Komintern, Teil 3: Niedergang und Auflösung

 

Das Jahr 1923 markierte einen Wendepunkt in der Geschichte Sowjetrusslands bzw. der UdSSR, aber auch einen Wendepunkt für die Kommunistische Internationale. In Russland war die Bürokratisierung von Staat, Gesellschaft und Partei bereits weit fortgeschritten; schon vor dem Tod Lenins im Januar 1924 war der Kampf um die Nachfolge entbrannt. Seit Beginn des Jahres 1923 war die Situation in der Führung der bolschewistischen Partei nicht ganz klar. Mit der sich auf den Parteiapparat stützenden „Troika“ Sinowjew, Kamenjew und Stalin bildete sich eine diffuse Opposition gegen Trotzki, der sich als Führer der Oktoberrevolution und der Roten Armee im Bürgerkrieg nach wie vor großer Beliebtheit erfreute, und letztlich auch gegen den bereits erkrankten und nicht mehr voll handlungsfähigen Lenin.

1923 war aber auch für Deutschland und darüber hinaus für Europa ein Wendepunkt. In Deutschland spitzte sich in diesem Jahr die Krise dramatisch zu. Die Hyperinflation erreichte ihren Höhepunkt, französische und belgische Truppen besetzten das Ruhrgebiet, Herbst 1923 hatte die KPD in Sachsen und Thüringen im Rahmen der Einheitsfrontpolitik ihre grundsätzliche Zustimmung zur Bildung von Arbeiter/innen/regierungen aus KPD und SPD erklärt. Die KPD war aber nicht in der Lage, die außerordentliche Zuspitzung der Lage für sich zu nutzen – mit der Niederlage in Deutschland war die Hoffnung auf eine rasche Ausdehnung der Weltrevolution auf die weiter entwickelten Industrieländer Europas geschwunden. Erschwert wurde die Niederlage in Deutschland noch zusätzlich durch das Desaster des bulgarischen Abenteuers. Im Sommer wurde vom Emissär Kolarow mit Zustimmung des Komintern-Vorsitzenden Sinowjew ein bewaffneter Aufstand vorbereitet, der in einer entsetzlichen Niederlage mit einem Blutbad endete.

1923 war aber auch das Jahr, in der – im Angesicht der Niederlagen der Revolution in Mittel- und Südosteuropa – große Erwartungen in neue Bündnispartner gesetzt wurden. Im Dezember 1923 trat zum ersten Mal in Großbritannien eine von der Labour-Party gestellte Regierung das Amt an. Illusionen in eine durch einen Sieg in Parlamentswahlen an die Regierung gekommene Partei waren die Folge. Nicht weniger opportunistisch waren die Versuche, über eine Sommer 1923 gegründete „Bauerninternationale“ neue Mitkämpfer/innen, so etwa die Kroatische Bauernpartei unter Stjepan Radić, zu gewinnen.

Das alles waren klare Zeichen der Desorientierung in der Kommunistischen Bewegung. Besonderes beunruhigend war aber die Entwicklung in der Sowjetunion selber: Am 21. Januar 1924 war Lenin gestorben, im April wurde der 13. Parteikongress abgehalten. In einer besonderen Sitzung des Zentralkomitees wurde von Lenins Witwe Krupskaja Lenins Testament verlesen, in dem u.a. die Absetzung Stalins verlangt wurde. Entgegen diesen Wünschen wurde schließlich beschlossen, das Testament unbeachtet zu lassen. Obwohl Trotzki, der bis in die letzten Lebensmonate zweifellos Lenins engster politischer Mitstreiter geblieben war, sich in dieser Frage in Schweigen hüllte, war der Parteikongress von Angriffen gegen Trotzki geprägt. In diese Periode fällt auch die Erfindung des „Trotzkismus“, der zum ersten Mal am Parteikongress „verurteilt“ worden war und dem „Leninismus“ bzw. dem „Marxismus-Leninismus“ gegenüber gestellt wurde.

V. Weltkongress

In dieser unklaren Situation wurde der V. Weltkongress der III. Internationale (Juni/Juli 1924) abgehalten. Dessen Aufgaben wären zweifellos eine schonungslose Analyse der Niederlagen der Revolution in Deutschland und Bulgarien, aber auch der Bürokratisierungstendenzen der Sowjetunion gewesen. Doch im Unterschied zu den ersten vier Weltkongressen verhinderte bereits die Kongressregie eine offene Auseinandersetzung über die Ursachen der Niederlagen und die Möglichkeiten für eine neue revolutionäre Politik.

Die Richtung wurde von Sinowjew vorgegeben: Der Kongress stand im Zeichen der so genannten „Bolschewisierung“ der Kommunistischen Parteien und des Kampfes gegen die „Gefahr von rechts“. Die Differenzen in der russischen KP sollten durch einen Rückgriff auf den angeblich eisernen Monolithismus des ursprünglichen Bolschewismus unterdrückt werden, die „Bolschewisierung“ der Kommunistischen Parteien war nichts anderes als der Versuch Sinowjews und Stalins, diesen Monolithismus – gewürzt mit einem Kult Lenins und des Bolschewismus – auf die Sektionen überzustülpen und sie damit unter Kontrolle der russischen Partei zu bringen. Letztlich war diese „Bolschewisierung“ Ausdruck einer Bürokratisierung der Parteien und der Internationale – an die Stelle des demokratischen Zentralismus der Anfangsjahre trat ein bürokratischer Zentralismus, der statt offener Diskussionen Ergebenheitsadressen verlangte, statt demokratischer Entscheidungsfindung Appelle, die von oben an die Basis weitergereicht wurden. Die Beschneidung jeglicher Eigenaktivität und Selbstverantwortung betraf auch spezielle Organisationen wie die Kommunistische Fraueninternationale, deren Strukturen Mitte der 1920er Jahre einer stärkeren Zentralisierung der Komintern im Wege standen.

Das Hauptziel der Einheitsfrontpolitik war nun die Entlarvung der Arbeiter/innen/verräter und nicht mehr das Angebot zu einem gemeinsamen Kampf. Die Sozialdemokratie wurde als Flügel des Faschismus definiert, was bereits auf die spätere Sozialfaschismustheorie hindeutete. Der Weltkongress wurde auch über die Vorgänge in der bolschewistischen Partei, der KPdSU, informiert, die Opposition als „Anziehungspunkt für parteifeindliche Kräfte“ charakterisiert. Ergebnis war eine Resolution über die russische Frage, in der die Opposition verurteilt wurde. Trotzki schwieg zu alledem. Er scheint davon ausgegangen zu sein, dass die Führungsgruppierung in der UdSSR in Kürze auseinander brechen müsse und ein zu früh begonnener Kampf die Troika zusammenschweißen und ihn in der KPdSU und in der Internationale isolieren würde. Trotzki unterschätzte 1924 ganz offensichtlich selbst noch den Grad der Bürokratisierung von Partei und Gesellschaft und ging korrekter Weise nach wie vor auch davon aus, dass die Niederlage der deutschen Revolution nicht das Ende der revolutionären Welle bedeuten müsse, dass zwar die Perspektiven zeitlich sich gedehnt hätten, dass aber der nötige revolutionäre Impuls, der die Sowjetgesellschaft wieder mit neuem Leben erfüllen könnte, nach wie vor Ergebnis der internationalen Revolution sein werde.

Viele Hoffnungen ruhten jetzt auf der Kolonialrevolution. Die Komintern hatte zwar die Notwendigkeit der politischen Unabhängigkeit des Proletariats bestätigt, war in der Frage des Klassencharakters der künftigen Revolution in Kolonialländern unbestimmt geblieben. Ebenso unklar war das Verhältnis zur Bourgeoisie in (halb-) kolonialen Ländern. Seit dem II. Weltkongress wurde ein Bündnis mit einer bürgerlichen Befreiungsbewegung für möglich erachtet. Als Bedingungen dafür wurden festgelegt, dass diese bereit sein mussten, die Unabhängigkeit der proletarischen Partei anzuerkennen und die revolutionäre Organisierung der ausgebeuteten Massen durch die Kommunist/inn/en zuzulassen. Dazu war die große Mehrheit der potenziellen bürgerlichen Bündnispartner freilich nicht bereit.

Im Unterschied zur (ultra) „linken“ Politik, die die Komintern am V. Weltkongress für die industrialisierten Länder Europas favorisierte, war die Politik in den Kolonialländern von einer rechtsopportunistischen Anpassung an die koloniale Bourgeoisie geprägt. Manuilski, der im Namen des Zentralkomitees der russischen KP auftrat, legte sich nicht nur auf eine Zusammenarbeit mit Parteien wie der Goumindang in China fest, sondern wollte die Komintern auch auf die Initiative zur Bildung von bürgerlich anti-imperialistische Parteien und zu einem Block mit der kolonialen Bourgeoisie verpflichtet sehen.

Rechtskurs der Komintern

Was Europa betraf, war das Ergebnis des V. Weltkongresses ein Schwenk nach „links“. Dieser sollte allerdings nicht von Dauer sein. Bereits am 5. Plenum des EKKI, des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, wurde die internationale Lage pessimistischer eingeschätzt als noch im Jahr zuvor. Es gebe Anzeichen für eine „demokratisch-pazifistische Ära“, Sinowjew sah nun in Deutschland deutliche Anzeichen einer Stabilisierung. Kennzeichnend für die künftige Komintern-Politik wurde auch der Umgang mit der eigenen Geschichte – die so andere Linie des IV. Weltkongresses wurde nicht korrigiert, ja die letzten Monate hätten dessen Aussagen, so Sinowjew, sogar „glänzend bestätigt“. Verändert habe sich ausschließlich die objektive Lage. Der Fehler des V. Kongresses war es gewesen, die Niederlage in Deutschland nicht wirklich zur Kenntnis genommen zu haben. Mit dieser Methode, dass sich ausschließlich die Lage verändert habe, die Linie jedoch richtig gewesen sei, verkehrte sich der positive Impuls des 5. Plenums in sein Gegenteil. Denn wenn die Linie immer richtig war und die Ergebnisse zu wünschen übrig ließen, mussten für die Fehler Sündenböcke verantwortlich sein, die die Linie nicht richtig verstanden oder gar sabotiert hatten.

Weiter fortgeführt wurde daher die „Bolschewisierung“ der Kommunistischen Parteien: Fast alle Sektionen lieferten pflichtgemäß und in oft peinlich gleich lautenden Formulierungen die verlangte Verurteilung des „Trotzkismus“. Die „literarische Debatte“, die als Reaktion auf Trotzkis Veröffentlichung seiner dem Oktober 1917 gewidmeten „Lehren der Revolution“ losgetreten wurde, endete mit der politischen Ausschaltung Trotzkis, aber noch nicht mit seinem Parteiausschluss – diesmal begnügte sich die Parteiführung mit einer „allerkategorischsten Verwarnung“.

Mit dem Kampf gegen Trotzki und den „Trotzkismus“ war auch eine Frontstellung gegen die Grundgedanken der permanenten Revolution verbunden. Gemeinsam mit der Einschätzung, dass der Kapitalismus in eine stabilere Phase eingetreten sei, führte dies zu ersten Überlegungen von Bucharin und Stalin, ob der Sozialismus nicht auch in der Sowjetunion alleine aufgebaut werden könne. Bucharins These, dass sich die russische Revolution auch ohne Hilfe des westeuropäischen Proletariats dauerhaft zu halten vermöge, und Stalins Ansicht, dass das von der Bauernschaft unterstützte Proletariat eines siegreichen Landes die sozialistische Gesellschaft aufbauen könne, waren schon deutliche Vorboten der kommenden Theorie.

Dieser Rechtskurs führte zur Demontage der ultralinken Führung in Deutschland und zum Auseinanderbrechen der Troika am 14. Parteitag der KPdSU – Sinowjew und Kamenjew fühlten mit Recht, dass mit denselben Methoden, die sie gegen Trotzki angewandt hatten, der bürokratische Apparat nun auch sie zu Fall bringen würde. Die Troika zerbrach, und Sinowjew, damals noch Komintern-Vorsitzender, beugte sich dem Wunsch der KPdSU-Führung, eine Diskussion über die Vorgänge in der KPdSU vor den Gremien der Komintern nicht zuzulassen.

Das 6. Plenum des EKKI (Februar/März 1926) fand nur zwei Monate nach dem 14. Parteitag statt. Es war wohl symbolisch, dass die Opposition am Plenum ihre Positionen nicht darlegen durfte, während Chu Chan-min, der Vertreter des Zentralkomitees der bürgerlich-nationalistischen Guomindang und Generalissimus der Armee der chinesischen Kanton-Regierung, die Versammlung im Namen des chinesischen Volkes und der Guomindang begrüßen konnte.

Was sich hier bereits andeutete, war der ausgeprägt rechts-opportunistische Kurs der kommenden Monate. Während sich in der russischen Partei eine weit reichende Umgruppierung vollzog – die Troika war auseinander gebrochen, Sinowjew und Kamenjew bildeten mit Trotzki die Vereinigte Opposition –, wurde die Komintern nun von Bucharin (und vom bisher im Hintergrund agierenden Stalin) dominiert.

Der Rechtskurs war nicht nur in England spürbar, wo die Komintern das Anglo-Russische Gewerkschaftskomitee, also die Zusammenarbeit mit der TUC-Führung, auch dann aufrecht erhielt, als diese den Generalstreik und den Streik der Bergarbeiter des Jahres 1926 in die Niederlage geführt hatte. Der Rechtskurs hatte vor allem auf China Auswirkungen.

Mitte der 1920er Jahre war ein revolutionärer Aufschwung in mehreren (halb-) kolonialen Ländern bemerkbar. Dies betraf Indonesien, aber vor allem China, das von besonderer Bedeutung wurde. Die China-Politik war dabei ein entscheidender Prüfstein, denn die Komintern-Führung hatte von Anfang an entscheidenden Einfluss auf die Politik der chinesischen KP. Wir wollen hier nicht in allen Facetten die Politik der Komintern, die die chinesische KP in die blutige Niederlage führte, nachzeichnen. [siehe dazu: Koloniale Frage und Arbeiter/innen/bewegung, Marxismus Nr.22]

Jedenfalls stellte sich hier ganz praktisch die Frage der Zusammenarbeit mit bürgerlich-nationalen Bewegungen, konkret mit der Guomindang. Mitglieder der chinesischen KP traten nicht nur in die Guomindang ein, sowjetische Berater waren auch an der Ausgestaltung der Guomindang und ihres militärischen Armes maßgeblich beteiligt. Die Linksopposition warnte zurecht vor dieser Politik der Anpassung an die nationale Bourgeoisie, wenn auch spät und noch nicht mit einer Perspektive der permanenten Revolution. Sie konstatierte die Notwendigkeit des Austritts aus der Guomindang, was von Stalin, der an der „nationalen Einheitsfront“ festhielt, als Absurdität bezeichnet wurde. Die Unterordnung unter die Kräfte der Bourgeoisie wurde bis zu dem Augenblick aufrechterhalten, als Tschiang Kaischek zum Angriff überging: Im Frühjahr 1927 wurde mit der Vernichtung der Arbeiter/innen/bewegung durch die Guomindang der Revolution das Genick gebrochen. Auch diesmal verteidigte Stalin die Methode, die mit der Unterordnung unter die bürgerlichen Kräfte die Niederlage vorbereitet hatte – die Linie sei richtig gewesen, dass Tschiang Kaischek zum Konterrevolutionär werden würde, sei nicht vorhersehbar gewesen…

Das 8. Plenum des EKKI (Mai 1927) musste sich wohl oder übel mit der von der Führung der Komintern verschuldeten chinesischen Katastrophe beschäftigen. Die Intervention des Vertreters der Jugendinternationale, Vujović, und von Trotzki, der die chinesische Niederlage als direkte Konsequenz der Komintern-Politik bezeichnet hatte, endete mit der Verurteilung der Opposition als „ultralinks-sozialdemokratische Richtung“ und dem formellen Ausschluss der beiden aus dem EKKI. Der nächste Schlag ließ nicht lange auf sich warten: Am 15. Kongress der KPdSU (Dezember 1927) wurden die Ansichten der Opposition als unvereinbar mit einer Parteimitgliedschaft bezeichnet – um den Jahreswechsel begannen die Zwangsverschickungen der Oppositionellen.

Der Komintern kam nur die Rolle zu, die bereits getroffenen administrativen Maßnahmen im Nachhinein abzusegnen. Der bürokratische Flügel der KPdSU um Stalin und Bucharin hatte gesiegt, die Komintern den Sieg zu bestätigen. Für die Linke Opposition bedeutete dies eine Perspektive der Säuberung des Arbeiter/innen/staates von bürokratischen Deformationen, der Reform der KPdSU und eine Reform der Komintern. Die Orientierung auf den Aufbau einer neuen Partei und einer neuen Internationale wurde 1928 von Trotzki noch verworfen. Bis 1933 blieben die Reform von Staat, Partei und Internationale die Hauptpfeiler der Intervention der Linken Opposition.

Der 15. Kongress der KPdSU war eine entscheidende Wende für die Sowjetunion. Die Perspektive des „Sozialismus in einem Lande“ trat an die Stelle der Verpflichtung auf eine sozialistische Weltrevolution. Damit aber war eine – nicht offen kommunizierte – Neubewertung der Rolle der Komintern und der internationalen kommunistischen Bewegung verbunden: Sie hatte immer weniger die Aufgabe eines Transmissionsriemens für die Vorbereitung der internationalen Revolution, sondern immer mehr die eines „Grenzwächters der Sowjetunion“; proletarische Massenbewegungen wurden nun für die diplomatischen Interessen der Kreml-Bürokratie interessant, die Komintern degenerierte zum ausführenden Organ der Eigeninteressen einer abgehobenen Bürokratie.

Die Katastrophe der „dritten Periode“

Innerhalb der kommunistischen Bewegung waren 1928 deutliche Anzeichen für Desorientierung und für ein unbestimmtes Unbehagen zu spüren. Das 9. Plenum des EKKI (Februar 1928) bestätigte pflichtgemäß die Ausschlüsse und Deportationen, aber der Ausgrenzung der Opposition in der UdSSR musste unweigerlich auch eine ebensolche in den einzelnen Komintern-Sektionen folgen. Gleichzeitig machten die innenpolitischen Schwierigkeiten, vor denen die Opposition wegen der Politik der Förderung der reichen Bauernschaft immer gewarnt hatte, einen neuen Kurswechsel in der Sowjetunion erforderlich.

Das 9. Plenum war der Vorbote eines neuerlichen Linksschwenks in der KPdSU und in der Komintern. Dem chinesischen Proletariat wurden der Aufbau von Sowjets und die Vorbereitung eines Aufstandes als unmittelbare Aufgabe dekretiert, gleichzeitig wurde aber am bürgerlich-demokratischen Charakter der Revolution festgehalten. In der Sowjetunion antwortete das bürokratische Regime auf einen Lieferstreik der Großbauern mit Repression und der Vorbereitung einer neuerlichen Wende, die zu einer härteren innenpolitischen Gangart führen sollte.

Um die Reihen zu schließen, entschloss sich die Bürokratie zur Einberufung des VI. Weltkongresses (Juli/September 1928). Er stand im Zeichen einer weit gehenden Umorientierung im Zeichen einer nur nebelhaft umrissenen „dritten Periode“, mit der die zu Ende gehende Stabilität des Kapitalismus verstanden wurde. Leichter fassbar wurde die Umorientierung in einer neuen Haltung gegenüber der Sozialdemokratie – die Sozialfaschismus-Theorie wurde reaktiviert und ausgebaut. Der „rechten Strömung“ innerhalb der Komintern wurde der Kampf mit ideologischen Mitteln, aber auch durch „organisatorische Maßnahmen“ angedroht. Ein schematisches Komintern-Programm wurde angenommen, das die in China angewandte Politik und den Aufbau des Sozialismus in einem Lande kodifizierte. Und natürlich wurden die Beschlüsse des 15. KPdSU-Kongresses mit ihren Maßnahmen gegen die linke Opposition gutgeheißen.

In vielerlei Hinsicht hatte der VI. Kongress Ähnlichkeiten mit dem V. Kongress: Die offiziellen Leiter der Kongresse, Sinowjew und Bucharin, verschwanden bald danach in der politischen Versenkung. Auf beiden Kongressen wurde die Linie geändert, ohne sich Rechenschaft über die vorhergehende Periode zu legen, beide waren bereits bürokratische Veranstaltungen, in denen niemand sicher sein konnte, nicht als Sündenbock für Verfehlungen an den Pranger gestellt zu werden. Allerdings hatte sich das bürokratische Regime innerhalb der Komintern in den letzten Monaten und Jahren stark verändert. Viele Delegierte getrauten sich nicht mehr, ihre Meinung offen zu äußern; einzelne Delegierte wie der US-Amerikaner Cannon und der Kanadier Spector, beschlossen bewusst, auf eine Intervention am Kongress zu verzichten. Sie waren in den Besitz von Dokumenten der Linksopposition gelangt, und beschlossen statt einer nutzlosen, ja gefährlichen Intervention, sich auf die Vorbereitung einer linksoppositionellen Arbeit, die sie nach ihrer Rückkehr vom Kongress aufnahmen, zu konzentrieren.

Knapp nach dem Ende des Kongresses wurde die Rechte Opposition um Bucharin ausgeschaltet, am 10. EKKI-Plenum, das die von ihm repräsentierte Tendenz verurteilte, wurde ihm sogar die Präsenz verwehrt. Gleichzeitig wurden die Maßnahmen gegen die Linksopposition verstärkt – Trotzki wurde Anfang 1929 aus der UdSSR ausgewiesen und bekam Asyl in der Türkei. Gleichzeitig wurde in der Sowjetunion die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft unter Missachtung aller damit verbundenen Opfer vorangetrieben und eine bürokratisch durchgezogene, überhastet beschlossene Industrialisierung im Rahmen des ersten Fünf-Jahres-Plans durchgepeitscht.

Kodifiziert wurden die politischen „Neuerungen“ am 10. Plenum des EKKI, dem wichtigsten Plenum ab Mitte der 1920er Jahre. Der Einfluss Stalins wurde bestätigt, die Zweideutigkeiten und Unbestimmtheiten, die den VI. Weltkongress charakterisiert hatten, beseitigt und die Linie, die die Komintern in den kommenden Jahren befolgen sollte, festgelegt – die Linie, mit der die KPD in die Niederlage vor dem Nationalsozialismus marschieren sollte.

Das 10. Plenum stand ganz im Zeichen des „Sozialfaschismus“. Die Sozialdemokratie, der „Zwillingsbruder“ des Faschismus, sei der gefährlichste Feind, die Aufgabe bestehe in einer „entschiedenen Verschärfung des Kampfes gegen die Sozialdemokratie“ und „besonders gegen ihren ‚linken’ Flügel“. Auch die Gewerkschaften würden einen Prozess der „Sozialfaschisierung“ durchmachen, weshalb die Gründung „roter Gewerkschaften“ auf der Tagesordnung stünde. Die Politik der Einheitsfront wurde „korrigiert“, nur mehr eine „Einheitsfront von unten“ und unter Führung der Kommunistischen Parteien, also die Zusammenarbeit mit sozialdemokratischen Basismitgliedern, nicht jedoch auch die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit ihren Organisationen selbst, sollte in Hinkunft zulässig sein. Ergebnis war eine sektiererische Politik, die auch in den bereits bürokratisch gleichgeschalteten Komintern-Sektionen auf erheblichen Widerstand stieß. Konsequenz war ein Vorantreiben der Stalinisierung der Kommunistischen Parteien mit periodischen Säuberungen unter dem Deckmantel der „Bolschewisierung“, jegliche Parteidemokratie wurde von den Parteibürokratien, deren erstes Kennzeichen ihre unbedingte Loyalität zur Kreml-Führung war, unterdrückt. Der Weg in eine fatale (Selbst-) Isolierung und in eine verheerende Niederlage in Deutschland war vorgezeichnet.

Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 hatte sich in Europa die Krise der kapitalistischen Gesellschaft radikal zugespitzt. In der bürgerlichen Demokratie sahen immer bedeutendere Kapitalfraktionen keine Chance mehr zur Aufrechterhaltung ihrer Macht und setzten auf bonapartistische und faschistische Kräfte. Gefesselt durch die Sozialfaschismustheorie, lehnte die KPD, die wichtigste Kommunistische Partei außerhalb der UdSSR, nicht nur eine Einheitsfront mit der SPD ab, sondern konzentrierte ihre Angriffe auch auf diese. Eine Einheitsfront mit der Sozialdemokratie und anderen Organisationen der Arbeiter/innen/bewegung zur Abwehr der faschistischen Gefahr, wie sie Trotzki gefordert hatte, wurde nach wie vor ausgeschlossen – oder wie es Willi Münzenberg 1932 unumwunden formulierte: Die Theorie, durch eine Einheitsfront unter Einschluss der SPD Hitler den Weg zur Macht versperren zu wollen, „ist die schlimmste, gefährlichste und verbrecherischste Theorie, die Trotzki in den letzten Jahren seiner konterrevolutionären Propaganda aufgestellt hat“.

Mit dieser Politik bewaffnet (besser gesagt: entwaffnet), stand die KPD isoliert der Machtübernahme Hitlers im Januar 1933 gegenüber. Die KPD ging kampflos in die Illegalität – und sie hatte aus der Niederlage nicht nur nichts gelernt, sondern sie übte auch nicht die kleinste Selbstkritik und schürte völlig illusorische Erwartungen in einen raschen Aufschwung der Massenbewegung gegen Hitler, dessen Machtübernahme das Tempo der Entwicklung Deutschlands zur proletarischen Revolution sogar noch beschleunigt habe… Für Trotzki war dies das Ende der KPD, eine neue revolutionäre Partei des Proletariats musste aufgebaut werden. Als die Komintern diese Linie ebenfalls unterstützte, war die unvermeidliche Konsequenz auch in Bezug auf die Kommunistische Internationale endgültig klar: Eine solche Internationale war kein Instrument mehr für die proletarische Revolution, eine neue, die vierte Internationale musste aufgebaut werden!

Die Ergebnisse der „dritten Periode“ waren katastrophal. Der Machtübernahme Hitlers konnte nichts entgegengesetzt werden, die Kommunistischen Parteien waren isoliert, die Kader der Komintern demoralisiert und desorientiert. Und noch etwas musste als Konsequenz konstatiert werden: Die Machtübernahme Hitlers bedeutete eine direkte Bedrohung der Sowjetunion. Angesichts dieser neuen Lage hatte die III. Internationale für die Sowjetbürokratie ihren Nutzen verloren. In Hinkunft sollte die Bürokratie der UdSSR lieber ihre Bündnispartner direkt bei denjenigen  „demokratischen“ Regierungen suchen, die Hitler misstrauisch gegenüberstanden. Die Hoffnung auf die Weltrevolution war geschwunden, die Komintern bei den Versuchen, durch Übereinkommen mit bürgerlichen Regierungen die Existenz der Bürokratie angesichts der faschistischen Bedrohung von außen abzusichern, zu einem Hindernis geworden. War die „dritte Periode“ noch ein gebrochener Reflex auf die weltrevolutionäre Vergangenheit der Kommunistische Internationale gewesen, sollte die Komintern in Zukunft nur mehr ein Schattendasein führen und völlig den außenpolitischen Interessen der Sowjetbürokratie untergeordnet werden.

Der Weg in den Reformismus

Mitte 1934 zog die Sowjetbürokratie – und mit ihr die Komintern-Führung – die Konsequenzen aus der Machtübernahme des Nationalsozialismus. Mit der Kurskorrektur von 1934 wurde ein Schlussstrich unter die unsägliche Politik der „dritten Periode“ gezogen. Die neue Politik war allerdings auf einer schiefen Ebene angelegt, die binnen kurzem zur reformistischen Volksfrontpolitik führen sollte.

In der Sowjetunion hatte sich die bürokratische Macht nach dem Aderlass der Fraktionskämpfe und dem Übergang zu Kollektivierung und Industrialisierung wieder stabilisiert. Auf internationaler Ebene schien auf kurze Sicht die Diktatur Hitlers nicht gefährdet. Andererseits waren um 1934 Anzeichen eines Aufschwungs der Klassenkämpfe bemerkbar: Im Februar 1934 wehrte sich ein Teil der österreichischen Sozialdemokratie bewaffnet gegen den Vormarsch der klerikalfaschistischen Diktatur, in Frankreich kam es zu einem Massenaufschwung im Gefolge eines niedergeschlagenen Staatsstreichs. Aktionsbündnisse und antifaschistische Ausschüsse entstanden, zwar getrennte, aber gleichgerichtete Aufrufe von SP und KP, von CGT und CGTU auf der Ebene der Gewerkschaften für einen Generalstreik Mitte Februar 1934 waren Konsequenz des Drucks der Massen auf gemeinsame Aktionen. Doch im Laufe des Jahres 1934 ging die französische KP-Führung, mit Rückendeckung aus Moskau und der Komintern, einen entscheidenden Schritt weiter: Die Komintern-Führung „empfahl“ eine Ausdehnung des antifaschistischen Bündnisses auf die Parteien der Kleinbourgeoisie und der Bauernschaft, und im Oktober 1934 schlug Thorez der Sozialdemokratischen Partei vor, gemeinsam mit der bürgerlichen Radikalen Partei eine „Volksfront“ zu bilden.

Im  Unterschied zu den vorhergehenden Wendungen führte die neuerliche Kurskorrektur innerhalb der Kommunistischen Parteien kaum zu Widerstand, schwerere Krisen blieben aus. Dies galt auch für die neue außenpolitische Orientierung der Sowjetunion: Nachdem Deutschland 1933 den Völkerbund verlassen hatte, trat die UdSSR 1934 diesem bei, indem sie offen die 6. der 21 Bedingungen des II. Komintern-Weltkongresses verletzte, der jede Kommunistische Partei dazu verpflichtete, sich gegen jegliche ‚demokratische’ Erneuerung des Völkerbundes zu wehren und keinerlei Vertrauen in internationale Abkommen und Schiedsgerichte zu setzen.

Diese neue Politik gipfelte in der Stalin-Laval-Erklärung von 1935, in der Stalin ausdrücklich die nationalen Verteidigungsanstrengungen Frankreichs billigte. In ihrem Gefolge verlangte Stalin von der französischen KP den Verzicht auf jeglichen Antimilitarismus und jeden revolutionären Defätismus in den Ländern wie Frankreich, die mit der Sowjetunion verbündet waren. Die Stalin-Laval-Erklärung und deren (nachträgliche) Billigung durch die Komintern waren ein entscheidender Schritt in Richtung Reformismus. Von Ende der 1920er Jahre bis 1935 hatte die III. Internationale eine Politik verfolgt, die zwar schon von den Interessen der sowjetischen Bürokratie diktiert war, die aber noch einen – zumindest formalen – Bezug auf die Ziele der Weltrevolution beibehalten hatte. Jetzt war die Politik nicht mehr Ausdruck einer mit dem Ziel der Weltrevolution noch nicht im offenen Widerspruch stehenden Linie, wie seit der Bürokratisierung der Komintern in den 1920er Jahren.. Sie war die Konsequenz der Logik des Sozialismus in einem Lande und Ausdruck der Bereitschaft der Stalinbürokratie, zugunsten eines temporären Bündnisses mit imperialistischen Ländern zur Absicherung vor dem aggressiven Faschismus selbst die grundlegendsten Interessen der Arbeiter/innen/bewegung der betroffenen Länder offen und unverhüllt fallen zu lassen.

Die neue Wende von 1935 war nicht einmal mehr formal von einem Gremium der Komintern diskutiert und abgesegnet worden – Stalin traf sich mit dem Minister eines bürgerlichen Staates und schloss mit diesem eine diplomatische Erklärung ab. Die betroffene Partei erfuhr davon wie die übrigen Sektionen der Kommunistischen Internationale aus der Presse. Trotzdem wurde die neue Linie akzeptiert – im Interesse des vorgeblichen Kampfes gegen den Faschismus, im Interesse des Schutzes der Sowjetunion und trotz der damit einher gehenden Klassenkollaboration.

VII. Weltkongress: Volksfront

Der letzte Weltkongress lag schon sieben Jahre zurück, als der VII. Weltkongress (Juli/August 1935) einberufen wurde. Die „dritte Periode“ war bereits zu den Akten gelegt und durch eine Politik der Klassenzusammenarbeit ersetzt worden. Dem Weltkongress war nur mehr die Aufgabe zugewiesen worden, diese Linienänderung formal abzusegnen. Selbst darauf sollte die stalinistische Bürokratie im Falle von auch noch so grundlegenden Wendungen in den kommenden Jahren verzichten.

Wie schon zuvor wurde auch am VII. Weltkongress auf eine Bewertung der zu Ende gegangenen Politik verzichtet. Nicht die „dritte Politik“ war der Fehler gewesen, nur einzelne Repräsentant/inn/en hatten eine fehlerhafte Politik gemacht. Der Personenkult um Stalin hatte sich entfaltet und wurde durch einen ebenso widerlichen Kult um Dimitroff, den „Steuermann der Komintern“, ergänzt.

Zwischen Einheits- und Volksfront wurden keine Unterschiede mehr gemacht, und zum ersten Mal in der Geschichte der Kommunistischen Internationale wurden nun auch Beteiligungen an bürgerlichen Regierungen in imperialistischen Ländern nicht mehr ausgeschlossen. Auch die Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien wurde ausdrücklich gutgeheißen. Ohne jeglichen offenen Widerstand wurde diese entscheidende Umorientierung über die Bühne gebracht, aus der Weltpartei der sozialen Revolution war eine reformistische Kraft geworden, die sich von anderen reformistischen Parteien nur durch ihre besondere Bindung an die Sowjetbürokratie unterschied. Ohne ein Zeichen des Widerstandes hatte die Komintern auch nach außen hin ihren revolutionären Charakter abgelegt.

Das sollte sich am Beispiel der französischen Volksfront zeigen, wo eine Massenbewegung zugunsten eines bürgerlichen Reformprogramms verkauft wurde, oder an der spanischen Revolution, wo die Begrenzung einer Revolution auf den Kampf zwischen Faschismus und bürgerlicher Demokratie katastrophale Konsequenzen zeitigte. Trotz des Enthusiasmus der spanischen Arbeiter/innen/klasse und der internationalen Brigaden war angesichts einer Bewegung, die bereits den Rahmen der bürgerlichen Demokratie gesprengt hatte, diese Begrenzung besonders fatal und musste zur Konfrontation des Stalinismus mit den revolutionären Kräften und zur Niederlage der Revolution führen.

Für die Sowjetbürokratie war die Politik der Volksfront nur zu logisch: Ihre Politik war der Erhaltung des Status quo verpflichtet und an die Stelle des Aufbaus einer Weltrepublik der Arbeiter/innen/räte getreten. Die imperialistischen Staaten, die sich ebenfalls dem Status quo verpflichtet fühlten, mutierten so zu Bündnispartnern, diejenigen, die den Status quo störten, zu den Feinden, gegen die das „Friedenslager“ mobil machen müsse.

Am VII. Weltkongress wurde zwar noch ein Exekutivkomitee gewählt, das allerdings in den acht Jahren, die der  Komintern noch verblieben, kein einziges Mal zusammengerufen wurde – wozu auch, die Linie wurde ohnehin von der Sowjetbürokratie vorgegeben… In der öffentlichen Wahrnehmung trat die Kommunistische Internationale immer weiter zurück: Nach dem VII. Weltkongress wurden publizistisch wirksame Aufrufe fast nur mehr zum Ersten Mai und zum Jahrestag der Oktoberrevolution von 1917 herausgebracht.

Die kommenden Jahre waren davon geprägt, dass in den Augen der Sowjetbürokratie die Komintern immer mehr als störender Faktor empfunden wurde. Sie war bei diplomatischen Bündnissen mit bürgerlichen Regierungen eher im Wege als ein hilfreiches Element, mit dem Niedergang der Kommunistischen Parteien waren diese auch als Druckmittel weniger geeignet als noch einige Jahre zuvor.

Überdies gerieten nun viele Komintern-Funktionäre in den Strudel der Moskauer Prozesse. Und so wurden nicht nur die Linksopposition und andere der Bürokratie potenziell gefährliche Strömungen in- und außerhalb der KPdSU liquidiert, sondern auch der Apparat der Kommunistischen Internationale war im Fadenkreuz der stalinistischen Säuberungen. Sinowjew, Bucharin, Radek, Pjatnitzki, Kamenjew, Rakowski und Trotzki, Platten, Vujović, Gorkić, Bela Kun, Eberlein, Remmele, Neumann waren nur einige wenige derjenigen, die in der kommunistischen Bewegung einst herausragende Positionen eingenommen hatten und nun mit dem Leben für monströse Beschuldigungen büßten. Nach und nach erfasste die Repression immer weitere Teile des Apparats der Komintern, griff über auf Übersetzer/innen, Sekretär/inn/e/n, Referent/inn/en, Emmissäre, Student/inn/en der speziellen Universitäten für die Völker des Ostens usw. Sommer 1938 wurde gleich die gesamte Kommunistische Partei Polens für aufgelöst erklärt und 1937/1938 mindestens 700 polnische Parteimitglieder hingerichtet oder kamen in sowjetischen Lager um – der Beschluss zur Auflösung wurde weder in der Zeitschrift der Kommunistischen Internationale noch in der Internationalen Pressekorrespondenz publiziert.

Die letzten Jahre

Die Volksfrontpolitik hatte zu einer immer weiteren Anpassung an bürgerliche Bündnispartner/innen geführt. kommunistische Parteien wurden aufgelöst, in breite antifaschistische Bündnisse integriert, Propaganda und Agitation, die über die kapitalistische Gesellschaft hinauswiesen, immer weiter zurückgestellt.

Die sterile Politik der Komintern erschöpfte sich in seltenen Stellungnahmen, selbst zur Münchner Konferenz, die zur Zerstückelung der Tschechoslowakei führte, oder zum Anschluss Österreichs an das faschistische Deutschland wurde keine Erklärung der Kommunistischen Internationale veröffentlicht. Wer zwischen den Zeilen lesen konnte, musste bemerken, dass Stalin am 18. KPdSU-Kongress (März 1939) einen etwas anderen Ton anschlug: Neben dem deutschen Faschismus waren vor allem die Angriffe auf Großbritannien und Frankreich, die das Münchner Abkommen ermöglicht hätten und Deutschland zu einem Angriff auf die Sowjetunion ermutigen würden, bemerkenswert. Trotzdem schlug für die Kommunistische Internationale und ihre Sektionen die Nachricht, dass Stalin mit Hitler im August 1939 einen Nichtangriffspakt abgeschlossen hatte, wie eine Bombe ein. Auch hier war das Ziel des Abkommens vom Interesse der Sowjetbürokratie, Zeit zu gewinnen im Angesicht der nationalsozialistischen Bedrohung, diktiert. An sich wäre ein Bündnis, um Aufschub zu bekommen und sich für einen Angriff besser rüsten zu können, nicht prinzipiell abzulehnen. Aber der Hitler-Stalin-Pakt mit seinen noch nach Jahrzehnten geleugneten geheimen Zusatzprotokollen ermöglichten Hitler den Überfall auf Polen und Stalin den Krieg gegen Finnland und die Inbesitznahme Ostpolens sowie der baltischen Staaten. Insofern war der Pakt Ausdruck einer zumindest indirekten Komplizenschaft, die auch durch eine entsprechende Propaganda gegen die westlichen „Plutokratien“ und die Zurücknahme der politischen Kritik am Nationalsozialismus abgesichert wurde.

Trotzki charakterisierte diese Politik mit den folgenden Worten: „Nach fünf Jahren primitivster Kriecherei vor den Demokratien, in denen der ganze ‚Kommunismus’ zu der monotonen Anklage gegen faschistische Aggressoren reduziert wurde, entdeckte die Komintern plötzlich im Herbst 1939 den kriminellen Imperialismus der westlichen Demokratien. Ganze Abteilung links! Von da an kein einziges Wort der Anklage zur Vernichtung der Tschechoslowakei und Polens, zur Beseitigung Dänemarks und Norwegens und zu den schockierenden Bestialitäten der Hitlerbande gegenüber dem polnischen und jüdischen Volk! Hitler wurde als ein friedliebender, ständig von den westlichen Imperialisten provozierter Vegetarier verstanden. In der Komintern-Presse bezog man sich auf die englisch-französische Allianz als den ‚imperialistischen Block gegen das deutsche Volk’. Goebbels selbst hätte sich das nicht besser ausdenken können!“

Die III. Internationale war zu dieser Zeit nicht mehr als ein Schatten ihrer selbst. Selbst zum Beginn des Zweiten Weltkriegs schwieg die Komintern. Und auch der traditionelle Aufruf zum 1. Mai 1941 sollte ausfallen. In den Kommunistischen Parteien herrschte Verwirrung, herbe Mitgliederverluste waren die Folge  des Paktes. Erst mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 kehrte die Stalin-Bürokratie wieder zu ihrer Politik der Volksfront und zur Zusammenarbeit mit den „antifaschistischen Demokratien“ zurück.

Eine letzte Wendung der Komintern war die Folge des deutschen Überfalls auf die UdSSR: Die Kommunistischen Parteien hatten sich nun ohne Vorbehalte in den Dienst der Regierungen zu stellen, die mit der Sowjetunion verbündet waren. Der revolutionäre Kampf für eine neue Gesellschaft, der revolutionäre Sturz der kapitalistischen Gesellschaft, wurde nun komplett zurückgestellt – die KP der USA forderte z.B. die Schwarzen Amerikas auf, den Kampf gegen die Rassenunterdrückung solange einzustellen, bis der Kampf gegen den Faschismus gewonnen sei, die Kommunistischen Parteien in den Kolonien – von Indien bis Algerien – verzichteten bis auf weiteres auf jeden Kampf für die Befreiung…

Die Kommunistischen Parteien konnten mit dieser opportunistischen Linie und ihrer völligen Unterordnung unter die Kriegsziele der Anti-Hitler-Koalition einen Teil des Einflusses wieder zurückgewinnen, den sie zur Zeit des Hitler-Stalin-Paktes verloren hatte, aber die in der Komintern herrschende Lähmung konnte nicht mehr beseitigt werden. Angesichts der näher rückenden Invasionstruppen war der Apparat der Komintern von Moskau nach Ufa verlegt worden – die Hauptaufgaben der Funktionäre waren nun die Gestaltung von Rundfunksendungen, die nach Vorgaben der Sowjetbürokratie in den verschiedenen Sprachen gesendet wurden.

Ein ruhmloses Ende

Die III. Internationale hatte für die stalinistische Bürokratie jede Bedeutung verloren, ja sie war in ihrer Anpassung an die bürgerlichen Bündnispartner zu einem Störfaktor geworden. So kündete am 15. Mai 1943 ein Telegramm aus Moskau an, dass das Exekutivkomitee der Komintern deren Auflösung mit Juni 1943 vorschlage. Selbst Führer/innen von Kommunistischen Parteien, die nicht im EKKI vertreten waren, erfuhren von diesem Beschluss wie alle anderen aus der Presse oder aus dem Rundfunk – und es besteht wohl kein Zweifel, dass der Beschluss nicht das Ergebnis von Überlegungen des EKKI war, sondern direkt dem innersten Zirkel der Kreml-Bürokratie entsprungen war. Der Beschluss war von Stalin als freundliche Geste gegenüber den kapitalistischen Alliierten die Komintern gedacht und wurde auch als solcher verstanden.

Öffentlich kommuniziert wurde als Hauptgrund für die Auflösung, dass sich die Organisationsform der Komintern überlebt habe und zu einem Hindernis für die weitere Stärkung der nationalen Arbeiterparteien geworden sei. Denn die Lösung der Aufgaben der Arbeiterparteien jedes einzelnen Landes durch die Kraft irgendeines internationalen Zentrums stoße auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Und in einem Interview vom 28. Mai präzisierte Stalin: Die Auflösung der Komintern sei klug, denn sie decke die Lüge auf, dass sich Moskau in das Leben anderer Länder einzumischen versuche. Jetzt gehe es um den gemeinsamen Angriff aller von der Freiheit begeisterter Länder.

Letztlich war die Auflösung das notwendige Ergebnis einer Politik des Sozialismus in einem Lande, die sich nicht mehr der Weltrevolution, sondern den abgehobenen Interessen der bürokratischen Schicht eines einzelnen Landes verpflichtet fühlte. Für die Stalinbürokratie hatte die Auflösung der Komintern den großen Vorteil, dass sie sich von der Last eines für sie nicht mehr nützlichen Instruments befreien und gleichzeitig den Zugriff auf die Kommunistischen Parteien sogar noch verstärken konnte – auf jede einzelne Partei konnte nun auf bilateraler Ebene Einfluss genommen werden, mit dem Prestige der bolschewistischen Partei und des Landes, das die Hauptlast im Kampf gegen Hitler zu tragen hatte.

Die Kommunistische Internationale war als Instrument gegründet worden, um dem Kampf für die Weltrevolution einen organisatorischen Rahmen zu geben. Sie war Ausdruck des proletarischen Internationalismus und vom Willen beseelt, alles für die Errichtung einer Weltrepublik der Arbeiter/innen/räte zu tun. Die Komintern hat uns darüber hinaus einen reichen Schatz an politischer Strategie und Taktik hinterlassen, an der wir auch heute noch anknüpfen können.

Grundverschieden davon war die Komintern in ihrer Niedergangsphase – sie war im Prozess der Degeneration sowohl Täterin als auch Opfer: Sie war das Instrument, über das die Bürokratie der Sowjetunion die „Bolschewisierung“ der Kommunistischen Parteien vorantrieb und über das sie den Kampf gegen die linke Opposition Leo Trotzkis auf die gesamte kommunistische Bewegung ausdehnen konnte. Sie war aber auch das Opfer einer Politik des Sozialismus in einem Lande, für das eine Internationale – auch wenn sie sich noch so willfährig und loyal erweisen sollte – zu einem Hindernis geworden war. Die Sowjetbürokratie wollte sich ohne die störende Begleitmusik einer Internationale, die immer noch mit Revolution und Umsturz identifiziert wurde, alle Optionen auf eine Verständigung mit der bürgerlichen Demokratie und auf eine Kollaboration mit bürgerlichen Klassenkräften offen halten.

Die 1938 gegründete Vierte Internationale vermochte zwar – gemessen an der Zahl ihrer Anhänger/innen/schaft – niemals an der Kommunistischen Internationale anzuknüpfen. Sie war aber im Angesicht der faschistischen Barbarei und der stalinistischen Liquidation der bolschewistischen Partei in der Lage, an den politischen und programmatischen Positionen der III. Internationale fest- und damit die revolutionäre Kontinuität zumindest für einige Zeit aufrechtzuerhalten. Unsere heutige Aufgabe ist der (Wieder-) Aufbau einer proletarisch-revolutionären Internationale. Wir werden dabei zwar natürlich nicht die Politik der III. Internationale kopieren, aber wir werden an vielen programmatischen Errungenschaften der vor 90 Jahren gegründeten Komintern anknüpfen können.

 

 Weitere Teile des Artikels:

90 Jahre Komintern. Teil 1: Die Gründung

90 Jahre Komintern. Teil 2: Der Aufstieg

 

Literatur zur Geschichte der Kommunistischen Internationale und zu Teilaspekten ihrer Entwicklung:

 

 

 

Balkanföderation & Arbeiterbewegung. Teil 2. Diskussionen in der Kommunistischen Internationale. – Marxismus Nr. 19

Koloniale Frage und Arbeiter/innen/bewegung. – Marxismus Nr. 22

Nationale Frage und marxistische Theorie. Teil 2: Die sowjetische Erfahrung. – Marxismus Nr. 24

Kommunismus und Frauenbefreiung. – Marxismus Nr.28

Der Kongress der Völker des Ostens in Baku (1920). Materialien und Dokumente. – Schulungstexte und Materialien Nr.3

Koloniale Frage und Kommunistische Internationale. Materialien und Dokumente des 1. bis 7. Weltkongresses (1919/1935). – Schulungstexte und Materialien Nr.4

Frauenbefreiung und Kommunistische Internationale. Materialien und Dokumente (1919/1928). – Schulungstexte und Materialien Nr.6

Zur Vorgeschichte der Vierten Internationale. Einige Bemerkungen zur Geschichte der Linksopposition. – Schulungstexte und Materialien Nr.7

Österreich in der „Kommunistischen Internationale“ (1919/1924). – Kleine Schriftenreihe zur österreichischen Arbeiter/innen/geschichte Nr.15