60 Jahre BRD

60 Jahre Grundgesetz, 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland: Die Erfolgsgeschichte des deutschen Staates ist die Geschichte der Spaltung der abhängig Beschäftigten.

60 Jahre Grundgesetz, 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland, 20 Jahre nach dem Anfang vom Ende des „Unrechtsstaats“ DDR – jetzt sollen wir mit „Hurra Deutschland!“ auf den Lippen weitere 60 Jahre Kapitalherrschaft einläuten. Würde der Kapitalismus uns nicht gerade (mal wieder) in die soziale Krise werfen und den ArbeiterInnen damit alle Volksfeststimmung vermiesen, würde uns wahrscheinlich ein neues „Nationalstolz-Sommermärchen“ auf allen Kanälen erzählt. Das fällt wohl ein wenig dürftiger aus, als einmal gewünscht. Trotzdem: Immer wieder präsentiert man uns dieser Tage die „Erfolgsgeschichte“ BRD.

Für das deutsche Kapital sind die letzten 60 Jahre wirklich eine schier unglaubliche Geschichte des Erfolgs. Erinnern wir uns: Nach der letzten großen („1929er“-)Krise des Kapitalismus hatte das deutsche Unternehmertum ein großes Problem: die deutsche ArbeiterInnenklasse, die damals noch wusste, dass „die Interessen des Kapitals und die Interessen der Lohnarbeit sich schnurstracks gegenüberstehn.“ (Karl Marx, „Lohnarbeit und Kapital“).

Damals zogen die Nazis den Industriellen und Bankiers, den Krupps und Co. gerade noch den Kopf aus der Schlinge, indem sie die bestorganisierte Arbeiterklasse der Welt entwaffneten und ihre fähigsten AktivistInnen in Folterkellern, Gefängnissen und KZs fast vollständig zugrunde richteten. Die Hitler-Regierung bescherte dem deutschen Besitzbürgertum traumhafte Profite.

Doch wir kennen die Geschichte. Dieses „deutsche Sommermärchen“ endete im sowjetischen Winter. Das deutsche Kapital verlor den Wettkampf um Rohstoffe und Absatzmärkte mit den Westmächten und den Vernichtungskrieg zur Eroberung der Sowjetunion. Die Niederlage war total.

Kapital am Boden!?!

1945 stand das deutsche Kapital als (zwar reicher, aber) absoluter Verlierer da. Der zuvor totale deutsche Staat war vorerst völlig verschwunden und Deutschland war völlig unter der Herrschaft von Staaten, auf die das deutsche Kapital keinen (oder kaum) Einfluss hatte. Die Alliierten planten, Deutschland nach ihren staatlichen Interessen neu zu gestalten. Das deutsche Kapital sollte seiner Aggressivität beraubt werden. Dazu wurde Deutschland verkleinert und sollte nach der Erklärung von Potsdam nicht nur „Denazifiziert“, sondern auch „Demokratisiert“, „Demilitarisiert“, „Dezentralisiert“ werden. Vor allem im Punkt B.12., der die „Vernichtung der … übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft …, insbesondere Kartelle … und andere Monopolvereinigungen“ vorsah, bedeutete für die deutschen Bonzen eine massive Verschlechterung ihrer internationalen Konkurrenzfähigkeit.

Die alliierten Pläne für Bodenreformen sollten die reaktionären GroßgrundbesitzerInnen entmachten und dafür die LandarbeiterInnen- und Kleinbauernfamilien mit einer Lebensgrundlage ausstatten. Die größte Angst hatte das deutsche Unternehmertum dabei vor Stalins Sowjetunion. Das lag nicht nur an der alten Angst vor „Kommunismus“. Stalin hatte bereits vor und während des Krieges klar gemacht, dass die Sowjetunion nicht auf die Weltrevolution zielte. Die deutschen Eliten aber hatten von der Sowjetunion dennoch nichts zu erwarten. Schließlich hatte die Bevölkerung der UdSSR im erklärten deutschen Vernichtungskrieg den allerhöchsten Blutzoll zahlen müssen. So hatten Stalin und die Sowjetbürokratie das größte Interesse an einer ewigen Schwächung des deutschen Kapitalismus.

Wurzeln des Faschismus

Die Bedrohung für das deutsche Kapital war jedoch nicht nur eine ausländische. Mit der Befreiung vom Faschismus begann sich auch die zerschlagene deutsche ArbeiterInnenbewegung (unter den Bedingungen der Besatzung) wieder zu organisieren. Schon kurz nach dem Zusammenbruch der deutschen Staatlichkeit begannen „Antifa-Kommitees“ und ähnliche Basis-Zusammenschlüsse damit, die Verhältnisse zu ordnen. Sie arbeiteten an der Wiederherstellung der Versorgung und verfolgten Nazischergen. In einigen Betrieben hatten die ArbeiterInnen die Produktion selbst in die Hand genommen, die BesitzerInnen enteignet und spontan „Betriebsräte“ gewählt, welche die Betriebe leiteten. Auch hier gingen die ArbeiterInnen selbständig gegen Nazis vor. Ein Bericht aus dem thüringischen Woltermarshausen beschreibt das proletarische Vorgehen farbenfroh: „Ach, die Reinigung unserer Verwaltung … hat uns sehr wenig Kopfschmerzen gemacht: Wir haben diese Leute ins Arbeitsverhältnis zurückversetzt, und sie fahren als Bergarbeiter mit in den Schacht ein. … Die Herren machen noch etwas dumme Gesichter, aber unsere Kollegen Bergarbeiter versichern uns, daß sie schon nach kurzer Zeit verhältnismäßig gute Bergarbeiter geworden sind …, und wenn sie noch etwas länger im Schacht gearbeitet haben, werden sie noch bessere Bergarbeiter sein.“

Die Angehörigen der ArbeiterInnenklasse waren fast geschlossen der Auffassung, dass mit dem Faschismus der Kapitalismus endgültig abgewirtschaftet hatte. Die Besatzungsmächte (und zwar alle) hatten nichts übrig für solche Selbständigkeit und gingen gegen die „Antifa-Kommitees“ und die Räte vor.

Auferstanden aus Ruinen

Auch wenn Stalin und Konsorten kein antikapitalistisches Programm für Deutschland hatten und ein vereintes, kapitalistisches aber schwaches Deutschland forderten, waren die kapitalistischen Westmächte die wichtigsten Verbündeten der alten deutschen Eliten. Denn auch deren neuer alter Feind hieß (wenn auch Anfangs weniger deutlich) Sowjetunion und jede Form von Sozialismus. Sie trieben die deutsche Teilung voran, immer darauf bedacht, den sowjetischen „KommunistInnen“ dabei den Schwarzen Peter zuzuschieben. Die Westmächte stoppten Reparationslieferungen an die Sowjetunion, verwarfen die Bodenreform-Pläne, vereinigten ihre Zonen wirtschaftlich miteinander und stießen mit der einseitigen Einführung der D-Mark die Ostzone in zusätzliche Schwierigkeiten. Die folgende Gründung der Bundesrepublik Deutschland war dann nur die Zementierung der deutschen Teilung im Rahmen des weltweiten „Blockkonfliktes“.

Die Teilung war ein Glücksfall für (fast) Alle, die unter den Nazis profitiert hatten. Die ehemaligen Nazis waren nun willkommene antikommunistische „Fachkräfte“, ob in der Politik (am bekanntesten: Bundeskanzler Kiesinger), in der Justiz oder im Bildungswesen. Der Antikommunismus war als ideologische Grundlage in der bundesrepunlikanischen Gesellschaft verankert worden. Macht und Eigentum der KriegsgewinnlerInnen waren durch die Spaltung der Bevölkerung in BewohnerInnen von Ost oder West weitgehend gesichert, denn in Westdeutschland sollte jedeR zum Bekenntnis gezwungen werden, AnhängerIn der kapitalistischen „freien Welt“ oder andernfalls AnhängerIn des „Kommunismus“ – also FeindIn – zu sein.

„Free World“

Die Einbindung in den Westblock brachte dem deutschen Kapital unglaubliche Vorteile. Der neue Staatsapparat, mit dem so viele Verbindungen bestanden, war personell (ziemlich) der gleiche wie vor dem Krieg. Nun hatten zwar die US-Eliten und (in viel geringerem Maße) die Großbritanniens sowie Frankreichs immer das letzte Wort, doch die waren im Kampf gegen die stalinistische Welt an einer starken BRD interessiert und ließen den deutschen Bonzen daher weitestgehend freie Hand. Sogar die ArbeiterInnen der BRD konnten schließlich für das kapitalistische Projekt gewonnen werden. Anfangs ging es zwar auch den Lohnabhängigen in der BRD relativ schlecht – aber immerhin ging es ihnen besser als bei Kriegsende und auch noch besser als den ArbeiterInnen in der von Demontagen und sonstigen Reparationen heftig getroffenen, sowie industriell ohnehin schlechter ausgerüsteten DDR. Neben der materiellen Besserstellung spielte auch die antirussische und antikommunistische Hetze eine große Rolle, die nahtlos an die jahrelange Arbeit der Nazi-Propagandamaschine anknüpfen konnte. Die im Vergleich zu den SoldatInnen der Westalliierten leider hohe Zahl an Übergriffen von Angehörigen der Roten Armee bei Kriegsende unterstützten das neue alte Feindbild noch, wobei der Hintergrund dieser Verbrechen, die unfassbar blutrünstige deutsche Kriegsführung im Osten, von der Westpropaganda natürlich völlig ausgeblendet wurde.

Bald (1955) bekamen diese Eliten sogar wieder eine eigene Armee erlaubt. Und bald war die westdeutsche Wirtschaft wieder eine der stärksten Europas. Daran hatten die „GastarbeiterInnen“ einen bedeutenden Anteil, die in Italien, Griechenland, Jugoslawien und der Türkei wie Vieh ausgewählt und nach Westdeutschland verbracht wurden. Hier bescherten sie als „ArbeiterInnen zweiter Klasse“ nicht nur den deutschen Konzernen Extraprofite, sondern verstärkten die Bindung der „deutschen“ ArbeiterInnen an die deutschen AusbeuterInnen. Denn weil die Drecksarbeit nun von „Spaghettifressern“ und „Kümmeltürken“ übernommen wurde, bekamen viele „Deutsche“ die Möglichkeit des Aufstiegs in (etwas) höhere Positionen und Lohngruppen. Die Berichte über „Ausländerkriminalität“ „mangelnden Integrationswillen“ und „Parallelgesellschaften“ überdecken bis heute den Klassengegensatz zwischen BRD-KapitalistInnen und BRD-ArbeiterInnen mit einem rassistischen Schleier. Die schlecht kaschierte AusländerInnenfeindlichkeit verhindert eine solidarische Vereinigung der bundesdeutschen Lohnabhängigen zu einer klassenkämpferischen ArbeiterInnenbewegung, die wie einst die Kapitalherrschaft gefährden könnte.

Imperialismus reloaded

Der strategisch größte Erfolg des deutschen Kapitals war die Übernahme der DDR 1990. Mit dem Slogan „Wir sind ein Volk!“ wurden die DDR-BürgerInnen dazu gebracht, den deformierten Arbeiterstaat an das alte deutsche Kapital zu verschenken. Die DDR wurde „abgewickelt“, als BRD stieg Deutschland wieder zum (v.a. ökonomisch) mächtigsten europäischen Staat auf. Es wurde von der Kontrolle der ehemaligen Besatzungsmächte befreit und nimmt seit 1999 wieder aktiv an weltweiten Kriegseinsätzen zur Sicherung von Rohstoffen und Absatzmärkten teil. Für die Kontrolle von vermeintlicher und wirklicher Opposition steht schon heute ein Apparat bereit, von dem die Stasi-BürokratInnen allerhöchstens träumten.

Zur Spaltung nutzen die BRD-Eliten weiterhin die bewährten ideologischen Rezepte Antikommunismus (nun allerdings modifiziert als „leichenfleddernde“ Rückschau auf die DDR) und AusländerInnenfeindlichkeit. Auch wird mithilfe von Fußballnationalmannschaft und Kampagnen wie „Du bist Deutschland!“ ein nationale Gemeinschaft von Reich und Arm beschworen. Die Bundesrepublik Deutschland bietet damit eine ideologische Grundlage, auf der faschistische Bewegungen leider recht gut gedeihen können, da diese die öffentlichen Botschaften der kapitalistischen Eliten nur klarer und deutlicher aussprechen und damit auch noch oppositionell wirken.

Klassenkampf reloaded?

Der Klassenkampf von unten ist in Deutschland auf einem armseligen Niveau. Die SPD hat es im Laufe der bundesrepublikanischen Zeit geschafft, von einer Partei, die Sozialismus nur noch in Worten forderte zu einer erklärt antisozialistischen „Partei der Mitte“ und zum Flaggschiff des Sozialabbaus zu werden. Die Partei „Die Linke“ gibt sich wenig kämpferischer als die SPD der vor-Schröder-Ära. Sie nimmt das Wort „Sozialismus“ zwar noch in den Mund, bekennt sich aber (wie schon die PDS) wiederholt zu freiem Unternehmertum und Marktwirtschaft. Sie bindet durch eine „linke“ Rhetorik radikalere Kräfte in Jugend und ArbeiterInnenbewegung an sich. Viele Linke links davon geben sich „massenorientiert“ und geben kaum klare Antworten; andere, „Ultralinke“, fristen ein Kleingruppen-Dasein, in dem sie sich zu ihrer Schande teilweise auch noch eingerichtet haben.

Der revolutionäre Kommunismus liegt in Deutschland absolut am Boden. Durch die StalinistInnen und die bürgerlichen Linken bekämpft, haben trotzkistische Gruppen es nie geschafft, größeren Einfluss zu gewinnen. Ob wir es schaffen, eine sichtbare Alternative zu Reformismus, Stalinismus und Organisationsfeindlichkeit aufzubauen, hängt von unserer Fähigkeit zur Zusammenarbeit ab und von der Ehrlichkeit und Klarheit, mit der wir uns an den kommenden Kämpfen beteiligen. Unsere gelebte internationale Perspektive ist dabei vielleicht das größte Pfund des Trotzkismus. Dass die abhängig Beschäftigten ihre Spaltung überwinden und sich ihrem gemeinsamen Gegner, dem Kapital und seinen BesitzerInnen, endlich erfolgreich entgegenstellen ist eine Aufgabe, die nun schon seit gut hundert Jahren überfällig ist.

Wir RevolutionärInnen in der BRD müssen heute unserem Klassenfeind, dem deutschen Kapital wohl, leider für sein verdammtes perfides Geschick und seinen blutigen Erfolg eine gewisse Anerkennung zollen.

Weitere 60 Jahre hat die BRD gewiss nicht vor sich. In nicht so ferner Zukunft wird die Krise die alte Frage hier wieder offen stellen: sozialistische ArbeiterInnenrepublik oder erneute Barbarei?

Wir kennen ja die Antwort unserer alten FeindInnen. Doch müssen und werden wir alles dafür tun, dass die ArbeiterInnenklasse Deutschlands und der Welt geschlossen die andere Antwort geben kann.