–„Abendland in Christenhand–“

Die FPÖ stilisiert den EU-Wahlkampf in Österreich zum katholischen Showdown: „Abendland in Christenhand“ wird landauf, landab plakatiert, Parteichef Strache gibt gar den Nikolo der extremen Rechten und posiert mit drohend geschwungenem Kreuz. …

Die Mainstream-Parteien, die liberalen Medien und die Kirchenführung geben sich schockiert, von einem Missbrauch der Religion ist die Rede. Tatsächlich aber kann sich die FPÖ-Propaganda auf einen antiislamischen Rassismus stützen, der nicht nur in der extremen Rechten verbreitet ist, sondern weit in das politische, mediale und kirchliche Establishment hineinreicht. Spätestens seit dem „Krieg gegen den Terror“ der USA, bei dem der Großteil der westlichen Politik und Medien als Cheerleader aufgetreten sind, ist die Ansicht bis weit hinein in liberale Kreise verbreitet, dass die moslemische Kultur besonders finster-reaktionär sei, das Christentum hingegen irgendwie modern, demokratisch und fortschrittlicher. Auch Leute, die früher eher säkular und antiklerikal dachten, schwafeln unter dem Eindruck der westlichen Propaganda der letzten Jahre nun von der abendländischen Kultur, die es gegen die Unterwanderung von rückständigen „Türken“, „Arabern“ und „Moslems“ generell zu verteidigen gelte.

Nun sind wir als MarxistInnen gegen jede Religion. In unterschiedlichem Ausmaß und unterschiedlichen Formen sind sie Instrumente der herrschenden Klasse. Jede Religion spielt letztlich eine reaktionäre Rolle, und das gilt auch für den Islam. Dennoch muss gegenüber der antiislamischen Propaganda, die von der Bush-Administration über den Papst und die FPÖ bis hin zu liberalen JournalistInnen und den so genannten antideutschen „Linken“ reicht, einiges zurechtgerückt werden.

Das christliche Abendland

Die FPÖ bezieht sich auf die „christlichen Wurzeln Europas“ – genauso wie Josef Ratzinger (vulgo „Papst Benedikt XVI.“). Das heutige Europa ist freilich von vielerlei Einflüssen geprägt: Das Christentum spielte zweifellos eine wesentliche Rolle, doch auch die griechisch-römische Antike und heidnische Einflüsse sind als Element der frühen Prägung Europas nicht zu unterschätzen (das geht soweit, dass die meisten christlichen Feiertage eigentlich ältere „heidnische“ Feste sind).

Für die Prägung der Identität Europas in seiner heutigen Form sind auch die Aufklärung und die französische Revolution mit ihrem antiklerikalen „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ sowie der Einfluss und die kulturelle Stärke der ArbeiterInnenbewegung durchaus entscheidend. Diese modernen progressiven Traditionen in Europa sind nicht das Ergebnis des Christentums, sondern wurden im Gegenteil durch einen Jahrhunderte langen Kampf gegen das Christentum durchgesetzt.

Über viele Jahrhunderte war die Kirche vor allem ein Gebilde zu Unterdrückung oder gar Mord. Papa Ratzi selbst war vor seiner Wahl zum Papst Boss der römischen Glaubenskongregation, wie sich die „Heilige Inquisition“ seit 1908 nennt. Und Großinquisitor Ratzinger weiß, was er der Geschichte schuldig ist. In Interviews vor seiner Papstwahl lobte er die Inquisition für ihren mäßigenden Einfluss. Hunderttausende verbrannte Frauen und auch Männer (manche Schätzungen sprechen von bis zu neun Millionen) – für Ratzinger das Zeitalter der Mäßigung.

Doch die Inquisition war nur ein verbrecherischer Akt in der „Kriminalgeschichte des Christentums“, wie der bekannte Kirchenkritiker Karl Heinz Deschner sein achtbändiges Werk betitelt hat: Verfolgung der „Heiden“ (vor allem in Südamerika verbunden mit gigantischen Völkermorden), Zwangschristianisierung, Hexenverbrennungen, Kreuzzüge, Antisemitismus, Hetze gegen Frauen und Schwule….

Während im europäischen Mittelalter der ideologische und physische Terror der Kirche herrschte und Forscher verfolgt und bedroht wurden, waren im islamischen Raum die Medizin und andere Naturwissenschaften viel weiter entwickelt. Der Islam ließ nicht nur der Wissenschaft mehr Freiraum, auch war die moslemische Herrschaft gegenüber christlicher Bevölkerung (in Spanien oder am Balkan) zwar auch, aber nicht derart repressiv und mörderisch wie umgekehrt.

Modernisierung, Christentum und Islam

Die moderne Wissenschaft und die Aufklärung konnten sich in Europa erst durch eine Zurückdrängung des christlichen Einflusses durchsetzen. Die Modernisierung der Gesellschaft in Europa, die entscheidende Weiterentwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, entstand nicht wegen, sondern trotz des Christentums. Während in den entwickelteren europäischen Regionen mit der ökonomischen und sozialen Modernisierung auch eine ideologische und kulturelle einherging, blieben in rückständigen agrarischen Gebieten die entsprechenden Traditionen aufrecht – in christlichen ebenso wie in islamischen.

Formen der Unterdrückung der Frauen (wie Zwangsverheiratungen oder die Unmöglichkeit, sich ohne männliche Kontrolle außerhalb des Hauses zu bewegen), die heute von pseudofeministischen RassistInnen gerne gegen „den Islam“ vorgebracht werden, waren auch in rückständischen europäischen Randgebieten wie etwa Süditalien, Albanien oder Griechenland bis in 20. Jahrhundert hinein verbreitet und mit christlichen Vorstellungen verbunden. Entscheidend ist also nicht eine bestimmte Religion, sondern die Entwicklung von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen.

Das beliebte „Argument“ der antiislamischen RassistInnen, dass es im Christentum immerhin auch modernere Strömungen gebe, ist ebenfalls nicht haltbar. Auch im Islam gibt es besonders reaktionäre Strömungen (etwa die Wahabiten) und modernere (etwa die Alewiten). Politische Strömungen in moslemischen Ländern, die auf säkulare und bürgerlich-demokratische Modernisierung setzten, wurden in den meisten Fällen vom angeblich fortschrittlich-demokratischen Westen bekämpft – aus eigenen ökonomischen und politischen Interessen setzen die USA & Co. oftmals auf ausgesprochen reaktionäre Strömungen.

Der Nasserismus in Ägypten wurde von Großbritannien bekämpft, die algerische Befreiungsbewegung von Frankreich. Die USA unterstütz(t)en das Wahabiten-Regime in Saudi-Arabien, das an „Fundamentalismus“ den Iran noch deutlich übertrifft. Das iranische Schah-Regime, Hauptverbündeter und Marionette der USA, setzte auf Weisung aus Washington auf brutale Repression gegen die Linke und bürgerlich-demokratische Kräfte und erlaubte als einzige Opposition den schiitischen Klerus, was diesem erst ermöglichte, in der entstehenden sozialen Revolution eine Rolle zu spielen. Im Irak und in Indonesien unterstützten die USA reaktionäre Kräfte zur Unterdrückung einer kommunistischen Massenbewegung, was in riesigen Massakern an der ArbeiterInnenbewegung endete. In Afghanistan wurden die Islamisten von den USA gegen das pro-sowjetische bürgerlich-nationalistische Modernisierungsregime von Nadjibullah finanziert und aufgerüstet. Israel förderte anfänglich die Hamas als Gegengewicht gegen die bürgerlich-säkulare PLO.

Der angeblich so „fortschrittliche“ Westen hat also im islamischen Raum diverse Reaktionäre und Islamisten gegen progressive Bewegungen gefördert. Aber auch im Christentum selbst gibt es nicht nur eine partielle (und oft widerwillige) Anpassung an eine Modernisierung der Gesellschaft, sondern Strömungen und Haltungen, die wie dem Mittelalter entstiegen wirken. Die katholische Kirche reproduziert ihre frauenfeindlichen Strukturen und ihre reaktionäre Sexualmoral, Herr Ratzinger predigt in afrikanischen Ländern, in denen AIDS weit verbreitet ist, gegen Kondome. In den USA hetzen protestantische Strömungen, deren Einfluss bis in die Bush-Regierung reichte, gegen die Evolutionslehre und vertreten alles Ernstes die Ansicht, dass die Welt in sieben Tagen erschaffen worden sei – weil es so in der Bibel steht.

Rechtsextremismus und die Kirche

Der politische Katholizismus trifft sich auch ganz gut mit der FPÖ und ihrer Hetze. Mag Wiens Kardinal Schönborn jetzt entsetzt tun, weil Strache am 14. Mai auf dem rechtsextremen Anti-Moschee-Aufmarsch in Wien mit dem Kreuz posierte, für ein „Abendland in Christenhand“ wären Schönborn und die Kirche allemal zu haben. Immerhin war es die Kirche, die etwa in der EU-Verfassung unbedingt eine Präambel über die christlichen Wurzeln Europas sehen wollte. Und auch politisch sind viele in der Hierarchie des Katholizismus keineswegs so weit entfernt von der FPÖ, wie sie jetzt tun. Es gab und gibt immer wieder Bischöfe wie Kurt Krenn, die aus ihrer Sympathie für die FPÖ wenig Hehl gemacht haben.

Auch das rechtsextreme Opus Dei (Werk Gottes) spielt eine wichtige Rolle in der österreichischen Kirche, prominentestes Mitglied ist der St. Pöltner Diözesanbischof Klaus Küng. Und wer glaubt, dies sei ein austriakischer Sonderfall, dem sei die Tatsache ans Herz gelegt, dass die Heiligsprechung des Faschistenfreundes und Opus Dei-Gründers Josemaría Escrivá von einem Drittel (!) des Weltepiskopats (also aller Bischöfe und Kardinäle) unterstützt wurde.

Auch die nach dem zweiten vatikanischen Konzil wegen kirchenrechtlicher Fragen aus der Kirche ausgeschiedene Pius-Priesterbruderschaft des Holocaust-Leugners Williamson genießt hohe Protektion und soll nun re-intregriert werden – ihre „Schwesterbruderschaft“ St. Petrus war ohnehin immer Teil des Kirche und des Klerus.

Kirche und Nazis – Hand in Hand

In der jüngeren Vergangenheit besonders unappetitlich war die Zusammenarbeit der Kirche mit dem Faschismus und dem Nationalsozialismus – bis hin zum wiederholten öffentlichen Lob für Hitler und Mussolini durch Papst Pius XI. („Mussolini wurde uns von der Vorsehung gesandt“), die engen Verbindungen der katholischen Kirche mit dem Franco-Regime in Spanien, die direkte Beteiligung der kroatischen Kirche an der Ausrottung von bis zu 500.000 Juden/Jüdinnen, Roma, SerbInnen und AntifaschistInnen im kroatischen KZ Jasenovac und die „Rattenlinie“, mittels derer hochrangige ehemalige Nazis via Vatikan nach dem Krieg nach Südamerika geschleust wurden.

All das und mehr bedeutet „Abendland in Christenhand“ – die Empörung der Kirchenoberen ist da mehr als geheuchelt.. FP-Chef Strache hingegen kann durchaus zu Recht die Traditionslinie der Kooperation von Rechtsextremismus und Kirche für sich in Anspruch nehmen.

Die Wurzel der FPÖ ist zwar der Deutschnationalismus in Österreich, der ins 19. Jahrhundert zurückreicht und antihabsburgisch, republikanisch und antiklerikal (und damit damals partiell fortschrittlich) war. Diese Tradition wurde von der FPÖ in der Regel gepflegt und kommt auch zum Ausdruck, wenn sich der Vorarlberger FPÖ-Chef von dem christlichen Kurs der Parteiführung in Wien irritiert zeigt.

Gleichzeitig war die antiklerikale Ausrichtung des Deutschnationalismus natürlich nie konsequent: Schon früher gab es eine Zusammenarbeit mit kirchlichen Kräften gegen die ArbeiterInnenbewegung. In der 1990er Jahren hatte die FPÖ dann einen kurzen Zwischenflirt mit dem „wehrhaften Christentum“. Verantwortlich zeichnete damals der rechtsextreme Verschwörungstheoretiker und Anhänger der antisemitischen Pius-Priesterbruderschaft, Ewald Stadler, der heute für das BZÖ den „Volksanwalt“ gibt (während sich das „gemäßigtere“ BZÖ aktuell an der Empörung über die FPÖ beteiligt, schaltet Stadler selbst hetzerische Inserate gegen „Asylanten“). Während die FPÖ nach dem Stadlerschen Zwischenspiel wieder zu ihren Wurzeln zurückgefunden hatte, entdeckt Strache im Kampf gegen den Islam nun das ideologische Moment des Christentums erneut für sich.

Konsequenzen

Insgesamt zeigt sich an der Debatte vor allem eines, dass nämlich verschiedene reaktionäre Traditionen, trotz vorhandener Unterschiede, letztlich immer wieder zusammenarbeiten – etwa wenn es gegen die ArbeiterInnenbewegung oder um kulturalistisch unterlegten Rassismus geht. Sie haben schließlich auch alle dieselbe politische Grundlage, nämlich die Verteidigung der bestehenden kapitalistischen, auf Rassismus aufbauenden imperialistischen Gesellschaftsordnung. Zur Sicherung der kapitalistischen Herrschaft arbeiten sie an der ideologischen Reproduktion der Spaltung der Ausgebeuteten in Nationen, Kulturen und Religionen.

Es wäre fatal, wenn sich die ArbeiterInnenbewegung oder die „Linke“ zur Bekämpfung des FPÖ-Rassismus auf ein vorgeblich „demokratisches“ Bündnis mit der Kirche oder dem liberalen Establishment, das dem antiislamischen Kreuzzug von Bush zugejubelt hat, orientieren würde. Notwendig ist hingegen, die Frage der rassistischen Spaltung mit der sozialen Frage zu verbinden und sich auf internationalistischen Klassenkampf zu orientieren.

 

Zum Weiterlesen:

 

Zur Hölle mit Ratzinger! Eine Analyse von Christentum und Religion (September 2007)

„Traditionsbedingte“ Gewalt, Kultur und Rassismus (Oktober 2008)

Antikriegsbewegung und Islamismus (2001)