Werner Schwab: Anachronismus Theater

„Dichter ist ja nur dann lustig, wenn man ein berühmter Dichter ist. Ein unbekannter Dichter ist ein Schas.“ – so der vor 15 Jahren verstorbene Theaterautor Werner Schwab. Wir beschäftigen uns hier mit seinem „literarischen Konzept“ und fragen mit Schwab nach der politischen Relevanz von Theater.

Biographisches

Werner Schwab wurde am 4. Februar 1958 in Graz geboren. Der Vater verließ die Mutter kurz nach der Heirat. Schwab: „Er hat während der Nazi-Zeit im Lebensborn arische Kinder gezeugt und danach so weitergemacht, viermal geheiratet und sich von seinen Frauen aushalten lassen.“ (zitiert nach einem Programmheft zur Aufführung von „Die Präsidentinnen“ in Köln 1996) Die Mutter, bei der Schwab aufwächst, ist eine katholisch-konservative Hausmeisterin und Putzfrau aus dem provinziellen südoststeirischen Jagerberg.

Nach einer Kindheit unter elendigen Wohnbedingungen in feuchten Kellerzimmern kauft die äußerst sparsame Mutter Aloisia Schwab schließlich 1970 eine kleine Eigentumswohnung in Graz. „Der Werner war glücklich und hat gesagt, jetzt hamma a Bad und alles“, erzählt sie später einem Journalisten (zitiert nach: Helmut Schödel, Die Zeit, 4.11.94).

Nach dem Hauptschulabschluß auf – laut eigener Aussage – „einer der letzten großen Prügelschulen“ ging Schwab auf die Kunstgewerbeschule in Graz („eher nur zufällig, wegen meiner langen Haare damals“), wo er mit Bildhauerei anfing. Interesse für Free-Jazz. Geschrieben hätte er „eigentlich von dem Augenblick an, wo ich's in der Schule gelernt hab“.

1978 bis 1982 Studium an der Akademie der bildenden Kunst in Wien („Skulpturen aus verderblichen Materialien“). Spielte um Geld Schach und schwärmte für die „Einstürzenden Neubauten“. Diese Zeit hat Schwab angeblich nur als „einzige Sauferei“ in Erinnerung. Schreibt Prosa „aus Gründen der Autokommunikation und Selbstorganisation“, wäre aber angeblich „nie auf die Idee gekommen, ins Theater zu gehen.“ (Basta 11/92)

1982 ging er in die Südoststeiermark, wo er als Holzfäller („meistens im Akkord“) und Gelegenheitsarbeiter Geld verdiente. Vom Schlachter holte er sich Kuhköpfe, legte sie in den Wald und beobachtete die Ameisen, die über den Kadaver zogen. Die abgefressenen Schädel verwendete er für Skulpturen. In der steirischen Provinz probierte er, ob er mit seinem Schreiben allein sein könnte, lernte dort, den Begriffen zu mißtrauen und legte sich seine spezifische Sprache (das „Schwabische“) zu. (nach. Der Spiegel, 12.10.92)

Schwab verfaßt sein erstes Theaterstück: „Die Präsidentinnen“, und schickt es im Juni 1988 an die Dramaturgie des Burgtheaters, wo es in einer hausinternen Aktennotiz wie folgt bewertet wurde: „Drei Frauen und Anverwandte in einer schmuddligen Wohnküche.  Dialoge um individuelle und Familienprobleme im kleinstbürgerlichen Milieu. Primitive realistische Dialoge mit bayrischem Sprachanklang, durchbrochen von bemerkenswerter obszöner Phantasie. Durch mangelndes Sprachvermögen des Autors vieles unfreiwillig komisch. Eine surrealistische Farce, die (auch dramaturgisch) im Chaos endet. Nicht aufführbar.“ (zitiert nach dem Programmheft zur Aufführung von „Die Präsidentinnen“ im Akademietheater 1994) Ende Dezember 1989 wird Schwab von der Ablehnung informiert.

Dieser war mittlerweile, Ende 1988 (nach sechs Jahren Südoststeiermark), wieder nach Graz zurückgekehrt, wo er das Schreiben von Dramen fortsetzte, damit aber vorerst nicht sehr erfolgreich war. Eines Tages – so die Mutter – habe „der Werner“ gesagt: „Dir denkt ja eh alle, i bring nix zamm, aber i wers schaffen.“ Und sie fügt hinzu: „Hat er mir oft so leid tan. Wenn er die Manuskripte eingeschickt hat, hat er immer noch mei Adresse angebn. Alle san zurückkommen.“ (zitiert nach: Helmut Schödel, Die Zeit, 4.11.1994)

Der „Die Zeit“-Journalist Schödel, der bei der Entdeckung Schwabs eine nicht unwesentliche Rolle spielte und auch ein Buch über ihn herausgebracht hat, schloß den erwähnten Artikel über Schwabs Herkunft so: „Schwabs Karriere, vom Kellerkind zum Bösewicht unserer Stadt- und Staatstheater, begann mit einem Arme-Leute-Traum. Am Anfang stand die Siegeslust eines Underdogs. Als man Schwabs Texte las, ahnte man die Hölle, aus der sie kamen, und schloß daraus: das könne nur der Teufel sein.“ (Helmut Schödel, in: Die Zeit, 4.11.94)

Die Reaktionen auf die ersten Aufführungen sind entsprechend. „Die Präsidentinnen“ wurden 1990 von einer freien Gruppe im Künstlerhaustheater in Wien uraufgeführt, die Kritiken waren laut „Presse“ (21/22.12.91) „einheitlich vernichtend“. Auch die Uraufführung von „Übergewicht, unwichtig: Unform“ im Jänner 1991 am Wiener Schauspielhaus sei – wiederum laut „Presse“ – auf breite Ablehnung gestoßen. Laut Droschlverlag wurde die Inszenierung allerdings daraufhin zu den Mühlheimer Theatertagen eingeladen. Und im Fachmagazin „Theater heute“ erschien im März 1991 ein Artikel, in dem positiv Stellung genommen wurde.

1991 ist dann auch das Jahr des Aufstiegs für Schwab. „Die Zeit“ und „Theater heute“ beginnen sich am „blonden Hünen“ aus der Steiermark zu begeistern. Mit der Aufführung von „Volksvernichtung“ an den Münchner Kammerspielen im November 1991 erfolgte der endgültige Durchbruch. „Theater heute“ kürt Schwab 1991 zum Jungdramatiker des Jahres.

„Die Wende nahte in Form des deutschen Feuilletons,“ schrieb die „Presse“ im Dezember 1991. Schwab: „In Österreich bin ich nichts geworden. Beim 'Übergewicht' gab es einen einzigen Vernichtungsfeldzug dagegen. Aber sobald in der 'Zeit' und im „Theater heute' Artikel erschienen sind, war gleich das Theater voller.“ (ebd.)

1992 geht Schwabs Höhenflug weiter. Über 25 deutsche Bühnen spielen Schwab. Es setzt ein Gerangel um seine Uraufführungen ein. Schwab inszeniert gemeinsam mit Studenten der Wiener Hochschule für angewandte Kunst, wo er ein Jahr lang die Dramaturgie-Professur innehatte, „Der Himmel, mein Lieb, meine sterbende Beute“. Beim Steirischen Herbst im Oktober wird Schwabs Stück „Mesalliance aber wir ficken uns prächtig“ uraufgeführt. Im Dezember 1992 ist dann die Premiere von Schwabs eigener Inszenierung von „Volksvernichtung“ in Linz. Ebenfalls 1992 wird Schwab von „Theater heute“ in einer Kritikerumfrage zum „Dramatiker des Jahres“ erklärt, bekommt auch den Mühlheim-Dramatikerpreis und ist meistgenannter Dramatiker des Jahres.

Schwab inszenierte beim Steirischen Herbst 1993 die Uraufführung seines Stückes „Pornographie“, zu der er auch das Bühnenbild entwarf. Im November des Jahres bekommt er vom Land Baden-Würtemberg den Schiller-Gedächtnispreis. Schwab wurde nun mit Auftragswerken überschüttet und schon zu Lebzeiten wurden seine Stücke an mehr als 40 Theatern gespielt. Stücke von Schwab wurden ins Englische, Französische, Italienische, Niederländische, Slowenische und Ungarische übersetzt.

Schwab lebte zuletzt in Wien und Graz. Sein Stammcafe war das Eiles, seine Lieblingsschauspieler Rainer Frieb und „die Borek“ (Falter 40/92). Am Neujahrstag 1994 starb Schwab in seiner Grazer Wohnung. Vermutlich war er nach einem ordentlichen Silvesterrausch an seiner eigenen Zunge erstickt (Schwab hatte schon zuvor sehr viel Alkohol getrunken. Seine Leber, die Bauchspeicheldrüse und die Schilddrüse waren bereits erheblich angegriffen. Schwab hatte außerdem Magengeschwüre gehabt.) Schwab hinterließ einen elfjährigen Sohn, einen Koffer voll handgeschriebener Stücke – um deren Uraufführungen ein Rennen einsetzte – und eine abgeschlossene Legende.

Das „literarische Konzept“ des Autors Werner Schwab

Werner Schwab wurde einerseits häufig mit Horvath, Turini, Bauer, Kroetz, Achternbusch, Fleißner und Fassbinder, dann wieder mit Bernhard, Jelinek oder Artaud verglichen. Dabei werden bereits jene zwei Ansätze sichtbar, zwischen denen die schwabsche Dramatik stattfindet: modernes Volksstück einerseits und Theater einer hohen Sprach-Künstlichkeit, mit seinem Hang zur Abstraktion, auf der anderen Seite.

Volksstück – Radikalkomödie

Obwohl Schwab keineswegs explizit an die Traditionen des kritischen Volksstückes anknüpft, dient der Vergleich damit durchaus der Annäherung und der Erarbeitung seiner Stücke. In Schwabs „Fäkaliendramen“ (Die Präsidentinnen; Übergewicht, unwichtig: Unform; Volksvernichtung; Mein Hundemund) führen durchaus jene das Wort, die Horvath als Angehörige des Mittelstandes klassifizierte.

Doch während Horvath, Turrini, Bauer oder Kroetz die Angehörigen einer bestimmten Klasse, in Abgrenzung zu anderen, darstellten, um davon ausgehend ihre Gesellschaftskritik zu entwickeln, repräsentieren Schwabs Kleinbürger keine bestimmte gesellschaftliche Schicht mehr, sondern der allgemeinen Zustand des Verkommenen. So sind Schwabs Kleinbürger nicht die „Erniedrigten eines Kroetz oder Faßbinders, sondern die lustvoll ihre Spießigkeit austreibenden Mittelständer“, wie Michael Grus anläßlich der Aufführung von „Volksvernichtung“ in Wiesbaden schreib.

Schwab evoziert die Selbstsicherheit einer primitiven Biederkeit und Gemütlichkeit, eine Komponente, die auch Horvath in den Mittelpunkt seiner Volksstücke stellt und damit Beklemmung hervorruft – jedoch durchaus als Appell, als Mittel zur Erkennung einer Besserung.  Ein Anliegen, daß bei Schwab nicht vorhanden ist. „Impulse für morgen? Aufforderung zum moralischen In-sich-gehen? Fehlanzeige! Warum? Weil das Häßlich, das Böse, und die Gemeinheit nicht mehr von einem Hintergrund abhebt, der noch die Möglichkeit des Guten, des Besseren ahnen läßt.“ (Neue Vorarlberger Zeitung, 29.11.91)

So gerät Herr Kovacic, der nach Aufstieg strebende Angestellte, der auch seiner Tochter schon mal unter den Rock greift und der sich als „einheimischer Deutsch-Österreicher“ bezeichnet unter Schwabs Feder zum „Propheten einer monströsen Normalität“ (Theater heute 1/92). Das Kleinbürgertum als Klasse ist für Schwab nicht mehr existent, denn alle sind Kleinbürger. „Und die Leute, die wenig Geld haben, entwickeln keine eigenständigen Formen mehr. Darum gibt es auch das 'Volk' und das Volksstück nicht mehr“, sagt Schwab. „Gerade das, was ich mache, zeigt, daß es die großen Tragödien nicht mehr gibt. Es gibt nur mehr die kleinen Schrotttragödien.“ (Falter 40/92) Schwab betont, daß er das Volksstück als „das Absurdeste“ in der Literatur empfindet, als Jene Form, die mir am widerlichsten war. Und diese Form habe ich zu sprengen versucht.“ (zitiert nach: Programmheft zu einer Aufführung von „Die Präsidentinnen“ in Köln 1996) Seine Mittel dazu: vor allem durch Sprachgebung, aber auch durch die Perversion der für das Volksstück typischen Festdramaturgie.

Alptraummärchen – austromorbide Untergangsposse

Schwab wurde als „Nestroy der Punkgeneration“ bezeichnet, seine Stücke als „wortreiche Kleinbürgeralpträume“, deren Sprache eine hohe Künstlichkeit anstrebe, um andererseits um so entschiedener und verletzender in geradezu aberwitzigen Realismus abzugleiten, (tip 8/92) Und in der Tat haftet der „Volksvernichtung“ etwas Traumhaftes an, wenn am Schluß wieder alle lieb vereint zusammensitzen und den Grollfeuergeburtstag feiern (ähnlich bei „Die Präsidentinnen“, wenn der Beginn mit Publikum erneut gespielt wird).

„Im Fall der 'Volksvernichtung' als volkstückhafter Radikalkomödie treffen sich sozusagen später Thomas Bernhard und früher Franz Xaver Kroetz in einer typisch austromorbiden Untergangsposse, bei der am Ende keiner wirklich untergeht.“ (Leipziger Volkszeitung, 27.3.93) Das Gemetzel endet nicht im erlösenden Untergang, sondern es folgt die Hölle der Wiederholung. Doch was ist geträumt? Die Volksvernichtung oder der Wiederbeginn des gegenseitigen sukzessiven Schlachtens? Schwab dazu in einem Interview: „Dabei ist das ja viel härter, grausamer und desillusionierender, wenn ein hartes Kontinuum sich in gar nix aufdröselt, wie etwa in der Variationskomödie 'Mesalliance'„. (Falter 40/92)

Der unerwartete Schluß in „Volksvernichtung“: „Statt Sozialdarwinismus herrscht plötzlich Sozialpartnerschaft: Modell Österreich. Eine dramatische Ironie. Durch die Hintertür, klammheimlich und ohne gereckten Zeigefinger, dringt so ein kritischer, gar politischer Impuls ins krude Alptraummärchen ein.“ (Theater heute 1/92)

Materialismus – Überhöhungswahn

In Schwabs Verständnis von Theater als etwas gesellschaftlich Bedingtes und gesellschaftliches Phänomen überhaupt kommt sein anti-idealistisches Verständnis der Welt, das sich weder in metaphysischen Illusionen noch moralischen Kategorien wälzt, zum Ausdruck. Schwab ist eine Art Anti-Idealist per se, der nicht nur die Nicht-Existenz alles Außerweltlichen (Gott, absolute Moral etc.) begreift, sondern zu einem gewissen Teil auch nicht einer pathetisch-leidenden, fatalistischen Haltung verfällt, die oft als „nihilistisch“ bezeichnet wird.

In gewisser Weise hebt sie aber doch wieder ab und versucht sich der diesseitigen Welt zu entziehen. Sie ist also in bestimmter Hinsicht doch wieder idealistisch – nur eben nicht gut und rein, sondern böse und unchristlich. Für Schwab ist da einfach die greifbare Welt mit ihren auch ganz einfachen Genüssen, vor denen er der Kunst keinen übergeordneten oder höheren Platz einräumt. Vor allem ist da der Spaß, der auch, was Schwab immer wieder betont, beim Schreiben eine sehr wichtige Sache für ihn ist.

Zuweilen ist man geneigt, Schwab als praktischen Materialisten zu bezeichnen. Doch machen sich dann doch wieder Elemente bemerkbar, die ihn in die Nähe der sogenannten Nihilisten stellen, wie z.B. ein bestimmter Überhöhungswahn oder zumindest die Sehnsucht danach und eine bestimmte Selbstherrlichkeit. Diese Tendenz findet sich in Äußerungen zur Politik, die ihn teilweise in die Nähe von Ideologien bringt, die auf die (geistige) Herrschaft einer Elite setzen und mit Nietzsches Über- und Untermenschen-Konzept in Verbindung stehen. Berührungspunkte mit NS-Ideologie sind da vorhanden.

In diesen Zusammenhang paßt auch die Problematik der Frau Grollfeuer in „Volksvernichtung“, die sich zur Richterin über das „unwerte Leben“ der Kovacics und der Wurms gemacht hat. Schwabs Äußerungen dazu sind eher unausgegoren, ausweichend und undeutlich. In der Figur der Frau Grollfeuer ist aber auch schon die Absage an den Überhöhungswahn angelegt. Sie sieht ein, daß ihr Leben sinnlos war. Die Schlußfolgerung ist die Hinwendung zum Leben, zum Konsum des Lebens als einzig mögliche Alternative. Ein gewisses Kokettieren mit einer autoritären Haltung dürfte in „Volksvernichtung“ aber schon vorhanden sein – ebenso wie in seiner Position zu Politik und Gesellschaft.

Politik und Gesellschaft

In einem Interview formuliert Schwab: „Demokratie hat doch im Theater und der Kunst nichts verloren.“ In der Folge fragt der Journalist: „Es gibt bei ihnen also schon einen nietzscheanischen Hang zum Aristokratischen, eine Verachtung der allzuvielen, die da unten herumwurln?“ Darauf Schwab: Es ist für autohygienische Vorgänge sehr günstig, mit solchen Sachen herumzuspielen. Man darf sich nur nicht verblödeln und darin versteigen.“ (Falter 40/92)

Manchmal ist Schwab diesbezüglich aber auch weniger reflektiert. Eine Kostprobe: „Eine intelligente Diktatur ist vernünftiger als eine pöbelhafte Werbedemokratie. Das sieht man bei uns sehr deutlich am demokratisch gewählten Haider.“ (Süddeutsche Zeitung, 5.11.92) In einem anderen Interview ist er kaum weniger deutlich: „Es ist natürlich völliger Quatsch , daß in einer Demokratie jemand, der sehr viel von Politik versteht, eine Stimme hat, und jemand, der in Rostock klatscht, wenn Asylantenheime angezündet werden, auch eine Stimme hat. (…) Wir brauchen eine Demokratur.“ (Interview in einem Programmheft zu „Volksvernichtung“ in Düsseldorf am 19.9.92) Wer dann festlegt, wer „viel von Politik versteht“, setzt uns Schwab allerdings nicht auseinander.

Auf die Frage, ob er keine Angst habe, in die Nähe zu Herrenmenschenideologien zu geraten, fügt er stattdessen hinzu: „Das muß man riskieren – ganz besonders in Deutschland. (…) Wenn sich eine Intelligenz solange nicht zu sich bekennt, sondern ständig ihren Tralala-Kratzfuß vor dem Holocaust macht, hat das negative Folgen (…). Die Elite ist blutleer geblieben, der Überbau fehlt. Das ist gefährlich. Denn: Wenn Elite irgendeine Funktion hat, dann die der indirekten Beeinflußung von Politik und Kunst. (…) Alle Dinge, die differenziert nicht abgehandelt werden, kommen später vulgär wieder zurück – siehe Rostock usw. Das ist das Problem. Ein Beispiel aus Österreich, einem kleinen Land: Das Phänomen Haider ist ein Produkt des Versagens der Aufklärung, (…) der Schwäche der österreichischen Intelligenz – soweit es sie gibt. Haider ist kein Produkt an sich, er ist eine Folgeerscheinung.“ (…) Herrschaft der Geisteselite nicht im politischen, sondern im Sinne einer kulturellen Gewichtigkeit? „Richtig.“ (ebd.)

Nach Jahrzehnten gesellschaftlicher Friedhofsruhe in Form der österreichischen Sozialpartnerschaft, die die Arbeiter/innen/klasse befriedet und passiv gemacht hat, ist die „Unterschicht“ für den Autor Schwab nicht mehr als gesellschaftliches/politisches Subjekt erkennbar. Als Ergebnis dieses Zustandes schwankt er -angesichts der ihn umgebenden dekadenten Verkommenheit – zwischen gesellschaftlicher Hilf- und Perspektivlosigkeit einerseits und einem halbherzigen Liebäugeln mit elitären Haltungen. Bei seinen gar nicht so seltenen Äußerungen zu seinem Vater scheint mir auch eine Art Haßliebe zum Ausdruck zu kommen: Abneigung einerseits, weil er Mutter und Kind sich selbst überlassen hat; Elemente einer Bewunderung für den rücksichtslosen, coolen germanischen Nazi-Potenzling andererseits, dessen Zuneigung ihm verwehrt geblieben ist. In welchem Ausmaß bei seinen Kommentaren auch Provokation zwecks Publicity eine Rolle spielt, sei dahingestellt.

Politisches Theater?

Schwab kultiviert eine Art Wurschtigkeit gegenüber dem Theater, dem Kulturbetrieb und seiner eigenen Karriere. Er weist auch jeden politischen Anspruch von sich, womit er die Latte für seine Arbeiten natürlich auch deutlich niedriger legt als andere Autoren.

„Theater ist für direkte Gesellschaftskritik nicht zuständig.“ (Spiegel, 12.10.92) „Aufgeklärten Leuten im Theater irgendwelche Aufgeklärtheiten vorzuführen ist sinnlos.“ (ebd.) „Und, die ins Theater gehen, sind doch eh nicht das Volk, sondern die, die am Volk herummanipulieren.“ (Falter 40/92)

„Wenn man politisch schreibt, schreibt man am besten an guten Essay, aber kein Theaterstück.“ (Zitty 7/93) Und: „Es ist absolut sinnlos, ein Theater über die Belegschaft einer Papierfabrik zu schreiben Jeder engagierte Betriebsrat erreicht in diesem Bereich mehr als ein Theaterautor.“ (Kleine Zeitung, 11.1.92)

Auf den Vergleich mit Turrini und dessen sozialkritischen Anspruch angesprochen, meint Schwab betont lässig: „Dahab' ich mich schon geäußert, und es wird fad, immer zu sagen: Damit hab' ich besonders nix zu tun. Ich hab' auch einmal gesagt, daß ich glaube, eine schönere Frisur zu haben als er.“(ebd.)

Worum geht es Schwab also? In einem Interview mit der „Presse“ sagt er über den Zweck von Theater und dramatischer Literatur: „Mittlerweile ist es ja nicht so schwer, zu wissen, daß Ideologie am Theater nicht funktioniert. Aber vor ein paar Jahren, da wollte man eben noch nicht wahrhaben, daß es nicht geht, daß es nur die eigene Überlebensstrategie ist.“ (Presse, 21722.12.91)

Theater als Überlebensstrategie

Darüber, wie Schwab diese persönliche Überlebensstrategie für Schwab konkret sieht, äußerte er sich in einem Interview mit Helmut Schödel: „Literatur ist halt gut, wenn man irgend so was Halbverruchtes rüberhängen läßt. (…) Als junger Mensch glaubt man, man braucht nur etwas Gutes machen, und das ist drinnen. Irrtum. Heute bringe ich es auf die Formel: Management + Legende + Text = Sieg und Spaß. (…) Nachdem ich mit dem Theater nie etwas zu tun hatte und mit dem Dichterhabitus auch nicht, hab' ich mir gedacht, du machst es halt anders: auf Pop-Star. Und das Image habe ich von Anfang an gepflegt. (…) Ich habe mich von einem Tag auf den anderen entschlossen: Jetzt wirst Du ein berühmter Dichter. Und das hat dann auch hingehauen. Aber ich weiß halt auch, daß das an sich nichts wert ist. (…) Daß es ein Spiel ist, ein Spiel mit Mißverständnissen. Daß man auch eine gewisse Form von Zynismus einkalkuliert. Daß man sagt: Der Staat ist blöd genug, daß er das finanziert, und deswegen mach' ich das Spielchen halt. Meine Stücke sind ja auch Spaß für Eingeweihte: wirklich verstanden werden sie nur im Freundeskreis – und der Pöbel zahlt mit seinen Steuern die Subventionen dafür.“ (Interview mit Schwab, abgedruckt in einem Programmheft zu einer Aufführung von „Die Präsidentinnen“ in Bremerhaven 1996)

In einem anderen Interview formuliert Schwab selbiges doppeldeutig: Ich muß dem Staat eigentlich dankbar sein, denn er hält mich aus.“ (zitiert nach Programmheft zu ..Die Präsidentinnen*'. Köln 1995) Und noch einmal zu seinem Image: ..Wäre ich klein, fett, mit Glatze und runder Brille, würde ein Drittel meines Erfolges wegfallen.“ (zitiert nach dem Programmheft zu „Die Präsidentinnen“ aus Bremerhaven) Vermutlich sind genau diese provokant-patzigen Kommentare zu seiner Rolle als Autor auch Teil seines Images als saufender Bürgerschreck in Lederjacke.

Theater als Anachronismus

Theater mag für Schwab also eine persönliche Überlebensstrategie sein, an der er außerdem noch Spaß hat. Wie funktionieren aber nun seine Theaterstücke? Was macht ihren Erfolg aus? Beziehungsweise, was glaubt Schwab, daß ihren Erfolg ausmacht?

Schwab dazu in der „Süddeutschen Zeitung“: „In Wahrheit kamt man im Theater heutzutage niemanden mehr schockieren, eher ist es den Leuten peinlich, wenn sie über einen Krüppel auf der Bühne lachen (…) Es geht darum, die Leute das Fürchten zu lehren – und selbst zugleich das Ganze nicht allzu ernst zu nehmen. (…) Wie so viele wohlsituierte Prokuristen und Bankdirektoren in eine strenge Kammer gehen und sich dort foltern lassen, so kommen sie auch ins Theater und sehen sich meine Stücke an. (…) Im Grunde gehen die Leute nur deshalb in die Ersatzhölle Theater, weil dort auf ihresgleichen losgeballert wird – das brauchen sie, damit sie ihr eigenes Leben hinterher wieder aushalten können.“ (Süddeutsche Zeitung. 5.11.92) „Das Publikum will nicht von kuscheligen Wattestäbchen saubergebohrt werden und auch nicht von kleinen Massagestäben gekitzelt werden. Es will einen hell leuchtenden glühenden Laternenpfahl als Theater in die Eingeweide gerammt bekommen.“ (Stern 42/92)

Und was hält Schwab vom Theater überhaupt? „Theater ist immer Staatskunst. Es funktioniert nicht ohne Steuergeld. Dadurch ist es offenbar ein letztes herrlich reaktionäres Gebiet, wo die Leute dann schauen wollen, was dabei herauskommt.“ (Presse. 21./22.12.91) „Theater ist ein komisches, nicht tötbares Medium offenbar, etwas unheimlich Reaktionäres seiner Struktur nach – und darauf muß man Rücksicht nehmen.“ (Basta 11/92) Und zu den Zukunftsaussichten des Theaters: „Das ist sicher nicht umzubringen. Das ist eine Form von Anachronismus, die geht nicht ab.“

Wozu Schwab?

Wenn Theater Anachronismus ist, Schwabs Stücke lediglich seine persönliche Überlebensstrategie, wenn sie keine gesellschaftliche Botschaft haben, wenn sie schwer auszuhalten und höchstens mit einer strengen Kammer vergleichbar sind – welchen Sinn kann es dann also machen, Schwabs Dramen über sich ergehen zu lassen? Bezüglich der sozialen/politischen Ebene ist die Antwort relativ einfach:

Auch wenn Schwab eine politische Aussage möglicherweise wirklich nicht anstrebt, so widerspiegeln seine Stücke dennoch soziale Ungleichheit, Unterdrückung und Entfremdung, eine Welt, die von materieller und moralischer Knechtung geprägt ist. Ganz einfach deshalb, weil die Welt eben so ist und die Kunst sich ihrer nicht entziehen kann. Die Welt, die Komplexität aller ihrer realen Umstände und Beziehungen, in der sich sowohl die Produzent/inn/en als auch die Konsument/inn/en und Reproduzent/inn/en der Kunst aufhalten, bildet das Material, aus dem die Kunst entsteht, gibt den Rahmen ab. in dem sie entsteht.

Schwab war sich dessen – zumindest ansatzweise – auch bewußt: „Das Gesellschaftliche ist immer dabei, auch wenn es 'nur' Sprache ist. Der Realitätsbezug ist ja schon dadurch gegeben, daß du am Leben bist, der ist erst weg, wenn du gestorben bist. Das ist ja das Anstrengende am Leben – du kannst dich eben nicht davon zwischendurch suspendieren!“ (Südeutsche Zeitung, 5.11.92) Daraus lassen sich auch die autobiographischen Elemente seiner Stücke ableiten, zu denen er sich bekennt: „Wie in allem, was man so schreibt. (…) ich definier' mich nicht über meine Biographie, aber man hat nix zur Verfügung als das, was man selbst erlebt hat.“ (ebd.)