Leserinnenbrief einer Kindergärtnerin

Folgenden Leserinnenbrief haben wir von Tina, einer Kindergärtnerin aus Wien, erhalten. Er bezieht sich auf unser Flugblatt , das wir anläßlich der Proteste der Wiener Kindergartenpädagoginnen veröffentlicht haben.

 

Euer Aufruf und der Vergleich, bzw. die Info über Aktionen in Deutschland gefielen mir von allen Protestschriften am besten. Wie das ab Herbst mit den Kindergärten, bzw. durch verpflichtendes Jahr und finanzielle Anreize vermehrten Besuchen ablaufen wird, ist noch ein großes Rätsel.

Man mag ja geteilter, vielleicht durchaus positiver Einstellung sein über Bestrebungen, die Kinder aus teilweise zusehends verdummenden Haushalten in die Bildungseinrichtungen zu holen. Aber keiner von uns fiele je ein, rigorose Einführungen ohne diesbezügliche Vorbereitungen zu machen. (Und gerade von uns wird jedes Monat schriftliche Vorbereitung in zwei Ausführungen verlangt!)

Zuerst müsste man darüber nachdenken, Raum, Equipment, Personal und dessen Bezahlung betriff zu verbessern, bevor man Mehrarbeit schafft, oder würde die etwa nicht erwachsen? Für Mehrarbeit ohne finanziellen Anreiz zu sorgen, das fiele niemandem in einem männerdominierten Beruf ein, man würde es nicht wagen, weil Proteste auf dem Fuße folgten. Hier nützt man eklatant aus, was Frauentradition ist: „Wird‘ ma scho mochn,‘s geht scho irgendwie…“ Aber diese Mentalität passt nicht mit dem gewünschten erhöhten Bildungsstandard und mehr Qualität in unserer Arbeit zusammen. Diesen Balanceakt schafft keine: Selbstzweifel und Versagensängste sind das Resultat, Burnout und Rückzug die Folge. Die Arbeit verrichtet dann keine gerne, die nicht zufällig von einem guten Team unterstützt wird. Und Zusammenhalt ist dieser Tage auch kaum zu spüren, weil die Rahmenbedingungen so unstimmig sind, dass sie unsicher machen. Und wer sich nicht wohl fühlt, geht auf die anderen los. (Henne Hanna, F.Mitterer)

Interessanter Weise sind die Träger den Kolleginnen ja keine Stütze, vielmehr verstecken sie sich hinter ihrer Belegschaft und warten, wie sie wurschtelt, um dann ganz sicher mit Verbesserungsvorschlägen in Seminaren während der Freizeit anzukommen. Wo sind eigentlich die Resultate der KEST und die Erkenntnisse daraus und wer setzt sie um? Wir waren sehr damit beschäftigt, Listen auszufüllen, etc.

Damit zu kontern, dass jetzt, in der Krise, alle enger schnallen müssten, Solidarität usw. weise ich zurück, denn was die Arbeit mit Kindern angeht, sollte unbeschadet von jeder Krise, die die Wirtschaft ( die uns jahrelang einredete, ginge es ihr gut, ginge es uns auch gut- wenigen geht’s jetzt ganz besonders gut, uns aber nicht)verursacht hat, bestens finanziert werden DENN DIE KINDER SIND DIE ZUKUNFT JEDEN LANDES

Liebe Kollegin!

Zu Beginn vielen Dank für Dein Lob, das wir als weitere Ermunterung für unsere Arbeit sehen. Wir glauben ebenso wie Du, dass es sehr wichtig ist, internationale Beispiele anzuführen. Gerade im Sozialbereich heißt es oft, es könne keine Arbeitskämpfe geben, weil das auf dem Rücken der KlientInnen ausgetragen würde. Doch tatsächlich leiden die KlientInnen weit mehr, wenn es nicht rechtzeitig Gegenwehr gegen immer neue Verschlechterungen gibt. Und es ist wichtig, zu sehen, dass es Widerstand und Streiks gibt, dass sie möglich sind.

Die derzeitige Lage in Wien ist tatsächlich grotesk: im Herbst sollen der Gratiskindergarten und das verpflichtende Kindergartenjahr kommen, gleichzeitig gibt es keine ernstzunehmenden Pläne, wie das räumlich oder personell von Statten gehen soll. In Konsequenz wird all das auf dem Rücken der Kolleginnen ausgetragen werden, durch Überstunden (bezahlt oder unbezahlt), durch Druck auf die Vorbereitungszeit und durch weniger Personal je Gruppe. Es ist auch, wie Du richtig schreibst, sicher kein Zufall, dass es um einen klassischen Frauenberuf geht, wo die Erwartungshaltung ist, dass "die Frau" sich schon um "die Kinder" kümmern wird.

Die Träger der Kindergartenvereine werden kaum eine Hilfe sein. Kein Wunder: Kinderfreunde und die Stadt Wien sind SP-dominiert, Kinder in Wien (wo VP-Staatssekretärin Marek sogar Vorsitzende ist) und die kirchlichen Träger VP-dominiert. Dass da keinerlei Interesse besteht, sich gegen Vorgaben der Regierung bzw. der Stadt Wien zu stellen, ist nicht überraschend. Und dass die Arbeitsbedingungen bei SPÖ- und ÖVP-Betrieben um nichts besser sind als wo anders, ist ja leider zur Genüge bekannt.

Die einzigen Trägerinnen eines Protestes werden also die betroffenen Kolleginnen sein können. Viele sind frustriert und ausgebeutet. Doch die erste Aktion der Plattform Kindergartenaufstand am 25.6., wo rund 200 Kolleginnen dieser Basisinitiative folgten, zeigt, was möglich ist. Es gibt Raum für Widerstand und der muss genützt werden.

Und – Du hast recht – das Krisengejammere kann ja wirklich nicht unsere Sorge sein. Reden wir zuerst über die Milliardenprofite der letzten Jahre und in welche KapitalistInnentaschen sie gewandert sind und dann sorgen wir uns um angeblich zu wenig Geld für die Kinderbetreuung.

Mit solidarischen Grüßen und der Hoffnung auf weitere Zusammenarbeit

Michael Mlady
für die Redaktion Wien