Wird heute die Notwendigkeit des Kampfes für Frauenbefreiung erkannt – und nicht mit einem postmodern-überlegenen oder dumpf-angepassten Lächeln als angeblicher Anachronismus entsorgt –, dann geht damit zumeist die Vorstellung von klassenübergreifend gemeinsamen Interessen aller Frauen einher. Dahinter steht die Sichtweise, dass soziale Diskriminierung und Unterdrückung in unserer Gesellschaft alle Frauen gleichermaßen betrifft. Folgerichtig werden dann eine diffuse „Frauenpower“ oder gleiche Karrierechancen gefordert und auf Veränderungen durch die Institutionen des Systems gebaut.
Diese marxistische Sichtweise ist heute alles andere als Mainstream. Selbst in der ArbeiterInnenbewegung gibt es wenig Einsicht in die Verbindung des Frauenbefreiungskampfes mit der sozialen Frage. Dass das nicht immer so war, wollen wir in der vorliegenden Arbeit aufzeigen. Der Bogen wird dabei von den Anfängen der proletarischen Frauenbewegung über deren Aufblühen bis hin zur Integration in die Sozialdemokratie gespannt. Politisch-inhaltliche und organisatorische Entwicklungen stehen dabei gleichermaßen im Brennpunkt. Der Fokus liegt dabei auf Deutschland – nicht zuletzt, weil hier die wesentlichen theoretischen Weichenstellungen vorgenommen wurden.
Großes Augenmerk wird auf das Verhältnis der proletarischen Frauenbewegung zur ArbeiterInnenbewegung einerseits und zur bürgerlichen Frauenbewegung andererseits gelegt. Unter anderem diskutieren wir dabei die unterschiedlichen Konzepte von Clara Zetkin, der führenden Persönlichkeit der proletarischen Frauenbewegung und Vertreterin des revolutionären Flügels der Sozialdemokratie, und von Lily Braun, die dem rechten Parteiflügel angehörte.
Breiten Raum nehmen auch die Positionsbildungen zur Frage der Sexualität ein – ein Thema, das auch damals schon polarisiert hat. Und schließlich analysieren wir, warum sich die proletarische Frauenbewegung im Unterschied zur Führung der Sozialdemokratie und auch zur bürgerlichen Frauenbewegung im Ersten Weltkrieg zu guten Teilen gegen den imperialistischen Krieg positioniert und sich gegen die nationalistische Kriegsbegeisterung gestellt hat. Die vorliegende Arbeit zeigt die Schwächen und die Errungenschaften der proletarischen Frauenbewegung und ihrer führenden Protagonistinnen. Es wird herausgearbeitet, welche Lehren wir für den heutigen und zukünftigen Kampf um Frauenbefreiung und Revolution ziehen können.
Maria Pachinger
Inhalt
Editorial (Maria Pachinger)
I. Die Anfänge der deutschen Arbeiterinnenbewegung
Das frühsozialistische Erbe
1848/1849: „Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen!“
Die 1860er Jahre und die Diskussion um die Frauenarbeit
Der „Vereinstag Deutscher Arbeitervereine“
„Gemütlichkeit und Poesie des häuslichen Lebens“
Der Beginn der organisierten Arbeiterinnenbewegung
Gothaer Parteitag, Bebels „Frau“ und das Sozialistengesetz
Organisatorische Entwicklungen
II. 1889-1908: Formierung der proletarischen Frauenbewegung
Zetkin 1889: „Für die Befreiung der Frau“
Die Parteitage in Halle (1890) und Erfurt (1891)
Organisatorische Neustrukturierung
Gewerkschaften und Arbeiterinnenbewegung
Gewerkschaftliche und politische Frauenbewegung
Arbeiterinnenschutz
Bürgerliche und proletarische Frauenbewegung
Lily Braun und der Revisionismus
Lily Braun: Die Frauenfrage (1901)
… und die Reaktionen darauf
Die „Gleichheit“ – das zentrale Organ der proletarischen Frauenbewegung
Organisatorische Struktur und Frauenkonferenzen
Frauenstimmrecht und Wahlrechtskämpfe
1. Internationale Frauenkonferenz (1907)
Internationale Frauenkonferenz und Wahlrechtsfrage
Ehe, Familie und Frauenemanzipation
Auflösung von Ehe und Familie?
Vergesellschaftung der Hausarbeit
III. 1908-1914: Integration und reformistische Neuausrichtung
Das neue Reichsvereinsgesetz (1908) …
… und die Integration der Frauenbewegung in die Partei
Kopenhagen 1910: zweite internationale Frauenkonferenz
Parteitage und Frauenkonferenz 1911
Wahlrecht und proletarischer Frauentag
„ein gewisses Maß der Selbständigkeit“ (Zetkin)
Geburtenkontrolle und Gebärstreik-Debatte
Prostitution und sexuelle Moral
Liebe, Sexualität und proletarische Frauenbewegung
Mutterideologie und Mutterschutz
Helene Stöcker und die „Neue Ethik“
Arbeiterinnenschutz und Gewerkschaften vor dem Weltkrieg
IV. Die proletarische Frauenbewegung im Ersten Weltkrieg
„Dienst am Vaterland“ – bürgerliche Frauenbewegung 1914/1918
Antikriegskongress Basel 1912
August 1914 – Verrat der sozialdemokratischen Parteiführungen
Die sozialdemokratische Frauenbewegung im Krieg
März 1915 – Internationale Frauenkonferenz gegen den Krieg
Gewerkschaftliche Frauenbewegung zwischen Auflehnung und Burgfrieden
Die Spaltung der Sozialdmemokratischen Partei
Das Ende der „Gleichheit“
Die Konsequenzen der Spaltung
Ergebnisse und Perspektiven der proletarischen Frauenbewegung
V. Anhang
Statistiken und Übersichten
1 frühe proletarische Frauenorganisationen
2 Parteitage und Frauenkonferenzen der SPD (1890-1918)
3 Kongresse der II. Internationale
4 Mitgliedschaft von Frauen in SPD und Freiebn Gewerkschaften
5 Parteitagsdelegierte der SPD 1890 – 1913 und Debattenbeiträge
6 Beiträge von Frauen zu den Parteitagsdebatten (1890 bis 1913)
7 weibliche Delegierte auf Gewerkschaftskongressen
Verzeichnis der zitierten Literatur
Personenverzeichnis