Perspektiven der USA unter Obama – Teil 2

Obamas Nominierung von Hillary Clinton zur Außenministerin und Robert Gates zum Verteidigungsminister, der diesen Job auch schon in Bushs Kriegskabinett innehatte, versetzte den mit ihm verbundenen Hoffnungen auf ein Ende der Kriege im Mittleren Osten einen gehörigen Dämpfer. Klar ist, dass Obama nicht für einen Antikriegs-Kurs, sondern vielmehr für eine Umorientierung steht. Aber was sind nun die zentralen außenpolitischen Pläne seines Teams für die nächsten Jahre?

Bezüglich der Pläne für seine Außenpolitik blieb Obama im Wahlkampf fast genauso wage und unbestimmt wie in Bezug auf das Versprechen des „Change“. Alleine mit der Ankündigung die US-Truppen bis zum Frühjahr 2010 aus dem Irak abziehen zu wollen, wurde er konkret – und erreichte damit großes Aufsehen. Vielen war das bereits der Beleg für seine „Antikriegs“-Haltung. Verknüpft war diese Ankündigung jedoch mit dem Verweis, dass er natürlich auch auf seine Generäle im Irak, die die Situation am Besten beurteilen könnten, hören müsse und Afghanistan mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden soll. Unter diesem Gesichtspunkte überrascht die Zusammensetzung seines außenpolitischen Teams gar nicht.

Doch lassen wir auch Obama selber zu Wort kommen – gegen Hoffnungen in ihn findet er selber überdeutliche Worte. Bei einer Pressekonferenz Anfang Dezember beteuerte er „alle Elemente amerikanischer Machtentfaltung“ einzusetzen und „unser Militär zu stärken und die Zahl der Kampftruppen zu erhöhen, um für die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts gerüstet zu sein.“ Unter diese Bedrohungen fallen „neu aufstrebende Mächte, die Spannungen in das internationale System getragen haben.“ Klar ist also, dass Obama nicht prinzipiell weniger kriegerisch ist und seine Außenpolitik auch dementsprechend gestalten wird. Bezeichnend ist auch, dass das Verteidigungsbudget ExpertInnen zufolge so bald keine nennenswerten Veränderungen erfahren wird – zumindest nicht nach unten. Es wird weiterhin ca. 850 Mrd. $ jährlich (also rund die Hälfte des weltweiten Rüstungsbudgets) betragen und die Wunschliste seines Kriegskabinetts wird immer länger…

Mit welchen Strategien will er nun anderen Staaten die Stirn bieten und die US-Hegemonie bewahren? Die Antwort auf diese Frage kann derzeit nicht eindeutig sein, sondern es können vielmehr nur Tendenzen ausgemacht werden. Einerseits, weil Obama noch gar nicht Präsident ist. Andererseits, weil es wohl bezüglich künftiger Veränderungen in der strategischen und taktischen Ausrichtung des US-Imperialismus in der herrschenden Klasse (noch) keinen Konsens gibt. Den gibt es aber anscheinend auch nicht in dem Teil der herrschenden Klasse, den Obama repräsentiert und von dem er unterstützt wurde. Das ist im Zusammenhang mit dem Scheitern der US-Pläne in Afghanistan und im Irak und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit nach einer neuen Strategie zu sehen. Aber vor allem auch hinsichtlich der (noch nicht ganz klaren) Auswirkungen der Finanzkrise – gerade auch auf die mit den USA im Nahen und Mittleren Osten rivalisierenden Staaten. Dieser Artikel beansprucht daher nicht, die künftige US-Außenpolitik hier in vollem Umfang auszulegen (was seriös derzeit auch gar nicht möglich ist), sondern Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen.  

Symbolträchtiges Guantanamo

Als gewissermaßen symbolträchtig für die Veränderungen in der Außenpolitik unter Obama kann sein Umgang mit dem Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba angesehen werden. Bereits im Wahlkampf kündigte er an, das Lager schließen und die Gefangenen vor US-Gerichte stellen zu wollen. Folter solle es unter seiner Präsidentschaft auch keine mehr geben. Und in diesem Zusammenhang formulierte er Mitte Jänner in Richtung Präsident Bush: „Niemand steht über dem Recht.“

Kürzlich hat Obama zwar gemeint, dass es schwieriger sein wird, das Lager zu schließen, als er angenommen hätte und dass es wahrscheinlich nicht in den angekündigten 100 Tagen passieren wird. Dennoch ist eine Schließung wahrscheinlich. Denn bereits unter der jetzigen US-Regierung wurden Schließungspläne erarbeitet; Robert Gates, designierter Verteidigungsminister, hatte bereits im Dezember 2008 Aufträge zur Erarbeitung solcher Pläne vergeben.

Bei dieser Sache geht es dabei vor allem um eins: eine formelle Abgrenzung gegenüber der Außenpolitik Bushs und ihrer negativen Auswirkungen. Guantanamo gilt dabei gewissermaßen als Symbol des Scheiterns von Bushs Plänen, kanalisiert vieles der Kritik am und um den Irakkrieg (war übertrieben, Folter, falsche Anschuldigungen…) und steht auch für den Imageverlust der USA rund um den Globus. Der ideologische Wert für die US-Regierung als Symbol des „Kriegs gegen den Terror“ hat auch längst zu wirken aufgehört und worin der eigentliche Sinn des Lagers bestehen soll, ist auch nur mehr schwer argumentierbar. Die Schließung des Gefangenenlagers ist daher für Obama nicht einmal ein Zugeständnis, da sie ohnehin überfällig ist. Sie ist aber eine sehr symbolträchtige Geste und kann dazu dienen, seine kriegerische Außenpolitik zu legitimieren, denn: die Kriege, die er führen wird, werden alle „fair“ und „gerecht“ sein. Nach dem Motto: nun geht es also darum, diesen und andere Fehler der Bush-Regierung auszubügeln, aber dafür umso ernsthafter und realistischer die Interessen der USA und ihrer BürgerInnen zu verteidigen.

Obamas Kriegskabinett

Zum Verteidigungsminister hat Obama Robert Gates, der dieses Amt auch schon unter Bush innehatte, berufen. Hillary Clinton wird Außenministerin. Nationaler Sicherheitsberater soll der pensionierte hochrangige General James Jones werden. Er lehnt Zeitpläne für den Abzug aus dem Irak ab, tritt für „Energiesicherheit“ ein und sitzt im Zivilberuf im Vorstand des Ölgiganten Chevron. Unter Bush jun. war er kurze Zeit Gesandter für den Nahen Osten. Neben Jones wurden noch zwei weitere ehemalige hochrangige Generäle in sein Team berufen.

Für die Auswahl seines außenpolitischen Teams bekam Obama Applaus von führenden Konservativen und RepublikanerInnen. Noch-Vizepräsident Dick Cheney war über das „ziemlich gute Team“ glücklich und lobte vor allem die Beibehaltung von Gates und die Berufung von Jones, der sicherlich „sehr, sehr effektiv sein wird“. Und auch Henry Kissinger, republikanischer Ex-Außenminister und berüchtigter Stratege des US-Imperialismus, lobte Obama für seinen Mut bei der Auswahl und bezeichnete Gates als „Garantie für Kontinuität“. Fortgeführt wird der Versuch werden, den „Einfluss“ des US-Imperialismus im Nahen und Mittleren Osten zu stärken und zu stabilisieren. Zu Veränderungen kann es jedoch in der konkreten Umsetzung dieser Strategie kommen.

„Was wir bisher versucht haben, hat nicht funktioniert“

In dieser Deutlichkeit brachte es Hillary Clinton bei ihrer Senatsanhörung am 13. Jänner auf den Punkt. Nicht unwichtigen Einfluss auf die neue Linie dürften Zbigniew Brzezinski, berüchtigter antikommunistischer Reaktionär, jahrzehntelang führender Stratege des US-Imperialismus und Obamas Chefberater, und Brent Scowcroft genommen haben. Die beiden sprachen sich schon früh gegen den Irakkrieg aus. Aber nicht aus prinzipiellen Überlegungen, sondern weil sie einen Angriff auf den Irak als wenig effektiv für die Durchsetzung der US-Interessen im Mittleren Osten ansahen. Sie stehen für eine Stabilisierung in Afghanistan, als Ausgangsbasis für die militärischen Operationen in der Region, und für das Vorantreiben des „Friedensprozesses“ zwischen Israel und Palästina. Das soll die Stellung der USA im Mittleren Osten stärken. Ende November schrieben sie in einem Artikel: „Das würde es den arabischen Regierungen ermöglichen, die US-Führung im Umgang mit regionalen Problemen zu unterstützen; so wie es im Vorfeld des Irakkriegs war. Das würde das psychologische Klima in der Region ändern und so den Iran in die Defensive drängen und dessen Großtuerei zu beenden.

Dazu passend ist auch ein kürzlich veröffentlichter Bericht der britischen Tageszeitung „Guardian“. Demzufolge legen Berater Obama nahe, Kontakte zur Hamas, wenn zunächst auch noch inoffiziell über die Geheimdienste, herzustellen. Es würde in Washington einen zunehmenden Konsens geben, dass der harte Kurs gegenüber der Hamas kontraproduktiv sei. Ähnliche Äußerungen gab es auch von Hillary Clinton bei der Senatsanhörung: die USA würden zwar Sicherheitsgarantien für Israel abgeben, aber auch die „tragischen humanitären Kosten“ des Konflikts (auf palästinensischer Seite) sehen. Es gebe eine verstärkte Entschlossenheit, einen dauerhaften Frieden anzustreben. In der Haltung zum Israel-Palästina-Konflikt wird es wohl nicht zu einer 180-Grad Wende kommen. In Zusammenhang mit der geostrategischen Ausrichtung des US-Imperialismus in der gesamten Region könnte es aber auch hier eine partielle Veränderung geben.

Gegenüber dem Iran betonte Clinton die Notwendigkeit, das diplomatische Potentzial auszuschöpfen – die Anwendung von militärischer Macht dürfe als Option aber natürlich nie ausgeschlossen werden. Insgesamt sei die neue Überzeugung: „Wir müssen eine Welt mit mehr Partnern und weniger Feinden bauen.“ Die Außenpolitik müsse auf einer „Ehe von Prinzipien und Pragmatismus“ beruhen.

Verschärfung der Konkurrenz im Mittleren Osten

Hintergrund der geostrategischen Überlegungen des US-Imperialismus bildet die zunehmende Konkurrenz um die Dominanz im innerasiatischen Raum – der erdöl- und erdgasreichsten Region der Welt. Die USA, die EU, Russland und China sind dabei in unterschiedlichen, aber steigenden Intensitäten die Hauptakteure. Sie stehen alle in Konkurrenz zueinander, gehen aber auch Bündnisse und beschränkte Partnerschaften ein. Eine wichtige Rolle kommt auch dem Iran zu, aufgrund seiner geostrategischen Lage und als bedeutende Regionalmacht.

Pointiert kam die sich verschärfende Konkurrenz zwischen Russland und den USA (und der EU) beim Krieg in Südossetien/Georgien im Sommer 2008 zum Ausdruck (siehe: Südossetien und die Heuchelei des Westens ). Von Teilen des US-Establishments wurden Vergleiche zum Kalten Krieg gezogen und die USA intensivierten ihre Bemühungen, Georgien, aber auch die Ukraine, in die NATO zu integrieren. Auf eine härtere Gangart gegenüber Moskau weist auch der Einfluss von Brzezinski und die Bestellung von Gates, eines ehemaligen Mitarbeiters von Brzezinski, zum Verteidigungsminister hin. Brzezinski war der Stratege der Aufrüstung afghanischen Islamisten durch die USA gegen die Sowjetunion ab den späten 1970ern. Und auch nach der Auflösung der Sowjetunion hat Brzezinski sich für eine anhaltende Destabilisierung der russischen Südgrenze als Teil der US-Strategie ausgesprochen (in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“). Verstärkt haben die USA auch die Zusammenarbeit mit ehemaligen Sowjetrepubliken wie Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan. Die NATO versuchte auch eine Aufhebung des Verbots für Waffentransporte nach Afghanistan durch russischen Luftraum zu erreichen. Dabei geht es den USA neben der Dominanz in der Region auch um die Sicherung von militärischen Versorgungsrouten in die Kampfgebiete im Nahen und Mittleren Osten. Aber auch Russland ist sich der Bedeutung der gesamten Region bewusst: erst Mitte Jänner gab ein russischer Militärsprecher bekannt, dass Russland in den nächsten Jahren Militärstützpunkte in Libyen, Jemen und Syrien aufbauen will.

Irak: Abzug und Aufgabe?

Die Strategie für den Irak gilt es im Lichte der oben beschriebenen, sich verschärfenden Konkurrenzverhältnisse zu sehen. Der Irak bleibt, als Land mit massiven Ölvorkommen höchster Qualität, von höchster Bedeutung und die USA werden weiter Versuchen zumindest die für sie wesentlichen Gebiete des Irak unter Kontrolle zu halten. Gleichzeitig geht es für die US-Bourgeousie um die Vorherrschaft der gesamten Region Mittlerer Osten-Zentralasien. Der Plan der Ausweitung der US-Präsenz in Afghanistan, einerseits durch Verlagerung von Truppen vom Irak nach Afghanistan und andererseits durch deren Aufstockung, konnte schon im Wahlkampf auf breite Unterstützung in der herrschenden Klasse zählen und hat sich mittlerweile mehr und mehr als Konsens etabliert.

Das bedeutet aber keineswegs, dass Obama tatsächlich im Frühjahr 2010 die US-Truppen aus dem Irak abziehen wird. Laut Plänen aus dem Pentagon sollen 70.000 SoldatInnen über den 31. Dezember 2011 hinaus dort stationiert bleiben. Gates hatte sogar öffentlich erklärt, dass US-Truppen über Jahre im Irak bleiben würden. Dabei wird zum Teil auch mit rhetorischen Mitteln agiert: Abgezogen werden sollen nur die „Kampftruppen“ (von denen Obama auch im Wahlkampf gesprochen hatte), die „Resttruppen“, deren Aufgaben als Sicherung und Stabilisierung vor Ort definiert sind, bleiben. Mittelfristig könnte ein „Abzug“ auch so aussehen, dass „nur“ zehntausende „Militärberater“ dort bleiben (wie schon in Vietnam vor 1964). Dazu kommen auch noch die ganzen privaten „Militärdienstleister“, die für die USA im Irak tätig sind (nach Schätzungen sind rund 120.000 Söldner im Land, die die reale Anzahl der stationierten US-Truppen ca. verdoppeln).

Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Kämpfe (und des Widerstands) im Irak sind nach wie vor unangebracht. Die Angriffe auf Besatzungs- und Regierungstruppen sind zwar von ihrem Höchststand im Juli 2007 von 1500 pro Woche im Juli 2007 auf 300 bis 500 zurückgegangen (in der Hochphase des Militäroffensive„Surge“) und verbleiben derzeit auf einem halbwegs stabilen und verhältnismäßig niedrigen Niveau. Aber das ist nur ein sehr bedingter Indikator für Stabilität, denn selbst dieser Rückgang steht auf wackligen Beinen. Er ist einerseits erreicht worden durch die zunehmenden Spannungen zwischen SunnitInnen und SchiitInnen. Sunnitische NationalistInnen hatten einen Kurswechsel vollzogen und die Widerstandsaktivitäten gegen die USA reduziert bzw. eingestellt, um gegen iranische Einflüsse, die mit den schiitischen Parteien identifiziert werden, zu kämpfen. Es kam zu partieller Zusammenarbeit zwischen Stammesräten („Awakening-Räte“) und den US-BesatzerInnen. Dahinter steht jedoch keine prinzipielle Kollaboration mit der Besatzungsmacht, sondern es handelt sich vielmehr um eine vorübergehende und brüchige Zusammenarbeit. Die USA haben de facto Teile des sunnitischen Widerstandes eingekauft und die Kämpfer mit hohen Taggeldern ruhig gestellt bzw. in die neue irakische Armee integriert. Wenn im Zuge der Krise die Gelder weniger schnell fließen, könnte sich hier ein neuer Widerstandsherd auftun. Darüber hinaus verfolgen Teile der irakischen Widerstandsbewegung die Strategie, derzeit die Angriffe auf die Besatzer zu reduzieren, aber nur – so ein hochrangiger Führer – um „sich neu zu gruppieren, fortzubilden und das Ende von Bushs ‘Surge’ abzuwarten.“ Von einer qualitativen Veränderung der Situation für die USA kann daher nicht die Rede sein.

Den StrategInnen des US-Imperialismus geht es demnach um eine realistische Perspektive der relativen Stabilität und Kontrolle. Ein Element davon wird der Ausbau der „zivil-militärischen Zusammenarbeit“ (u.a. im Rahmen der CIMIC – Civil Military Cooperation) sein. Insgesamt ist eine partielle Aufgabe der direkten Kontrolle über Teile des Irak denkbar – zugunsten des Ausbaus der Vorherrschaft in der ganzen Region. Vermittels dieser soll auch eine erhöhte Stabilität im Irak erreicht und garantiert werden. Ein solcher partieller Rückzug bzw. eine Verlagerung wäre wahrscheinlich auch von hohem symbolischem Wert in der arabischen Welt.

Afghanistan und Pakistan im Visier

Die US-Truppen in Afghanistan sollen verdoppelt werden, d.h. um ca. 20.000 bis 30.000 aufgestockt werden. Manche Schätzungen sprechen aber auch von einer Aufstockung um 40.000 bis 60.000. In Zusammenhang damit sollen auch die Grenzregionen Pakistans zum Kampfschauplatz werden. Der designierte Verteidigungsminister Gates formulierte diesbezüglich erst kürzlich in einem Artikel: „Afghanistan ist langfristig eine in vielerlei Hinsicht noch komplexere und schwierigere Herausforderung als der Irak. Sie wird ein deutliches militärisches und ökonomisches Engagement der USA über einen längeren Zeitraum erfordern.“

Aber was macht nun die besondere Bedeutung von Afghanistan (und der Grenze zu Pakistan) aus? Derzeit werden ca. 80% des militärischen Materials für den Afghanistankrieg im Hafen von Karachi entladen und dann durch Pakistan über den Khyber Pass (in der Grenzregion) nach Afghanistan transportiert. Im letzten Jahr haben sich die Angriffe auf die Transportkonvois vervielfacht. Anfang Dezember wurden allein an zwei ereignisreichen Tagen bei Angriffen auf dem Pass und der Einnahme eines Parkplates 200 LKWs samt Inhalt zerstört bzw. in Brand gesetzt. Der kontinuierliche Nachschub mit militärischem Kampfmaterial über diese Route wird also zunehmend unsicherer. Besondere Bedeutung erhält die Grenzregion dadurch, dass die Grenzziehung in der Kolonialzeit vorgenommen wurde und ziemlich willkürlich ein von 30 Millionen PashtunInnen bewohntes Gebiet teilt (wobei die PashtunInnen als Basis der Taliban gelten); Afghanistan hat die Grenze nie offiziell anerkannt.

Neben der Sicherstellung der Versorgungsroute geht es bei diesen landesübergreifenden Militäroperationen wohl auch um Pakistan selber. Pakistan verfügt über einen Meerzugang und ist eines der bedeutendsten Länder in der Region. Die soziale Lage innerhalb des Landes spitzt sich immer mehr zu; auch unter der neuen Regierung der PPP (Pakistan Peoples Party), die mit großen Hoffnungen angetreten ist, aber die zentralen Probleme der Bevölkerung nicht löst, sondern noch verschlimmert. Die Preise für Lebensmittel, Strom und Benzin sind explodiert. Es leben mehr Menschen unter der Armutsgrenze als jemals in der Geschichte Pakistans. 45% der Bevölkerung leiden an unterschiedlichem Ausmaß an Hunger. Die Zustimmung für die PPP ist auf 13% gesunken. Die soziale Sprengkraft im Land ist daher groß. Es wird vermutlich auch darum gehen, ein Auseinanderbrechen des Landes zu verhindern und die Zentralregierung im Zuge sozialer und Klassenkämpfe sowie gegenüber den Kriegsklans in den Grenzregionen zu stärken. Daneben ist Pakistan im Besitz von Atomwaffen, deren Sicherstellung für die USA ebenfalls zentral ist.

Für die Ausweitung des Krieges auf Teile Pakistans werden die Argumente, dass sich afghanische TerroristInnen dort verstecken würden bzw. der Kampf von dort aus unterstützt würde, herangezogen. Die Terroranschläge in Mumbai (Indien) im November 2008 wurde dementsprechend medial auch als „Indiens 9/11“ hochstilisiert. Die Schuldigen wären auch diesmal islamistische TerroristInnen, so wie schon beim „originalen“ 9/11, und die Spuren würden diesmal nach Pakistan führen.

Washingtons KriegsplanerInnen bemühen sich aber auch um alternative Versorgungsrouten. Wichtig ist jene durch den Südkaukasus und Zentralasien; genauer über den Hafen von Poti in Georgien über Aserbeidschan, Kasachstan und Usbekistan. Dabei geht es aber auch um den Aufbau und die langfristige Sicherung einer Öl- und Gastransportroute in der ölreichsten Region der Welt – vorbei an Russland. Denn alle anderen Routen würden über Russland, China oder den Iran, d.h. über zentrale Rivalen der USA in der Region, führen. Das Argument der Ausweitung des Krieges in Afghanistan dient also auch dazu, die (militärische) Präsenz und den Einfluss in der gesamten Region zu stärken. Bereits am 19. Dezember haben die USA und die Ukraine eine Charta über strategische Partnerschaft unterzeichnet; am 9. Jänner mit Georigen.

Iran als nächstes Ziel?

Derzeit überwiegen Aussagen und Zeichen, nach denen die USA (zunächst) verstärkt auf „diplomatische Lösungen“ setzten werden. In Obamas Team gibt es allerdings auch viele HardlinerInnen, die schon früher mit Drohungen gegenüber dem Iran nicht gespart haben. Eine erfolgreiche Ausweitung der Präsenz und Dominanz der USA in der Region würde den Iran in die Defensive und die USA in eine bessere Verhandlungsposition bringen. Und Berichten zufolge hätte sogar Bush Anfragen von Israel nach US-Unterstützung für einen Angriff auf den Iran zurückgewiesen. Ob oder wann es zu einem US-Angriff auf den Iran kommt, hängt sicherlich damit zusammen, welche konkreten strategischen Pläne sich nun durchsetzen und ob diese auch umgesetzt werden können. Denn hier gilt es auch die begrenzten militärischen Kapazitäten für einen umfassenden Angriff auf den Iran zu bedenken. Unter dem Eindruck der derzeitigen Kräfteverhältnisse und Pläne sieht es so aus, dass ein baldiger Angriff eher unrealistisch ist und die Priorität des US-Imperialismus derzeit die Stabilisierung und der Ausbau der Präsenz ist – ein Angriff auf den Iran würde aber einen weiteren Unsicherheitsfaktor bedeuten.

Die EU als (Junior-)Partner?

Auf grundsätzlicher Ebene verschärfen sich zwar die Widersprüche zwischen USA und EU, aber dennoch wird Obama wohl in manchen Bereichen eine strategische Zusammenarbeit vorantreiben und vertiefen. Das ist aber keineswegs Ausdruck einer größeren „Wertschätzung“ oder ähnlichem, sondern nur Ergebnis der beschränkten Erfolge eines US-Alleingangs. Für eine erfolgreiche Stabilisierung der Situation im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afghanistan ist der US-Imperialismus bis zu einem gewissen Grad auf die Unterstützung von EU-Staaten angewiesen und fordert daher die „Übernahme von Verantwortung“. Die Stärkung der NATO wird in diesem Bereich wohl eine wichtige Rolle spielen.

Die starke Abhängigkeit der EU von russischem Erdgas (mehr als 60% der europäischen Importe kommen aus Russland) und das damit einhergehende Konfliktpotential wurden kürzlich erst durch den Gasstreit mit der Ukraine und die Einstellung der Gaslieferungen deutlich. Der Umgang mit Russland könnte zu einem wichtigen Konfliktfeld zwischen EU- und US-Imperialismus werden. Dazu kommen noch mögliche (wenn auch nicht unmittelbar bevorstehende) Beitrittsverhandlungen mit Georgien und der Ukraine, über die der EU-Imperialismus seinen eigenen Einfluss im innerasiatischen Raum ausweiten will.

Rund um Afrika verschärfen sich die innerimperialistischen Widersprüche ebenfalls. Letztes Jahr wurde eine eigene Kommandostruktur des US-Militärs geschaffen, die für den afrikanischen Kontinent zuständig ist: AFRICOM. Diese soll auch dazu dienen, den wachsenden französischen und britischen (aber auch chinesischen) Einfluss zurückzudrängen. Es gelang allerdings noch nicht, AFRICOM in einem afrikanischen Land unterzubringen, weswegen dessen Sitz bis auf weiteres weiterhin in Deutschland verbleibt.

Insgesamt werden die USA gegenüber der EU also wahrscheinlich zweigleisig vorgehen. Auf der einen Seite versuchen, die Zusammenarbeit in einigen Bereichen voranzutreiben – soweit sie eine notwendige Unterstützung zur Durchsetzung der US-Interessen im Nahen und Mittleren Osten und in Zentralasien betrifft. Auf der anderen Seite in die EU hinein zu spalten und Einfluss auf EU-Staaten bzw. EU-Beitrittskandidaten zu gewinnen und auszuweiten.

Resümee

Der Hauptfokus des US-Imperialismus wird in den nächsten Jahren weiterhin der Kampf um die Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten sowie in Zentralasien sein. Obama steht dabei für einen realistischeren Kurs – das bedeutet auch die Langfristigkeit dieses Ziels zu sehen und als Grundlage der eigenen Politik herzunehmen. Das US-Establishment wird versuchen, seine noch vorhandene, wenn auch schwindende, hegemoniale Rolle in die Waagschale zu legen um dem Niedergang seiner Dominanz entgegenzuwirken. Da der militärische Weg dazu offensichtlich an gewisse Grenzen gestoßen ist, wird nun versucht werden, das eigene Gewicht auf politischer Ebene stärker als zuvor für die Durchsetzung der eigenen Interessen einzusetzen. Das schließt eine Erhöhung der militärischen Bestrebungen jedoch nicht aus, bettet diese aber in eine partiell veränderte Gesamtstrategie ein.

Über diese Grundausrichtung gibt es in der herrschenden Klasse der USA einen relativ breiten Konsens. Für die konkrete Umsetzung bildet sich langsam einer heraus (zumindest in Obamas Administration). Die derzeitige Situation könnte auch als Ausdruck eines „Herantastens“ an eine neue Strategie gesehen werden. Welche sich letztlich durchsetzen wird, hängt auch sehr stark damit zusammen, wie „erfolgreich“ der US-Imperialismus in nächster Zeit im Nahen und Mittleren Osten und in Afghanistan sein wird.

Der US-Imperialismus steht unter dem Eindruck der Finanzkrise der wachsenden Zuspitzung innerimperialistischer Widersprüche und dem Aufstieg von neuen Machtblöcken gehörig unter Zugzwang. Insofern kann gewissermaßen von einer „Flucht nach vorne“ gesprochen werden. Freilich gibt es keine Erfolgsgarantie für die Umsetzung dieser Pläne. Klar ist auch, dass die Ausdehnung bzw. nur Fortführung der Kriege, gerade unter dem Eindruck der Finanzkrise und dem massiven Budgetdefizit, ein riskantes Spiel ist. Die US-ImperialistInnen haben jedoch gar keine andere Wahl als gegen den Verlust ihrer hegemonialen Rolle zu kämpfen. Darüber, wie das passiert, ist sicherlich noch nicht das letzte Wort gesprochen.

Dieser Umstand zeigt nur wieder einmal in aller Deutlichkeit die Widersprüche des Imperialismus und die zerstörerische und kriegerische Dynamik der auf Profitmaximierung ausgerichteten kapitalistischen Produktionsweise auf. Und auch wenn mittelfristig eine partielle Erholung der Weltwirtschaft etwas unmittelbaren Druck aus den sich intensivierenden Rivalitäten nehmen kann, wird weiterhin eine klare Tendenz zur weiteren und schrittweisen Zuspitzung der Widersprüche im imperialistischen Weltsystem erkennbar sein.