des neuen Weltkrieges waren, wie die ehrgeizigen Pläne der diversen Generalstäbe den Ersten Weltkrieg verursacht haben. Ein kurzer Blick zum neben Europa zweiten Hauptschauplatz des Zweiten Weltkrieges, zum ostasiatischen/pazifischen Raum, zeigt, wie unhaltbar eine solche These ist. Japan stand im Ersten Weltkrieg in einer Front mit den USA, Großbritannien und Frankreich, kam sowohl bei den Pariser Vororteverträgen 1919 als auch beim Washingtoner Flottenabkommen 1922 gut weg und war keinerlei „Demütigung“ von seinen späteren Feinden ausgesetzt. Trotzdem führten die ökonomischen Widersprüche, die gegensätzlichen imperialistischen Interessen unausweichlich zum Kampf um die Kontrolle und Beherrschung der pazifisch-ostasiatischen Region.

Und ja in der Hinsicht, daß der Erste Weltkrieg die imperialistischen Widersprüche nicht lösen konnte und diese deshalb notwendigerweise auf einen Zweiten zusteuerten. Die Zerstörungen durch den Krieg von 1914 bis 1918 – Vernichtung von Kapital, Arbeitskraft und natürlichen Ressourcen, die Verwüstung ganzer Landstriche – waren nicht ausreichend, um auf ihrer Grundlage einen neuen kapitalistischen (Wiederaufbau-)Boom zu ermöglichen. Das Ergebnis waren im wesentlichen zwei Jahrzehnte ökonomische Stagnation des Kapitalimus, Schrumpfung der Weltwirtschaft und ihre Zersplitterung in von den imperialistischen Mächten abgeschottete Märkte (die Kolonialreiche von Großbritannien und Frankreich, Lateinamerika für die USA). Statt einer Lösung spitzten sich die imperialistischen Widersprüche weiter zu.

„Weltkriege ergeben sich aus der allgemeinen Tendenz des Imperialismus zu aggressiver Expansion. Sie haben aber auch eine spezifischere Ursache. Sie entstehen nämlich aus dem Gesetz der ungleichen Entwicklung, das heißt aus dem Widerspruch zwischen der Tendenz zum Gleichgewicht auf dem industriell-finanziellen Sektor (durch das Emporkommen spezifisch bürgerlicher Klassen, die vorher in ihrer Entwicklung zurückgeblieben waren) und der Tendenz zur Teilung der Welt in Einflußsphären, die über einen längeren Zeitraum möglichst unverändert bleiben sollen. Diese Teilung wird im Aufbau des Militärs und der Marine, in internationalen Allianzen und bevorzugten Handels-, Zoll- und Währungssystemen reflektiert, die sich viel langsamer verändern als die industriell-finanzielle Beziehung von Kräften an und für sich. (…) Letzten Endes ist es die industriell-finanzielle Balance der Kräfte, in Verbindung mit dem Gewicht der politisch-gesellschaftlichen Faktoren, das das Ergebnis jedes Konfliktes um eine Neuaufteilung der Welt in Kolonialreiche und/oder imperialistische Einflußsphären entscheidet. Kriege sind genau die Mechanismen zur Regulierung und Anpassung der militärischen und politischen Balance der Kräfte an die neu entstandene industriell-finanzielle Balance – durch den Sieg (oder Teilsieg) von einigen und die Niederlage (oder teilweise Niederlage) von anderen Mächten.“3

In der Folge entwickelte sich die verschärfte Neuauflage des imperialistischen Massakers nach der immanenten Logik des kapitalistischen Systems. Es ging erneut um die internationale Vorherrschaft einer einzigen imperialistischen Macht, eine Position, die vor 1914 Großbritannien innegehabt hatte und die seitdem nicht eindeutig besetzt war.4 Zur Erringung globaler Hegemonie sollten militärischer Druck, militärische Eroberung, ökonomische Herrschaft und Ausbeutung eingesetzt werden. Der Ausgang des Krieges sollte für eine ganze Periode die Art und Weise der weltweiten Akkumulation des Kapitals bestimmen. In einer Welt, die durch Kapital organisiert ist, das sich wiederum auf Nationalstaaten gründet, ist Krieg der entscheidende Mechanismus für die längerfristige Beseitigung von Widersprüchen. Und obwohl militärische Gewalt nicht das einzige Druckmittel ist, das ein kapitalistischer Staat gegen seine Konkurrenten einsetzten kann, so stellt sie doch die höchste Form der Macht dar, den entscheidenden Beweis für die Überlegenheit einer imperialistischen Macht. Vorne mitspielen konnten in diesem Kampf um die Weltherrschaft lediglich die USA, Großbritannien, Deutschland und Japan. Frankreich und Italien bekamen die Rollen von zweitrangigen Alliierten zugewiesen, die als ernsthafte Mitbewerber zu schwach waren.

Der Ursprung des Zweiten Weltkrieges kann deshalb keineswegs auf die Besonderheiten der deutschen oder japanischen Politik zurückgeführt werden. Eine solche Argumentation dient letztlich vor allem der Rechtfertigung der imperialistischen Politik Großbritannienes und der USA zur Verteidigung oder Erweitung ihrer Einflußzonen und zur Erringung der globalen Hegemonie. Sie mißversteht den Charakter von imperialistischen Kriegen grundlegend, indem sie sie auf gewaltsame Eroberungen reduziert. In Wirklichkeit sind die brutalsten Fälle von imperialistischer Aggression eher ein Zeichen von Schwäche als von Stärke. Imperialismus bedeutet eben nicht zentral die militärische Besetzung von großen Territorien, sondern die Beherrschung der Ökonomien ganzer Kontinente durch kapitalistische Investitionen, Handelsabkommen, Währungsregulierungen und politisch-militärische Vorherrschaft. Im Zweiten Weltkrieg ging es nicht nur um die Unterordnung der weniger entwickelten Gebiete der Erde, sondern auch von anderen Industrienationen (feindlichen wie verbündeten) unter die Bedürfnisse der Kapitalakkumulation einer einzigen hegemonialen Macht.5 Weltherrschaft kann nur in der Kombination von ökonomischer Überlegenheit und militärischer Stärke liegen. Aufgrund der größeren industriellen Kapazitäten konnten die USA vergleichsweise stark auf erstere setzen. Hier muß klar zwischen Ursache und Wirkung unterschieden werden. Die mörderische militärische Expanisonspolitik von Japan und Deutschland ist Ausdruck der relativen ökonomischen Schwäche – und nicht etwa eines besonderen deutschen oder japanischen Nationalcharakters. Ohne Spekulationen über Folgen eines japanisch-deutschen Sieges anzustellen, hätte man sich mit Sicherheit auch in diesem Fall nicht auf reine brutale Gewalt gestützt, sondern wäre es zu einer Kombination von militärischer und ökonomischer Herrschaft gekommen.6 In jedem Fall waren die Kriegsziele von den Herausforderern des Status quo (Japan, Deutschland, USA) eindeutig auf die Erringung der Weltherrschaft ausgerichtet.

Deutschland

Lagen die Ursachen des Zweiten Weltkrieges in den ungelösten Widersprüchen zwischen den imperialistischen Großmächten7 , so waren es der deutsche Faschismus und die deutsche Großindustrie, die Hitler an die Macht gebracht hatte, die den Krieg bewußt und gezielt auslösten. Bereits im November 1933 schrieb Leo Trotzki: „Das Umschwenken der Naziführer auf Friedensdeklarationen kann nur Dummköpfe irreführen. Hitler hat kein anderes Mittel, als die Schuld an inneren Schwierigkeiten auf äußere Feinde abzuwälzen und die Sprengkraft des Imperialismus unter dem Druck der Diktatur zu steigern. Dieser Teil des Programms, der noch vor der Machtergreifung der Nazis offen angekündigt wurde, realisiert sich jetzt mit eisener Logik vor den Augen der ganzen Welt. Die Zeit, die uns bis zur nächsten europäischen Katastrophe bleibt, ist befristet durch die deutsche Aufrüstung. Das ist keine Frage von Monaten, aber auch keine von Jahrzehnten. Wird Hitler nicht rechtzeitig durch innerdeutsche Kräfte aufgehalten, so wird Europa in wenigen Jahren neuerlich in Krieg gestürzt.“8 Der Führer des Oktoberaufstandes von 1917 und Gründer der revolutionären Roten Armee sollte recht behalten. Sechs Jahre später begann in Europa der Zweite Weltkrieg.

Das deutsche Kapital, durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg geschwächt und durch die Weltwirtschaftskrise besonders stark betroffen, brachte, als es keinen anderen Ausweg aus seiner Krise mehr sah, Anfang der 30er Jahre durch massive finanzielle und politische Unterstützung die Nazis an die Macht, um zwei Ziele zu erreichen. Erstens sollte die Arbeiterbewegung zerschlagen werden, um auf dem Rücken der Arbeiterschaft die Profitraten kurzfristig einigermaßen zu sanieren. Zweitens sollte eine erneute Expansion für das deutsche Kapital ermöglicht werden.

Die Nazis begannen sofort nach der Machtergreifung mit der Wiederbewaffnung Deutschlands.9 Damit sollte einerseits die krisengeschüttelte deutsche Industrie durch staatliche Investitionen angekurbelt und damit ein Anstieg der Profitmasse und der Profitrate möglich werden. Die Investionen in die Rüstung – direkt (Panzer, Flugzeuge …) und indirekt (Autobahnen …) – wurden neben der verstärkten Ausbeutung der Arbeiterklasse10 auch durch die Staatsfinanzen und sogenannte Mefo-Wechsel (Wechsel der Metallurgischen Forschungsanstalt, nicht gedeckte staatliche Zwangsanleihen bei der Rüstungsindustrie in der Höhe von 12 Milliarden Reichsmark, die durch Krieg eingebracht werden sollten) finanziert. 1938 war Deutschland de facto bankrott11. Die Annexion Österreichs brachte neben dem vergleichsweise hochwertigen Erz vom Erzberg in der Steiermark und anderen wichtigen Rohstoffen für die Rüstungsindustrie auch die relativ großen Goldreserven Österreichs in deutschen Besitz, mit denen der deutsche Staatsbankrott noch einmal ein Jahr hinausgezögert werden konnte – ein Jahr, das man zum Abschluß der Aufrüstung noch dringend brauchte. Danach wollte man sich durch die Ausplünderung der durch Krieg unterworfenen Länder erneut sanieren. Termingerecht begann im September 1939 der Zweite Weltkrieg.

Und Krieg war von Anfang an das Ziel der Nazis und der deutschen Kapitalisten. Durch militärische Eroberung sollten die zu eng gewordenen Grenzen der Kapitalakkumulation überwunden, Lebensraum für das deutsche Kapital geschaffen werden. Durch einen Angriff auf die Sowjetunion sollte für den deutschen Imperialismus in Osteuropa ein Äquivalent zum britischen Imperium in Indien und Afrika erobert werden. Die erste Etappe der Expansion war bereits durch die Annexionstendenzen der deutschen Großindustrie im Ersten Weltkrieg, im besonderen durch den Raubvertrag von Brest-Litowsk vorgezeichnet. Die Erschließung von Bodenschätzen und die Industrialisierung der Sowjetunion machten diese Pläne nur noch verheißungsvoller.

Dabei wäre es dem deutschen Imperialismus durchaus lieber gewesen, Polen und die Tschechoslowakei a la Ungarn zu halberherzigen Verbündeten gegen die Sowjetunion zu machen, dazu die verschiedenen Gegner in Uneinigkeit und Passivität zu halten und damit letztlich eine Hinnahme einer deutschen Vorherrschaft auf dem Kontinent durch Großbritannien zu erlangen. Hitler versuchte zwischen 1935 und 1939, dieses Ziel durch Kombinationen von Drohung, Verlockung und militärischen Druck zu erreichen. Er hatte damit einige Erfolge: Wiederbewaffnung des Rheinlandes, Annexion Österreichs und des Sudetenlandes. Aber ab der Besetzung der sogenannten Rest-Tschechoslowakei im März 1939 war der britische Imperialismus (und in seinem Schlepptau der französische) entschlossen, jede weitere deutsche Expansion militärisch zu bekämpfen. Sein langfristiges Ziel war, eine deutsche Hegemonie über den Kontinent zu verhindern, weil er – von seinem Standpunkt richtigerweise – davon ausging, daß eine solche Vorherrschaft nur das Vorspiel einer Großoffensive gegen das Empire wäre. Hitler wußte das. Und da er nicht auf den Vorsprung an modernen Waffen, den der deutsche Imperialismus noch einige Jahre besaß, verzichten wollte, entschied er sich im Sommer 1939 bewußt und vorsätzlich für den Krieg mit Großbritannien, der dann mit dem deutschen Einmarsch in Polen am 1. September und der britischen Kriegserklärung vom 3. begann. Der deutsche Versuch, nach der Niederlage Frankreichs einen Ausgleich mit Großbritannien zu erreichen, mußte scheitern, da die Akzeptanz eines von Deutschland beherrschten Kontinents ohne eine verbündete französische Armee für die britische Bourgeoisie noch weniger Sinn machte als im Sommer 1939. Eine solche Akzeptanz hätte das sichere Aus für Großbritannien als Weltmacht bedeutet und außerdem die Gefahr, zu einem späteren Zeitpunkt von Deutschland militärisch niedergerungen zu werden.

Hitler entschied sich noch vor der Ausschaltung Großbritanniens dafür, den Krieg auszuweiten, den Angriff auf die Sowjetunion zu starten, auf den die Politik der Nazis von Anfang an ausgerichtet war. Die Strukturveränderung der deutschen Industrie und des Finanzkapitals während der ersten Jahre des Dritten Reiches ist ein eindrucksvoller Indikator für die grundlegenden Entscheidungen der herrschenden Klasse für den Krieg. Durch die Finanzkrise und die stagnierenden Exporte drohten ernsthafte Probleme für die deutsche Wirtschaft, wenn nicht ein neuer gewaltiger Strom von Gütern in die Zirkulation gebracht würde. Die deutschen Produktionskapazitäten waren schon bis zum äußersten angespannt. Mehr war aus der deutschen Arbeiterklasse, den unteren Mittelschichten und den (jüdischen u.a.) Zwangsarbeitern nicht herauszupressen. Die einzige Lösung war, den Produktionsumfang durch brutale Ausbeutung von Gebieten außerhalb der schon kontrollierten Gebiete auszudehnen. Das bedeutete weiterer offensiver Eroberungskrieg (schon vor der geplanten Niederwerfung Großbritanniens), der in der Folge ausgelöst wurde.

Die deutsche Bourgeoisie war gezwungen, ihre Neuaufteilung der Welt in Europa zu beginnen. Vom Zugang zu Lateinamerika, Asien, dem Nahen Osten und Afrika abgeschnitten, orientierte sie sich – als erste Etappe – auf die nächstgelegenen Quellen für Rohstoffe und billige Arbeitskraft, d.h. auf Ost- und Südosteuropa. Das Fehlen eines Kolonialreiches und insbesondere der Mangel an verfügbaren lebenswichtigen Rohstoffen für die moderne industrielle Produktion (im speziellen die Kriegsproduktion) bestimmten entscheidend die Strategie der deutschen Führung. Diese war sich dabei völlig darüber bewußt, daß die Expansion nach Osteuropa und die Vorherrschaft über den europäischen Kontinent nur den ersten Schritt im Kampf um die globale Vorherrschaft darstellte. Hitler hatte davon ein klares Verständnis: „Der Kampf um die Weltherrschaft wird für Europa durch den Besitz des russischen Gebietes entschieden werden. Jegliche Vorstellung von Weltpolitik ist (für Deutschland) lächerlich, solange es nicht den Kontinent beherrscht. (…) Wenn wir die Herren Europas sind, werden wir die dominante Stellung in der Welt haben. Wenn das (britische) Imperium heute durch unsere Waffen zusammenbrechen würde, wären wir nicht seine Erben, weil Rußland Indien, Japan Ostasien und Amerika Kanada nehmen würde.“12

Im Bewußtsein einer letztlich unausweichlichen globalen Konfrontation erwähnt Hitler bereits im November 1940 (in der Weisung Nummer 18) die Notwendigkeit, wegen der strategischen Bedeutung gegenüber den USA die Kanarischen und die Kapverdischen Inseln, die Azoren und Westafrika zu erobern. Der Irak und der Iran wurden als weitere Ziele des Vorstoßes in den Kaukasus erwähnt. Im März 1941 (Weisung Nummer 24) erstrecken sich die deutschen Kriegspläne sogar bis Australien.13 Auch das Bündnis mit Japan konnte nur vorübergehend sein, blieb während des ganzen Krieges zerbrechlich und ineffektiv, da es als zeitweilige Waffenruhe mit einem zukünfigen Konkurrenten um die Weltherrschaft betrachtet wurde. Hitler war sich des langfristigen Interessenskonfliktes zwischen dem deutschen und dem japanischen Imperialismus voll bewußt. Nach den raschen japanischen Eroberungserfolgen in Asien meinte er: „Ostasien hätte gehalten werden können, wenn alle weißen Staaten eine Koalition eingegangen wären. Gegen sie wäre Japan nicht vorgegangen.“14 Josef Goebbels äußerte sich noch eindeutiger: „Europa, und in erster Linie Deutschland, hat einen hohen Lebensstandard, der weiter gesteigert werden muß. Früher oder später wird es in Ostasien einem Block von 500 Millionen Menschen der gelben Rasse gegenüberstehen, die einen wesentlich niedrigeren Lebensstandard haben, eine Tatsache, die nicht ohne Auswirkungen auf Europa bleiben wird.“15 Und er faßte auf seine ebenso offene wie zynische Art die Ziele von imperialistischen Kriegen zusammen: „Objektivität, Sinn für Gerechtigkeit und Gefühlsduselei würden die Deutschen bei ihrer weltweiten Mission nur behindern. Diese Mission besteht nicht darin, Kultur und Bildung über die Welt zu verbreiten, sondern Weizen und Öl wegzunehmen.“16

Großbritannien

Der britische Imperialismus befand sich im Gegensatz zum deutschen, US-amerikanischen und japanischen bereits seit dem Ersten Weltkrieg auf dem absteigenden Ast. Sein ökonomisches Potential konnte mit dem seiner wichtigsten Konkurrenten immer weniger mithalten. Der Zweite Weltkrieg war für ihn deshalb noch mehr als der Erste vor allem ein defensiver Krieg zur Behauptung seiner zusammengeraubten Besitztümer und Privilegien, zur Aufrechterhaltung seines auf brutaler und rassistischer kolonialer Ausbeutung basierenden Empires. Doch obwohl der britische Imperialismus bereits mehr verschlungen hatte, als er verdauen konnte, hörte er keineswegs auf, weiter zu expandieren oder das zumindest zu versuchen. Die Aneignung des italienischen Kolonialreiches, die Übernahme der französischen Gebiete im Nahen Osten, der Griff nach dem Iran, die Vorbereitung einer Invasion auf dem Balkan mit dem Ziel, Griechenland als Sprungbrett für die Schaffung von von Großbritannien abhängigen Satellitenstaaten, die die französische Einflußzone in dieser Region ablösen sollten, und verschiedene Versuche der Machtpolitik in Lateinamerika17 zeigen, daß auch die britische Bourgeoisie weiterhin an der globalen Vorherrschaft orientiert war. Allerdings war die Kluft zwischen Wunsch und Realität in ihrem Fall bereits beträchtlich.

Mit dem wichtigsten Verbündeten Großbritanniens in Europa, mit Frankreich, sah es in dieser Hinsicht noch schlechter aus. Der französische Imperialismus verfügte nach Versailles über eine relative politisch-militärische Vorherrschaft auf dem Kontinent: Deutschland war besiegt, um etliche Gebiete verkleinert, entmilitarisiert, zu langjährigen und hohen Reparationen verpflichtet, das Rheinland zeitweilig besetzt. Aber dieser Status Frankreichs entsprach keineswegs dem realen ökonomischen Kräfteverhältnis in Europa (und schon gar nicht in der Welt). Das französische Bündnissystem mit einigen osteuropäischen Staaten, die sogenannte Kleine Entente, stützte sich mehr auf diplomatischen Ehrgeiz als auf eine tatsächliche Basis eines starken französischen Kapitals. Die schwächliche Politik und die Demoralisierung der französischen Bourgeoisie war letztlich Ausdruck der Schwäche des französischen Kapitalismus. Außerdem fürchteten große Teile der französischen herrschenden Klasse die potentielle Stärke des französischen Proletariats (besonders nach dem Generalstreik von 1936). Sie betrachteten die bürgerlich-parlamen-tarische Demokratie zunehmend als Hindernis für ein repressiveres Vorgehen gegen die Arbeiterbewegung. Der Ministerpräsident Pierre Laval, später Kollaborateur mit den Nazis, vertrat wie die Mehrheit des Parlaments diese Ansicht. Der Offizier Philippe Petain, in Vichy-Frankreich – dem unbesetzten, aber von den Nazis kontrollierten Teil des Landes – Staatschef von Hitlers Gnaden, wurde bereits vor Kriegsausbruch von weiten Kreisen der Bourgeoisie als ideale Figur für die Beseitigung der kommunistischen Gefahr und für die Neue Ordnung angesehen. Die Furcht vor einem Arbeiteraufstand, einer neuen Kommune blieb bei dem eingefleischten Reaktionär Maxime Weygand und den anderen Spitzen des Militärs auch nach dem gescheiterten Generalstreik vom September 1938 so massiv, daß sie vor allem aus diesem Grund 1940 für eine schnelle Beendigung des Krieges um jeden Preis eintraten. Der französische Imperialismus hatte insgesamt zuwenig Substanz, um einen ernsthaften globalen Hegomonieanspruch – und selbst für einen kontinentalen hatte er (auf sich allein gestellt) schlechte Karten. Die Politik der britischen Bourgeoisie zwischen 1929 und 1938 war allerdings auch durchaus nicht auf die Unterstützung der französischen Hegemonie in Europa ausgerichtet. Auch zwischen Großbritannien und Frankreich zeigten sich imperialistische Widersprüche in der später glorifizierten internationalen Friedensfront gegen den Faschismus. Großbritannien wollte jede eindeutige Vorherrschaft auf dem Kontinent verhindern. Wenn es die französische Vorherrschaft nicht förderte, hieß das deshalb natürlich in keinster Weise, stattdessen eine deutsche zu akzeptieren.

Arthur Chamberlains Beschwichtungspolitik hat reichlich wenig damit zu tun, daß er – wie von eher einfältigen Historikern und sonstigen Experten immer wieder zum Besten gegeben wird – etwa ein deutschfreundlicher Waschlappen gewesen wäre. Diese Politik war vielmehr Ausdruck einer durchaus rationalen Lageeinschätzung der damaligen Mehrheit der britischen Bourgeoisie. Man wollte schlicht und einfach den deutschen Rüstungsvorsprung von drei bis vier Jahren18 aufholen und dazu Zeit gewinnen. Dafür war man auch bereit, dem deutschen Imperialismus einige Happen (Rheinland, Österreich, Sudentenland) zu überlassen, ohne einzugreifen. Die britische herrschende Klasse war jedenfalls keineswegs demoralisiert wie die französische, sondern entschlossen, um ihr Empire, d.h. um ihren Reichtum und ihre Macht, zu kämpfen. Die Differenz zwischen dem Teil um Chamberlain und dem um Winston Churchill war nicht eine zwischen denen, die bereit waren, vor dem deutschen Imperialismus zu kapitulieren, und denen, die nicht dazu bereit waren. Es war ein Konflikt um den effektivsten Weg, Hitler entgegenzutreten und das Empire zu retten: sofort oder später? Als Hitler immer rasanter auf die Konfrontation zusteuerte – um bei Kriegsausbruch genau über den Rüstungsvorsprung zu verfügen, den Chamberlain aufholen wollte – entschloß sich schließlich die Mehrheit der herrschenden Klasse für Churchills Linie. Man mußte die Idee, die Expansionsdynamik des deutschen Imperialismus gegen die Sowjetunion zu lenken, aufgeben. Mit der Besetzung der Resttschechoslowakei und Polens wurde entgültig klar, daß Deutschland mit der Eroberung Osteuropas eine Stärke erlangen würde, die groß genug war, sich gegen das Empire zu richten. Weitere Konzessionen wären für die britische Bourgeoisie selbstmörderisch gewesen. Obwohl selbst dann noch führende Politiker wie Edward Halifax auf eine Vermittlung über Mussolini setzten, vereinigte sich die große Mehrheit der britischen herrschenden Klasse hinter Churchills Position, sofort in die militärische Konfronation zu gehen, um es Hitler nicht zu ermöglichen, seine Eroberungen zu stabilisieren, zu verdauen und zu organisieren.

Die britische Bourgeoisie versuchte dabei (zu beträchtlichen Teilen erfolgreich), die antifaschistischen Überzeugungen und Gefühle der britischen und internationalen Arbeiterklasse für sich zu instrumentalisieren, indem sie ihren Krieg zur Verteidigung ihres Empires und ihrer Profite als Krieg für Demokratie, Menschenrechte, Selbstbestimmungsrecht, Freiheit und ähnliche schöne Dinge ausgab. Den Kolonien und Halbkolonien, um deren Zukunft es am Ende des Krieges heftige Kontroversen zwischen den britischen und US-amerikanischen „Demokraten“ gab, hatten die britischen Kapitalisten niemals Demokratie, Selbstbestimmungsrecht etc. gewährt. Sie wurden von London aus regiert und waren rücksichtsloser Ausbeutung, brutaler Repression und üblem kolonialen Herrenmenschen-Rassismus ausgesetzt. Der britische Imperialismus war so besorgt um seine nordafrikanischen Halbkolonien, daß er bis 1943 den sowjetischen Truppen die ganze Last des Kampfes am Kontinent allein tragen ließ. Der Sieg im Wüstenkrieg brachte freilich nicht die Demokratie nach Ägypten und Libyen, sondern neue diktatorische Marionettenregierungen. Polen, das Großbritannien durch seinen Kriegseintritt angeblich „befreien“ wollte, war alles andere als demokratisch, sondern eine der repressivsten, reaktionärsten Diktaturen der Welt, die die Arbeiterbewegung, demokratische Rechte und die nationalen Minderheiten der Ukrainer, Weißrussen, Juden und Deutschen unterdrückte. Die britische Bourgeoisie ließ in den späten 30er Jahren aus Furcht vor dem für sie größeren Übel einer Arbeiterrevolution die spanische Republik vor den faschistischen Banden Francos verbluten. Ebenfalls in den 30er Jahren unterstützte es Nazi-Deutschland gegen die Sowjetunion. Der große Antifaschist Churchill äußerte sich damals lobend und begeistert über Hitlers Beschäftigungspolitik und die Ordnung, die Mussolini in Italien geschaffen habe.19 Zu Großbritanniens Verbündeten gehörten neben verschiedenen außereuropäischen und osteuropäischen Dikaturen auch den Apartheitstaat Südafrika, die Militärdiktatur in Griechenland20 und gegen Kriegsende das faschistische Salazar-Regime in Portugal. In Großbritannien selbst wurde die Demokratie weitgehend ausgesetzt. Streiks wurden verboten, Streikende inhaftiert, die Zensur eingeführt und die freie Jobwahl stark eingeschränkt. Bei „Wahlen“ konnte man nur noch für die Partei stimmen, die den entsprechenden Sitz bereits innehatte. Wie sich dieser Pseudoantifaschismus am Ende des Krieges auswirkte, werden wir weiter unten sehen. In allen Fällen erweist sich das „demokratische“ Geschwätz von Churchill & Co. als Propaganda zu Verschleierung der eigentlichen Kriegsziele der britischen Bourgeoisie. Der britischen herrschenden Klasse war völlig bewußt, daß es sich um einen Krieg um die globale Vorherrschaft handelt. Sie sollte – wie wir sehen werden – diesen Kampf verlieren, nicht gegen Hitler, sondern gegen einen Verbündeten.

Japan

In Ostasien machte sich währenddessen der aufstrebende japanische Imperialismus21 an eine schrittweise Eroberung Chinas – mit dem Ziel, danach Südostasien zu kassieren. Diese Expansion war durch ökonomische Notwendigkeiten bestimmt. Die Dynamik des Akkumulationsprozesses des japanischen Kapitalismus drängte nach Kapitalexport und der Schaffung von Einflußsphären. Darüberhinaus war das rohstoffarme Japan bei (u.a. für die Rüstungsproduktion) so wichtigen Gütern wie Öl, Koks, Bauxit, Nickel, Zinn, Kautschuk, Kupfer etc. nahezu völlig von Importen abhängig, von Importen aus (asiatischen) Gebieten, die unter der Kontrolle der europäischen Kolonialisten oder der USA standen. Daraus ergab sich logisch der Versuch, diese Gebiete, d.h. China (mit verschiedenen europäischen Stützpunkten), die Philippinen (US-amerikanisch), Malaysia (britisch), Indonesien (niederländisch) und Indochina (französisch), unter japanische Hegemonie zu bringen. Die Eroberung Ost- und Südostasiens stellte für den japanischen Imperialismus dabei aber nur ein Etappenziel dar. Die japanische Bourgeoisie war sich ebenso wie ihre Konkurrenten darüber bewußt, daß es letztlich um die globale Vorherrschaft ging. Im sogenannten Tanaka-Memorandum, das vom General und Ministerpräsidenten Giichi 1927, als eine schwere Finanzkrise Japan erschütterte, verfaßt wurde, wurde bereits eine „positive Expansionspolitik“, die Unterwerfung Asiens und schließlich auch Europas durch Japan, als Perspektive angegeben. Die Eroberung Chinas durch japanische Truppen wurde nur als Ausgangsbasis für die Eroberung der weltweiten Vorherrschaft angesehen.

Die Annexion Chinas, die sich als äußerst langwierig und kostspielig herausstellte, war von der japanischen Führung nicht auf einen offenen Konflikt mit Großbritannien und den USA angelegt. Es sollten vollendete Tatsachen geschaffen und danach eine vorläufiger Deal gefunden werden, um die Eroberungen erst einmal zu konsolidieren. Wie London gegenüber Hitler war Washington fest dazu entschlossen, sich japanischen Eroberungen in Asien zu widersetzten, eine Umwandlung Chinas in eine japanische Kolonie oder in eine von Japan abhängige Halbkolonie um jeden Preis zu verhindern. Die Besetzung der Mandschurei durch Japan 1931 und der umfassende Krieg gegen China ab 1937 machte einen bewaffneten Konflikt mit den USA unausweichlich. Denn die US-amerikanische Bourgeoisie betrachtete die Konfrontation mit Japan um die Vorherrschaft im pazifischen und ostasiatischen Raum als letztlich unvermeidlich. Sie erkannte, daß es unter diesen Umständen dumm wäre, dem zukünftigen Feind erst die Möglichkeit zu geben, seine Eroberungen zu stabilisieren und seine industrielle und militärische Stärke zu vervielfachen und dann unter deutlich ungünstigeren Bedingungen in den Konflikt gehen zu müssen. Deshalb orientierte sich die Roosevelt-Regierung auf einen informellen Handelsboykott von für Japan lebenswichtigen Rohstoffen und eine stärkere Unterstützung der Nationalisten Tschiang Kai-scheks in China. Japan stand vor der Alternative, die Eroberung Chinas aufzugeben oder die Konfrontation mit den USA aufzunehmen. Mit der Besetzung Indochinas im Juli 1941, die von der profaschistischen Regierung Vichy-Frankreichs unterstützt wurde, entschied sich die japanische Bourgeoisie für die Konfrontation. Die USA antworteten mit der öffentlichen Erklärung der Blockade, die die japanische Wirtschaft ins Mark traf. Die Expansion nach Südostasien war nun unvermeidlich.

Auch wenn die Entscheidung über einen militärischen Schlag gegen die USA bereits am 5. November 1941 gefallen war, hofften die japanischen Kriegsherren dennoch darauf, daß es zu keinem Kampf bis zum Ende kommen würde. Nach anfänglichen Erfolgen der eigenen Streitkräfte und der der deutschen Verbündeten wollte man einen Kompromiß erzielen, der Japan eine Einflußzone in Ost- und Südostasien garantieren sollte. Dazu war aber die US-Bourgeoisie nicht bereit. Ihre Unnachgiebigkeit führte zum Scheitern der Verhandlungen im November 1941. Der japanische Angriff auf Pearl Habor auf Hawaii22 schuf schließlich für den US-Imperialismus einen klaren Kriegsgrund, der es ermöglichte, die öffentliche Meinung in den USA für einen Rachefeldzug zu mobilisieren.23

USA

Neben der Expansion des deutschen und japanischen Imperialismus und dem fortbestehenden Hegemonieanspruch des britischen war die Entscheidung der US-amerikanischen Bourgeoisie, nach der globalen Vorherrschaft zu greifen, eine weitere wesentlicher Ursache für den Zweiten Weltkrieg. Diese Entscheidung war Ausdruck der weitreichenden Umstrukturierung der US-Ökonomie nach 1929. Der US-Imperialismus hatte riesige Reserven an ungenutzten Produktionskapazitäten und Produktivkräften, an ungenutztem Kapital. Der Versuch des New Deal, die Ressourcen durch staatliche Investitionen auszulasten und auf den inneren Markt auszurichten, um der Krise zu entkommen, endete überwiegend in einer Niederlage. Die Orientierung auf den Weltmarkt, auf ein qualitativ größeres Ausmaß an Kapital- und Warenexport, wurde unumgänglich.

Der Kollaps der Weltwirtschaft in den späten 20er Jahren, zu dem die USA selbst bedeutend beigetragen hatten, und die Herausbildung von exklusiven Handelsblöcken behinderte aber nicht nur die Versorgung mit Rohstoffen, sondern auch die Absatzmärkte der US-Industrie. Deshalb mußte für die neue Perspektive der US-Bourgeoisie zuerst einmal die Welt so geschaffen werden, daß ein freies Fließen von gigantischen Mengen an Kapital und Gebrauchsgütern sichergestellt war. Diese Politik bedeutete den endgültigen Abschied vom amerikanischen Isolationismus. Die Bourgeoisie der USA war sich dabei völlig darüber bewußt, daß es schlicht und einfach um die globale Vorherrschaft ging. „Die Entscheidung, die er (Roosevelt) kraft seines Amtes 1940 traf, brachte für die Vereinigten Staaten die Verpflichtung mit sich, sich nichts Geringeres als die Weltherrschaft anzueignen.“24 Für die USA wurde der Zweite Weltkrieg zum Instrument, den gesamten Weltmarkt und die weltweiten Bodenschätze der Ausbeutung durch US-Kapital zugänglich zu machen. Der US-Staatssekretär Cordell Hull nahm sich 1942 diesbezüglich kein Blatt vor den Mund: „Die Führung eines bevorstehenden neuen Systems internationaler Handelsbeziehungen und anderer ökonomischer Angelegenheiten wird aufgrund unserer großen ökonomischen Stärke hauptsächlich den Vereinigten Staaten übertragen werden. Wir sollten diese Führungsstellung und die damit einhergehende Verantwortung hauptsächlich aus Gründen eines rein nationalen Eigeninteresses anstreben.“25

So wichtig Asien und der Pazifik für die USA waren, so spielte dennoch Europa eine noch zentralere Rolle in ihrer Strategie – nicht nur weil dort der gefährlichste Konkurrent (Deutschland) expandierte, sondern auch, weil dort die Zentren der Kolonialreiche lagen, die man unter die eigene Kontrolle zu bringen beabsichtigte. Bis 1941 hielten sich die USA aus dem Krieg in Europa noch weitgehend heraus und operierten nur mit einer sogenannten cash and carry-Politik zugunsten des britischen Imperialismus, d.h. sie gewährten finanzielle und logistische Unterstützung. Diese ermöglichte es Großbritannien, Waffen und andere Waren aus den USA zu erwerben – solange es bar bezahlte und eigene Schiffe zum Transport benutzte. Um 1941 hatte Großbritannien alle verfügbaren Vermögen flüssig gemacht, um die US-Waren zu bezahlen. Die US-Industrie boomte mittlerweile. Die Arbeitslosigkeit ging von den Rekordhöhen in den 30er Jahren auf unter 1% zurück. Während sich die drei Hauptkonkurrenten der US-Bourgeoisie bereits beträchtlich ausbluteten, gewann der US-Imperialismus weiter an Stärke, so daß er es mit Japan und Deutschland aufnehmen und gleichzeitig an die ökonomische Unterwerfung Großbritanniens gehen konnte. Ab Anfang 1942 begann die US-Bourgeoisie, auf Militärgerät und Versorgungsgüter, die in das bedrängte Großbritannien gingen, Zinsen zu berechnen und ihre britischen Verbündeten zur Abschaffung jeglicher Zölle und anderer Handelsbarrieren zu zwingen. Außerdem mußte Großbritannien Rohstoffe aus seinen Kolonien den USA günstig überlassen. Die Trotzkisten sagten bereits 1940 treffend voraus, daß eine Intervention der USA in den Krieg, auch wenn sie gegen Deutschland gerichtet sei, in Wahrheit eine Intervention um das Erbe Großbritanniens sei.

Anfang 1941 waren britische und US-Strategen übereingekommen, den Krieg auf der Basis Europe first zu führen, und selbst nach Pearl Habor wurde diese Strategie erneut bestätigt. Dabei wurden Island, die Azoren, die Kapverdischen Inseln und der Hafen von Dakar für die Rückeroberung Europas und als Verteidigungslinie gegen potentielle deutsche Angriffe betrachtet. Roosevelt war 1940 der festen Überzeugung, daß „ein verheerender Krieg für die Vereinigten Staaten unvermeidbar würde, wenn Großbritannien fallen sollte, denn Deutschland würde die westliche Hemisphäre angreifen, vermutlich zuerst in Lateinamerika, sobald es eine ausreichende Seestreitmacht, Transport- und Frachtflotte geschaffen hätte (kein allzu langer Prozeß mit all den europäischen Schiffbauindustrien, die Deutschland zur Verfügung ständen), und Japan würde sich im Pazifik austoben.“26 Auch wenn die Expansionslinien (von den USA wie von Deutschland etc.) teilweise von geographischen und militärischen Zwängen vorgegeben waren, liegt ihnen doch die innere Logik des Imperialismus zugrunde. Zentrale Rohstoffe (Öl, Kautschuk, Kupfer, Nickel, Zinn, Mangan, Eisenerz, Baumwolle etc.) mußten sichergestellt, Seewege offengehalten, Arbeitskräfte mobilisiert, untergebracht und ernährt, der Export mußte ausgedehnt, Produkte mußten widerspenstigen Kunden angedreht, ausländische Konkurrenten zu Beteiligungen gezwungen oder einfach annektiert werden. Exporte von Gegnern mußten eingeschränkt oder verhindert, deren Bevölkerung ausgehungert werden. Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

Ähnlich wie Großbritannien rechtfertigte der US-Imperialismus diesen Krieg um die Weltherrschaft als Kampf für Demokratie und Freiheit. Er tat sich dabei etwas leichter als sein britischer Kollege, da er immerhin für die Unabhängigkeit der Kolonien eintrat (was gegen Kriegsende zu erheblichen Friktionen im anglo-amerikanischen Bündnis führen sollte) – freilich nur um sie in von den USA abhängige Halbkolonien zu verwandeln. Nichtsdestotrotz trifft auch für ihn in vollem Ausmaß folgende Charakterisierung von imperialistischen Kriegen zu: „Der Imperialismus tarnt seine eigenen Ziele – Besitzergreifung von Kolonien, Märkten, Rohstoffquellen, Einflußsphären – mit solchen Ideen wie ‚Sicherung des Friedens gegen die Aggressoren‘, der ‚Verteidigung des Vaterlandes‘, der ‚Verteidigung der Demokratie‘ usw. Diese Ideen sind durch und durch falsch. (..) Die objektiv historische Bedeutung des Krieges ist von entscheidender Wichtigkeit für das Proletariat: Welche Klasse führt ihn mit welchem Ziel? (…) Die verschiedenen Arten des politischen Überbaus können nicht die reaktionären ökonomischen Grundlagen des Imperialismus verändern.“27 Und auch im Falle des US-Imperialismus läßt sich im Konkreten nachweisen, wie wenig seine Politik mit Demokratie und Menschenrechten zu tun hatte. Das reicht von der Unterdrückung und Inhaftierung von Kriegsgegnern über die Kooperation mit und Unterstützung für Diktaturen von Lateinamerika bis zu Tschiang Kai-schek in China bis zur reaktionären Politik am Ende des Krieges und unmittelbar danach (dazu später).

In den USA mußte die Führung freilich vorsichtiger manövrieren als die Kriegsherren in Berlin oder Tokio, weil in den USA ein deutlich größeres Ausmaß an bürgerlich-demokratischen Rechten existierte (auch wenn diese bedeutend eingeschränkt wurden). Das Problem, die Bevölkerung für den Krieg in Stimmung zu bringen, spielte deshalb eine größere Rolle, denn die Aussicht auf Krieg war in den USA alles andere als populär. Der japanische Angriff auf Pearl Habor erleichterte für Roosevelt die Sache erheblich. Die Absicht, de facto um jedem Preis den Krieg zu suchen, war natürlich nicht seine persönliche Entscheidung, sondern die bewußte und durchdachte Option der herrschenden Klasse der USA.

Von der Konterrevolution zum Krieg

Imperialistische Kriege werden freilich nicht nur durch ökonomische und militärische Ressourcen und Strategien bestimmt. Eine wesentliche Rolle spielt auch das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen der Gesellschaft. Nicht nur in den USA, sondern in allen kriegsführenden Staaten und letztlich auf internationaler Ebene war die Duldung des Krieges durch die Bevölkerung (und die aktive Unterstützung eines Teiles) eine entscheidende Voraussetzung für den Beginn des großen Gemetzels. Imperialistischer Krieg um die Weltherrschaft bedeutet eine Überprüfung der Stärke der rivalisierenden imperialistischen Mächte in jeder Hinsicht. Dabei hängt die Kapazität der kriegsführenden Staaten, ihre Armeen erfolgreicher und ausdauernder einzusetzen als die Rivalen, von der Fähigkeit ab, materialle und menschliche Ressourcen für den Krieg zu mobilisieren. Deshalb ist ein Krieg ein fundamentaler Test der ökonomischen Stärke und der Stabilität der sozialen Ordnung der kriegführenden Staaten, ein Test für die Lebenskraft der herrschenden Klasse, ein Test für die Fähigkeit der Bourgeoisie, im eigenen Hinterland Ruhe zu halten oder zu schaffen. Das Niederhalten der einheimischen Arbeiterklasse stellt darum für den Imperialismus ein zentrales Problem dar.

Letztlich drückt die imperialistische Expansion nichts anderes aus als die Logik der Kapitalakkumulation, die unersättliche Gier nach Mehrwert, nach seiner Produktion und Verwertung. Die Produktion von Mehrwert und ihre Vergrößerung hängt entscheidend von der Beziehung zur Lohnarbeit, von der Unterordnung der Arbeiterklasse unter das Kapital ab. Deshalb ist die soziale und politische Integration der Arbeiterklasse in den imperialistischen Zentren generell (und in Kriegen ganz besonders) ein wichtiger Faktor für den Kampf der imperialistischen Staaten um die globale Hegemonie.

Während des Ersten Weltkrieges wurde diese Integration zutiefst erschüttert. Der anfängliche nationalistische Taumel, der auch die überwiegende Mehrheit der Arbeiterbewegung erfaßt hatte28 , verflüchtigte sich angesichts von Tod, Hunger und Zerstörung. Die Kriegsmüdigkeit verwandelte sich zunehmend in Widerstand gegen den Krieg. Es kam zu Meutereien in den französischen und russischen, in den österreichischen und deutschen Armeen, zu Verbrüderungen von Soldaten feindlicher Mächte, zu Hungerdemonstrationen und Streiks in den Fabriken. Der russische Zar, die Kaiser von Deutschland und Österreich, der Sultan des Osmanischen Reiches wurden gestürzt. In Rußland, Italien, Österreich, Deutschland, Ungarn und einigen anderen Ländern bildete die Arbeiterklasse Räte. In Folge der proletarischen Revolution wurde in Rußland (und zeitweilig auch in Ungarn und Bayern) die Räterepublik ausgerufen. Weltweit, aber besonders in Europa stieg der Organisationsgrad der Arbeiterklasse in Gewerkschaften und Arbeiterparteien nach dem Ersten Weltkrieg rasant an. Die Arbeiterklasse hatte ein noch nie dagewesenes Selbstbewußtsein erlangt. Die Erfahrung des Krieges hatte sie dem Kapitalismus zutiefst entfremdet. Große Teile strebten bewußt nach einer revolutionären Überwindung des Systems, nach einer gesellschaftlichen Alternative zur Herrschaft des Kapitals. Diese Stärke der Arbeiterbewegung wurde zu einem zentralen Faktor in der Gesellschaft, zu einer drohenden Gefahr für die Kapitalistenklasse. Die Angst vor dem Proletariat mäßigte nicht nur beispielsweise die Härte des Vorgehens der Kriegssieger gegen das besiegte Deutschland, sondern führte auch zu einer Reihe von Zugeständnissen an das Proletariat, zu sozialen und politischen Reformen in nahezu allen europäischen Ländern (allgemeines gleiches Wahlrecht – auch für Frauen, Arbeitszeitverkürzung, Sozialversicherung …). Darüberhinaus verhinderte die Stärke der internationalen Arbeiterbewegung eine Ausweitung der imperialistischen Intervention gegen die Sowjetrepublik und bewirkte schließlich ganz wesentlich das Scheitern dieser Intervention.

Der Erste Weltkrieg hatte also nicht nur die innerimperialistischen Widersprüche nicht lösen können, sondern außerdem noch die sozialistische Revolution auf die Tagesordnung gesetzt. Die Lage war für die Bourgeoisie deshalb höchst unerfreulich. In den folgenden Jahren sollte sie angestrengt daran arbeiten, sich aus dieser Situation herauszumanövrieren. Das hieß in erster Linie, den Einfluß der Arbeiterbewegung systematisch zurückzudrängen und damit diese Hindernisse für die Betreibung von imperialistischen Plänen aus dem Weg zu räumen, die volle Handlungsfähigkeit wiederzugewinnen. Sie sollte schließlich mit ihrem Kurs der schrittweisen Konterrevolution erfolgreich sein.

Die Geschichte der Vorbereitung und Entfesselung des Zweiten Weltkrieges ist neben der Geschichte der weiteren Zuspitzung der imperialistischen Widersprüche auch die Geschichte dieses Prozesses der Konterrevolution. Die Etappen der konterrevolutionären Konsolidierung sind in den verschiedenen Ländern grundlegend die gleichen (bei zeitlichen und sonstigen Unterschiedlichkeiten), wobei die Entwicklung in Österreich durchaus symptomatisch war. Auf eine Mischung aus staatlicher Repression und Zugeständnissen in der zugespitzten revolutionären Nachkriegssituation von 1918/19 folgte eine Phase der langsamen Zersetzung und Aushöhlung der Errungenschaften der Revolution in den frühen 20er Jahren. Die herrschende Klasse machte sich daran, „den revolutionären Schutt wegzuräumen“.29 In dieser Zeit gelang es beispielsweise in Österreich, den Einfluß der Rätebewegung entscheidend zurückzudrängen.30 In sämtlichen Staaten wurden die kapitalistischen Staatsapparate erneut konsolidiert. In den späten 20er Jahren wagte man sich zunehmend an eine härtere Gangart. Die Weltwirtschaftkrise brachte eine weitere Verschärfung der Klassenwidersprüche, auf die die Bourgeoisie mit diktatorischen Regierungen oder zumindest mit autoritären Maßnahmen reagierte, in einigen Ländern schließlich mit der Errichtung von faschistischen Regimes. Die Meilensteine zum Zweiten Weltkrieg waren die Niederlage der deutschen Revolution 1918-1923, das Massaker, das Tschiang Kai-schek 1927 an der chinesischen Arbeiterklasse anrichtete, der Aufstieg des Faschismus in Italien und Deutschland, der Zusammenbruch der spanischen Revolution und der französischen Volksfront und das Abwürgen der Klassenkämpfe in Großbritannien und den USA durch die Gewerkschaftsbürokratie.

Die Verantwortung für diese Entwicklung tragen – nach dem Kapitalismus, seiner herrschenden Klasse und seinen politischen Prokuristen – auch die Führer der reformistischen, sozialdemokratischen Arbeiterorganisationen. Sie haben sich nach dem Ersten Weltkrieg gegen den Umsturz der bürgerlichen Ordnung gestellt (ja diesen Umsturz teilweise sogar mit Waffengewalt bekämpft) und damit die Chance vergeben, den mörderischen Kreislauf des Kapitalismus von Konkurrenz, Ausbeutung, Krise, Diktatur und Krieg zu durchbrechen. Ihr vorgeblicher Grund dafür, daß nämlich Revolutionen zu gewalttätig und blutig seien, ist ebenso absurd wie heuchlerisch. Einige hundert oder einige tausend Opfer einer Revolution stehen in keinem Verhältnis zu zig Millionen Toten im Zweiten Weltkrieg, zu fortgesetztem Elend und fortgesetzter Ausbeutung für die Mehrheit der Menschheit, zu den Millionen Opfern der faschistischen Herrschaft. Der tatsächliche Hintergrund für die hündische Politik der Bürokratien der Arbeiterparteien ist aber auch nicht irgendeine moralische Überlegung, sondern die Privilegien dieser bürokratischen Schicht, die sie an ihren Herrn, das kapitalistische System, binden.

Darüberhinaus trug die schwankende und ab 1933/35 offen proimperialistische Politik der stalinistischen Sowjetbürokratie wesentlich zu entscheidenden Niederlagen der Arbeiterbewegung und damit zum Ausbruch des Krieges bei. Die opportunistische Linie Stalins gegenüber Tschiang Kai-scheck (dem man sogar die Aufnahme in die Kommunistische Internationale/Komintern anbot), eine Linie, die man den chinesischen Kommunisten aufzwingen wollte, trug ganz wesentlich dazu bei, daß die chinesische Arbeiterklasse 1927 den nationalistischen Schlächtern ins offene Messer rannte. Der abrupte Schwenk zu einer ultralinken Politik ab 1928 verhinderte jede Form der Einheitsfrontpolitik mit anderen Arbeiterorganisationen (die man als „sozialfaschistisch“ betrachtete) gegen den Faschismus und spielte damit eine entscheidende Rolle dabei, daß die potentiell so starke deutsche Arbeiterbewegung kampflos die Machtergreifung der Nazis hinnahm. 1933/35 folgte die nächste Wende um 180 Grad, zur Volksfront. Die Komintern bricht mit der Taktik des revolutionäern Defaitismus in imperialistischen Kriegen und schwenkt in den westlichen imperialistischen Ländern auf eine sozialpatriotische Vaterlandsverteidigungspolitik ein. Der westliche Imperialismus wird als Teil der demokratischen Weltbewegung ausgegeben, mit dem ein Bündnis anzustreben sei. Für dieses Bündnis wurde der Klassenkampf des Proletariats zurückgesteckt oder sogar (wie im spanischen Bürgerkrieg) brutal unterdrückt. Dahinter stand die undialektische Auffassung, daß der Faschismus am besten durch ein defensives Bündnis aller Demokraten zu stoppen gewesen wäre. Aber „Für Hitler und Mussolini wäre der Erfolg einer sozialistischen Revolution in irgendeinem entwickelten Land der Welt unendlich mal schrecklicher als die kombinierte Kriegsmacht aller imperialistischen ‚Demokratien‘.“31 Der entscheidende Hintergrund für diese Politik der Komintern ist, daß auch für die Bürokratie im sowjetischen Arbeiterstaat „die sozialistische Revolution in irgendeinem entwickelten Land“ eine Schreckensvision darstellt. Denn eine solche Revolution, die Rätemacht und Arbeiterdemokratie etabliert hätte, hätte allein dadurch die Existenzberechtigung der Stalin-Bürokratie in Frage gestellt. Die schwankende und ab 1935 durchgängig reaktionäre Außenpolitik der Sowjetbürokratie, die von der Komintern exekutiert wurde und deren zentrales Charakteristikum die Kooperation mit dem Imperialismus zum Abwürgen von proletarischen Revolutionen war, ist deshalb nicht Ausdruck einer dummen oder kurzsichtigen politischen Konzeption, sonder die politischen Konzeptionen („Sozialismus in einem Land“, Volksfront/“antimonopolistische Demokratie“, „friedliche Koexistenz“) sind Ausdruck des Kampfes der Bürokratie um ihre Privilegien.

Die Niederlagen der Arbeiterklasse ermöglichten den imperialistischen Großmächten, den zweiten Akt des Schlachtens um die globale Vorherrschaft zu beginnen. Anders als am Beginn des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 gelang es ihnen aber nicht, Enthusiasmus dafür hervorzurufen. Statt nationalistischer Kriegsbegeisterung gab es bei den Massen und besonders in der Arbeiterklasse von Anfang an Kriegsmüdigkeit. Bereits nach dem Ultimatum an die Tschechoslowakei vom 22. September 1938 wartet Hitler am Fenster der Reichskanzlei vergeblich auf jubelnde Massen, die erwartet worden waren, um der paradierenden Elite-Division zuzuwinken. Wenn man von bestellten und ausgesuchten Jublern wie im Berliner Sportpalast bei der Rede von Goebbels über den totalen Krieg absieht, kann sehr eindeutig festgestellt werden: Die Masse jubelte niemals. Die Menschen fanden sich mit dem Krieg ab, nahmen ihn als fatales Schicksal hin, weil sie keinen Weg sahen, ihn zu verhindern. Begeisterte Unterstützung fehlte aber zu Beginn des Krieges in jedem Land weitgehend.

Das änderte sich während des Krieges teilweise in einer von Land zu Land verschiedenen Weise. Die Spannungen zwischen den Klassen nahmen in den USA im Lauf des Krieges stärker zu als in Großbritannien. Die Arbeiter in den USA revoltierte öfter gegen Anti-Streik-Vereinbarungen als ihre britischen Kollegen.32 Besonders in den letzten beiden Kriegsjahren machte sich auch in den US-Streitkräften eine stärkere Kriegsmüdigkeit breit, die sich in Streiks von Soldaten und in Meutereien mit dem Wunsch, nachhause zurückzukehren, äußerten. In Großbritannien brachte eine Mischung aus Angst vor der deutschen Invasion, traditionellem Nationalismus und Klassenhaß gegen den Faschismus die große Mehrheit der Arbeiterklasse mehr oder weniger (d.h. ohne völlige Begeisterung) hinter die Politik der Regierung. Durch die Einbeziehung der Labour Party in die Regierung gelang es sogar, Eingriffe in den Lebensstandard der Arbeiterklasse vorzunehmen. Demgegenüber hatte es die deutsche Führung lange Zeit nicht gewagt, der deutschen Arbeiterklasse während dem Krieg weitere Belastungen aufzubürden. Angesichts der Erinnerung an Hungerrevolten und Arbeiteraufstände nach dem Ersten Weltkrieg waren die Nazis sogar bereit, einige Prioritäten der Kriegswirtschaft zu opfern, um den Arbeitern zu Kriegsbeginn eine kontinuierliche Mindestversorgung zu garantieren. In Fällen von Kürzungen der Lebensmittelrationen oder Erhöhungen des Preise für Nahrungsmittel berichteten Gestapo und SS-Sicherheitsdienst von „ernsten Beschwerden“ der Bevölkerung, „besonders bei den Industriearbeitern“. Es gab einen bedeutenden Niedergang der Arbeitsproduktivität der deutschen Arbeiter in der Kriegsindustrie. Sie fiel unter das Niveau ausländischer Zwangsarbeiter.33

Sowjetunion

Am 22. Juni 1941 begann der deutsche Angriff auf die Sowjetunion.34 Er war vor allem Ausdruck des Wunsches des deutschen Imperialismus, sich durch die Ausplünderung Osteuropas gegenüber seinen westlichen Rivalen zu stärken. Hitler hatte sein langfristiges Ziel der Eroberung von Lebensraum im Osten in Mein Kampf ja auch ausführlich dargelegt und ideologisch/rassistisch motiviert. Dabei ging die Nazi-Führung davon aus, daß die Sowjetunion ein instabiles Land wäre, bei dem ein kräftiger Schlag ausreichen würde, um es zum Zusammenbruch zu bringen. Und die anfängliche Entwicklung des sogenannten Unternehmen Barbarossa schien Hitler & Co. recht zu geben. Der deutsche Überfall traf die Sowjetunion fast völlig unvorbereitet.35 Die sowjetische Führung um Stalin klammerte sich an den Hitler-Stalin-Pakt und weigerte sich, den zahlreichen Informationen über einen bevorstehenden Angriff ernsthaft Beachtung zu schenken.

Die sowjetischen Truppen befanden sich in der Folge nicht in Kampfbereitschaft. Selbst elementare Abwehrmaßnahmen wurden verabsäumt. Die Truppen wurden weiterhin wie im Frieden ausgebildet. Große Teile der Einheiten befanden sich auseinandergerissen in verschiedenen Ausbildungslagern (die Fliegerabwehr beispielsweise nicht bei den Flughäfen). Zu allem Überfluß hatte man eine weitere Reorganisation der Streitkräfte eingeleitet, sodaß fast die gesamten Panzertruppen einsatzunfähig waren. So war es den deutschen Bombern möglich, große Mengen Kriegsgerät auf unverteidigten Stützpunkten zu zerstören. Die Masse der sowjetischen Truppen befand sich in Lagern und Kasernen im Landesinneren. Im 4.500 Kilometer langen und 400 Kilometer tiefen Grenzgebiet waren nur etwa 100.000 Soldaten stationiert, die beim Angriff den konzentrierten deutschen Stoßtruppen gegenüberstanden. Und selbst diese Grenztruppen waren auf den Angriff nicht vorbereitet und kämpften zunächst ohne Schießbefehl und unter widersprüchlichen Anweisungen von oben.

Die Ursache für die verhängnisvolle Situation lag vor allem in der katastrophalen Politik der Stalin-Führung, die wiederum in den bornierten Interessen der Bürokratie zur Erhaltung ihrer Privilegien ihre Wurzeln hat. Seit dem Hitler-Stalin-Pakt36 im Spätsommer 1939 unterstellte die sowjetische Führung ein friedliebendes Deutschland. Der Volkskommissar des Äußeren V. M. Molotow erklärte im Oktober 1939 vor dem Obersten Sowjet: „Wenn wir heute von den bedeutendsten europäischen Mächten sprechen, befindet sich Deutschland in der Lage eines Staates, der möglichst bald ein Ende der Feindseligkeiten und den Frieden sucht, während England und Frankreich – die gestern noch gegen die Aggression gesprochen haben – heute für eine Fortsetzung des Krieges und gegen einen Friedensschluß auftreten (…) Die englische Regierung hat erklärt, ihr Kriegsziel sei nicht mehr oder weniger als die Vernichtung des Hitlerismus. Daraus folgt (…), daß in England die Kriegskrämer so etwas wie einen ideologischen Krieg gegen Deutschland erklärt haben, der an die alten Religionskriege37 erinnert (…) Solche Kriege können nur zum wirtschaftlichen Niedergang und kulturellen Ruin der Völker, die sie zu erdulden haben, führen – doch sie gehen auf das Mittelalter zurück. (…) Ein solcher Krieg kann in keinster Weise gerechtfertigt werden. Die Ideologie des Hitlerismus kann wie jedes andere ideologische System angenommen oder abgelehnt werden – das ist eine Frage der politischen Meinung.38 Doch jedermann versteht, daß man eine Ideologie nicht mit Gewalt ausrotten kann (…) Es ist daher sinnlos, ja kriminell, einen solche Krieg zur ‚Vernichtung des Hitlerismus‘ zu führen.“39 Und Stalin fügte Ende November hinzu: „Nicht Deutschland hat Frankreich und England angegriffen, sondern Frankreich und England haben Deutschland angegriffen und damit die Verantwortung für den jetzigen Krieg auf sich genommen“.40 Trotzki faßte die Politik der Sowjetführung sehr pointiert wie folgt zusammen: „Nach fünf Jahren primitivster Kriecherei vor den Demokratien, in denen der ganze ‚Kommunismus‘ zu der monotonen Anklage gegen faschistische Aggressoren reduziert wurde, entdeckte die Komintern plötzlich im Herbst 1939 den kriminellen Imperialismus der westlichen Demokratien. Ganze Abteilung links! Von da an kein einziges Wort der Anklage zur Vernichtung der Tschechoslowakei und Polens, zur Besetzung Dänemarks und Norwegens und zu den schockierenden Bestialitäten der Hitlerbanden gegenüber dem polnischen und jüdischen Volk! Hitler wurde als friedliebender, ständig von den westlichen Imperialisten provozierter Vegetarier verstanden. In der Komintern-Presse bezog man sich auf die englisch-französische Allianz als den ‚imperialistischen Block gegen das deutsche Volk‘. Goebbels hätte sich das nicht besser ausdenken können!“41

Bis kurz vor dem Überfall hielt die Sowjetunion sämtliche Vereinbarungen des Hitler-Stalin-Paktes strikt ein und kam auch ihren wirtschaftlichen Lieferverpflichtungen gegenüber dem kriegsführenden Deutschland vertragsgetreu nach, obwohl letzteres seine immer mehr vernachlässigte. Noch unmittelbar vor dem Angriff rollten die Züge mit sowjetischem Erdöl, Kupfer, Kautschuk, Getreide und anderen Rohstoffen über die Grenze. Die territoriale Expansion der Sowjetunion in Osteuropa infolge des Paktes war nicht nur politisch reaktionär, sondern auch zur Abwehr des Überfalls wertlos, weil keine neue strategische Verteidigunslinie errichtet wurde. Gleichzeitig wurde aber der alte Verteidigunsgürtel, den man in den vorangegangen Jahren unter großen Anstrengungen erbaut hatte, zweckentfremdet oder zerstört, sodaß sich die militärstrategische Ausgangsposition zu Kriegsbeginn sogar noch verschlechterte. Demgegenüber hatte Deutschland systematisch seine Truppen an der sowjetisch-polnischen Grenze und in Rumänien und Bulgarien zusammengezogen.

Die Sowjetunion hatte zwar Ende der 30er Jahre die Anstrengungen in der Rüstung verstärkt und die Mannschaftsstärke der Truppen erhöht, aber sowohl der quantitative wie auch der qualitative Ausrüstungsstand der Roten Armee war relativ niedrig. Die Industrie hatte noch nicht mit der Massenproduktion moderner Waffen begonnen. Die sowjetischen Streitkräfte waren daher bei Beginn des deutschen Angriffs überwiegend mit veraltetem Gerät ausgestattet. Die Rote Armee war außerdem Mitte der 30er Jahre grundlegend reorganisiert und vollständig nach dem Kaderprinzip strukturiert worden. Alle Truppenteile, die nach dem territorialen Milizprinzip organisiert waren, wurden aufgelöst, was die Verbindung mit der Bevölkerung und eine flexiblere Verteidigung massiv schwächte.42

Besonders litten die sowjetischen Truppen jedoch unter den Auswirkungen der stalinistischen Massenrepressalien. Durch politisch motivierte Verhaftungen, Entlassungen und Degradierungen hatten die Streitkräfte zehntausende ihrer fähigsten Kommandeure verloren und den größten Teil der Führungsschicht eingebüßt.43 Dabei trafen die Repressionen vor allem die erfahrenen Kräfte, diejenigen, die eine poltische und personelle Kontinuität zur revolutionären Vergangenheit der Roten Armee, zur Zeit des Bürgerkrieges, zur Zeit vor der stalinistischen Degeneration, verkörperten, die bewußten, überzeugten und kritischen Kommunisten. Als Armeeführer wurde der fähige und erfahrene Offizier Michail Tuchatschewski, ein Mitstreiter Trotzkis in der Roten Armee zur Zeit des Bürgerkrieges, durch den unbegabten treuen Stalinisten Klimet Woroschilow ersetzt. Richard Lorenz faßt diese Entwicklung mit der Bemerkung zusammen, daß kein Land jemals in einem Krieg derartige Verluste an hohen und höchsten Offizieren hinnehmen mußte wie die sowjetischen Truppen in den 30er Jahren im Frieden. Die Rote Armee stand unter der Führung von jungen und vergleichsweise unerfahrenen Offizieren, die mangelhaft ausgebildet und mit moderner Kriegsführung kaum vertraut waren. Im Sommer 1940 wurde festgestellt, daß von den 225 neuen Regimentskommandanten kein einziger ein volles Studium an einer Militärakademie absolviert hatte, nur 25 hatten eine Militärschule abgeschlossen und der Rest, 200, hatte gerade einen Unterleutnantskurs hinter sich. Um das schlimmste Chaos zu überwinden, wurden schließlich 4.000 Offiziere der Roten Armee aus den Arbeitslagern der Arktis zurückgeholt.

Seit Abschluß des Paktes mit Deutschland wurde außerdem in der politischen Schulungsarbeit in den Streitkräften die Ansicht propagiert, daß von Nazi-Deutschland keine Gefahr drohe. Die gesamte antifaschistische Propaganda wurde eingestellt. In der Öffentlichkeit (Presse, Rundfunk, Leinwand, Bühne, Belletristik) hatte von nun an jede Kritik an innerdeutschen Verhältnissen zu unterbleiben. Selbst der Begriff Faschismus durfte in Zusammenhang mit Deutschland nicht mehr verwendet werden.

Die organisierte Passivität, die der Roten Armee von der stalinistischen Führung auferlegt worden war, machte zu Beginn Niederlagen unvermeidlich. Der faschistische Angriff, der sich auf eine hochgerüstete, vollständig mobilisierte und zu großen Teilen bereits kampferfahrene Armee und auf eine seit langem vorbereitet Kriegswirtschaft und die Ressourcen der besetzten europäischen Länder stützte, brachte die Sowjetunion an den Rand des militärischen Zusammenbruches. Die Fliegerabwehr und die Transportverbindungen wurden bis weit ins Landesinnere vernichtet. Die sowjetischen Truppen im Grenzgebiet wurden zerschlagen und mußten enorme Verluste an Menschen und Material hinnehmen. 150 von 200 Divisionen wurden aufgerieben. Der deutsche Vormarsch (in den drei Hauptstoßrichtungen Leningrad, Moskau und Kiew) war zunächst unaufhaltsam. Die sowjetischen Truppen zogen sich unter großen Verlusten immer weiter zurück und mußten dabei riesige Territorien preisgeben, ein Gebiet, in dem fast die Hälfte der gesamten industriellen und landwirtschaftlichen Produktion des Landes erzeugt worden war und auf dem 88 Millionen Menschen gelebt hatten. Aufgrund der faschistischen Vertreibungs-, Ausbeutungs-, Vernichtungs- und Ausrottungspolitik waren die Opfer unter der Zivilbevölkerung ungeheuer. Von den unvorstellbaren 60-80 Millionen Toten des zweiten imperialistischen Weltkrieges44 hatte etwa 1/3 die sowjetische Bevölkerung zu beklagen (20-25 Millionen im Vergleich mit 700.000 in Großbritannien und den USA), davon zu großen Teilen Zivilisten. Niemals zuvor war ein Land von einem derartigen Ausmaß an Zerstörung, Verwüstung und Entvölkerung betroffen.45 Im September 1941 standen die deutschen Verbände vor der sowjetischen Hauptstadt. Die deutsche Bourgeoisie glaubte, daß der Krieg gegen die Sowjetunion bereits gewonnen sei. Sie sollte eine bittere Überraschung erleben.

Stalingrad und Midway

Die anfänglichen Erfolge des japanischen Imperialismus im Pazifik und in Südostasien und des deutschen in den sogenannten Blitzkriegen beruhten – ganz im Unterschied zur Kriegsführung im Ersten Weltkrieg – vor allem auf Offensivstrategie, dem konzentrierten Einsatz von Panzern, Landungsbooten und Luftstreitkräften. Japan beherrschte Korea, große Teile Chinas, die Philippinen, Französisch-Indochina, Thailand, Burma, Malaysien, Indonesien, Neuguinea und zahlreiche pazifische Inseln. Die deutsche Bourgeoisie konnte bis 1941 die größten Teile Europas (Frankreich, Benelux, Dänemark, Norwegen, Finnland, Baltikum, Ostmitteleuropa, die westliche Sowjetunion, den Balkan, Griechenland) und Teile Nordafrikas unter ihre Kontrolle bringen.

Ab 1941/42 sollte sich aber zunehmend der dominierende Charakter des Zweiten Weltkrieges in den Vordergrund schieben. Es war vor allem ein Krieg der in Massenproduktion hergestellten mechanischen Waffen, „ein Fließbandkrieg, der Krieg des militärischen Fordismus46 . Dabei waren die USA allen anderen Mächten deutlich überlegen. Am „weltweiten Potential der Rüstungsindustrie“ hatten die USA bereits 1937 einen Anteil von 41,7% (Deutschland 14,4%, UdSSR 14%, Großbritannien 10,2%, Frankreich 4,2%, Japan 3,5%, Italien 2,5%)47 , der sich in den folgenden Jahren noch erhöhen sollte. Folgende Berechung48 der Waffenproduktion in Milliarden $ (Kurswert von 1944) dürfte die Überlegenheit der USA sogar noch unterschätzen:

                              1939        1940        1941        1943

Deutschland          3,4           6,0           6,0           13,8

Großbritannien      1,0           3,5           6,5           11,1

UdSSR                   3,3           5,0           8,5           13,9

USA                       0,6           1,5           4,5           37,5

Japan                     0,6           2,0           3,4           4,5

Die Zahlen geben in jedem Fall das Kräfteverhältnis in eindeutiger Form wieder. Deutschland und Japan wurden letztlich von der enormen Überlegenheit der Industriekapazität der USA überwältigt. Während die Wehrmacht beim Überfall auf die Sowjetunion 3.350 Panzer einsetzte, beschloß die US-Regierung die Produktion von 45.000 Panzern im Jahr 1942 und 75.000 im Jahr 1943. Der Versuch der deutschen und japanischen Führung, diese Überlegenheit durch verzweifelte Anstrengungen (im quantitativen wie im qualitativen Bereich) auszugleichen, war zum Scheitern verurteilt. 1942 hatte sich das Gewicht der materiellen Ressourcen bereits eindeutig zuungunsten Japans und Deutschlands verfestigt. Zur US-Überlegenheit kam noch die zunehmende Erschöpfung von Material und Menschen unter dem Zugriff des deutschen und japanischen Imperialismus. Die USA konnten in dem Bewußtsein einen langen Krieg führen, daß die Zeit gegen die anderen Teilnehmer arbeitete – sowohl gegen „Freunde“ als auch gegen Feinde. Je länger der Krieg dauerte, umso mehr würden sie dadurch ökonomisch und finanziell geschwächt werden. Ein langer Krieg war tatsächlich der kürzeste Weg ins amerikanische Jahrhundert. Die US-Strategie bestand (besonders in Europa) simpel in einem langsamen, unverdrossenen, beständigen Vormarsch, der auf einer überwältigenden Luftüberlegenheit und riesigen Truppenverbänden basierte – eine Strategie ohne wirkliche Initiativen.

Im Jahr 1942 kam es schließlich auch zu zwei strategischen Siegen, die die Wende im Krieg bezeichneten. In der Schlacht bei den Midway-Inseln errang die US-Navy den entscheidenden Sieg im Pazifik gegen die japanische Flotte, wodurch der US-Imperialismus die Initiative im pazifischen Krieg übernahm. Der japanische Imperialismus geriet in eine Defensivposition, die er bis zu seiner Kapitulation nicht mehr ernsthaft in Frage stellen konnte. Die Uneinigkeit in der japanischen Militärführung, wieweit man auf eine offensive Orientierung in Südostasien und Richtung indischer Ozean setzen beziehungsweise die Kräfte im Pazifik konzentrieren sollte, erleichterte die Sache für den US-Imperialismus zwar etwas, hatte aber angesichts der industriellen und militärischen Überlegenheit der USA letztlich wohl keine Auswirkungen auf das Ergebnis des Krieges. In Europa markierten die monatelange Schlacht um Stalingrad und der sowjetische Sieg die Wende im Krieg.

1942 standen deutsche Truppen in den Außenbezirken von Leningrad, Moskau und Stalingrad. Doch der Widerstandswille der sowjetischen Bevölkerung war ungebrochen. Auch wenn es anfänglich ein gewisses Potential für eine Kollaboration mit den Invasoren gegeben hatte, wurde es bald weitgehend durch die monströsen Verbrechen der Nazi-Besatzung beseitigt. Die systematische Zerstörung der Infrastruktur des zivilen Lebens, die brutale Unterjochung von zig Millionen Menschen, Ausbeutung unter inhumanen Bedingungen. Massenmorde und Folter in einem Ausmaß, das alles, was Stalin und seine Helfer veranlaßt hatten, bei weitem überstieg – all das führte den Umschwung herbei. Die sowjetischen Massen (an erster Stelle die Arbeiterklasse und die Soldaten in der Armee, aber nicht nur diese allein) zeigten die entschlossene Bereitschaft zum Widerstand. Die grausame Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener 1941/42 war dabei ein wichtiger Faktor bei der Anstachelung der Kampfmoral der sowjetischen Truppen. Allein zwischen dem 22. Juni 1941 und dem 1. Februar 1942 starben etwa 2,8 Millionen sowjetische Kriegsgefangene in deutschen Lagern an Hunger, fehlenden Medikamenten und physischer Liquidierung.

In der Sowjetunion begann unter chaotischen Verhältnissen in der ersten Kriegsphase eine Umstellung von Industrie und Verkehr auf den Kriegsbedarf, die Evakuierung der Produktionsanlagen, der Bau neuer Bergwerke und Betriebe, die territoriale Umverteilung der Arbeitskräfte und Hilfsquellen, die Ausbildung neuer Facharbeiter und die Umstellung der Landwirtschaft auf den Krieg.49 Die Eisenbahn stand nun fast völlig militärischen Aufgaben zur Verfügung: In den Westen wurden permanent Truppen befördert, auf dem Rückweg Industrieanlagen und Arbeitskräfte evakuiert. Der Schutz der industriellen Produktivkräfte, die ursprünglich im Westen konzentriert waren, war auch entscheidend zur Erhaltung der sowjetischen Widerstandskraft. Das Land konnte längerfristig nur verteidigt werden, wenn es gelang, die wichtigsten industriellen Ressourcen dem Zugriff der feindlichen Armeen und Flugzeuge zu entziehen. Dabei handelte es sich um eine Aktion, die in ihrer strategischen Bedeutung mit den wichtigsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges gleichzusetzen ist. Im zweiten Halbjahr 1941 (teilweise noch 1942) wurde ein ganzes Industrieland (technische Ausrüstungen von etwa 1500 Großbetrieben) um tausende Kilometer verlegt. In mehr oder weniger unbewohnten Gegenden wurden die Maschinen häufig unter freiem Himmel buchstäblich von den Güterwaggons aus in Betrieb genommen. Die zuerst spontane und dann organisierte Ostwanderung der Zivilbevölkerung (mit der Priorität von Fachkräften) umfaßte etwa 25 Millionen Menschen. Entstehenden Probleme in der Funktionsfähigkeit der sowjetischen Industrie, die durch die bürokratische Industrialisierungspolitik ohnehin schon bestanden, wurden durch den  Mangel an Arbeitskräften verstärkt. In den Betrieben entfiel schließlich jeder Urlaub, Überstunden wurden verpflichtend. In der Landwirtschaft wurde das verbindliche Arbeitsminimum erhöht. Es wurde versucht, möglichst viele Frauen und Jugendliche einzusetzen. Auf diese Weise gelang es Anfang 1942, die industriellen Kapazitäten voll auszulasten und den Rückgang der Produktion aufzuhalten. Zugleich begann in den östlichen Landesteilen in großem Umfang der industrielle Neubau. Seit Mitte 1942 verfügte die Sowjetunion über eine leistungsfähige Kriegsindustrie. Der Ural verwandelte sich in ein Kriegsarsenal, das die Truppen mit Panzern, Flugzeugen, LKWs, Geschützen, Granaten und Maschinengewehren versorgte.

Der beispiellose Einsatz der Arbeiter und Techniker spielte bei der Aktion eine entscheidende Rolle. Sie arbeiteten Tag und Nacht, bei Regen, Schnee und Frost, trotz dürftigster Ernährung und dem Fehlen von elementaren Wohnmöglichkeiten. Die sowjetischen Massen warfen sich in den Verteidigungskampf gegen die rassistische Vernichtungspolitik der Besatzer. Diese Entschlossenheit der Massen, zu kämpfen und den Krieg zu gewinnen, glich schließlich die Politik der Bürokratie, die den Kampf in vielerlei Hinsicht behinderte50 , aus. Weder das angebliche Genie von Stalin noch der legendäre russische Winter waren entscheidend für die Wende im deutsch-sowjetischen Krieg, sondern die Kampfbereitschaft der Massen und die Errungenschaften der Oktoberrevolution. Die Planwirtschaft (selbst die bürokratisch degenerierte) bewies gerade in der Prüfung des Krieges ihre Überlegenheit. Unter dem Druck des faschistischen Vormarsches wurden die Elemente der bürokratischen Reglementierung zurückgedrängt, wurde der Zugriff des bürokratischen Staatsapparates gelockert und gewannen der Erfindungsgeist der sowjetischen Arbeiter und Soldaten wieder verstärkt an Bedeutung. Darüberhinaus sah sich die sowjetische Führung gezwungen, der neuen Schicht von militärischen Kommandanten, die ihre Erfahrungen aus den Schlachten bezogen, einen stärkeren Freiraum zu unabhängigen strategischen Offensiven einzuräumen, und auch die Partisanenbewegung, die teilweise spontan entstanden war und nicht unter der völligen Kontrolle der Bürokratie stand, zu unterstützen. Diese Partisanenbewegung kämpfte v.a. hinter den deutschen Linien und war eine unschätzbare Ergänzung für die Offensiven der sowjetischen Armee. Nach Hitlers Worten führte sie für die deutschen Invasoren eine unerträgliche Situation herbei.

Die Nazis hatten in ihrem Rassenwahn nicht erwartet, daß eine „minderwertige Rasse“ wie die Slawen mit so großem Mut, mit so großer Intelligenz und Energie kämpfen könnte. Die Bewohner Osteuropas und der Sowjetunion, die vertrieben, ausgerottet oder zur Sklavenarbeit für den Aufbau des Weltreiches der deutschen Bourgeoisie gezwungen werden sollten51 , entschieden sich hingegen für hartnäckigen Widerstand. Sie erhoben sich zu Millionen, zwangen dutzende deutsche Divisionen zum Rückzug und wurden durch ihren heroischen Widerstand zu einem ausschlaggebenden Faktor im Kampf gegen die Pläne des deutschen Imperialismus. Eine herausragende Leistung war dabei die Verteidigung Leningrads, über das im September 1941 von den deutschen Truppen eine Blockade verhängt wurde, die erst nach 900 Tagen entgültig gebrochen werden konnte. Der deutsche Imperialismus versuchte, die Stadt auszuhungern und mit Hilfe von schwerer Artillerie und Luftwaffe zu zerstören. Die Wasserleitungen versiegten, es gab kein Brennmaterial. Die täglich Ration Brot (dem nahezu einzigen Nahrungsmittel) betrug für Arbeiter 250 Gramm, für Familienangehörige 125 Gramm. Nach verschiedenen Angaben starben an den Auswirkungen der Blockade 650.000 bis 1,5 Millionen Menschen. Trotzdem gelang es der Stadt, die jahrelang fast völlig auf sich allein gestellt war, sich gegen die feindliche Übermacht zu behaupten.

Durch die Unmöglichkeit, Leningrad einzunehmen, und die Zurückschlagung des deutschen Generalangriffs auf Moskau durch einige gut ausgerüstete Armeen aus Sibirien und Mittelasien wurde dem deutschen Imperialismus die erste große Niederlage im Zweiten Weltkrieg beigebracht. Die Blitzkriegstrategie war nun endgültig gescheitert. Nach der Zusammenbruch einer sowjetischen Großoffensive auf Charkow im Frühjahr 1942, die Stalin – berauscht durch den Sieg bei Moskau – gegen den Willen der sowjetischen Militärs angeordnet hatte, die große Opfer kostete und den deutschen Truppen den Vorstoß Richtung Kaukasus (Öl, Getreide) erleichterte, begann im Juni 1942 schließlich die große Schlacht um Stalingrad, die Anfang Februar 1943 mit der Vernichtung der gesamten deutschen 6. Armee endete.52 Die völlige Einkesselung und Zerschlagung einer so großen Armee (330.000 Mann) hatte in der bisherigen Kriegsgeschichte kein Beispiel und bedeutete die Wende im europäischen Krieg. Es folgten die Siege bei Kursk (eine Schlacht, an der insgesamt 4 Millionen Soldaten teilnahmen und die die Entwicklung des Krieges in Osteuropa endgültig unumkehrbar machte), Minsk, am Pruth und der Weichsel, die der Armee des deutschen Imperialismus das Rückgrat brachen. Im September 1944 wies selbst der rabiate Antikommunist Winston Churchill darauf hin, daß es die „russische Armee ist, die die Kraft der deutschen Kriegsmaschine gebrochen hat“.53

Tatsächlich hatte sie während des gesamten Krieges die Hauptlast der militärischen Auseinandersetzungen zu tragen, die auf ihrem Territorium – entsprechend der faschistischen Vernichtungsstrategie – besonders barbarische Formen annahm. Der größte Teil der deutschen Armee kämpfte sowohl vor als auch nach der Landung der Alliierten im Osten. Neben dem Tod von über 20 Millionen Menschen, der Entvölkerung und Verwüstung ganzer Gebiete, der Zerstörung tausender Städte und Orte, erreichte der materielle Schaden durch Vernichtung und Plünderung fast ein Drittel des gesamten vor dem Krieg bestehenden Nationalreichtums. Kein anderes Land hat jemals in einem Krieg derartige Zerstörungen hinnehmen müssen.

Westimperialismus versus Sowjetunion

Mit der Wende von Midway und Stalingrad veränderte sich der Krieg in mehrerlei Hinsicht. Er ging zunehmend in einen Zermürbungskrieg über, der von der drückenden industriell-militärischen Überlegenheit der USA bestimmt wurde. Daß er sich noch über zwei Jahre hinziehen konnte, lag neben dem militärischen Geschick der Wehrmacht vor allem an politischen Widersprüchen in der gegen Deutschland und Japan gerichteten Allianz, die eine immer größere Rolle spielten. Da der britische und US-Imperialismus nicht vorhatten, den Krieg in zu massivem Ausmaß auf dem europäischen Kontinent zu führen, sahen sie den Zweck des Bündnisses mit der Sowjetunion auch darin, gleichzeitig Deutschland und die Sowjetunion zu schwächen – und danach selbst mit frischen Kräften zu intervenieren und abzukassieren. Um sicherzustellen, daß die Sowjetunion die volle Wucht des Angriffs des deutschen Imperialismus ertragen würde, ohne darunter zusammenzubrechen, bot man sehr beschränkte materielle Hilfe an. Das war ein sehr geringer Preis dafür, zu verhindern, daß die deutsche Bourgeoisie Europa kontrolliert und damit in Zukunft fähig geworden wäre, Großbritannien zu schlagen und die USA im Kampf um die Welthegemonie herauszufordern.54

Das Ziel war es, die Sowjetunion am Krieg beteiligt zu halten. Die Verzögerung der Eröffnung einer zweiten Front in Europa war von dem langfristigen Ziel motiviert, sich Deutschland und die Sowjetunion gegenseitig erschöpfen zu lassen. zu Beginn des Krieges formulierte der spätere Präsident Harry Truman die US-Strategie mit aller Deutlichkeit: „Sehen wir, daß Deutschland dabei ist, den Krieg zu gewinnen, dann sollten wir Rußland helfen, und wenn Rußland gewinnt, sollten wir Deutschland helfen, und auf diese Weise soviel Menschen wie möglich töten.“55 Die westlichen Alliierten konnten sich aussuchen, wann und wo sie Deutschland angreifen wollten, und ihre Überlegungen waren vor allem politisch bestimmt. Wiederholt verschoben die Alliierten die versprochene Intervention in Westeuropa. Die meiste Zeit mußte es die Sowjetunion weitgehend allein mit der Wehrmacht aufnehmen, während sich die USA und Großbritannien auf Kriegsschauplätzen engagierten, die durch ihre imperialen Interessen bestimmt waren. Während sich der Krieg in Osteuropa hinzog, wurden britische Truppen nach Libyen, Ägypten, Indien und Griechenland geschickt, um das Empire zu erhalten. Churchill konnte sich 1943 damit brüsten, daß die britische Armee mit sechs Divisionen der Wehrmacht spiele, während es die Sowjets mit 185 aufnehmen müßten. Für die noble Zurückhaltung der Alliierten bezahlte das sowjetische Volk mit seinem Blut.

Alliierte versus Arbeiterklasse

Zusätzlich wurde mit dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 und dem Rückzug der deutschen Truppen vom Balkan die europäische Arbeiterklasse zunehmend wieder ein bedeutender politischer Faktor, ein Faktor, der den westlichen Imperialisten immer mehr Kopfzerbrechen bereitete und ihre Politik immer mehr bestimmte. Nach dem Zusammenbruch der italienischen Armee und des deutschen Afrika Korps im Mai 1943 folgte die alliierte Invasion in Süditalien im Sommer 1943, die die politische Krise in Italien zuspitzte. Da der italienische Faschismus schon um zehn Jahre länger an der Macht war als der deutsche, war die Desintegration der kleinbürgerlichen Massen in das Regime und seine Umwandlung in eine reine Militär- und Polizeidiktatur (eine Entwicklung, die jedes faschistische Regime erfaßt) weiter fortgeschritten als in Deutschland (wo sie ebenfalls unvermeidlich war und vor sich ging). Verstärkt wurde diese vergleichsweise starke Zersetzung des faschistischen Regimes in Italien durch die relative ökonomische Schwäche des italienischen Imperialismus, die sich auch militärisch (sowohl in Afrika als auch am Balkan) in einer Reihe von für die Militärs wenig glanzvollen Aktionen ausdrückten.

Die italienische herrschende Klasse war jedenfalls realistisch genug, zu erkennen, daß ihr Problem nicht mehr die Aufteilung der Kriegsbeute war, daß sie bei der Einteilung der Welt in neue Einflußzonen eindeutig zu den Verlierern zählte. Die italienische Bouregoisie erkannte, daß für sie nunmehr die Rettung ihrer Klassenherrschaft in Italien selbst auf der Tagesordnung stand. Dort nähmlich nahm die Unzufriedenheit der Massen ständig zu, standen revolutionäre Ausbrüche der Arbeiterklasse bevor. König, Hofclique, Großkapital und eine Fraktion in der Armeeführung und dem faschistischen Großen Rat um Badoglio bereiteten eine Umkehrung des Bündnisses vor. Sobald der Duce beseitigt worden war (25. Juli), begannen geheime Verhandlungen mit dem britischen und US-amerikanischen Imperialismus, die rasch zu einem Waffenstillstandsabkommen führten.56

Der deutsche Imperialismus hatte diese Entwicklung allerdings vorhergesehen, in der Folge alliierten Zögerns den Großteil Italiens direkt besetzt und anstelle der früheren vergleichsweise authentischen Regierung der herrschenden Klasse Italiens ein reines Marionettenregime eingesetzt – mit dem aus der Haft befreiten Mussolini an der Spitze. Hinter dem alliierten Zögern stand freilich ihr Problem des Verhaltens gegenüber der drohenden Revolution. Die Mitgliederzahlen der italienischen Kommunistischen Partei (KPI) stiegen sprunghaft an. Der bewaffnete Widerstand der Arbeiterklasse weitete sich rasant aus. 1943 wurden in Mailand Arbeiterräte gebildet. Im selben Jahr gab es eine erste Massenstreikwelle in Turin. Im März 1944 fand im besetzten Norditalien ein Generalstreik statt.57 Das von der KPI geleitete Komitee für nationale Befreiung ernannte in allen größeren Betrieben Betriebsführungsräte. Für die Alliierten stellten sich die Fragen: Wie den Faschismus liquidieren, ohne die bürgerliche Klassenherrschaft und den bürgerlichen Staat zu gefährden? Wie die Massenmobilisierungen kanalisieren und/oder unterdrücken? In der Folge konnte der geschickte und fähige deutsche Militärführer Kesselring das ganze Jahr 1944 und die ersten drei Monate von 1945 jeden Durchbruch an der italienischen Fornt verhindern.58 Die Kapitulation der deutschen Armee in Italien im April 1945 führte dann auch nicht zu ihrer sofortigen Entfernung oder Auflösung, weil die Alliierten wollten, daß sie ihre Stellungen bis zur Ankunft der alliierten Truppen gegen jede Übernahme durch die Widerstandsbewegung hielten. Die faschistische deutsche Armee erhielt deshalb von ihrem siegreichen „antifaschistischen“ Gegner den Befehl, an Ort und Stelle zu bleiben, „alle öffentlichen Einrichtungen und die wesentlichen Zivilverwaltungen weiter funktionieren zu lassen“ und dazu beizutragen, „Ruhe und Ordung“ aufrechtzuerhalten.59

Bezüglich Frankreich stellte sich für die Alliierten eine ähnliche Frage, die mit der Landung der westlicher Truppen in Nordafrika (zur Kontrolle des Gebiets von Casablanca bis Tunis) im November 1942 erstmals auf die Tagesordnung gestellt wurde: Wie sollte der franösische Staat nach dem Sieg aussehen? Um bei der Landung die Viertelmillion französischen Soldaten des mit Hitler kollaborierenden Vichy-Frankreichs zu neutralisieren, unterzeichneten die USA ein Abkommen mit dem dortigen Führer Darlan, einem ausgesprochenen Nazi-Kollaborateur, das seine Kooperation mit der Respektierung seiner Autoriät in Nordafrika belohnte. Nach Darlans Ermordung entschieden sich die USA für den reaktionären General Giraud als Vertreter Frankreichs in Nordafrika. Die Regimes von Darlan und Giraud trugen autoritären bis faschistischen Charakter und stützten sich auf ein Bündnis von Kolonialisten, lokalen Bankiers und Industriellen. Girauds Herrschaft war antisemitsch und unterdrückte alle politischen Strömungen, die nicht äußerst rechts standen. Vor dem Krieg hatte Giraud die faschistische Cagoule unterstützt.60 Giraud war der Favorit der USA, weil er neben erzkonservativ und antikommunistisch auch antideutsch und antibritisch eingestellt war, während Großbritannien auf den eher probritischen de Gaulle setzte. Es ging damit also auch bereits um die Frage, wieweit die USA nach dem Krieg Europa dominieren würden, wie groß der Spielraum westeuropäischer Mächte beziehungsweise eines westeuropäischen Blocks sein würde.

Dazu kam allerdings das mangelnde Verständnis der USA für die realen sozialen und politischen Kräfteverhältnisse in Frankreich nach dem Aufstieg der Resistance. Für die überwiegende Mehrheit der französischen Bevölkerung und vor allem für die Arbeiterklasse stand Giraud für die Absicht, nach dem Krieg ein autoritäres, gegen die Arbeiterklasse gerichtetes Regime zu etablieren. Churchill und de Gaulle zeigten größeres politisches Verständnis als Roosevelt und erkannten, daß eine „nationale Front“, die sich auf die Wiederherstellung der bürgerlich-demokratischen Rechte (auch für die Arbeiterbewegung) verpflichtete, die einzige Möglichkeit für die französische Bourgeoisie war, nach dem Sturz der Nazi-Besetzung einem Aufstand der Arbeiterklasse zuvorzukommen, die einzige Möglichkeit, die Kommunistische Partei Frankreichs (KPF), die die Widerstandsbewegung dominierte, zu neutralisieren.61 Deshalb setzte sich letztendlich, nachdem vorerst Giraud und de Gaulle gemeinsam den Vorsitz der französischen Exilregierung (des Komitees für die Nationale Befreiung/CNL) innehatten, die Variante des britischen Imperialismus durch.62

Kolonialismus?

Zu den Fragen der Politik gegenüber der Sowjetunion und der Gefahr einer europäischen Arbeiterrevolution kam für die westlichen Alliierten als dritter Problembereich das Machtverhältnis innerhalb der westlichen Allianz hinzu. Ab 1942 fand hier eine deutliche Verschiebung zugunsten des US-Imperialismus statt. Im März 1942 hatten sich die USA und Großbritannien die Welt in drei strategische Zonen eingeteilt: * den Pazifik, um den sich die USA kümmern sollten; * das Gebiet zwischen dem Mittelmeer und Singapur, für das Großbritannien die Verantwortung bekam; * Atlantik und Westeuropa, die sich die beiden teilen sollten. Diese Abmachung war sehr bedeutend, da sie mit China und Australien zwei traditionelle britische Einflußsphären dem US-Gebiet zuteilte. Außerdem mußte der britische Imperialismus durch das Vordringen Japans auch im indischen Ozean bald um US-Hilfe ansuchen und wurde das Mittelmeer ab der alliierten Landung in Nordarfrika de facto ein gemeinsames Gebiet. Im Gegensatz dazu hielt das US-Oberkommando seine britischen Partner aus den Entscheidungsprozessen im Pazifik völlig heraus.

Und auch ökonomisch geriet die britische Bourgeoisie zunehmend in Abhängigkeit von den USA. Wie bereits erwähnt, waren die Briten Anfang 1942 gezwungen, sich in einem Abkommen auf ein offenes Welthandelssystem nach dem Krieg zu verpflichten. Die USA beanspruchten in der Folge immer klarer die Führung in der Allianz. „Wenn es eine Partnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien gibt, sind wir, durchaus von rechtwegen, der leitende Partner. Wir können ohne sie auskommen.“63 Die für die weitere Kriegsführung erforderliche Militärhilfe der USA in der Höhe von Milliarden $ bedeutete nach Churchills Worten, „die politische Autorität und Kontrolle zu verlieren“. Das war der militärischen, politischen und wirtschaftlichen Führung der USA durchaus bewußt. Als Konsequenz wurde die Frage der Militärhilfe sowohl im militärischen (Militärbasen und Gerichtsbarkeit auf bestimmten Inseln) als auch im ökonomischen Bereich (Ausbeutung von Bodenschätzen und Öffnung von Märkten) mit einer Politik der offenen Tür verbunden – und zwar in allen Teilen der Welt, die unter britischer Kontrolle standen. Großbritannien wurde während des Zweiten Weltkrieges zunehmend zu einer zweitrangigen Macht.

Dem ökonomischen und militärischen Druck fügte der US-Imperialismus aber nun auch noch eine politische Dimension hinzu. Die USA verurteilten den Kolonialismus, der von der US-Öffentlichkeit als eine Hauptursache für die schnellen (britischen) Niederlagen in Asien – Malaysien, Singapur, Hongkong, Philippinen, Burma – angesehen wurde. Die Serie japanischer Erfolge stellte eine Wendpunkt in der Geschichte Asiens dar. Der Westen wurden vom Osten gedemütigt, Ansehen und Stärke des europäischen, weißen Imperialismus untergraben. Erst die US-Siege gegen Japan boten dieser Entwicklung wieder etwas Einhalt, ohne jedoch die Wirkung der vorangegangenen Niederlagen völlig zu beseitigen. Der Kollaps der britischen Macht in Ostasien war nicht ausschließlich eine Frage der dortigen Schwäche des Empires. Japan hatte dieses riesige Gebiet immerhin mit kaum 200.000 Mann erobert, während die britische Armee mit hunderttausenden Soldaten nicht in der Lage war, es zu verteidigen. Entscheidend war der Unwille der unterworfenen Völker, für den britischen Kolonialismus zu kämpfen. Die japanischen Siege drückten so auch die Zersetzung der britischen imperialistischen Herrschaft aus. In der britischen Armee von Malaysien kam es zu großen Meutereien. In Burma desertierten massenhaft einheimische Soldaten aus der britischen Armee.

Diese Entwicklungen stellten eine schwere Gefahr für die britische Herrschaft in Indien dar. Bereits im Februar 1942 schrieb Churchill an einen General: „Die Verstärkungstruppen für Indien werden äußerst dringend gebraucht. Ich bin tief besorgt über die Reaktionen auf die japanischen Siege überall in Asien. Es wird erforderlich sein, eine zusätzliche Anzahl britischer Truppen in Indien zu haben. Das müssen keine vollständigen Divisionen sein, da sie für die innere Sicherheit gegen Aufstände bestimmt sind.“64 Tatsächlich war die indische Bourgeoisie (geführt von Gandhi und Nehru) gezwungen zu handeln und begann im Juli 1942 eine riesige Kampagne zivilen Ungehorsams, um als ersten Schritt zur Unabhängigkeit Selbstverwaltung für Indien zu erreichen. Sie tat das nur widerwillig, da sie eine wirkliche Konfrontation mit dem Imperialismus fürchtete. Es blieb ihr aber angesichts der großen Gelegenheit, die die britische Niederlage dem indischen Nationalismus bot, keine andere Wahl. Dazu kam rasch zunehmender Druck der Massen, die über die starke Verschlechtung der ökonomischen Lage, die zur großen bengalischen Hungersnot mit 3,4 Millionen Toten führte, empört waren. Unter diesen Bedingungen zogen es Nehru und Gandhi vor, die Massenempörung in der Bewegung des zivilen Ungehorsams zu kanalisieren, als zu riskieren, die Führung an radikalere antiimperialistische oder revolutionäre Kräfte zu verlieren.

Die japanische Expansion stellte die Frage der Zukunft der Kolonien nach dem Krieg. Der US-Imperialismus, mit steigendem Interesse an China und Südostasien, begann seine eigene Perspektive für die Zeit nach der Erledigung des japanischen Konkurrenten zu formulieren. Auf Drängen des selbsternannten „Antiimperialisten“ Roosevelt verlautbarte die Atlantik-Charta „das Recht der Völker, die Regierungsform zu wählen, unter der sie leben wollen“ – wobei der Kolonialist und Rassist Churchill diesen Punkt nur für die europäischen Völker angewendet wissen wollte. Für die USA ging es ab diesem Zeitpunkt darum, nach dem Sieg die europäischen Kolonialreiche durch Halbkolonien in einem System des freien Welthandels, das von den ökonomisch überlegenen USA dominiert würde, zu ersetzen. Auch wenn nicht sämtliche Kolonien sofort nach dem Krieg in die halbkoloniale Zukunft entlassen wurden, setzte sich die Perspektive der US-Bourgeoisie doch recht rasch und recht eindeutig durch.

Vier Kriege

Wir können zusammenfassen, daß der Zweite Weltkrieg in den letzten Kriegsjahren aus vier unterschiedlichen Arten von Konflikten bestand: Erstens aus einem innerimperialistischen Krieg um die globale Hegemonie, um die Vorherrschaft bei der Ausbeutung der internationalen Arbeiterklasse und der (halb)kolonialen Länder. In diesem Konflikt mußten Revolutionäre eine defaitistische Position einnehmen, d.h. kein Lager unterstützen und die Niederlage der eigenen Bourgeoisie als das kleinere Übel betrachten, dafür eintreten, daß die Arbeiterklasse von der herrschenden Klasse unabhängige Kriegsziele zum Sturz der kapitalistischen Herrschaft und zur Revolution der Arbeiterklasse formuliert.

Zweitens aus einem Verteidigungskrieg des sowjetischen Arbeiterstaates gegen des Versuch des deutschen Imperialismus, diesen Staat zu zerstückeln, die Gebiete zu kolonisieren und teilweise zu entindustrialisieren, die Planwirtschaft zu zerstören, die Bevölkerung zu unterdrücken, zu vertreiben und auszurotten. Den Kampf der Sowjetunion mußten Revolutionäre – trotz der reaktionären stalinistischen Bürokratie an der Spitze des bürgerlichen Staatsapparates – (kritisch, aber bedingungslos) unterstützen. Sie mußten dabei die Verteidigung der verbliebenen Errungenschaften der Oktoberrevolution von 1917 mit dem Eintreten für eine internationalistische Kriegspolitik und der Vorbereitung des Sturzes der herrschenden Bürokratie und der Zerschlagung ihres bürgerlichen Staatsapparates verbinden.

Drittens aus einem Kampf der Arbeiterklasse (v.a. in Europa – Griechenland, Italien, Frankreich …) zur Umwandlung des Krieges in einen Bürgerkrieg und zu einer sozialistischen Umwälzung durch die Arbeiterklasse. Diesen Kampf, der von der Bourgeoisie durch Zuckerbrot und Peitsche (Zugeständnisse und Repression) bekämpft und von den stalinistischen und sozialdemokratischen Führern abgewürgt wurde, mußte von Revolutionären mit aller Kraft unterstützt werden. Sie mußten versuchen, in diesem Kampf für eine revolutionäre, internationalistische Alternative zu den sozialdemokratischen und stalinistischen Führungen einzutreten und dabei an der Herausbildung einer neuen revolutionären Partei der Arbeiterklasse zu arbeiten.

Viertens aus einem Kampf (halb)kolonial unterdrückter Völker (v.a. in Asien – China, Indien, Indochina …) gegen den Imperialismus. Diesen Kampf mußte Revolutionäre als gerechten Kampf, der gegen die imperialistische Ausbeutung gerichtet ist, unterstützen, diese Unterstützung aber mit der Kritik an den halbherzigen nationalistischen Führern des Kampfes verbinden und aufzeigen und dafür eintreten, daß nur die Ausweitung des antiimperialistischen Kampfes zu einem Kampf für die soziale Umwälzung, zu einem Kampf für den Sturz des Kapitalismus das Elend der Völker in den (Halb-) Kolonien wirklich überwinden kann.

Finale in Deutschland

Während das Agieren des westlichen Imperialismus in den letzten zwei Kriegsjahren zunehmend von der Organisierung seiner Herrschaft nach seinem Sieg bestimmt war, weigerte sich die deutsche Führung hartnäckig, die Realität der unvermeidlichen Niederlage anzuerkennen, und klammerte sich an die Hoffung an ein „politisches Wunder“, daran, daß die Spannungen zwischen der Sowjetunion und den westlichen Alliierten, der unvermeidliche „Kalte Krieg“ zu einem heißen werden würde, bevor der „Heiße Krieg“ mit Deutschland vorüber wäre. Während dieser Teil der herrschenden Klasse Deutschlands mit Hitler an der Spitze darauf setzte, daß die feindliche Allianz auseinanderbrechen würde und daß man solange durchhalten müsse, um dann unter besseren Bedingungen nach neuen Konstellationen zu suchen, verlor ein Teil des deutschen Offizierskorps und der deutschen Bourgeoisie (ganz abgesehen von großen Teilen des deutschen Volkes) den Glauben an einen Sieg des Dritten Reiches. Dieser Teil der Führungsschicht orientierte sich auf einen Seperatfrieden mit den Westmächten und wollte zu diesem Zweck (nach italienischem Muster) Hitler und seine Clique ausschalten. Eine Gruppe aus dieser Strömung um Carl von Stauffenberg organisierte schließlich am 20. Juli 1944 einen Putschversuch. Über die Wahrscheinlichkeit, daß sich die westlichen Imperialisten auf eine solche Variante eingelassen hätten, über die Frage, wie sehr sie bei einem solchen Angebot trotzdem auf einen relativ schweren Schlag gegen ihren deutschen Konkurrenten gesetzt hätten, kann nur gemutmaßt werden. Sichere Erfolgsaussichten hatte jedenfalls die Strömung von Stauffenberg & Co. keineswegs. Sicher ist nur, daß die politische Perspektive des immer wieder zum Widerstandskämpfer stilisierten Stauffenberg, eines reaktionären Offiziers, der jahrelang alle Verbrechen des deutschen Imperialismus mitgemacht hatte (bis er den Glauben an den Sieg des faschistischen Deutschlands verloren hat), alles andere als demokratisch war. Stauffenbergs Putsch hätte zur Errichtung einer Militärdiktatur führen sollen, zur Herrschaft der Wehrmachtoffiziere, die jahrelange den Vernichtungskrieg in Osteuropa organisiert und durchgeführt hatten. Geplant waren Notstandsrecht, striktes Verbot von Streiks und sogar von Flugblattverteilen.65

Nach dem Scheitern dieses Putschversuches unternahm dieser realistischere Teil der herrschenden Klasse keinen ernsthaften Versuch zur Durchsetzung seiner Linie mehr. Die deutsche Bourgeoisie hatte sich in den frühen 30er Jahren den Nazis in die Arme geworfen und schaffte es selbst angesichts der bevorstehenden Niederlage nicht, sich wieder von ihnen zu befreien. Und so konnten die faschistische Führung, die wichtigsten Militärbefehlhaber und die meisten politischen Vertreter der deutschen Bourgeoisie den Kampf bis zum völligen Zusammenbruch, der bedingunslosen Kapitulation, weiterführen.66 Hitler und das Oberkommando der Wehrmacht waren weit davon entfernt, alle Kräfte gegen die Sowjetunion zu konzentrieren, sondern benutzten sogar die letzten Reserven (inklusive der neuesten Panzer und Flugzeuge) für die Gegenoffensive in den Ardennen im Winter 1944/45. Insofern ist der Vorwurf der deutschen Rechten an die Alliierten, sie hätten durch Verweigerung eines Waffenstillstands an der Westfront große Teile Deutschlands „den Russen“ oder „den Roten“ überlassen, geradezu absurd. Die Schuld dafür lag bei der deutschen Bourgeoisie und der politischen Führung, die sie sich gewählt hatte, selbst. Erst in den allerletzten Kriegsphasen kam es zu einer de facto-Kapitulation der Wehrmacht im Westen, was den westlichen Imperialisten einen weiteren Vormarsch nach Osten erlaubte, als es sonst möglich gewesen wäre.67

Die wesentlichste Folge des Attentats von Stauffenberg auf Hitler war die nochmalige drastische Verschärfung der Repression durch den Staatsapparat der Nazis, einer Repression, die sich erneut vor allem gegen die Arbeiterbewegung richtete und einem bedeutenden Teil der noch überlebenden Kader der deutschen Arbeiterbewegung das Leben kostete. Neben der Tatsache, daß sich das faschistische Regime in Deutschland aufgrund seiner kürzeren Existenz und seiner größeren ökonomischen und militärischen Substanz noch nicht so weit zersetzt hatte wie in Italien, trug das weiter dazu bei, die Chance auf einen Sturz des Kapitalismus anläßlich des Zusammenbruchs des Nazi-Regimes zu reduzieren. Die Grundlage für diese Möglichkeit war zweifellos vorhanden. Die deutschen Arbeiter hatten sich während des ganzen Krieges in ökonomischen Fragen ein grundsätzliches Klassenbewußtsein erhalten.68 Das Ausmaß des Widerstandes gegen den Faschismus in Deutschland selbst (der vor allem aus der Arbeiterbewegung kam) wurde und wird von nahezu allen Historikern systematisch unterschätzt oder mißachtet.69 Zwischen 400.000 und 600.000 Deutsche (je nach den Zu- und Abgängen aus den Konzentrationslagern) wurden von den Nazis zwischen ihrer Machtübernahme und dem Kriegsbeginn als politische Gegner inhaftiert. Während des Krieges stiegen diese Zahlen noch deutlich an. Nach amerikanischen Schätzungen waren in Nazi-Deutschland (ohne die Vernichtungslager in Polen und anderen Lagern in besetzten Ländern) insgesamt 1,663.550 Personen in Konzentrationslagern inhaftiert – davon etwa eine Million Deutsche.

Zu der extremen Repression der Nazis gegen die Arbeiterbewegung kamen noch die Auswirkungen der alliierten Bombenangriffe, die sich auf die Entfaltung des Widerstandes negativ auswirkten. Das vorgebliche alliierte Ziel, durch Flächenbombardements, d.h. durch die systematische Zerstörung der größeren deutschen Städte, Zermürbung und letztlich einen Zusammenbruch der deutschen Kampfmoral herbeizuführen, konnte keineswegs erreicht werden. Statt Demoralisierung war die Folge der massiven Verluste, die der Zivilbevölkerung zugefügt wurden, eher stures Durchhalten, wenn nicht sogar Empörung, d.h. keine Aufweichung, sondern eine Verfestigung der verbliebenen Basis der Nazis. Das zweite vorgebliche Ziel der Bombenangriffe, durch die Vernichtung von bestimmten Sektoren der deutschen Kriegsindustrie (v.a. synthetisches Öl, synthetischer Gummi …) die deutsche Kriegsführung zu verunmöglichen, konnte wohl kaum durch die gezielten Angriffe auf die Zivilbevölkerung großer Städte (wie z.B. die Brandbombenangriffe auf Köln, Hamburg und später Dresden)70 erreicht werden. Insgesamt richteten sich nur etwa 10% der abgeworfenen alliierten Bomben gegen Industrieanlagen und Militäreinrichtungen, der große Rest gegen Wohnviertel. Dabei ist es wiederum bezeichnend, daß sich Bombenteppichabwürfe auf Städte wie Hamburg, Köln, Essen, Frankfurt am Main oder München fast ausschließlich auf Viertel der Arbeiterklasse beschränkten. Bürgerliche Wohngebiete wurden weitgehend verschont. Es gab dabei Vermutungen, daß für diese Auswahl u.a. direkte Kontakte zwischen deutschen und US-Agenten in Lissabon entscheidend waren.

Ein tatsächliches Ziel der US-amerikanischen und britischen Bourgeoisie (und auch der deutschen) konnte durch die Flächenbombardements allerdings weitgehend erreicht werden: eine allgemeine Desorganisation der deutschen Gesellschaft, ein Zusammenbruch der städtischen und industriellen sozialen Strukturen. Konkret bedeuteten der Bombenterror und seine Folgen (Umsiedlungen aufs Land bzw. nach Süddeutschland oder nach Österreich, Betriebsevakuierungen) ein weiteres Auseinanderreißen und Zerschlagen von erhalten gebliebenen sozialen und politischen Zusammenhängen der Arbeiterklasse in den Arbeitervierteln und Betrieben, die eine in den Untergrund gedrängte Grundlage für Vertrauen unter Leuten, die sich lange kennen, für Klassensolidarität und Widerstand darstellten. Darüberhinaus entstand für Widerstandsgruppen eine zusätzliche Gefahr, da man nach Bombentreffern die Entdeckung bei Aufräumarbeiten fürchten mußten. Als Folge der Bombenangriffe mußten viele Widerstandsgruppen Verstecke und Depots auflösen und Unmengen von Material vernichten. Der alliierte Bombenkrieg trug nicht unbedeutend dazu bei, die Furcht der Nazis, der deutschen Bourgeoisie und des westlichen Imperialismus vor einer erstarkenden Arbeiterbewegung zu reduzieren und die Möglichkeit eines enormen Aufschwungs der Kampfbereitschaft der deutschen Arbeiterklasse (und einer deutschen Revolution) zu untergraben.

Wie bedeutend diese Furcht der herrschenden Klasse war, zeigt neben der oben angeführten Einschätzung Stauffenbergs auch eine Beurteilung von Harry Hopkins, des engsten Beraters Roosevelts, die er im März 1943 nach einer Unterredung mit führenden Figuren des britischen und US-amerikanischen Imperialismus niederschrieb: „Ich sagte, ich sei davon überzeugt, daß eine der beiden Möglichkeiten bestimmt eintreten würde, wenn wir nicht prompt und definitiv handelten – entweder würde Deutschland kommunistisch werden, oder es würde sich ein durch und durch anarchistischer Zustand bilden; daß sich tatsächlich dasselbe Phänomen auch in irgendeinem anderen europäischen Land, auch in Italien ereignen könnte. (…) Es wird offensichtlich viel einfacher sein (z.B. einfacher als eine formelle Übereinkunft mit den Russen), wenn starke britische und amerikanische Truppeneinheiten zur Zeit der Niederlage in Frankreich und Deutschland stehen, aber wir sollten (mit den Briten und Russen) einen Plan ausarbeiten für den Fall, daß die deutsche Niederlage erfolgt, bevor wir in Frankreich sind.“ Tatsächlich war der „rechtzeitige“ Einmarsch der alliierte Truppen in Deutschland (neben der Schwächung durch den faschistischen Terror, den alliierten Bombenangriffen und der bewußten Demobilisierung und Abwiegelung durch Sozialdemokraten und Stalinisten) der Hauptgrund dafür, daß sich die inneren Widersprüche in Deutschland nicht voll entfalten konnten, daß eine revolutionäre Entwicklung wie in Griechenland oder Italien in Ansätzen steckenblieb. Ein Beispiel für diese Ansätze waren die antifaschistischen Komitees, die sich in vielen deutschen Städten nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes in der Arbeiterklasse herausbildeten, die sich anschickten, die Macht zu übernehmen, und die schließlich von den Alliierten unterdrückt und durch verläßliche Repräsentanten der herrschenden Klasse (nämlich ehemalige Nazi-Staatfunktionäre) ersetzt wurden. Andere Beispiele sind verschiedene Klassenkämpfe der deutschen Arbeiterklasse in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Insgesamt muß zusammengefaßt werden, daß der Einmarsch der alliierten Truppen in Deutschland wie in Südeuropa (wo das noch offensichtlicher war) auch dominant ein konterrevolutionärer Akt war.

Finale in Ostasien

Die bedingungslose Kapitulation des deutschen Imperialismus erfolgte am 8. Mai 1945, nachdem sich Hitler bereits 30. April das Leben genommen hatte. Schon am 1. Mai wehte die Rote Fahne über dem Reichstag in Berlin (wenngleich die Politik der sowjetischen Bürokratie mit Internationalismus nichts gemein hatte). Der Krieg in Asien dauerte noch bis zum 2. September – also vier Monate länger. Während sich in Südostasien ein kolonialer Rückeroberungskrieg vor allem der Briten mit einem antiimperialistischen nationalen Befreingskampf vermischte, der starke Elemente der sozialen Revolution beinhaltete, drängten die US-Truppen unter der Führung von Nimitz und MacArthur in Richtung der japanischen Inseln. Die japanische Bourgeoisie, die spätestens nach dem Wegfall des deutschen Verbündeten langsam begriff, daß die Sache verloren war, begann, nach einer politischen Lösung zu suchen, und setzte als Zeichen des guten Willens General Tojo ab. Der Widerstand der japanischen Truppen setzte sich zwar fort, aber in der Schlacht im Golf von Leyte bei den Philippinen gingen die letzten Reserven verloren, und die japanische Luftwaffe existierte de facto nicht mehr. Mit der Kriegserklärung der Sowjetunion an Japan, die am 8. August erfolgte und sich bereits zuvor angekündigt hatte, waren schließlich auch die japanischen Truppen in der Mandschurei am asiatischen Festland gebunden.

General MacArthur stellte bereits Ende April 1945 fest: „Japan war schon erledigt, die Elite seiner Armee und Flotte war geschlagen, und die japanischen Inseln waren jetzt Luftangriffen und der Invasion preisgegeben.“71 Anfang August stand Japan kurz vor der Kapitulation. Angesichts dessen spielte der Abwurf der beiden Atombomben auf Hiroshima (6. August) und Nagasaki (9. August) nicht ernsthaft die Rolle der Verringerung der US-Verluste, was später zur Rechtfertigung dieses Verbrechens gegen die japanische Zivilbevölkerung behauptet wurde. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Atombombenabwurf in erster Linie politisch (und nicht militärisch) motiviert war. Die Ermordung von etwa 250.000 Menschen hatte im wesentlichen den Zweck einer politischen Demonstration der Stärke, die weniger an Japan als an die Sowjetunion gerichtet war.

Die Grundlinien der alliierten Politik gegenüber Japan hatten die USA schon vor Hiroshima und Nagasaki festgelegt: Erstens, daß die Besetzung Japans eine reine US-Angelegenheit ist. Zweitens, daß der Kaiser, der während des gesamten Krieges die Aggression des japanischen Imperialismus unterstützt hatte, als „Autoritätssymbol“ erhalten bleibt. Drittens, daß Japan als prowestlicher Staat zum Gegengewicht zur sowjetischen Präsenz in Asien aufgebaut wird. Wie in Europa versuchten die USA auch in Ostasien, jede Beteiligung der lokalen Widerstandsbewegung an der Macht zu verhindern. Der US-Imperialismus machte immer wieder und völlig explizit klar, daß das Ende der japanischen Besetzung in Indonesien, Indochina, Korea und auf den Philippinen nicht den linken und nationalistisch-antiimperialistischen Aufständischen nützen dürfe. Zu diesem Zweck schlossen die USA eben doch wieder ein Bündnis mit den Kolonialisten, das vorerst die koloniale Herrschaft reetablierte. Angesichts der revolutionären Bedrohung verabschiedeten sich die USA still und leise von ihren hehren „antiimperialistischen“ Proklamationen und orientierten sich auf eine langsame Umwandlung der Kolonien in Halbkolonien und eine ökonomische Verdrängung ihrer imperialistischen Konkurrenten. Die Sowjetunion setzte dem keinen nennenswerten Widerstand entgegen. Erst die nationalen Befreiungsbewegungen in China und Indochina stellten das US-Projekt ernsthaft in Frage.

Nachkriegssituation

Die US-Bourgeoisie ging als die große Siegerin aus dem zweiten imperialistischen Gemetzel hervor. Ihre deutschen, japanischen und italienischen Gegner waren schwer geschlagen, und auch die verbündeten Bourgeoisien Großbritanniens und Frankreichs lagen erschöpft am Boden, während der US-Imperialismus in vollem Glanz als globale Hegemonialmacht erstrahlte. Bedeutend geschmälert wurde dieser Triumph nur durch den Aufstieg der Sowjetunion zur Weltmacht, durch das zunehmend selbstbewußte Auftreten von nationalen Befreiungsbewegungen in den (halb)kolonialen Ländern und den Wiederaufstieg der organisierten Arbeiterbewegung vor allem in Europa, aber auch in den USA und Japan. Die damit verbundenen Klassenkämpfe resultierten in der Periode von 1944 bis 1947/48 in einigen revolutionären Zuspitzungen, auch wenn sie nicht das Ausmaß wie nach dem Ersten Weltkrieg erreichten und in keinem Land zu einer erfolgreichen Revolution der Arbeiterklasse führten.

Die Tatsache, daß der westliche Imperialismus darauf verzichtete, die Widersprüche zur Sowjetunion bereits unmittelbar bei Kriegsende zum Kalten Krieg zuzuspitzen, daß er sich aus Teilen der späteren DDR und aus Westböhmen zurückzog, daß er damit die Festsetzung der Sowjetunion in Mitteleuropa ermöglichte, hat überwiegend politische Ursachen. Möglichen geringen Gewinnen wären erhebliche Risken gegenübergestanden: Tito hätte Triest behalten. Die italienischen Partisanen wären in diesem Fall womöglich nicht von den Stalinisten zurückgehalten worden und hätten in Norditalien die Macht übernehmen können. Die Revolution in Griechenland hätte im Rahmen einer europaweiten Zuspitzung der Klassenkämpfe einen siegreichen Ausgang nehmen können. Gewaltige Ausbrüche in Frankreich und auch in Deutschland wären wahrscheinlich gewesen. Es wäre mit Sicherheit zu einer Ausweitung der Meutereien und Unruhen in den US-Truppen und in Großbritannien gekommen, aus einer gewissen Sympathie für die Sowjetunion, aber vor allem aus allgemeiner Kriegsmüdigkeit. Eine solche Entwicklung in den imperialistischen Zentren hätte unvermeidlich die Kämpfe der Unterdrückten und Ausgebeuteten in den (halb)kolonialen Ländern enorm angefacht. Die Führer der US-Bourgeoisie waren klug genug, um zu erkennen, daß einige Zugeständnisse an die Arbeiterklasse und die Sowjetunion bei weitem das kleinere Übel waren. Das Ziel des US-Imperialismus war es vorerst, die instabile Situation zu beruhigen, in den Griff zu bekommen, die Arbeiterklasse zu integrieren (einiges Entgegenkommen konnte man sich ja leisten) oder zu unterdrücken. Nach der Befriedung der Arbeiterklasse auf die eine oder andere Art und der Überwindung der unsicheren Nachkriegssituation wollte man weitersehen.

Die Sowjetunion ihrerseits machte es den Imperialisten auch nicht besonders schwer und verlangte für ihre bereitwillige Kooperation in den Jahren 1944 bis 1947, die für den Kapitalismus gefährlich waren, keinen hohen Preis. Man bestand lediglich auf den vereinbarten Einflußzonen in Mittel- und Osteuropa72 und ließ die Alliierten in Berlin und Wien einrücken. In Ostasien war die sowjetische Bürokratie äußerst bescheiden, beschränkte ihre Kontrolle auf Nordkorea und zog aus Nordchina wieder ab.73 Auch in Italien, Griechenland, der Türkei, dem Nahen Osten und dem Iran (dessen nördlicher Teil bei Kriegsende von sowjetischen Truppen besetzt war) gab Stalin letztlich Churchill und dann Truman nach.

Die Ursache für diese Haltung der Sowjetbürokratie und ihre Anhängsel in den KPen der verschiedenen Länder ist nicht schwer zu finden. Angesichts der ökonomischen und militärischen Überlegenheit des US-Imperialismus bestand die einzige Möglichkeit, die schwierige Situation des Imperialismus in der unmittelbaren Nachkriegszeit auszunutzen, darin, den internationalen Klassenkampf zu unterstützen und voranzutreiben, die inneren Widersprüche in den imperialistischen Ländern zuzuspitzen, die Arbeiterklasse und die Massen in den (Halb-) Kolonien international zu mobilisieren. Davor hatten die Stalinisten aber genauso Angst wie die Kapitalisten. Die Bürokratie fürchtete, Geister zu rufen, die danach womöglich nicht mehr loszuwerden gewesen wären. Sie fürchtete (zurecht), daß eine Arbeiterklasse, die sich der Bourgeoisie entledigt, auch mit der Macht und den Privilegien der Bürokratie aufräumt. In der Folge bewies die stalinistische Bürokratie auch in den Jahren 1944 bis 1947 (wie schon in den späten 20er und frühen 30er Jahren) durch eine systematische Sabotage der Arbeiterkämpfe ihre konterrevolutionäre Rolle. Sie betrieb traditionelle nationale Machtpolitik durch eine außenpolitische Kombination von Diplomatie und militärischer Stärke zur Erreichung definierter Einflußsphären, denen die revolutionären Erhebungen in Europa und Asien bereitwillig untergeordnet wurden: Da die Imperialisten begriffen, daß die Sowjetbürokratie nicht bereit war, nachhaltig die Mobilisierung der Arbeiterklasse zu betreiben, ergaben sich daraus zwei Konsequenzen: Erstens mußten die Erfolge dieser Art von Machtpolitik durch die Bürokratie relativ gering ausfallen. Zweitens wurde damit auch das Ablaufdatum der imperialistischen Kooperationsbereitschaft mit der Sowjetunion bestimmt – sobald die Arbeiterklasse unter Kontrolle gebracht war, konnte man eine härtere Gangart einschlagen, die dann mit dem Kalten Krieg ab 1947 auch kommen sollte.

Kalter Krieg

Die Arbeiterbewegung war unmittelbar nach dem Krieg äußerst stark. In Frankreich und noch mehr in Italien bedeutete der enorme Aufschwung der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse eine wesentliche Belastung für die Kollaboration der Stalinisten mit der Bourgeoisie zur Stabilisierung der kapitalistischen Ordnung. Das war schließlich (neben dem Druck des US-Imperialismus) eine entscheidende Ursache dafür, daß die französischen und italienischen KPen die Koalitionsregierungen verlassen mußten. In Großbritannien wählte die Bevölkerung im Gegensatz zu den Hoffnungen der US-Bourgeoisie (und den Erwartungen Stalins) sofort bei den ersten Nachkriegswahlen den Kriegssieger Churchill ab. Ein Erdrutschsieg brachte einen klaren Sieg für die Labour Party, der ein Mandat für soziale Reformen und die Gewährung der Unabhängigkeit an Indien bedeutete. Auch in Japan und den USA gab es eine massiv angestiegene proletarische Kampfbereitschaft. Die Beendigung dieses Arbeiteraufruhrs in einer Reihe von wichtigen imperialistischen Zentren stellte für den Imperialismus die vordringlichste Aufgabe in den Nachkriegsjahren dar.

Schließlich konnten die Klassenkämpfe (durch die systematische Unterstützung durch Sozialdemokratie und Stalinismus) überwiegend kanalisiert werden. Eine wesentliche Ursache für diesen Erfolg der Bourgeoisie stellte die überragende ökonomische Substanz des US-Imperialismus und damit seine Integrationskraft dar. Umgekehrt war dieser Erfolg eine wesentliche Grundlage für die ungestörte „friedliche“ kommerzielle und finanzielle Expansion des US-Imperialismus, für den Marshallplan, massive Kapitalexporte der US-Bourgeoisie und letztlich den Nachkriegsboom. Dabei war der Marshallplan nicht nur Ausdruck der Bedürfnisse des US-Finanzkapitals zur Kapitalexpansion, sondern wesentlich auch ein politisches Mittel zur Schaffung von Einflußsphären. Der Erfolg gegen die Arbeiterklasse schuf für den US-Imperialismus aber auch die Vorausetzung für den Beginn des Kalten Krieges, d.h. die gezielte Zuspitzung der Widersprüche mit der Sowjetunion, eine ökonomische und politische Offensive zur Zurückdrängung des Einflusses der Sowjetunion in Asien und Europa.

In Osteuropa versuchte der Imperialismus im Rahmen dieses roll-backs, konkret durch den Versuch der ökonomischen Einflußnahme mit dem Marshallplan und durch politischen Druck, die (kapitalistischen) Länder unter sowjetischer Hegemonie wieder unter die Kontrolle des Imperialismus zu bringen. Die Sowjetbürokratie stand vor der Alternative, sich entweder die neu gewonnene Einflußzone wieder entreißen zu lassen oder einen Schritt weiter zu gehen und durch eine Umwälzung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse den Aktionsradius des Imperialismus und der osteuropäischen Bourgeoisie weitgehend einzuschränken. Dermaßen unter Druck gesetzt, entschied sich der Kreml für die zweite Variante und glich durch einen bürokratischen Akt von oben die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strukturen der osteuropäischen Glacis-Staaten an die Sowjetunion an. Während damit nachkapitalistische Produktionsverhältnisse (degenerierte Arbeiterstaaten mit bürokratischen Planwirtschaften) entstanden, wurden (nach dem Modell der Sowjetunion seit der bürokratischen Konterrevolution von 1927) bürgerliche, bürokratische, von der Arbeiterklasse abgehobene und gegen sie gerichtete Staatsapparate geschaffen.74 Insgesamt trugen die Umwälzungen (obwohl sie die kapitalistischen Produktionsverhältnisse in den betroffenen Ländern außer Kraft setzten) einen reaktionären Charakter, weil sie nicht durch die Arbeiterklasse durchgeführt wurden und weil dieser bürokratische Akt und das daraus resultierende System in der internationalen Arbeiterbewegung sozialistische Ideen diskreditierten.

Der Beginn des Kalten Krieges hatte auch auf die Zukunft Deutschlands entscheidenden Einfluß. Der US-Imperialismus setzte von nun an entschiedener auf die Westintegration der von den Westmächten besetzten Gebiete. 1947 wurde die US-Zone mit der britischen zur sogenannten Bizone verbunden. 1948 entstand durch die Vereinigung mit der französischen Zone die Trizone, in der die ökonomische und währungspolitische Vereinheitlichung vorangetrieben wurde. 1949 wurde schließlich zuerst die BRD und als Antwort darauf die DDR gegründet. Das von der Sowjetunion angestrebte Ziel – ein neutrales, entmilitarisiertes, ungeteiltes Deutschland – war durch den vom Westen begonnenen Kalten Krieg von Tisch.

Dieser grundlegende Wechsel der ökonomischen Orientierung Deutschlands und der Außenhandelspolitik in Richtung auf eine Integration in einen vom US-Imperialismus dominierten Weltmarkt wurde von einigen repräsentativen Vertretern des deutschen Großkapitals allerdings bereits seit Ende 1943 vorbereitet. Die Vorstellungen beinhalteten eine umfassende längerfristige Planung, die Umstellung der Rüstungsindustrie auf zivile Produktion, die Vorbereitung einer Exportoffensive und die Wiederherstellung der Konvertibilität der Reichsmark beziehungsweise DM durch eine radikale Währungsreform. Die Vertreter der deutschen Bourgeoisie, die diese Pläne in den letzten eineinhalb Kriegsjahren entwarfen, waren auch die, die sie in den Jahren 1945 bis 1948 tatsächlich umsetzten75. Die Planung fand hauptsächlich im Reichswirtschaftsministerium und im Arbeitskreis für Außenwirtschaftsfragen statt, die durch den Leiter des Ministeriums, den stellvertretenden SS-Führer des Reichssicherheitshauptamtes Ohlendorf76 , vor Repression geschützt war. Der Autor der Pläne, Ludolf Herbst, erkannte genau, worum es ging: „Die Hauptsorge galt (…) der Bewahrung der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.“77

Zur selben Zeit schrieb der Leiter des Generalstabes des britischen Empires, General Alanbrooke folgendes: „Sollte Deutschland zerstückelt oder allmählich in einen Verbündeten verwandelt werden, um der russischen Gefahr zu begegnen? Ich unterstütze letztere Möglichkeit und habe das sichere Gefühl, daß wir von nun an Deutschland in einem ganz anderen Licht sehen müssen. Deutschland ist nicht länger die dominierende Macht in Europa – Rußland ist es. Es hat (…) gewaltige Ressourcen und wird unweigerlich zur Hauptbedrohung in fünfzehn Jahren werden. Daher sollte man Deutschland fördern, allmählich aufbauen und in eine westeuropäische Föderation einbeziehen.“78 Genau das war der Plan, den die westliche Bourgeoisie für Deutschland gemacht hatte.

Mit der Ausnahme Koreas verwandelte sich der Kalte Krieg nicht in einen heißen (auch wenn die westlichen Imperialisten die systematische Drohung damit zu einem Instrument ihrer Politik gegenüber der Sowjetunion machten). Die Ursachen dafür, daß es nicht dazu kam, waren politische. Zwischen Hiroshima und dem vollen Beginn des Kalten Krieges war der US-Imperialismus mit einer ganzen Reihe von mehr oder weniger miteinander verbundenen Krisen konfrontiert: Kriegsmüdigkeit, Demonstrationen und Meutereien von US-GIs, die nach Hause wollten und wohl kaum für einen neuen Krieg zu motivieren waren; die größte und militanteste Streikwelle an der „Heimatfront“ in den USA selbst; die Bewegung der französischen und italienischen Arbeiter (teilweise ohne und gegen ihre reformistischen Führer), die im Sommer 1948 zu einem Generalstreik führte, der bereits einem Aufstand ähnelte; Bürgerkrieg in Griechenland und China, dem bevölkerungsreichsten Land; blutige Auseinandersetzungen in Indien nach der Unabhängigkeit, die in Frage stellten, ob die einheimische Bourgeoisie wie in Indonesien die Kontrolle behalten würde. Es gelang bis 1946/47 zwar eine relative, aber keine völlige und stabile Befriedung der Arbeiterklasse. Die Arbeiterbewegung hatte keine vernichtende Niederlage erlitten und hatte sich eine beachtliche Stärke erhalten. Eine zu weitgehende Zuspitzung der Konfrontation mit der Sowjetunion hätte die existierenden Konflikte weiter angefacht und womöglich unkontrollierbare Folgen gehabt. Zudem stellte die Umstellung der durch den Krieg aufgeblähten US-Industrie auf zivile Produktion ohne eine Überproduktionskrise ein diffiziles Problem dar. Trotz seiner ökonomischen und militärischen Überlegenheit mußte der US-Imperialismus die Konsequenz ziehen, daß es ein zu großes Risiko gewesen wäre, zu versuchen, all die Konflikte und Krisen heil zu überstehen und gleichzeitigen einen heißen Krieg mit der Sowjetunion – der zweitgrößten Militärmacht der Welt mit einer kampferfahrenen und selbstbewußten Armee – zu beginnen. Der US-Imperialismus konnte sich deshalb auf die Restabilisierung des Kapitalismus in Westeuropa, in Japan und im eigenen Land beschränken, weil er einen ökonomischen Ausweg hatte. Der Konsolidierung des Kapitalismus in seinen Kernländern sollte auf der Grundlage der Dynamik der US-Ökonomie eine weltweite Expansion, ein Boom der kapitalistischen Wirtschaft folgen. Bis Ende der 60er Jahre erwies sich dieses Projekt der US-Bourgeoisie als erfolgreich.

Ergebnis

Der Zweite Weltkrieg hat 60-80 Millionen Menschen das Leben gekostet. Zahlreiche Städte wurde völlig zerstört und ganze Landstriche verwüstet. Enormer materieller Reichtum, mit dem das Elend von zig Millionen Menschen beseitigt werden hätte können, wurde zur Zerstörung eingesetzt (weil die Profitlogik ersteres ausschließt und zweiteres hervorbringt). Dazu kamen kaum überschaubare Auswirkungen auf die Gesundheit und die Psyche von zig Millionen Menschen.

Die Folge des Krieges war die Weltherrschaft des über seine Konkurrenten siegreichen US-Imperialismus. Seine ökonomische Stärke ermöglichte für etwa 20 Jahre einen langen Aufschwung des Kapitalismus. Die materiellen Zerstörungen und Vernichtungen von Kapital waren diesmal (anders als nach dem Ersten Weltkrieg) groß genug, um ausreichend profitable Investitionen, einen Wiederaufbau, einen Boom zu ermöglichen. Der Kapitalismus ging frisch und gestärkt aus dem von ihm angezettelten Krieg hervor. Ihm hat das sechsjährige Massaker gut getan. Lediglich den Menschen hat es etwas weniger gut getan. Von ihnen gibt es allerdings, wie von besorgten Philosophen und sonstigen Vordenkern des Abendlandes immer wieder zu erfahren ist, ohnehin zuviel auf diesem Planeten.

Handelte es sich beim Zweiten Weltkrieg um ein einmaliges Opfer, das gebracht wurde, um die Gesellschaft aus einer Sackgasse herauszuführen? Oder war all die Zerstörung sinnlos? Vor allem in den 50er und 60er Jahren konnten die Propagandisten des Kapitalismus auf eine beispiellose Prosperität der internationalen Wirtschaft hinweisen, Durch die Kapitalvernichtung des Krieges konnten die Profitraten der Konzerne grundlegend saniert und sogar eine Weiterentwicklung der Produktivkräfte und eine lange Periode der relativen Stabilität und des relativen Wohlstandes für die Arbeiterklasse erreicht werden.

Doch die Betonung mußte auch damals bereits auf relativ liegen, im Vergleich zur Zwischenkriegszeit. Auch in den zwei Jahrzehnten des mehr oder weniger ununterbrochen Booms lebte die Mehrheit der Menschheit durch die Zwänge des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems in Armut und Elend. Millionen sind daran gestorben, an Krankheiten -weil sie unter unhygienischen Verhältnissen leben mußten (obwohl genug Arbeitskraft brach liegt und Überkapazitäten in der Produktion exisieren), weil sie sich Medikamente, die im Überschuß vorhanden sind, nicht leisten können – oder an Hunger (obwohl mehr als genug Lebensmittel hergestellt werden, Lebensmittel, die tonnenweise vernichtet werden, weil sie nicht profitabel loszuwerden sind). Seit 1945 ist kein Jahr ohne sogenannte lokale Kriege in irgendeiner Region der Welt vergangen. Die meisten davon waren imperialistische Interventionskriege gegen antiimperialistische Befreiungsbewegungen oder soziale Revolutionen. Viele waren mehr oder weniger direktes Ergebnis des Elends, nationalistische Kämpfe um den spärlichen Reichtum in halbkolonialen Ländern. Die Gesamtzahl der Opfer dieser Kriege übertrifft mittlerweile die des Ersten Weltkrieges.

Seit dem schrittweisen erneuten Auftreten der kapitalistischen Krise seit den späten 60er und frühen 70er Jahren haben die zerstörerischen Tendenzen des imperialistischen Kapitalismus noch mehr an Boden gewonnen. Der Preis dafür, daß der Kapitalismus den Zweiten Weltkrieg überlebt hat, wird immer größer. Die Entwicklung, daß sich die Produktivkräfte durch die kapitalistische Profitlogik immer mehr destruktiv auswirken, drückt sich nicht nur in periodischen Überproduktionskrisen und Weltkriegen aus. Sie setzt sich immer mehr in sämtlichen Bereichen durch: in der Produktion, im Konsum, in der Umwelt, in der menschlichen (physischen und psychischen) Gesundheit. Die konjunkturellen kapitalistischen Krisen in den letzten 25 Jahren, die den Boom nach 1945 abgelöst haben und die sich von Mal zu Mal etwas vertiefen, haben Massenarbeitslosigkeit auch in den westlichen Industrieländern wieder zur Normalität werden lassen. Entlassungen, verstärkte Arbeitshetze (inklusive den gesundheitlichen Folgewirkungen) und Existenzangst gehören auch für die westeuropäische und nordamerikanische Arbeiterklasse wieder zum Alltag.

Der Zweite Weltkrieg konnte einen neuen zeitlich beschränkten Boom hervorbringen und den Kapitalisten neue Profite sichern. Er konnte die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus aber in keinster Weise lösen. Der Kapitalismus bedeutet weiter Elend, zunehmend Destruktion in jeder Hinsicht und letztlich wieder die bereits einsetzende Dynamik zu Überakkumulationskrise, internationalen ökonomischen, politischen und schließlich militärischen Widersprüchen und imperialistischen Kriegen. Die grundlegende Ursache des zerstörerischen Charakters der kapitalistischen Produktionsweise in der imperialistischen Epoche bleibt aufrecht. Es ist die expansionistische Dynamik der Konkurrenz, der Kapitalakkumulation, des Imperialismus.

Der Kapitalismus steuert – nicht unmittelbar, aber unvermeidlich – auf eine neue tiefe ökonomische Krise und notwendigerweise letztlich auf seine Art der „Lösung“ der Widersprüche, auf einen neuen imperialistischen Krieg zu. Spätestens dann stellt sich unausweichlich und im wahrsten Sinne des Wortes die Alternative Sozialismus oder Barbarei. Wenn die organisierte Arbeiterbewegung die absurde Dynamik des Imperialismus diesmal nicht rechtzeitig stoppt, werden nicht nur zig Millionen Menschenleben, sondern die Existenz der Menschheit als solche zur Disposition stehen. Gegenwärtig befindet sich die Bourgeoisie in nahezu allen imperialistischen Ländern in einer doppelten Offensive, um die gestiegenen Schwierigkeiten der kapitalistischen Wirtschaften zu lindern: Erstens mit einem Angriff auf ökonomische und soziale Errungenschaften der Arbeiterklasse (mit der Begründung, daß alle der nationalen Interessen wegen den Gürtel enger schnallen müßten). Zweitens nach wie vor mit einem Abgesang auf den Sozialismus und letztlich jede Veränderung der Gesellschaft.

Die Bourgeoisie und die Rechte sind damit zur Zeit eindeutig am Drücker. Die dominanten Antworten auf die gegenwärtigen Krisensymptome der Kapitalismus sind einerseits resignative Unterordnung unter die Sachzwänge der Rentabilität (des Profits) und die verordnete Notwendigkeit des Sparens und andererseits Rassismus und Nationalismus. Aber auch wenn diese Antworten vorherrschend sind, so sind sie doch nicht die einzigen. In vielen europäischen Ländern zeigt die Arbeiterbewegung trotz ihrer politischen Defensive und ihren abwieglerischen Führungen ihre Kampfbereitschaft für ihre Interessen. Die gegenwärtigen Kämpfe sind Verteidigungskämpfe, aber dennoch hat die internationale Arbeiterklasse noch keine so einschneidende Niederlage hinnehmen müssen wie in den 30er Jahren. Sie verfügt über starke Organisationen und viele Errungenschaften. Der Verweis auf das Scheitern des realen Sozialismus (d.h. auf die stalinistische Bürokratenherrschaft) wird auch nicht mehr ewig als Rechtfertigung für die zunehmenden Ungemütlichkeiten der besten aller möglichen Gesellschaften durchgehen. Die entscheidende Auseinandersetzung zwischen den Klassen steht jedenfalls – auch und vor allem weil die kapitalistische Krise noch nicht die Tiefe erreicht hat, die ein solches show-down für die Bourgeoisie unumgänglich machen würde – noch bevor. Ob dabei die Bourgeoisie mit nationalistischer Verhetzung siegen wird oder ob es einer internationalistischen Arbeiterbewegung gelingt, vorher mit der Bourgeoisie und ihren Handlangern aufzuräumen, ist noch offen. Es wird unter anderem davon abhängen, ob es der Arbeiterbewegung gelingt, sich von der reformistischen Bindung an die eigene Bourgeoisie inklusive ihres „demokratischen“ Teils zu befreien. Erst dadurch kann die Arbeiterklasse eine unabhängige internationalistische Politik entwickeln, die Herrschaft des Kapital und ihren unterdrückerischen imperialistischen Staat zerschlagen und den Weg in eine arbeiterdemokratische sozialistische Weltrepublik eröffnen. Die Arbeiter haben kein Vaterland!

 
Fußnoten:


1 W.I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, 1916; in: Lenin Werke 22, S.270f; Lenins Schrift stützte sich auf Rudolf Hilferdings Das Finanzkapital, 1910, und Nikolai Bucharins Imperialismus und Weltwirtschaft, 1915; siehe dazu auch: Imperialismus und marxistische Theorie (Marxismus Nr. 7, 1996) – www.agmarxismus.net (vergriffene Nummern von Marxismus)

2 Über den freien Weltmarkt, ungleiche Handelsbeziehungen, die erzwungene einseitige Exportabhängigkeit und die gezielt aufrechterhaltene technologische Rückständigkeit der halbkolonialen Länder sichern sich die imperialistischen Konzerne die Ausbeutung und Kontrolle dieser Länder. Die internationalen Zusammenschlüsse der Imperialisten (heute der Internationale Währungsfonds/IWF und die Weltbank) halten mit Zins und Zinseszins im Anschlag die Halbkolonien im Teufelskreis von Verschuldung und Rückständigkeit, von Instabilität und Bürgerkrieg fest. Falls das alles nichts nützt und ein halbkoloniales Land gegen diese System aufbegehrt, stehen noch die technologisch überlegenen Armeen der imperialistischen Staaten zur Verfügung, um die Ausbeutungsmechanismen und die Interessen der großen Konzerne durchzusetzen. Imperialismus bedeutet für die überwältigende Mehrheit der Menschheit Armut und Elend, obwohl genug Reichtum vorhanden wäre, um zumindest die Grundbedürfnisse der gesamten Menschheit zu erfüllen. Der imperialistische Kapitalismus sorgt dafür, daß Lebensmittel lieber verrotten, Produkte lieber verschrottet werden, als daß sie konsumiert werden können, daß Produktionskapazitäten und menschliche Arbeitskraft lieber brach liegen, als daß sie für sozial oder ökologisch sinnvolle Arbeiten genutzt werden können. Die Logik des Profits läßt nichts anderes zu.

3 Ernest Mandel, Der Zweite Weltkrieg, Frankfurt/Main, 1991, S.46f; ein über weite Strecken ausgezeichnetes und sehr empfehlenswertes Buch, dessen Informationen und Einschätzungen der vorliegende Artikel viel verdankt;

4 siehe u.a. Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mächte, Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000, Frankfurt/Main, 1989

5 siehe u.a. Alan S. Milward, Der Zweite Weltkrieg. Krieg, Wirtschaft und Gesellschaft 1939-45, München, 1977

6 Sogar die Nazis entwickelten im besetzten Europa völlig unterschiedliche Herrschaftsmethoden: Kooperation und Integration gegenüber dem dänischen, niederländischen, belgischen und französischen Bürgertum auf der einen Seite; brutalste Unterdrückung und Vernichtung und gegenüber der Sowjetunion, Polen, Serbien, der jüdischen Bevölkerung etc. auf der anderen Seite; siehe dazu z.B. das entsprechende Kapitel in: Norbert Frei/Hermann Kling (Hrsg.), Der nationalsozialistische Krieg, Frankfurt am Main/New York, 1990

7 siehe u.a. das interessante, wenn auch in etlichen Punkten nicht zu unterstützende Buch von A.J.P. Taylor, The Origins of the Second World War, London 1964

8 Leo Trotzki, Porträt des Nationalsozialismus, Postskriptum vom 2.11. 1933; siehe Reprint in dieser Ausgabe von Marxismus

9 siehe u.a. Friedrich Forstmeier/Erich Volkmann (Hrsg.), Wirtschaft und Rücstung am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, Düsseldorf, 1981; Dietrich Eichholz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft, Berlin, 1984; E.M. Robertson, Hitler`s Pre-War-Politics and Military Plans, London, 1964; E.M. Robertson (Hrsg.), The Origins of the Second World War, London, 1971 (v.a. der Beitrag von T.W. Mason)

10 Den Preis dafür zahlte zu beträchtlichen Teilen die deutsche Arbeiterklasse: Zehntausende Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Stalinisten, Trotzkisten verschwanden in der Lagern und Kerkern der Gestapo und SS, zehntausende politisch verfolgte oder jüdische Arbeiter wurden in die Emigration getrieben – wodurch etliche Arbeitsplätze für die ordentliche Beschäftigungspolitik frei wurden. Statt einer betrieblichen Interessensvertretung gab es jetzt die sogenannte Betriebsgemeinschaft unter Führung des Unternehmers, der bei allen Fragen ein Veto hatte und dessen Entscheidungen nirgends beeinsprucht werden konnten. Die Reallöhne gingen drastisch zurück, von 1933 bis 1935 um 38% und bis 1937 noch einmal um 12% (zitiert nach: Jürgen Kuczynski: Die Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Band 6: Darstellung der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1933 bis 1945, S. 237). Das ermöglichtes es für die Kapitalisten, für dasselbe Geld mehr Leute einzustellen. Arbeitstempo und Arbeitsüberwachung wurden verschärft. Auf die Rückkehr zum 9-Stunden-Tag folgte die zum 10-Stunden-Tag. Die neu entstandenen Arbeitsplätze wurden so bedeutend durch das Senken des Lebensstandards der Arbeiterklasse geschaffen. Der Anteil der Löhne und Gehälter gemessen am gesamten Volkseinkommen nahm ständig ab, während der der Gewinne anstieg. Die offen ausgewiesenen unverteilten Profite der Konzerne explodierten zwischen 1934 und 1938 um das Zwanzigfache von 175 Millionen RM auf 3,42 Milliarden RM (Angabe nach Elisabeth Behrens: Arbeiterkampf und kapitalistischer Gegenangriff unter dem Nationalsozialismus, in: Karl Heinz Roth: Die „andere“ Arbeiterbewegung, München 1977, S. 108).

11 In den Jahren 1938/39 rutschte die Wirtschaft in eine schwere Finanzkrise. Ein riesiges Haushaltsdefizit war die Folge: öffentlichen Ausgaben in der Höhe von 55 Milliarden Reichsmark in den Jahren 1938/39 (63 Milliarden in den Jahren 1939/40) standen nur 18 Milliarden an Steuer- und Zolleinnahmen gegenüber. Ein gewaltiger Anstieg der Verschuldung der öffentlichen Hand war die Folge. Die Inflation konnte immer weniger eingedämmt werden. Zwischen dieser Entwicklung und der Entscheidung für den Blitzkrieg besteht ein direkter Zusammenhang.

12 Adolf Hitler, Monologe im Führerhauptquatier 1941-1944, S. 110; siehe auch: Jochen Thiess, Architekt der Weltherrschaft: Die Endziele Hitlers, Düsseldorf 1976; Wolfgang Schumman/Ludwig Nestle (Hrsg.), Weltherrschaft im Visir: Dokumente zu den Europa- und Weltherrschaftsplänen des deutschen Imperialismus von der Jahrhundertwende bis Mai 1945, Berlin 1975.

13 siehe H.R. Trevor Roper, Hitler´s War Directives 1935-1945, London 1966

14 Adolf Hitler, a.a.O., S.163

15 Willi A. Boehlcke (Hrsg.), Wollt ihr den totalen Krieg? Die geheimen Goebbels-Konferenzen 1939-1943, Stuttgart 1967

16 ebd., S.362

17 So unterstützte Großbritannien in Argentinien hinter den Kulissen die Peronisten gegen den US-Imperialismus.

18 Während die deutsche Wiederaufrüstung 1933 begann, setzte die britische erst 1936/37 ernsthaft ein.

19 Wo der “Demokrat” Churchill wirklich stand, zeigt ein Blick auf seine Biographie: rabiater Gegner der russischen Revolution, in den 20er Jahren Befürworter einer militärischen Intervention gegen die Sowjetunion; aktiver Gegner des britischen Generalstreiks von 1926; Verurteilung des Kampfes der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg; geringschätzige haßerfüllte Feindschaft gegen die indische Unabhängigkeitsbewegung; glühender Verteidiger des Empires; Rassist, der seine Verachtung für Nichtweiße u.a. darin ausrückte, daß er im Herbst 1943 alles daransetzte, um jede Hilfe für die Hungersnot in Bengalen, die durch die britische Militärpolitik verursacht wurde und Millionen Tote kostete, zu unterbinden; Bewunderer Mussolinis, der selbst mitten im Krieg, als der Duce gestürzt wurde, noch schrieb: “(…) er hat das italienische Volk (!) vom Bolschewismus, in den es 1919 beinahe versunken wäre, zu einer Position in Europa erhoben, wie sie Italien nie zuvor gehalten hat.” (The Second World War, Bd.9, S.45); sein Privatsekretär war der von Camberlain übernommene aristokratische Snob John Colville, der sich 1939 gegen die Veröffentlichung eines Weißbuches über die KZs der Nazis aussprach, weil die Beweise “aus vorurteilsvollen Quellen” stammen würden; kurz nach Kriegsende ist schließlich folgender Ausspruch Churchills über Nazideutschland und die Sowjetunion bekannt geworden: Wir haben das falsche Schwein geschlachtet.

20 siehe den Artikel zu Griechenland in der Nr. 4 von Marxismus

21 siehe u.a. Jon Halliday, A Political History of Japanese Capitalism, London, 1975

22 Die Führung der USA war von diesem Angriff vermutlich vorzeitig informiert gewesen, weshalb im Hafen vor allem relativ alte Kriegsschiffe vor Anker lagen, die keinen so großen Verlust darstellten. Während man wertvolles Kriegsgerät in Sicherheit brachte, opferte man unzählige Matrosen, um die japanische Aggression als eine plötzliche, überraschende, gegen die friedliebende Bevölkerung der USA gerichtete hinstellen zu können. Das Leben dieser Matrosen war der Militärführung ebensowenig wert wie das der Soldaten, die gegen Ende des Krieges für Atomversuche in der Wüste im Südwesten der USA eingesetzt wurden.

23 Es fand in den USA eine antijapanische Hetze statt, die nur mit der antideutschen im Ersten Weltkrieg vergleichbar ist, als es zu zahllosen gewalttätigen Ausschreitungen gegen deutschstämmige Amerikaner kam und Hunderttausende ihre Namen anglisierten (Neumann/Newman, Müller/Miller etc.). Am Beginn des Krieges mit Japan wurden in der größten Demokratie der Welt alle amerikanischen Staatsbürger japanischer Abstammung, d.h. ohne Rücksicht auf politische Gesinnung oder staatsbürgerliche Loyalität, als Feinde, Saboteure und Spione in Lagern interniert. Wieder wurden Pogrome geschürt.

24 Robert E. Sherwood, Roosevelt and Hopkins, New York, 1950

25 Gabriel Kolko, The Politics of War: The World and the United States Foreign Policy 1943-45, New York, 1970; siehe auch Robert Coakley/Richard Leighton, Global Logistics and Strategy 1943-1945, Washington, 1968

26 Sherwood, a.a.O.

27 Leo Trotzki, Lenin und der imperialistische Krieg, 1938; siehe auch: Leo Trotzki, Krieg und die IV. Internationale, 1934 (in dieser Ausgabe von Marxismus); und: W.I. Lenin, Sozialismus und Krieg, 1915

28 Abgesehen von den russischen Bolschewiki, der serbischen und bulgarischen Sozialdemokratie waren es nur kleine Minderheiten in den Arbeiterparteien der verschiedenen Ländern (wie z.B. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg), die eine internationalistische Position gegen den Krieg bezogen.

29 In Italien führte die Schwäche des dortigen Imperialismus bereits 1922 zur Etablierung eines faschistischen Systems als Notstandsregime der Bourgeoisie gegen die Arbeiterbewegung.

30 siehe dazu den entsprechenden Beitrag in Nummer 3 von Marxismus

31 Leo Trotzki, Ein Schritt zum Sozialpatriotismus, 1939; siehe zu diesem Thema auch die Artikel zum Faschismus in dieser Ausgabe von Marxismus

32 siehe v.a. Jeremy Brecher, Streiks und Arbeiterrevolten, Amerikanische Arbeiterbewegung 1877-1970, Frankfurt/Main, 1975

33 siehe u.a.: William S. Allen, in: J. Schnadecke/P. Steinbach (Hrsg.), Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, München 1985

34 zum deutsch-sowjetischen Krieg siehe u.a. folgende Literatur: Richard Lorenz, Sozialgeschichte der Sowjetunion 1917-1945, Frankfurt/Main 1976; Hans Schafranek/Robert Streibel (Hrsg.), 22. Juni 1941, Der Überfall auf die Sowjetunion, Wien, 1991; John Erickson, The Road to Stalingrad, London, 1975.

35 Sogenannte “neuere Forschungen” einiger (v.a. deutscher) Historiker versuchen die Verantwortung der Nazis für den deutsch-sowjetischen Krieg zu relativieren, eine Kriegsabsicht der Sowjetunion zu konstruieren und den faschistischen Überfall als eine Art Präventivkrieg hinzustellen. Sie “stützen” sich dabei v.a. auf einige angeblich völlig neue Informationen aus sowjetischen Archiven, in Wirklichkeit auf die altbekannten Tatsachen, daß im Mai und Juni 1941 einige Truppenverbände aus dem inneren Militärbezirk in den Westen vorrückten (in die durch den Hitler-Stalin-Pakt annektierten Gebiete Ostpolen, Litauen, Lettland, Estland, Moldawien – wo sie allerdings auch nicht auf den Überfall vorbereitet waren). Zu gewünschten Ergebnis kommen die revisionistischen “Historiker” nur durch die ausschließliche und (wohl gezielt) fehlinterpretierte Konzentration darauf und auf andere Detail und durch eine systematische Ignorierung der überwiegenden Fakten, die genau das Gegenteil belegen (siehe auch zu diesem Thema das oben erwähnte, ausgezeichnete, von Schafranek/Streibel herausgegebene Buch).

Zu der revisionistischen Ansicht kann man außerdem nur durch ein komplettes Unverständnis von imperialistischen Kriegen und von den Bewegungsgesetzten einer (bürokratischen) Planwirtschaft kommen. Während die Profitlogik des Kapitalismus notwendigerweise zur Klärung der innerimperialistischen Widersprüche durch Krieg treibt, hat die bürokratische Kaste einer bürokratisierten Planwirtschaft alles andere als ein Interesse am Krieg. Denn Krieg bedeutete für die Sowjetbürokratie, deren überstürztes und schlecht organisiertes Industrialisierungsprogramm den Massen bereits ungeheure Opfer abverlangte, die Notwendigkeit, weiter Ressourcen vom Massenkonsum weg (hin zur Kriegsproduktion und zur Kriegsführung) zu verlagern und damit die Widersprüche zwischen Bürokratie und Arbeiterklasse zuzuspitzen, ohne daraus einen Vorteil zu haben wie die imperialistische Kapitalistenklasse, die durch Krieg ihre Profite erhöhen kann.

36 siehe z.B.: Gerhard Bisovsky/Hans Schafranek/Robert Streibel, Der Hitler-Stalin-Pakt, Wien 1990

37 Die Feindschaft gegen den Faschismus wird hier also mit Aberglauben gleichgesetzt – eine doch recht bemerkenswerte Sichtweise für einen angeblichen Marxisten. Anstatt aufzuzeigen, daß die britischen Bourgeoisie für ihre imperialistischen Interessen kämpft und nicht wirklich gegen den Faschismus, wirft ihr Molotow letzteres vor!

38 Tausende deutsche und österreichische Kommunisten, deren politische Meinung es war, das ideologische System des Hitlerismus abzulehnen und deshalb in die Sowjetunion flüchten mußten, wurden während des Hitler-Stalin-Paktes als Unzuverlässige in Lager interniert und ermordet, hunderte von ihnen an die Gestapo ausgeliefert; siehe: Hermann Weber, “Weiße Flecken” in der Geschichte, Die KPD-Opfer der Stalinschen Säuberungen und ihre Rehabilitierung, Frankfurt/Main, 1989; Hans Schafranek, Zwischen NKWD und Gestapo, Die Auslieferung deutscher und österreichischer Antifaschisten aus der Sowjetunion 1937-1941, Frankfurt/Main, 1990; Hans Schafranek (Hrsg.), Die Betrogenen, Österreicher als Opfer stalinistischen Terrors in der Sowjetunion, Wien 1991

39 V. M. Molotow, Rec po radio Predsedatelja Soveta Narodnych Komissarov SSSR, 17. sentjabrja 1939

40 Josef Stalin, Prawda vom 30. November 1939, zitiert nach: Richard Lorenz, a.a.O.

41 Leo Trotzki, Manifest der IV. Internationale zum imperialistischen Krieg und zur proletarischen Weltrevolution, 1940

42 Es ist freilich kein Zufall, daß gerade Mitte der 30er Jahre (zur Zeit der Moskauer Prozesse) diese Veränderung stattfand. Die Bürokratie verfestigte ihren abgehobenen bürgerlichen Staatsapparat und beseitigte die Reste der revolutionären Roten Armee (siehe dazu auch: Leo Trotzki, Die Verratene Revolution, 1935/36; und den Beitrag Stalinismus und marxistische Staatstheorie in Nummer 2 von Marxismus). Während des Großen vaterländischen Krieges legte die Rote Armee dann auch ihren Namen ab.

43 siehe dazu auch: Leo Trotzki, Die Enthauptung der Roten Armee, 1937

44 60 oder 80 Millionen je nachdem, ob man auch die indirekten Opfer des Krieges (z.B. durch Hungersnöte, die durch den Krieg verursacht wurden) miteinbezieht.

45 Ernst Klee/Willi Dreßen, “Gott mit uns”, Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten 1939-1945, Frankfurt/Main, 1989

46 Ernest Mandel, Der Zweite Weltkrieg, a.a.O., S.65; in dieser Formulierung liegt eine gewisse Ironie, da Henry Ford selbst ein früher Unterstützer Adolf Hitlers gewesen und persönlich gegen den Kriegseintritt der USA eingestellt war; siehe auch: James und Suzanne Pool, Who Financed Hitler?, New York 1978

47 H.C. Hillman, Comerative Strength of the Great Powers, in: Toynbee (Hrsg.), World in March 1939, London 1952; zitiert nach: Kennedy, a.a.O

48 Dieter Petzina, Die deutsche Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit, Wiesbaden, 1977

49 siehe dazu v.a. Richard Lorenz, a.a.O.

50 Neben der fehlenden Vorbereitung des Landes auf den Krieg sind vor allem folgenden Faktoren zu nennen: 1) Unterdrückung der Selbsttätigkeit und Initiative der Arbeiterklasse durch ihre bürokratische Herrschaft; 2) Propagierung des Krieges als Großen Vaterländischen Krieg (als Krieg zwischen Nationen; Stalin bezeichnete den Sieg gegen Japan sogar als Revanche Rußlands für die Niederlage – des zaristischen Rußland – im russisch-japanischen Krieg 1904/05!) anstatt als internationalen Klassenkampf und damit Verzicht auf eine systematische Ausnutzung der Klassenwidersprüche im feindlichen Lager.

51 In zwei zentralen Dokumenten (“Wirtschaftspolitische Richtlinien für Wirtschaftsorganisation Ost”; “Richtlinien für die Führung der Wirtschaft in den neu besetzten Ostgebieten”) wird ein detailliertes Programm zu Kolonisierung der Sowjetunion formuliert, das das Ziel hatte, den europäischen Teil der Sowjetunion in eine Agrarkolonie zu verwandeln, und ausdrücklich die Vernichtung ganzer Völkerschaften einschloß. Es sollte eine hermetische Abriegelung der landwirtschaftlichen Zuschußgebiete im Norden von den Überschußgebieten im Süden stattfinden: “Daraus folgt zwangsläufig ein Absterben sowohl der Industrie wie eines großen Teils der Menschen in den bisherigen Zuschußgebeiten.” In einer Aktennotiz vom 2. Mai 1941 heißt es offenherzig: “1. Der Krieg ist nur weiterzuführen, wenn die gesamte Wehrmacht im dritten Kriegsjahr aus Rußland ernährt wird. 2. Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Land herausgeholt wird. 3. Am wichtigsten ist die Bergung und Abtransport von Ölsaaten, Ölkuchen, dann erst Getreide. Das vorhandene Fett und Fleisch wird voraussichtlich die Truppe verbrauchen. 4. Die Beschäftigung der Industrie darf nur auf Mangelgebieten wieder aufgenommen werden.”; zitiert nach Richard Lorenz, a.a.O.

52 Im Gegensatz zu einer ursprünglich von deutschen Generälen und seitdem von unzähligen Historikern verbreiteten Legende betont der sowjetische Marschall Tschuikow wohl zurecht, daß Hitlers Entscheidung, um jeden Preis an Stalingrad festzuhalten, nicht so irrational war, wie es schien. 350.000 sowjetische Soldaten wurden durch den anhaltenden Widerstand der 6. Armee um Stalingrad gebunden und konnten nicht eingesetzt werden, um – wie geplant – die gesamte Heeresgruppe A im Kaukasus bei der Mündung des Don bei Rostow abzuschneiden. Hitler opferte eine viertel Million deutsche Soldaten (plus Verbündete – Italiener, Rumänen …), um 1,5 Millionen deutsche und verbündete Soldaten vor der Vernichtung zu retten; siehe: Mandel, Der Zweite Weltkrieg, a.a.O.

53 zitiert nach Richard Lorenz, a.a.O.

54 Ein Brief Churchills an Roosevelt vom 15. Juni 1940 enthält neben einem Element von Panikmache, um mehr US-Hilfe zu bekommen, auch eine richtige Grunderkenntnis: “Obwohl die gegenwärtige Regierung und ich persönlich auf jeden Fall die Flotte über den Atlanzik schicken würden, wenn der Widerstand hier niedergschlagen wäre, könnte ein Punkt der Auseinandersetzung erreicht werden, bei dem die jetzigen Minister die Dinge nicht mehr kontrollieren und wo sehr günstige Bedingungen für die britischen Inseln erreicht werden könnten, wenn sie ein Vasallenstaat von Hitlers Reich würden. Sicherlich würde eine prodeutsche Regierung ins Leben gerufen, um Frieden zu schließen, und sie könnte einer zerrütteten und hungernden Nation eine beinahe unwiderstehliche Forderung nach vollständiger Unterwerfung unter den Willen der Nazis antragen. (…) Wenn wir untergehen, hätten sie wohl Vereinigte Staaten von Europa unter Nazi-Herrschaft sich gegenüber, die viel zahlreicher, viel stärker und viel beser bewaffnet wären als die Neue Welt.”

55 zitiert nach Barton J. Bernstein, Confrontation in Eastern Europe, in: Thomas G. Paterson (Hrsg.)

56 Der (Ex-)Faschist Badoglio und der König dramatisierten sofort die “kommunistische Gefahr”, um günstige Waffenstillstandsbedingungen zu erreichen. “Die Faschisten haben die Mittelklassen zerstört. Die Roten sind in Mailand und Turin in Massen auf die Straße gegangen. Der König und die sich um ihn gruppierenden Patrioten sind die einzig übriggebliebene Kraft, um den überhandnehmenden Bolschewismus daran zu hindern, die Macht zu ergreifen.”, erzählte Badoglios Bevollmächtigter Marchese d´Ajeta dem britischen Gesandten (siehe: Churchill and Roosevelt: The Complete Correspondence, Bd.2)

57 Während des Generalstreiks bombardierten die alliierten Luftstreitkräfte die italienischen Arbeiterstädte.

58 Abgesehen von der Angst vor der italienischen Revolution trug auch der Abzug von tausenden britischen Soldaten zur Niederschlagung der Revolution in Griechenland (siehe Artikel in dieser Ausgabe von Marxismus) zur Verzögerung des Vormarsches bei. Churchill erkannte recht klar, daß die Hartnäckigkeit der deutschen Truppen in Italien letztlich einen alliierten Vormarsch über Norditalien, Slowenien, Kärnten/Steiermark nach Wien, Budapest und Prag verhindete und damit (neben dem bedeutenden sowjetischen Sieg am Pruth, der der Wehrmacht riesige Verluste beibrachte und den sowjetischen Vormarsch stark beschleunigte) wesentlich dazu beitrug, daß Ostmitteleuropa sowjetisch wurde. Trotz dieser Erkenntnis war die Furcht vor der italienischen und griechischen Revolution Priorität für die Alliierten.

59 zitiert bei: Kolko, a.a.O.

60 siehe Ernest Mandel, Der Zweite Weltkrieg, a.a.O.

61 Dabei spielte auch die Führung der KPF selbst eine wichtige Rolle. Der loyale Stalinist Maurice Thorez setzte die Linie Stalins in Frankreich um, d.h. er orientierte sich auf ein strategisches Bündnis, eine Volksfront, mit der Bourgeoisie und auf die Wiederherstellung eines kapitalistischen Frankreichs. Die Folge war eine zutiefst nationalistische Politik und ein systematisches Zurückhalten der radikaleren Basis in der KPF und der Arbeiterklasse. Über die Motivation der antiklassenkämpferischen Politik der stalinistischen Bürokratie: siehe oben.

62 – was für die erneute Festigung der Herrschaft der französischen Bourgeoisie große Bedeutung hatte, an der späteren US-Hegemonie über Westeuropa, die sich ja auf eine enorme ökonomische und militärische Überlegenheit stützte, aber auch nichts änderte. Letztlich ließen sich wohl die USA überzeugen, daß die “britische” Option auch für die USA die bessere war.

63 Chicago Tribune (10.1.1942)

64 Winston Churchill, a.a.O.

65 Stauffenberg & Co. wollten u.a. auch einer Widerstands- und Aufstandsbewegung wie in Italien zuvorkommen. In einem Memorandum von Stauffenberg heißt es ausdrücklich: “Die bolschewistische Politik wird in bezug auf das Reich durch gewisse Ähnlichkeiten im politischen und wirtschaftlichen Aufbau bei allerdings verschiedener sozialer Struktur begünstigt. Außerdem bilden die sozialistische Arbeiterschaft, die radikalisierte deutsche Jugend sowie 12 Millionen ausländische Arbeiter im Reich einen günstigen Nährboden.”; siehe: Spiegelbild einer Verschwörung

66 Um die Mentalität dieser Leute zu verstehen, ist es eindrucksvoll, das Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (herausgegeben von Percy E. Schramm, München, 1982) in diesen letzten Phasen des Krieges zu studieren.

67 sehr schön nachzulesen im Teilband II 1944-1945 im Kriegstagebuch des OKW, a.a.O.

68 Die Berichte der SS verzeichnen bei nahezu allen Fällen von Lohnkürzungen häufige Proteste der Arbeiterklasse. Als die Mobilisierung für den “totalen Krieg” 1943 zur weitgehenden Ersetzung männlicher Arbeitskräfte durch weibliche führte (wovon die Frauen der Oberschicht explizit ausgenommen waren, weil das nach Hitlers Worten “nicht standesgemäß” sei – was den Klassencharakter des Faschismus erneut bestätigt) und die Unternehmer diese Gelegenheit dazu benutzten, die Löhne nochmals um 20% zu kürzen, protestierten sowohl Frauen als auch Männer dagegen.

69 Diese Haltung ist wohl zum Großteil politisch begründet, darin, daß die meisten Historiker vor allem in den Kategorien von Nationen denken und nicht in denen von Klassen, daß für sie deshalb Faschismus etwas mit “den Deutschen” zu tun hat und weniger oder gar nichts mit der Bourgeoisie und dem Kapitalismus, daß für sie der Zweite Weltkrieg ein Krieg zwischen “den Deutschen” auf der einen und “den Amerikanern” und “den Russen” auf der anderen Seite ist. Dazu kommt die nach dem Krieg von den herrschenden Klassen der Alliierten zur Verwischung der Spuren, die zum Kapitalismus hätten führen können, verbreitete Legende von der Kollektivschuld “der Deutschen”. Insgesamt beweist die Unterbewertung des deutschen Widerstandes durch bürgerliche und reformistische Historiker vor allem auch, wie lächerlich die von ihnen aufgestellte These von der “Objektivität”, “Unvoreingenommenheit” und “Neutralität” von Wissenschaft und Forschung ist. Jede Wissenschaft dient einer Klasse, Wissenschaftler, die das bestreiten, (möglicherweise unbewußt, aber dennoch) der bürgerlichen, denn sie tragen dazu bei, die Klassenwidersprüche der Gesellschaft zu verdecken. Zur Frage der Kollektivschuld “der Deutschen” sei hier noch angemerkt, daß bei den Wahlen im November 1932, den letzten freien (bürgerlich-) demokratischen Wahlen vor der Machtergreifung der Nazis im Jänner 1933, die beiden Arbeiterparteien zusammen (SPD und KPD) mehr Stimmen hatten (37,3%) als die NSDAP (33,1%). Bei den Wahlen zu den Vertrauensräten in den Betrieben im Frühjahr 1934 stimmten – trotz Druck von Management und NSDAP – nur 26% der Belegschaften für die Nazilisten, 74% enthielten sich oder stimmten dagegen. Als ein Jahr später keine besseren Ergebnisse erzielt werden konnten, wurden die Abstimmungen nicht mehr wiederholt (zitiert nach: Elisabeth Behrens: Arbeiterkampf und kapitalistischer Gegenangriff unter dem Nationalsozialismus, in: Karl Heinz Roth: Die „andere“ Arbeiterbewegung, München 1977, S. 116). Von einer riesigen Mehrheit des deutschen Volkes oder gar der deutschen Arbeiterschaft, die die Nazis an die Macht gebracht und unterstützt hätten, kann also keine Rede sein – ganz im Gegensatz zu einer Mehrheit der deutschen Bourgeoisie und etlichen Kapitalisten und Politikern aus anderen Ländern.

70 An dieser Stelle ist mit aller Deutlichkeit festzustellen, daß der deutschen und internationalen Rechten (z.B. dem britischen Revisionisten David Irving), der es um die Rechtfertigung und Verharmlosung der Nazi-Verbrechen geht, jede Empörung über die alliierten Verbrechen gegen die deutsche Zivilbevölkerung abzusprechen ist. Schließlich ging dem alliierten Bombenterror der des deutschen Imperialismus gegen Warschau, Rotterdam, London, Coventry, Belgrad etc. voraus.

71 zitiert nach Ernest Mandel, a.a.O.

72 Und selbst in diesen hatte man anfänglich gar nicht vor, den Kapitalismus zu stürzen und demobilierte bis unterdrückte antikapitalistische Bewegungen der osteuropäischen Arbeiterklasse. Man wollte lediglich verbündete kapitalistische Staaten schaffen, die durch Verträge und militärische Präsenz an die Sowjetunion gebunden sein sollten.

73 In China befand sich die sowjetische Bürokratie in dieser Phase in einer heiklen politischen Lage, da in China der Bürgerkrieg zwischen den (durchaus stalinistischen) “Kommunisten” Maos und den Nationalisten Tschiang Kai-scheks im Gang war, in dem die Sowjetunion offiziell letzteren unterstützte. Da sie Tschiang nicht unterstützen konnte und Mao nicht unterstützen wollte, entzog sie sich dem Dilemma durch Rückzug.

74 siehe die Beiträge in Marxismus Nr.2, die sich mit der Frage des Klassencharakters der stalinistischen Staaten eingehend beschäftigen.

75 Ludwig Erhard (Wirtschaftsminister und sogenannter “Vater des Wirtschaftswunders”), Otmar Emminger (später Chef der Deutschen Bundesbank), Hermann Abs (Chef der Deutschen Bank, der größten Privatbank Deutschlands) und Konrad Adenauer (führender politischer Prokurist der deutschen Bourgeoisie in der Nachkriegszeit und graue Eminenz)

76 Ohlendorf war zuvor Befehlshaber von SS-Einheiten, die in Rußland mit dem Massenmord an Juden, Kommunisten, Partisanen etc. beauftragt war.

77 zitiert nach Ernest Mandel, a.a.O.

78 ebd.