Am 31. März 2009 wurde 600 KollegInnen bei Visteon in Grossbritannien und Irland die Anstellung gekündigt. Der Zulieferer von Plastikteilen für die Autoproduktion, vornehmlich für Ford, wollte damit Kosten einsparen und so seine Werke in den USA schützen. Jedoch hatten die Bosse die Rechnung ohne die mutigen ArbeiterInnen in Belfast und Enfield (2 der 3 betroffenen Werke) gemacht. Einen Tag später waren die Werke besetzt. Aus Enfield berichtet Sebastian Osthoff …
Die US-Automobilbranche hat schon seit einigen Jahren keine schwarzen Zahlen mehr geschrieben. Von der Finanz- und Wirtschaftskrise ist sie besonders betroffen, da in den USA der Automobilmarkt aufgrund eines Kaufkraftrückganges der KonsumentInnen eingebrochen ist. Nun versuchen sich die Grossen der US-Autobauer, vor allem General Motors und Ford, durch massiven Stellen- und Kostenabbau gesund zu finanzieren. Die Kosten dieser Massnahmen müssen – wie in solchen Fällen üblich – die ArbeiterInnen bezahlen.
Ab aufs Dach
Um Widerstand seitens der ArbeiterInnen zu vermeiden, entschied sich Ford im Falle Visteon zur altbekannten Strategie, den Frosch nicht in kochendes Wasser zu werfen, sondern die Temperatur langsam zu erhöhen. Ein erster Schritt bestand darin, die einst Ford-eigenen Zulieferbetriebe auszugliedern. Aus Ford wurde Visteon. Als die Konsequenzen der Finanzkrise für Ford spürbar wurden, wurde die Auslastung der Visteon Werke stückweise zurück gefahren. Seit etwa einem halben Jahr wurde zuerst vom Dreischichtbetrieb in den Zweischichtbetrieb gewechselt, später gab es nur noch eine Tagesschicht, schlussendlich war auch dafür kaum mehr Arbeit vorhanden.
Am 30. März erhielten die ArbeiterInnen einen Aufruf, die Werke in Enfield, Basildon und Belfast zu räumen, die persönlichen Schränke könnten am nächsten Tag ab 10 Uhr geräumt werden. Soweit liessen es die ArbeiterInnen in Enfield und Belfast nicht kommen. In eiligst einberufenen Versammlungen beschlossen sie, die Werke zu besetzen. Im Falle von Enfield dauerte es gerade mal 6 Minuten, bis diese Entscheidung gefallen war. Am nächsten Tag nutzen die ArbeiterInnen ihre vorzüglichen Kenntnisse der Lokalität und des Sicherheitsdispositivs, um sich Zugang zu den Werken zu verschaffen. Die ArbeiterInnen versammelten sich auf den Dächern der Werke und setzten ein lautstarkes, kräftiges und vorbildliches Zeichen dafür, dass sie nicht bereit sind, für die Willkür des Kapitals hinzuhalten.
Die Bürokratie rüstet auf…
Der englischen Gewerkschaftsbürokratie passte dies aber überhaupt nicht in den Kram. Von Anfang an verurteilte sie die militante Aktion der ArbeiterInnen und versuchte, die Kämpfe auf ihre Standardweise der Hinterzimmergespräche und faulen Kompromisse zu vereinnahmen. Schon während der Besetzung trafen sich Funktionäre der englischen Grossgewerkschaft UNITE zu geheimen Gesprächen mit den Bossen von Visteon. Natürlich waren daran keine Mitglieder der Visteon-Belegschaft beteiligt und sie sind es bis heute nicht. Dies zeigt klar, dass die Gewerkschaftsbürokratie mit widerwärtigem Zynismus den Interessen der ArbeiterInnenklasse gegenüber tritt, und keine Gelegenheit auslässt, diese für den Erhalt ihres Status Quo den KapitalistInnen aus zu händigen.
Unmittelbar nachdem die Visteon Werke besetzt wurden ging Visteon mit teilweise haarsträubenden Anschuldigungen vor Gericht. So hätten einige ArbeiterInnen beim Besetzungsakt Sicherheitsleute angegriffen. Tatsächlich haben nur einige ArbeiterInnen Sicherheitsleute zurückgeschubst (und wirklich nur geschubst, was Sicherheitsdienstangestellten keinen grossen Schaden zu fügen sollte) und auch erst dann, als diese versuchten, den ArbeiterInnen mit Gewalt Fahnen und Transparente weg zu nehmen. Von der kriminellen Vorgehensweise seitens Visteons bei der Kündigung der ArbeiterInnen war natürlich nicht ein einziges Mal die Rede! Schliesslich gab das bürgerliche Gericht sogar den an den Haaren herbeigezogenen Anklagen von Visteon Recht und verhängte absolut irrwitzige Strafen über die Streikenden. Einige ArbeiterInnen sahen sich mit zweijährigen (!) Gefängnisstrafen konfrontiert.
Die Gewerkschaftsbürokratie nutzte die Gunst der Stunde, um die Streikenden zu entwaffnen. Eiligst wurde (wieder im Hinterzimmer, ohne Einbeziehung der Belegschaft) ein Deal arrangiert, dass die Anklagen fallen gelassen werden sollten, falls sich die ArbeiterInnen bereit erklärten, das Werk in Enfield zu räumen. Überwältigt von der Willkür des bürgerlichen Justizapparats, kamen diese der Forderung nach. Die Besetzung in Enfield endete nach 9 Tagen. Die Besetzung in Belfast dauert immer noch an.
Auf die Barrikaden
Nachdem die ArbeiterInnen das Werk in Enfield verlassen haben, wurde ein privater Wachdienst beauftragt eine neuerliche Besetzung zu verhindern. Die ArbeiterInnen haben Streikposten gebildet und versperren zur Zeit die Zugangswege zum Werkgelände, um zu verhindern, dass die Bosse die Maschinen demontieren und wegschaffen. Ihre Forderungen sind klar, sie wollen eine angemessene Entschädigung, einen anständigen Sozialplan. Einige der ArbeiterInnen haben über 40 Jahre im Werk in Enfield gearbeitet, für sie ist die Schliessung des Werkes ein Schlag ins Gesicht.
Die Streikposten sind gut organisiert. Sie arbeiten im Dreischichtbetrieb, wie einst früher in der Fabrik. Einige bleiben zwar zu Hause und hoffen, dass sich das schon irgendwie ausgehe, aber die meisten wollen weiterkämpfen. Die Stimmung bei den Streikposten ist gedrückt, viele sind nicht mehr so optimistisch. Bis zum heutigen Tage haben die Gewerkschaften noch keinen Penny Streikgeld bezahlt. Nicht alle haben Ersparnisse, einige kämpfen ums nackte Überleben, müssen Hypotheken abbezahlen. Das nagt an den Leuten. Aber sie wissen, wenn sie nicht weiterkämpfen, verlieren sie alles. In die Gewerkschaft haben sie keine Illusionen mehr. Die BürokratInnen hätten sowieso nur sich selbst im Kopf, kein Interesse für die Basis. Und die ArbeiterInnen sind stolz darauf, an alle anderen ArbeiterInnen welche man auch noch für die Krise bezahlen lassen wird, auch ein Beispiel dafür zu geben, dass man sich wehren muss gegen die Angriffe der Bosse,. Heute bereuen es die meisten, dass sie damals auf den Rat der BürokratInnen hin aus der Fabrik raus gegangen sind. Wenn sie drin geblieben wären, so meinen sie, wären sie in der stärkeren Position.
Aussichten
Beachtlich an der Besetzung in Enfield ist, dass die ArbeiterInnen verschiedene Widersprüche aus der Gesellschaft aufgenommen haben. Für sie ist es nicht nur ein einfacher Arbeitskampf. In einem von Ihnen verfassten Dokument fordern sie, das Werk auf die Produktion von grüner Technologie um zu rüsten. Sie wollen ihre Fähigkeiten und ihre Maschinen nützlich einsetzen, zum Beispiel um Fahrräder, Solarzellen, Turbinen oder Recycling Container herzustellen, die Mittel dazu hätten sie allemal. Viele sind hochqualifizierte Arbeitskräfte, viele sind über 40. Ihre Chancen, auf dem Arbeitsmarkt Stellen zu finden, die ihren Qualifikationen entsprechen sind gering. Sie wollen, dass Visteon verstaatlicht wird, der Staat soll ein Bekenntnis zur Ökologie und zur Sicherung der Arbeitsplätze machen.
Zum Weiterlesen:
US-Autoindustrie: Klassenkampf von oben (Jänner 2009)
Opel: Kampf gegen Massenentlassungen! (Dezember 2008)
Zwangsbeurlaubung im französischen Automobilsektor (November 2008)
Motorschaden – die kapitalistische Krise am Beispiel der Automobilindustrie (Februar 2005)