Zum Charakter der Partei DIE LINKE

Anderthalb Jahre nach ihrer Gründung scheint sich DIE LINKE fix als fünfte große Kraft im deutschen Parteienspektrum etabliert zu haben. In Meinungsumfragen liegt sie stabil bei 12 bis 13%, im Osten kämpft sie mit 29 bis 30% mit der CDU um die Position der stärksten Partei, im Westen kann sie rund 8 bis 9% der Stimmen auf sich vereinigen. Wie keine andere Partei steht sie einerseits für die Hoffnungen hunderttausender Menschen auf eine neue, sozialere Politik aber andererseits auch für Enttäuschungen  und Desillusionierungen  durch „linke“ Regierungsbeteiligungen.

Mit einer Mitgliederanzahl von bereits über 76.000 ist die Linke in dieser Hinsicht schon die drittgrößte Partei Deutschlands und zudem die einzige größere Partei mit Mitgliederzuwachs. Im Bundestag stellt sie die viertgrößte von fünf Fraktionen. Ihre Einflussnahme auf die politische Debatte ist sogar noch größer als ihre numerische Stärke vermuten lässt. Vor allem die SPD lässt sich von der Linken mitunter regelrecht vor sich hertreiben, aber auch die anderen Parteien müssen sich gegenüber den Vorschlägen und Forderungen der Linkspartei positionieren. Mit Themen wie dem Mindestlohn von 8 Euro / Stunde, einer repressionsfreien Grundsicherung oder der Rückführung privatisierter Bereiche in öffentliches Eigentum hat die LINKE Fragen aufgeworfen, die im politischen Mainstream Deutschlands lange Zeit nicht einmal mehr gestellt worden sind.

Doch die Entwicklung der Linken ist alles andere als eine reine Erfolgsgeschichte. Bereits vor ihrer Fusion mit der WASG zur neuen heutigen Linken konnte man bei der PDS bzw. Linkspartei eine stetige Rechtsentwicklung beobachten. Und der Zusammenschluss der beiden Parteien war insgesamt erst Recht ein Schritt zurück: Einerseits gab die Linkspartei ihr – rein rhetorisches – Bekenntnis einer sozialistischen Gesellschaft als Ziel weitgehend auf, andererseits verabschiedete sich die WASG von Positionen wie der Ablehnung von Regierungsbeteiligungen, sollte mit ihnen Sozialabbau einhergehen.

Der Aufstieg der Linkspartei ist Ausdruck der internationalen Entwicklung, dass die Sozialdemokratie mit ihrer neoliberalen Politik so weit nach rechts ging und ihre Verwurzelung in der ArbeiterInnenklasse schwächer wurde, sodass links davon mehr Platz entstand. Dieser Raum wird in unterschiedlichen Ländern von unterschiedlichen Formationen besetzt; gemeinsam haben sie in der Regel eine (links-) reformistische politische Grundlage.

Die LINKE hat dabei einige sehr eigentümliche Merkmale, die sich aus der spezifischen Situation Deutschlands als für einige Jahrzehnte in zwei ökonomische und politische Systeme geteiltes Land ergeben. Schließlich gründete sich die LINKE einerseits aus der mehr schlecht als recht von ehemaligen stalinistischen BürokratInnen und Stasi-MitarbeiterInnen gesäuberten PDS, der Nachfolgepartei der stalinistischen Staatspartei SED, und andererseits aus der in Folge von sozialen Kämpfen (der Mobilsierung gegen „Hartz IV“) und einem Abspaltungsprozess von der SPD entstandenen WASG.

Anhand ausgewählter Themenbereiche wollen wir eine Bewertung der programmatischen Grundlage der Linken sowie ihrer realen Politik vornehmen um uns anschließend einer Analyse der Struktur der Partei zuzuwenden. Am Ende des Artikels sollen dann politischen Schlussfolgerungen für revolutionäre SozialistInnen stehen.

Mit dem Grundgesetz zum Sozialismus? Die LINKE und Regierungsbeteiligungen

Die Grundlage einer jeden politischen Partei ist deren Einschätzung der Gesellschaft und des politischen Systems, in dem sie sich bewegt. Bei einer sozialistischen Partei sollte dies die Analyse des Kapitalismus als Klassengesellschaft sein, in welcher notwendigerweise auch der Staat nicht neutral sein kann. Doch der LINKEN fehlt jedwede marxistische Analyse von bürgerlichem  Staat und bürgerlicher Gesellschaft. In ihren programmatischen Eckpunkten, dem vorläufigen Parteiprogramm, verliert sie kein Wort über den spezifischen Charakter des bürgerlichen Staats als „scheinbar über der Gesellschaft stehende Macht (…), die den Konflikt [der Klassen] dämpfen, innerhalb der Schranken der ‚Ordnung’ halten soll“ andererseits aber „mitten im Konflikt dieser Klassen entstanden“ und daher „in der Regel Staat der mächtigsten, ökonomisch herrschenden Klasse“, Mittel „zur Niederhaltung und Ausbeutung der unterdrückten Klasse“ ist (Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats). Stattdessen spricht die Linke ganz einfach vom Staat, als ob dieser unabhängig von der herrschenden Klassengesellschaft wäre.

Die Partei fordert „die Stärkung der individuellen Rechte: Staatliches Handeln muss immer überprüfbar und die Einzelnen müssen vor ungerechtfertigten Zugriffen des Staats geschützt sein. Deswegen ist der Rechtsstaat mit der Rechtswegegarantie für uns ein hohes Gut, und wir brauchen unabhängige Kontrollinstanzen gegenüber den staatlichen Sicherheitsorganen. (…)“ Gleichermaßen positiv bezieht sich die LINKE auf das Grundgesetz, schließlich stelle es „mit seinen Grundprinzipien der unantastbaren Menschenwürde, des sozialen Rechtsstaats und der Demokratie“ einen Ausgangspunkt ihrer Politik da, „weil darin eine demokratische Veränderung der Wirtschafts- und Sozialordnung mit dem Ziel einer gerechten, friedlichen Gesellschaft verankert ist. In diesem Sinne ist das Grundgesetz geradezu eine Aufforderung zum demokratischen Sozialismus.“

Sämtliche Erfahrungen der letzten 150 Jahre ArbeiterInnenbewegung ignorierend, behauptet die LINKE also, dass die Gesellschaft auf dem Boden der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie zum Sozialismus kommen könnte. Sie tut so, als wäre es möglich, dass eine LINKE-Regierung einfach Gesetze zur Enteignung der KapitalistInnen erlässt und dies von den Herrschenden ohne weiteres akzeptiert werden würde. Dies ist jedoch keine neue Erkenntnis oder ein Schluss aus den Erfahrungen mit den stalinistischen Systemen sondern ein Neuaufguss der reformistischen Theorie, die der Sozialdemokrat Eduard Bernstein schon Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte.

Wen wundert es da noch, wenn etwa der Parteivorstand laut einem Beschluss vom 22.11.2008 den „Geheimdiensten das Geheime nehmen“ will, natürlich mittels einer „schrittweise Entwicklung“. Die Linkspartei hegt absurde Illusionen in die Wandlungsfähigkeit des bürgerlichen Repressionsapparats, und das, obwohl Teile der Partei ganz offiziell vom Verfassungsschutz beobachtet werden und sie selbst immer wieder verschiedenster Art von staatlicher Repression ausgesetzt ist. So wurde etwa im Zuge der Auflösung einer antifaschistischen Kundgebung gegen einen Naziaufmarsch in Berlin-Lichtenberg am 6.12.2008 auch die Lichtenberger Bürgermeisterin Christina Emmrich, die der LINKEN angehört, verhaftet. Das Verhältnis der Linkspartei zum bürgerlichen Staat erinnert an das Sprichwort „nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber“.

Damit einhergehend praktiziert die Linkspartei eine klassische Trennung in Minimal- und Maximalprogramm, also ein abstraktes, seit der Fusion mit der WASG ohnehin kaum mehr vorhandenes, Bekenntnis zum Sozialismus bei gleichzeitiger Konzentration auf alltägliche politischen Fragen, ohne auch nur in Ansätzen zu versuchen, beide miteinander zu verknüpfen.

Sie hat damit auch kein Problem, sich an bürgerlichen Regierungen zu beteiligen. Die PDS war von 1998 bis 2006 an der Regierung in Mecklenburg-Vorpommern beteiligt, und die LINKE ist immer noch Bestandteil der Koalitionsregierung mit der SPD in Berlin. Doch gerade jene spielte nicht nur einmal eine Vorreiterrolle im Sozialabbau; ihre Politik lässt sich nur als soziales Kettensägenmassaker gegen die ArbeiterInnenklasse bezeichnen: Schaffung von über 32.000 Ein-Euro-Jobs, Bruch des Flächentarifvertrages, Privatisierung von 120.000 Wohnungen in Besitz von landeseigenen Wohnbaugesellschaften, Kürzung des Blindengeldes, Abschaffung der Lehrmittelfreiheit (d.h. Eltern müssen für Schulbücher zahlen), um nur einige zu nennen. Heute ist Berlin das Armenhaus Deutschlands, die Hauptstadt der Mc Jobs – und die LINKE trägt Mitschuld daran. Sie trägt sogar Mitschuld an Hartz IV, schließlich hatten sich bei der Abstimmung über die Hartz-Gesetze 2003 im Bundesrat sowohl das „rot-rote“ Berlin, als auch das „rot-rote“ Mecklenburg-Vorpommern enthalten. Stimmenthaltung im Parlament, das ist die schmierige Methode linken Kriechertums, sich der Verantwortung zu entziehen.

Stets hat die LINKE argumentiert, diese Maßnahmen wären notwendig gewesen und ohne sie in der Regierung wäre es noch schlimmer (!) gekommen. Es ist aber nicht die Aufgabe einer sozialistischen Partei, das kapitalistische Elend mitzuverwalten! Die Linke müsste einen permanenten Kampf gegen diese Entwicklungen führen, anstatt sie selbst mitzugestalten. Denn eine Beteiligung an bürgerlichen Regierungen erfordert die eigene Unterordnung unter die kapitalistischen Sachzwänge, d.h. letzten Endes unter die Logik des Marktes. Es ist unmöglich, innerhalb dieser Logik nur an einzelnen Schrauben zu drehen, ohne den Rest der komplexen Maschine zu beeinflussen. Und selbst, wenn eine linke Regierung keine budgetären Einschnitte im Sozialwesen durchführen müsste, so hätte sie immer noch die Verantwortung für den (rassistischen) staatlichen Repressionsapparat und damit unter anderem für zehntausende Abschiebungen pro Jahr zu tragen.

Die Erfahrung zeigt, dass eine solche Politik nicht nur „moralisch“ verwerflich, sondern auch strategischer Unsinn ist. Schließlich wurde die LINKE bei den Wahlen von 2006 in Berlin mit einem Minus von 9,2% für ihre Regierungspolitik bestraft. Die Politik des „kleineren Übels“ führt stets nur dazu, dass sich die eigenen SympathisantInnen enttäuscht abwenden und in Folge die rechteren Kräfte zulegen. Es kommt dann nicht nur zu einer Schwächung der Partei, sondern auch zu einer Schwächung der ArbeiterInnenbewegung und ihrer Kämpfe insgesamt. Die Partei muss dann entweder mit deutlich geschwächten Kräften einen teilweisen „Neubeginn“ starten (um in der Regel die gleichen Fehler wieder zu begehen) oder sich auf andere soziale Schichten konzentrieren, die mit Sozialabbau und Privatisierungen weniger Probleme haben.

UNO-Bomben schmecken besser? Die LINKE und imperialistische Kriege

So naiv die Linkspartei in der Innenpolitik agiert, so blauäugig gibt sie sich auch in der Außenpolitik. In ihren programmatischen Eckpunkten fordert sie „die weitere Stärkung und Demokratisierung der UNO, mehr Rechte der Vollversammlung und einen demokratischen Umbau des Sicherheitsrats“. Weiters wünscht sie sich einen „Wandel der Europäischen Union“ und tritt „dafür ein, dass sich die EU von einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu einer europäischen Beschäftigungs-, Sozial-, Umwelt- und Friedensunion entwickelt“. Aber für EU, UNO und andere internationale Staatenverbände gilt im Prinzip das Gleiche wie für einzelnen kapitalistische Staaten. Warum sollten SozialistInnen diese Gebilde verändern können, wenn das schon bei einem einzelnen Staat unmöglich ist?

Einen Schritt weiter geht allerdings ein Strategiepapier der Linksfraktion im Bundestag zur NATO und zu Militäreinsätzen vom November 2008. Zwar wurde dieses, auf innerparteilichen Druck hin, nachträglich zum Diskussionspapier degradiert, nichtsdestotrotz ist es ein weiteres Zeichen für den anhaltenden Rechtsruck der Partei. Bislang hatte die LINKE Kriegseinsätze, auch wenn sie unter UN-Mandat geführt werden, noch kategorisch abgelehnt. Nun aber wird die Notwendigkeit der materiellen Umsetzung des Gewaltmonopols durch die UNO gefordert. Und „wie die UNO dieses Recht wahrnehmen und welche Fähigkeiten sie dafür benötigen wird, darüber ist zu diskutieren“. Als ob ein Krieg, wenn er von der UNO, einer Vereinigung, in der sich die stärksten imperialistischen Mächte untereinander koordinieren, legitimiert ist, kein imperialistischer Krieg sein könnte und dabei keine ZivilistInnen für die ökonomischen und geostrategischen Interessen einiger weniger umkommen würden.

Besonders rabiat gibt sich die LINKE-Vertreterin Sylvia Yvonne Kaufmann. Als glühende Anhängerin der EU und deren einstweilig einmal gescheiterten Verfassung hat sie ein Buch mit dem Titel „Die EU und ihre Verfassung. Linke Irrtümer und populäre Missverständnisse zum Vertrag von Lissabon“ verfasst. Kaufmann erklärt linke Kritiken an der EU-Verfassung, nach welcher sich die Mitgliedsstaaten zum Beispiel verpflichten hätten müssen „ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ (eine Verpflichtung zur Aufrüstung, wie es sie in keiner anderen Verfassung gibt!) schlichtweg zu lächerlichen „Irrtümern“. Das eigentliche Problem dabei ist allerdings, dass Kaufmann nicht irgendein einfaches Mitglied ist, sondern für die LINKE im Europaparlament sitzt und dort die Fraktion der „Vereinigten Europäischen Linken“ (GUE/NGL) als Vizechefin anführt.

Dr. Jekyll und Mr. Hyde: Das Verhältnis der LINKEN zu sozialen Bewegungen und Klassenkämpfen

So kann das Verhältnis der Linkspartei zu sozialen Bewegungen und Klassenkämpfen beschrieben werden: Immer wieder schafft es die LINKE, scheinbar gleichzeitig auf beiden Seiten der Front zu sein. So stellte sie beispielsweise auf der Demonstration gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm einerseits einen Block mit über 1.000 TeilnehmerInnen (wo sich auch Teile der Parteispitze um Lafontaine sonnten), andererseits war es die SPD-PDS Regierungskoalition Mecklenburg-Vorpommerns , die nicht nur alles für die Vorbereitung des Gipfels unternahm, sondern auch das Landes-Sicherheitsgesetz in Hinblick auf die Proteste drastisch verschärfte. Ein weiteres Beispiel ist der bundesweite Schulstreik im November 2008, der von der Bundestagsfraktion der LINKEN unterstützt wurde. „Die unsoziale und undemokratische Bildungspolitik sollte sich niemand gefallen lassen“, erklärte die bildungspolitische Sprecherin Nele Hirsch. Doch zur Haltung ihrer ParteigenossInnen im Berliner Senat, welche unter anderem mit der Abschaffung der Lehrmittelfreiheit oder der Zusammenlegung von Schulen selbst zur unsozialen Bildungspolitik beigetragen hatten, fiel ihr nichts ein.

Damit ist allerdings nicht gesagt, dass jede soziale Bewegung und jeder Klassenkampf Unterstützung von der Linkspartei erfährt. Im Fall des GDL-Streiks 2007, einer der wichtigsten Arbeitskämpfe Deutschlands in den letzten zehn Jahren, verhielt sich die Partei zuerst einmal ablehnend und argumentierte mit der abstrakten „Gewerkschaftseinheit“, welche die LokführerInnen brechen würden (als wäre es nicht die Bürokratie der große Gewerkschaften, die mit ihren faulen Kompromissen andauernd die ArbeiterInnen spalten würde). Im Laufe der Auseinandersetzung musste sich die Spitze der LINKEN dann aber dem Druck der Parteibasis beugen – halbherzig, wohlgemerkt. Die gespaltene Persönlichkeit Linkspartei hängt also auch damit zusammen, dass diese Rücksicht auf ihre AnhängerInnen nehmen muss. Wenn sie also den Sozialabbau  mitträgt, dann tut es ihr gleichzeitig furchtbar leid.

Deshalb betonen VertreterInnen der Linken häufig, dass ihre Partei immer nur so stark wäre, wie sie in sozialen Bewegungen verankert sei. Das ist natürlich richtig. Die Frage ist aber eine des WIE. Die Aufgabe einer sozialistischen Partei wäre es, mittels einer Verankerung in den Betrieben über revolutionäre Betriebsgruppen – und nicht nur über BetriebsrätInnen, die „linke“ Servicepolitik betreiben – Klassenkämpfe voranzutreiben und das Parlament als politische Bühne für deren öffentlichkeitswirksame Unterstützung zu nutzen. Die LINKE aber macht genau das Gegenteil, indem sie eine Politik der parlamentarischen Integration sozialer Kämpfe bzw. Bewegungen praktiziert. So geschehen im Fall der Bewegung gegen Hartz IV mit ihren Montagsdemonstrationen. Zwar war die Gründung der WASG ein wichtiges Zeichen, dass die ArbeiterInnenklasse ein politisches Instrument, also eine Partei braucht,  letztendlich führte sie über die Fusion mit der PDS aber zur Integration in das bürgerliche System.

Die Linke ist also eine durch und durch reformistische, politisch bürgerliche, den Rahmen des Kapitalismus nicht in Frage stellende, Partei. Um aber Reformismus nicht nur als politischen Fehler erklären zu können, muss dessen materielle Grundlage analysiert werden. Dazu ist es notwendig, einen Blick auf die soziale Struktur der Linkspartei zu werfen.

Zur Partei- und Sozialstruktur der LINKEN

Die Einschätzung der LINKEN ist nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, sondern hat auch politische Konsequenzen auf die Frage, wie sich RevolutionärInnen ihr gegenüber positionieren sollten. Denn allein durch die Tatsache, dass sie den Kapitalismus nicht ernsthaft in Frage stellt, unterscheidet sie sich ja noch nicht von anderen bürgerlichen Parteien, wie etwa den Grünen. Es stellt sich die Frage, ob sich die LINKE von diesen Parteien substanziell unterscheidet, ob sie eine „bürgerlichen ArbeiterInnenpartei“ ist. Im Kern geht es darum zu klären, ob sich eine Partei, unabhängig ihres bürgerlichen Programms, in essenzieller Weise auf Teile der organisierten ArbeiterInnenbewegung stützt. Das ist für RevolutionärInnen deshalb von Bedeutung, weil diese Schichten womöglich große Illusion in die Partei haben und es die ArbeiterInnenbewegung ist, welche die – potenzielle  – Macht hat, den Kapitalismus zu stürzen

Von der Sozialstruktur ihrer FunktionärInnen, Mitglieder und WählerInnen existieren gewisse Unterschiede der Linken in Ost- und Westdeutschland. Eine vor kurzem vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) veröffentlicht Studie zur AnhängerInnenstruktur der Linkspartei liefert in diesem Zusammenhang interessante Ergebnisse. Befragt wurden nicht WählerInnen, sondern Personen, die angaben, über einen längeren Zeitraum zu einer Partei zu neigen, auch wenn sie vielleicht ab und zu eine andere Partei wählen. Die Studie zeigt zum Beispiel, dass der Anteil der LINKE-AnhängerInnen in Ostdeutschland mit dem Bildungsniveau ansteigt und bei der „gehobenen Mittelschicht“ – der zweithöchsten von fünf Einkommensstufen – am höchsten ist. Im Westen hingegen hat sie beim zweitniedrigsten Einkommensquintil die meisten AnhängerInnen. Generell ist der Zuspruch zur Linken bei gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen überdurchschnittlich hoch. Von den ostdeutschen Gewerkschaftsmitgliedern, die sich einer Partei verbunden fühlen, sind über 40% AnhängerInnen der LINKEN (bei 23,7% LINKE-AnhängerInnen im Osten insgesamt). Bei Mitgliedern von Betriebsräten ist dieser Anteil noch deutlich höher. Auch in Westdeutschland liegt der Anteil der AnhängerInnen der LINKEN bei Betriebsratsmitgliedern höher als im westdeutschen Durchschnitt. (Skurriles Ergebnis am Rande: In den ostdeutschen Bundesländern sehen sich 9,7% all jener, die sich selbst als politisch „rechts“ einstufen, als AnhängerInnen der Linkspartei).

Ihre programmatisch linksreformistische, in der politischen Praxis – vor allem in Ostdeutschland –zutiefst opportunistische Ausrichtung ist kein zufälliger politischer Fehler der LINKEN, sondern der Tatsache geschuldet, dass ihre Parteispitzen vor allem im Osten über eigene Privilegien mit Teilen der KapitalistInnenklasse und ihrem Staat verbunden sind und sie sich dort organisatorisch auch auf die besser gestellten Teile der Lohnabhängigen stützen. Diese mögen sich zwar um die triste soziale Lage im Land sorgen, ihr relativ privilegiertes Verhältnis im Kapitalismus möchten sie aber dann doch nicht durch klassenkämpferische Aktivitäten gefährden. Im Westen müssen die SpitzenvertreterInnen der LINKEN radikaler auftreten, da ihre soziale Basis dort viel weniger sozial gemischt ist, und zu einem guten Teil aus gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen besteht. Und dieser Anteil vergrößert sich noch: Rund 80 Prozent der Neu-Mitglieder der LINKEN sind auch in einer Gewerkschaft.

Überhaupt ist die soziale Basis der LINKEN in Westdeutschland wesentlich dynamischer als im Osten. Von den, laut Eigenangaben, 5200 neu eingetreten Mitgliedern in der ersten Hälfte des Jahres 2008 entfielen die stärksten Zuwächse auf die Landesverbände Nordrhein-Westfalen (1.755), Saarland (833), Niedersachsen (737) und Bayern (726). Im Großteil Ostdeutschlands verliert die Linkspartei hingegen mehr Mitglieder als sie gewinnt, was damit zusammenhängt, dass ihr Altersdurchschnitt dort bei über 65 Jahren liegt.

Gerade fünf Prozent der LINKE-Mitglieder sind unter 30 Jahre alt, nur ein Prozent unter zwanzig. Allerdings hatte ihr Jugendverband „'solid“ zum 30. April 2008 ca. 8.200 Mitglieder. Ihr Studierendenverband LINKE.SDS, der keine Einzelmitgliedschaften vorsieht, hat sich innerhalb eines Jahres von 25 auf 60 Hochschulgruppen vergrößern können. Gerade die Jugendorganisationen der LINKEN sind also für RevolutionärInnen interessant, da sie es offenbar schaffen, viele neu-politisierte junge Menschen anzusprechen. 

Andererseits gelingt es der Partei bisher kaum, besonders unterdrückte soziale Gruppe wie MigrantInnen oder Frauen anzusprechen und neu zu organisieren. So sind 85% der, nach der Fusion eingetretenen Mitglieder, männlich – der für deutsche Parteien vergleichsweise immer noch sehr hohe, aber rückläufige Frauenschnitt von ca. 40% lässt sich hauptsächlich auf ostdeutsche Rentnerinnen, die vorher in der PDS bzw. SED waren, zurückführen.

Mittlerweile verfügt die Linke über 53 Abgeordnete im Bundestag, 185 Landtagsabgeordnete, 5561 kommunale MandatsträgerInnen, 179 BürgermeisterInnen und drei LandrätInnen. An diesen FunktionsträgerInnen hängen wiederum eine Menge anderer (bezahlter) Posten. Gleichzeitig finanziert sich die Partei, laut ihrem aktuellen Rechenschaftsbericht, bereits zu 35 bis 40% aus der staatlichen Parteienfinanzierung und zu 7 bis 8% aus Beiträgen ihrer MandatsträgerInnen. (10% kommen aus Spenden, 40 bis 45% aus Mitgliedsbeiträgen). Die LINKE ist also in finanzieller Hinsicht substanziell von Geldern des bürgerlichen Staats abhängig – ein Zustand, den eine sozialistische Partei eigentlich tunlichst vermeiden sollte. Natürlich würden auch wir entsprechende Geldflüsse nicht aus irgendwelchen hehren Prinzipien ablehnen, bloß würden wir darauf achten, nicht davon abhängig zu sein (d.h. das „Tagesgeschäft“ der Partei muss sich immer zu 100% aus Mitgliedsbeiträgen finanzieren lassen). Dies ist also eine weitere Erklärungsgrundlage für den Reformismus der Linkspartei und für ihre immer stärkere Ausrichtung allein auf Wahlkämpfe.

Die LINKE ist also in sozialstruktureller Hinsicht eine eher heterogene, sehr widersprüchliche Partei. Im Herbst 2008 hatte sie in etwa 76.000 Mitglieder, davon die Mehrheit in den ostdeutschen Bundesländern. Dort besteht sie aus rund 2000 Basisorganisationen gegenüber nur knapp 300 im Westen (welche jedoch zumeist deutlich aktiver und auch jünger sind). Doch der größere Anteil Ostdeutschlands, der zum Zeitpunkt der Fusion noch rund 70% betrug, verschiebt sich nach und nach in Richtung Westen. Obwohl es bedeutsame Unterschiede der Linken in Ost- und Westdeutschland gibt, und sie im Osten viel von dem hat, was die bürgerliche Politikwissenschaft als „Volkspartei“ bezeichnet, stützt sie sich da wie dort stark auf die organisierte ArbeiterInnenbewegung (die jedoch im Osten wiederum viel schwächer ist als im Westen).

Zusammenfassend können wir sagen: Die Partei steht im Osten in ungebrochener Tradition von SED über die PDS zur LINKEN, wird als Teil des Polit-Establishments wahrgenommen, stützt sich in erster Linie auf ehemals vom Stalinismus Privilegierte und steht kompromisslos für die Mitarbeit in Regierungen – Sozialabbau inkludiert. Im Westen ist die Partei wesentlich stärker von der WASG-Tradition dominiert und verfügt auch über eine stärkere Basis von betrieblichen und gewerkschaftlichen AktivistInnen. Hier ist sie noch eindeutiger als im Osten eine bürgerliche ArbeiterInnenpartei, profiliert sich als linksreformistische Alternative zur SPD und konnte so auch den Einzug in Landesparlamente schaffen.

Die Parteiführung ist eindeutig in den Händen bürgerlicher PolitikerInnen, zerfällt aber in zwei Flügel: Während die aus ehemaligen PDSlerInnen bestehende Schicht von ostdeutschen LandespolitikerInnen voll auf die Mitverwaltung des real existierenden Kapitalismus setzt, schwankt der Flügel um Oskar Lafontaine und die WASG-GewerkschafterInnen zwischen verbalradikalem Auftreten und linkskeynesianistischen Positionen. Mit dieser radikalen Rhetorik schafft es die Linke bei Teilen von sich politisierenden und radikalisierenden Schichten (hauptsächlich im Westen, in geringerem Ausmaß auch im Osten) zu punkten und zu einem Attraktionspol zu werden.

Bilanz und Perspektiven

„Die Partei, die Partei, die hat immer recht“ lautete einst das stolze Motto der SED. Und auch heute noch sind Parteisoldaten-Mentalität und Kadavergehorsam unter den Mitgliedern ihrer teilweisen Nachfolgepartei weit verbreitet. Dennoch ist die LINKE im Vergleich zu anderen bürgerlichen Parteien eine recht pluralistische Organisation, die eine beträchtliche Anzahl von Strömungen, Fraktionen und Arbeitsgruppen in sich vereinigt.

Einige dieser Strömungen geben sich deutlich linker und radikaler als der Mainstream der Partei. So tritt etwa die „Kommunistische Plattform“ laut Eigendefinition für die „Bewahrung und Weiterentwicklung marxistischen Gedankenguts“ innerhalb der LINKEN und für den „Sozialismus als Ziel gesellschaftlicher Veränderungen“ ein. Doch außer dem Erringen von Funktionärsposten in den verschiedensten Parteigremien hat dieser Zusammenschluss von Alt-StalinistInnen keine Antwort auf die Frage anzubieten, mit welchen Mitteln dies erreicht werden sollte.

Bei marx21, seit September 2007 die Nachfolgeorganisation von Linksruck, ist vom „trotzkistischen“ Hintergrund kaum mehr etwas zu merken. Die Strömung stellt sich zwar offiziell gegen Regierungsbeteiligungen der LINKEN, stellt aber real vor allem die Einheit der LINKEN in den Vordergrund, ihre Mitglieder haben immer mehr Posten und Pöstchen in der Partei übernommen und waren und sind real eine linke Flankendeckung für den Parteivorstand (beispielsweise im Konflikt mit der linkeren Berliner WASG). Die konsequenteste Opposition in der LINKEN ist sicherlich die SAV, die sich recht klar gegen die Politik der rechten Parteiführung stellt, aber gleichzeitig Illusionen in die Reformierbarkeit der Linkspartei verbreitet.

Ein gewisses Ausmaß an AntikapitalistInnen an der Parteibasis oder, vertreten durch einige wenige Aushängeschilder wie etwa die Erzstalinistin Sarah Wagenknecht, die für die LINKE im Parteivorstand und im Europaparlament sitzt, sogar an der Parteispitze, ist für die Führung der LINKE durchaus wünschenswert. Diese Elemente dienen der Partei als linke Feigenblätter, als Signale gegenüber der radikalen und außerparlamentarischen Linken, die als WählerInnenschaft gewonnen werden soll.

Trotz allem Pluralismus innerhalb der Linkspartei sollten sich SozialistInnen darüber im Klaren sein, dass diese Organisation nicht hin zu einer revolutionären ArbeiterInnenpartei reformierbar ist. Wie bei anderen reformistischen Parteien auch ist das Problem nicht bloß eine rechte Parteiführung, die sich der bürgerlichen Politik verschrieben hat. Die Partei stützt sich auf privilegierte Teile der ArbeiterInnenklasse und insbesondere auf Funktionärsschichten der ArbeiterInnenbewegung. Sie ist charakterisiert durch von Oben dominierte bürokratische Strukturen, die eine von vielen LINKE-Basismitgliedern erhoffte Veränderung der Politik unmöglich machen. Der „Organismus“ LINKE hat die Fähigkeit, radikale, kritische Mitglieder, die den Marsch durch die Parteiinstitutionen antreten wollen, gleichsam zu absorbieren wie ihnen Schritt für Schritt ihre Radikalität zu nehmen.

Nichtsdestotrotz ist es für RevolutionärInnen notwendig, die Entwicklung der Linkspartei zu verfolgen, schließlich ist sie, wie wir gezeigt haben, ein bedeutsamer politischer Attraktionspool für Jugendliche, ArbeiterInnen und verschiedenste Linke. Da sie eine bürgerlich ArbeiterInnenpartei ist, ist es für uns grundsätzlich möglich, ihr gegenüber eine Einheitsfrontprolitik zu betreiben. Wenn es die Kräfte erlauben, sollten RevolutionärInnen die Einheitsfront mit der Linkspartei, ihren Teil- oder Vorfeldstrukturen suchen. Mit dem Versuch, diese in einen  gemeinsamen Kampf für progressive soziale Forderungen zu ziehen, können deren Mitglieder und SympathisantInnen die Inkonsequenz und/oder der Verrat ihrer Parteiführungen vor Augen geführt und im besten Fall für eine antikapitalistische Politik gewonnen werden. Das kann in Form von Bündnissen bei Streiks oder Demonstrationen, in Form von Wahlunterstützungen oder sogar in Form einer partiellen Mitarbeit in Strukturen der LINKEN von Statten gehen. Voraussetzung dafür ist natürlich eine entsprechende kritische Stimmung unter Teilen der Parteibasis sowie eine gewisse Größe und Verankerung der revolutionären Organisation, damit Aufrufe zur Einheitsfront nicht zu Phrasen verkommen.

Durch die zunehmende soziale Polarisierung und den wahrscheinlichen Anstieg der Klassenkämpfe kann die Linkspartei in den nächsten Jahren durchaus weiter wachsen. Gleichzeitig können weitere Regierungsbeteiligungen in verschiedenen Bundesländern auch eine Diskreditierung der Partei fördern. In jedem Fall sind Radikalisierungen von Teilen der Basis der LINKEN möglich, was ein Ansatzpunkt für revolutionäre Positionen sein kann, die unter günstigen Umständen sogar zu einer revolutionären Abspaltung führen kann.