Österreich: Zur LehrerInnendiskussion

Die SPÖ-Bildungsministerin will, dass die LehrerInnen zwei Stunden länger unterrichten, und verlangt ein neues Dienstrecht. Die christlich-konservativ dominierte LehrerInnengewerkschaft droht mit Streik. Wir unterstützen die LehrerInnen kritisch.

Die sozialdemokratische Bildungsministerin, die ehemalige Bankerin Claudia Schmied, will die Unterrichtsverpflichtung der LehrerInnen um zwei Stunden pro Woche anheben. Sie argumentiert damit, dass mit dem vom (ÖVP-) Finanzministerium zur Verfügung gestellten Bildungsbudget Einsparungen unumgänglich seien. Und überhaupt sei die Maßnahme mit dem Koalitionspartner ÖVP abgesprochen.

Das ÖVP-Regierungsteam ist auch für Einsparungen, putzt sich aber ansonsten geschickt an Schmied ab: Es müsse doch auch andere Möglichkeiten geben, Schmied müsse verhandeln und nicht einfach diktieren. Und die Hauptpartei der heimischen KapitalistInnenklasse plappert plötzlich von der österreichischen Tradition der Einbindung der ArbeitnehmerInnen in Entscheidungen.

Sparen gegen die Krise?

Hinter diesem parteitaktischen Geplänkel stehen freilich die Dinge, um die es hier wirklich geht und wo es zwischen den beiden Regierungsparteien keine relevanten Differenzen gibt: Die SPÖ/ÖVP-Regierung stellt den Banken und Großkonzernen Milliarden Euro „gegen die Krise“ zur Verfügung und das Geld muss jetzt irgendwo herkommen.

Mit der ideologischen Begleitpropaganda, dass angeblich wegen der Krise „alle ihren Beitrag leisten“ müssten, werden in den verschiedensten Bereichen Angriffe auf die Lohnabhängigen gefahren. Zehntausende haben bereits jetzt ihren Job verloren; die Arbeitslosigkeit ist in Österreich (im Vergleich zum Februar des Vorjahres) um 24% gestiegen, besonders betroffen sind Industrie- und BauarbeiterInnen. Die Kurzarbeitsregelungen bedeuten Lohnverluste für die Beschäftigten und Teilfinanzierung der Löhne durch den Staat (also erst Recht wieder überwiegend durch die Steuern der Lohnabhängigen); durch die kürzlich mit Zustimmung der Gewerkschaft durchgesetzte „Kurzarbeitsreform“ wurden auch noch die Kündigungsmöglichkeiten nach der Kurzarbeit „verbessert“. Die KapitalistInnen, die sich vor der Krise dumm und dämlich verdient haben, sind noch immer nicht zufrieden und fordern nun „Notkollektivverträge“, konkret einen Lohnverzicht von 4%.

Nun soll auch im öffentlichen Dienst angegriffen werden. Die ersten Angriffe rollen gegen die Post und VP-Vizekanzler Pröll hat auch bereits die EisenbahnerInnen im Visier. In diesem Gesamtrahmen sind die geplanten Maßnahmen gegen die LehrerInnen zu sehen. Mit dem üblichen Spiel, die verschiedenen Berufsgruppen gegeneinander auszuspielen, sollen auch sie zum „notwendigen Sparen“ beitragen. Konkret soll die Unterrichtsverlängerung pro Jahr 380 Millionen Euro bringen. Eine Rolle spielt wohl auch, dass bei den LehrerInnen in den nächsten Jahren eine richtiggehende Pensionierungswelle ansteht und sich die Regierung es sich ersparen will, die frei werdenden Posten vollständig nachzubesetzen.

Der Angriff auf die LehrerInnen ist Teil der Abwälzung der Krise auf die Masse der Bevölkerung. Die 120.000 LehrerInnen sollen helfen, den Banken und Konzernen ihre Verluste abzudecken. Das ist der Kernpunkt der aktuellen Auseinandersetzung und dazu sagen wir Nein und unterstützen die LehrerInnen bei Widerstandsaktionen gegen die Regierung.

Privilegierte LehrerInnen?

Das vom Bildungsministerium und von etlichen Medien vorgebrachte Argument, dass die österreichischen LehrerInnen im EU-Vergleich „privilegiert“ seien, ist für uns nicht entscheidend. Es mag stimmen, dass die LehrerInnen in Österreich mehr verdienen und weniger im Unterricht stehen als in anderen EU-Ländern. Allerdings sind diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Denn die Einstiegsgehälter sind teils niedriger als in anderen Ländern und viele Zusatzaufgaben, die in Österreich LehrerInnen übernehmen, werden in anderen Ländern von speziellen Fachkräften geleisten. Doch, selbst wenn es LehrerInnen in Österreich besser ginge als anderswo … Na und? Wenn österreichische MetallarbeiterInnen besser verdienen als anderswo, sind wir ja auch nicht für die Absenkung ihres Einkommens! Als SozialistInnen sind wir generell gegen die Nivellierung von Löhnen und Arbeitsbedingungen nach unten, sondern fordern die Angleichung an die besten Standards. Die tatsächlich Privilegierten sind die GroßkapitalistInnen, die ihren Reichtum in den letzten Jahrzehnten gigantisch steigern konnten, während es für die Masse der Bevölkerung immer enger wurde.

Die im europäischen Vergleich relativ guten LehrerInnengehälter in Österreich (bei AHS-LehrerInnen etwa 1900 Euro brutto Einstiegsgehalt, etwa 4000 Euro brutto gegen Ende der Laufbahn; plus diverse Zulagen) sind aber – neben niedrigem Klassenkampfniveau etc. – sicherlich ein Grund für die konservative Vorherrschaft bei den LehrerInnen. Die grün-alternative ÖLI-UG hält bei ca. 15%, die sozialdemokratischen LehrerInnen stehen bei 28%, die Mehrheit hält die ÖVP-Fraktion FCG (Fraktion christlicher Gewerkschafter). Somit sind die LehrerInnen eine der wenigen Berufsgruppen, wo bundesweit in der Gewerkschaft die christlich-konservativen Kräfte den Ton angeben.

Als MarxistInnen müssen wir auch erklären, warum die LehrerInnen eine wichtige Bastion der ÖVP sind und warum die Stimmung in der Bevölkerung, gerade auch bei den Lohnabhängigen, sehr stark gegen die LehrerInnen ist. Wenn laut Umfragen 73% der Bevölkerung die Ministerin gegen die LehrerInnen unterstützen, dann ist ein wesentlicher Grund dafür die Anti-LehrerInnen-Hetze durch etliche Zeitungen. Sie findet im Gleichklang mit der Stimmungsmache gegen den gesamten öffentlichen Dienst statt, es sind immer wieder die gleichen Argumente gegen die „faulen Beamten“, die wir schon von Post und Eisenbahn zur Genüge kennen. Die Animositäten gegen die LehrerInnenschaft können aber nicht auf die mediale Hetze reduziert werden.

Funktion der LehrerInnenschaft

Schulen und Lehrpersonal spielen für das kapitalistische System eine wichtige Rolle. Die SchülerInnen werden disziplinär und ideologisch für das Funktionieren in der glorreichen Marktwirtschaft abgerichtet. Schon VolksschülerInnen werden zu Stillsitzen, Ruhigsein, Pünktlichkommen und Unterordnung unter Autorität gedrillt – sonst gibt’s Sanktionen für Kinder und auch Eltern, die sich deshalb zwangsläufig (oft auch bereitwillig) an der Disziplinierung beteiligen. Sehr früh werden die Kinder von den LehrerInnen auf Leistung und Konkurrenz trainiert, sodass sie die Mechanismen der kapitalistischen Gesellschaft möglichst bald verinnerlichen; die Folgen schulischen „Versagens“ werden den SchülerInnen jeweils altersgerecht und stets nachdrücklich deutlich gemacht. LehrerInnen sind die Fachkräfte, die für die herrschende Klasse einen wesentlichen Teil der sozialen Selektion exekutieren (in Österreich findet ein zentraler Einschnitt sogar schon bei den 9-10-Jährigen statt, wenn die Aufteilung in Hauptschule und AHS stattfindet).

Viele ArbeiterInnen spüren ganz genau, dass die LehrerInnen die Schicht sind, die schon wesentlich über ihr Schicksal in dieser Gesellschaft entschieden haben und nun über das ihrer Kinder entscheiden. Ressentiments, die es in der ArbeiterInnenklasse gegen LehrerInnen gibt, haben deshalb nicht nur ein reaktionär-intellektuellenfeindliches Element, sondern auch einen gerechtfertigten Aspekt. Angst vor Versagen und vor den LehrerInnen sind integrale Bestandteile der kapitalistischen Schule. Laut der PISA-Studie fühlen sich in Österreich 43% aller SchülerInnen, in den AHS sind es sogar 52%, durch den Umgang mit den LehrerInnen belastet; besonders viele haben Erfahrungen damit, von LehrerInnen vor der Klasse bloßgestellt und lächerlich gemacht zu werden.

Natürlich sind das keine individuellen Charakterschwächen von LehrerInnen, sondern ein Strukturelement des Systems (zu „nette“ LehrerInnen kommen dabei oft unter die Räder, werden von SchülerInnen „fertig gemacht“, können eben nicht individuell ausbrechen). Trotzdem sind LehrerInnen eben nicht nur Lehr-, sondern auch Repressionsorgane. Diese Rolle für das herrschende System ist eine wesentliche Grundlage für den Konservativismus vieler LehrerInnen und auch dafür, dass eine rechte Partei wie die ÖVP die LehrerInnen als wichtige soziale Basis und Stütze der zu bewahrenden Gesellschaftsordnung betrachtet.

Standespolitik oder Klassenkampf

Dazu kommt, dass viele LehrerInnen ausgesprochen standesborniert sind. Bildungsdünkel und Arroganz von „PädagogInnen“, die sich gegenüber der „primitiven Masse“ als etwas Besseres fühlen, sind bis weit hinein in die „fortschrittlichen“ LehrerInnenkreise stark verbreitet – insbesondere bei den AHS-und BHS-LehrerInnen. Dementsprechend war es auch wenig überraschend, dass sich genau die AHS-GewerkschafterInnen, die sich jetzt über die Verschlechterungen für die LehrerInnen empören, im Jahr 2007 vehement gegen die Gesamtschulinitiative auftraten. Getragen wurde dieser Widerstand damals auch von Stimmungen von AHS-LehrerInnen, die einfach nicht die „Proleten- und Ausländerkinder“ unterrichten wollen (siehe dazu auch unseren damaligen Artikel).

Auch das jetzige Argument, dass die LehrerInnen nicht länger arbeiten könnten und auch weiter längeren Urlaub haben müssten, weil der Beruf ganz besonders anstrengend und belastend sei, hat eine erhebliche standesbornierte Note. Der LehrerInnenjob ist zweifellos anstrengend und belastend, aber das sind andere Jobs (mit längerer Arbeitszeit und fünf Wochen Urlaub) auch. Nun wäre es völlig verkehrt, wie es Teile der bürgerlichen Journaille tun, die Anpassung der LehrerInnenarbeitszeiten und des LehrerInnenurlaubs nach unten zu verlangen. Im Gegenteil: Wir wollen längeren Urlaub auch für Fließbandarbeiterinnen und Fernfahrer, für Krankenschwestern und Bauarbeiter etc.! Da die LehrerInnenvertreterInnen nicht in diese Richtung, sondern standesborniert mit etwas „ganz Besonderem“ bei den „PädagogInnen“ argumentieren, brauchen sie sich nicht zu wundern, dass sie bei Fließbandarbeiterinnen, Bauarbeitern etc. auf wenig Sympathie stoßen.

Als MarxistInnen werben wir bei den Lohnabhängigen für Solidarität mit dem Widerstand der LehrerInnen gegen Verschlechterungen, weil wir gegen jede Spaltung im Kampf gegen Angriffe durch eine Regierung des Großkapitals sind. Von den LehrerInnen hingegen fordern wir eine Überwindung der standesbornierten Haltungen, ein Eintreten für die Gesamtschule und eine Unterstützung für die von Kapital und Regierung attackierten ArbeiterInnen. In Wien beispielsweise plant die Stadtregierung (völlig unbeachtet von der Öffentlichkeit), dem ohnehin überarbeiteten Krankenpflegepersonal die vier zusätzlichen Urlaubstage zu streichen; hier ist die Solidarität der gesamten ArbeiterInnenbewegung und auch der LehrerInnengewerkschaft gefordert.

Perspektiven des Konfliktes

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Regierung entschlossen ist, den LehrerInnen Verschlechterungen aufs Auge zu drücken. Auch ÖVP-Finanzminister Josef Pröll erklärte schlussendlich unmissverständlich, dass – angesichts der angespannten budgetären Situation – auch die LehrerInnen ihren Beitrag leisten müssten. In einem internen Papier des Finanzministeriums gibt es ganz klare Pläne für Kürzungen bei verschiedensten Zulagen der LehrerInnen: Zum Beispiel sollen PflichtschullehrerInnen in Zukunft nicht mehr 10, sondern 20 Stunden pro Jahr gratis supplieren (also für kranke KollegInnen einspringen) und es sollen die Zulagen für Leistungsgruppen und Abendschulen fallen. Das Großkapital in den ÖVP-nahen Strukturen Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer und ihre Zeitung, „Die Presse“, waren sowieso von Anfang an für den Angriff auf die LehrerInnen und die ÖVP-BeamtInnenfraktion wird da letztlich den Kürzeren ziehen.

Das SPÖ-Establishment steht ohnehin mehr oder weniger geschlossen hinter Schmieds Plänen. Selbst die als „links“ geltende ehemalige Frauenministerin Johanna Dohnal stellte sich, offenbar aus falsch verstandener „Frauensolidarität“, auf die Seite von Schmied und damit gegen zehntausende Lehrerinnen, die vor allem im Pflichtschulbereich ohnehin schon wenig verdienen; klarer könnte der Klassencharakter des institutionalisierten Feminismus kaum mehr demonstriert werden. Bei Schmieds aktuellsten Vorschlägen, gleich auch das Dienst- und Arbeitsrecht der LehrerInnen zu „reformieren“, wird es definitiv insgesamt um Verschlechterungen gehen – auch wenn als „Zuckerl“ etwas höhere Einstiegsgehälter für JunglehrerInnen rauskommen sollten.

Im Moment deutet alles darauf hin, dass sich SPÖ und ÖVP auf eine Gesamtlösung einigen, wo sich Schmieds ursprünglicher Plan nicht eins zu eins durchsetzt, wo aber insgesamt (vor allem für Neuverträge, also für JunglehrerInnen) Verschlechterungen mindestens im gleichen Ausmaß herauskommen. Die ÖVP-dominierte LehrerInnengewerkschaft wird mit hoher Wahrscheinlichkeit kapitulieren und ein solches Paket an Verschlechterung (vor allem auf Kosten der jungen und PflichtschullehrerInnen) mitverhandeln. Zu ernsthaften und konsequenten Kampfmaßnahmen werden die ChristgewerkschafterInnen kaum bereit sein.

Als SozialistInnen unterstützen wir Streiks oder andere Kampfmaßnahmen gegen diesen reaktionären Angriff auf die Arbeitsbedingungen der LehrerInnen. Wir sind überzeugt, dass ein solcher Kampf nur erfolgreich sein kann, wenn er die Standesdünkel in der LehrerInnenschaft überwindet und sich in einen breiteren Widerstand der ArbeiterInnenklasse gegen die Abwälzung der Krise auf die Lohnabhängigen einreiht. Eine erste Möglichkeit für einen solchen gemeinsamen Kampf bietet die Demonstration am 28. März, die unter dem passenden Motto „Wir zahlen nicht für eure Krise!“ steht.

Genaueres zur Demo am 28. März findet sich hier.

Einige Ausführungen darüber, wie wir uns ein sozialistisches Bildungssystem vorstellen, finden sich im Kapitel II.3 der Thesen der AGM-Jugend, außerdem empfehlen wir unseren Artikel zur Gesamtschule .