Der linke Filmemacher Ken Loach hat für seinen neuen Film den ironischen Titel "It´s a Free World" gewählt. Er verbindet darin die Story einer jungen, aufstiegsorientierten Arbeitsvermittlerin mit einer eindrucksvollen Analyse des migrantischen Arbeitsmarktes in London…. Migrantische TagelöhnerInnen aus Osteuropa, die um mies bezahlte Arbeit in einem schäbigen Hinterhof in London betteln – eine klassische Szene aus einem Ken Loach Film, dem Großmeister des sozialen Realismus. Untypisch und spannend zugleich für die Sozialdramen von Ken Loach ist jedoch die Rolle von Angie (Kierston Wareing), der Hauptdarstellerin, mit der/die Zuseher/in auf eine emotionale Odyssee geschickt wird.
Angie ist am Anfang des Filmes klare Sympathieträgerin. Die Situation, in der sie steckt, zwingt den/die Zuseher/in fast dazu sich mit ihr zu solidarisieren. Als allein erziehende Mutter aus der ArbeiterInnenklasse wird sie zum Opfer sexueller Belästigung von ihrem ekelhaften Chef. Als sie sich dagegen zur Wehr setzt, wird sie wieder einmal gefeuert und verliert ihren Job in einer Personalvermittlungsfirma für europäische ArbeiterInnen.
Zusammen mit ihrer Freundin Rose (Juliet Ellis) beschließt sie sich nicht weiter ausbeuten zu lassen und gründet deshalb selbst eine Agentur zur Vermittlung von osteuropäischen LeiharbeiterInnen. Angie stellt sich mit ihrer selbstbewussten, toughen und schlagfertigen Art, den Umständen entsprechend, den unternehmerischen Herausforderungen anfänglich recht gut. Doch der Sog der kapitalistischen Logik wirkt immer stärker. Der Zwang des Systems führt dazu, dass Angie immer drastischere Ausbeutungsformen toleriert. Ihre moralischen Grenzen lösen sich im Laufe des Filmes immer weiter auf. Sie vermittelt illegale ArbeiterInnen, denen sie selbst auch Wohnraum vermietet, da sie das selbst aufgrund ihres Aufenthaltsstatus selbst nicht schaffen.
Den dramatischen Höhepunkt findet der Film als Angies junger Sohn gekidnapped wird. Grund für die kurze Entführung, während der Angie ausgeraubt wird und ihr vor allem Angst eingeflößt werden soll, liegt in den ausstehenden Löhnen an ihre Leiharbeiter. Aber selbst nach diesem einschneidenden Erlebnis schafft es Angie nicht auszusteigen… Ganz im Gegenteil, sie steigt selbst auf die nächste Stufe der Ausbeutungsleiter und lässt nun direkt in Osteuropa noch leichter ausbeutbare Arbeitskraft rekrutieren. Das ist sicherlich eine Stärke von Ken Loachs Film, dass er diese weiterlaufende Dynamik der kapitalistischen Ausbeutung auf diese Weise deutlich macht.
Ohne die Frage von Verantwortung auszublenden, zeigt Loach anhand Angies Wandlung vom sympathischen Opfer hin zur berechnenden Ausbeuterin auch folgendes: KapitalistInnen verkörpern nicht immer das Klischee des unsympathischen, schmierigen Arschlochs – sie definieren sich Abseits von Sympathie und Antipathie einzig durch die Rolle im System.
Auf einem Nebenschauplatz des Handlungsstrangs kommt Angies Vater zu Wort. Er konfrontiert Angie mit den haarsträubenden Zuständen bei ihrer Arbeitsvermittlung, dessen Zustände ihn an einen vorsintflutlichen Sklavenmarkt erinnern. Im Film symbolisiert er in seiner Rolle als pensionierter, ehemals gewerkschaftlich organisierter Werftarbeiter die Einstellung der klassenbewusster ArbeiterInnen vor den neoliberalen Angriffen von Thatcher und Blair. In dieser Szene werden die Folgen jahrelanger neoliberaler Indoktrination deutlich: Völlige Individualisierung trat an die Stelle der Solidarität.
Die von Angies Vater angesprochenen sklavenmarktartigen Zustände stellen einen Raum dar, in dem schwer erkämpfte Arbeitsrechte mit den Füßen getreten werden. Gewerkschaftliche Organisiertheit wird in diesen Zuständen der Illegalität extrem schwer. Es verwundert deshalb kaum, dass an die Stelle der legalen ArbeiterInnenvertretungen andere Strukturen treten. Der Angriff auf Angies und Rose Büro, dessen Fenster mit einem Stein eingeschlagen wird, der ungeplante Übergriff mittels Faustschlag auf offener Straße und das kurze Kidnappen ihres Sohnes (das die Entführung dem Jungen als abenteuerliche Polizeiermittlung empfinden lassen) können als eine Art von Arbeitskampf gesehen werden – die Akteure bei dieser Entführung als mafiöse Protogewerkschaften.
„It´s a Free World“ ist somit kein einfach gestrickter Film über Gut und Böse. Allein durch die Thematik ist die Gefahr gegeben, Platituden zu produzieren und moralisierend zu wirken. Ken Loach schafft es, diese Gefahren durch den vielschichtigen Aufbau des Films weitgehend zu umschiffen.
It's A Free World
Spanien/Deutschland/Italien/Großbritannien 2007, 92 Min.
Regie: Ken Loach, Drehbuch: Paul Laverty
Mit Kierston Wareing, Juliet Ellis, Leslaw Zurek, Joe Siffleet, Colin Caughlin